DIE COVID-19-PANDEMIE HAT IN ZAHLREICHEN LÄNDERN DIE STAATSVERSCHULDUNG IN DIE HÖHE GETRIEBEN und teils bestehende Schuldenprobleme verschärft. So stehen in Sambia die Zeichen auf Staatsbankrott, während man in Angola das Gröbste noch einmal abwenden konnte, ohne das Problem zu lösen. Doch die Schuldenkrise bremst wichtige Investitionen aus, zum Beispiel in die Pandemiebewältigung.
Am 11. März 2020 erklärte die Weltgesundheitsorganisation den Covid-19-Ausbruch offiziell zur Pandemie. Wenige Wochen später bezeichnete Kristalina Georgieva, Direktorin des Internationalen Währungsfonds (IWF), die durch die Pandemie ausgelöste Rezession als „Krise wie keine andere". Mehr als 170 Länder verzeichneten 2020 ein negatives Wirtschaftswachstum, die Region Subsahara-Afrika erlebte sogar den größten Wirtschaftseinbruch seit mehr als 50 Jahren. Während reiche Länder die Folgen der Pandemie für die heimische Wirtschaft durch Maßnahmen in Billionen-Höhe abfedern konnten, haben Länder des Globalen Südens diesen Spielraum nicht. Afrikanischen Staaten fehlten im Jahr 2020 zusätzliche Mittel in Höhe von bis zu 150 Milliarden US-Dollar, um auf die Krise reagieren zu können. Der ghanaische Finanzminister fand drastische Worte für die Situation: Es sei, als würde man in einem afrikanischen Kanu die Niagara-Fälle hinunter segeln.
Gleichzeitig fließen im Schnitt mehr als 30 Prozent der staatlichen Einnahmen in den Ländern Subsahara-Afrikas in den Schuldendienst. 25 afrikanische Länder haben 2020 mehr für den Schuldendienst bei ausländischen Gläubigern ausgegeben als für die Gesundheitsvorsorge im eigenen Land. Darunter sind auch Angola und Sambia. Mehrfach sahen sich IWF-Ökonom*innen und die IWF-Direktorin dazu veranlasst, vor der drohenden Gefahr eines verlorenen Entwicklungsjahrzehnts in Entwicklungsländern zu warnen, ausgelöst durch die sich weiter zuspitzende Schuldensituation und die daraus folgenden Staatspleiten.
Schuldenerleichterungen zur Pandemiebekämpfung
Die G20, die Gruppe der 20 mächtigsten Volkswirtschaften, die sich als globales Steuerungsgremium der Weltwirtschaft versteht, reagierten zu Beginn der Pandemie rasch mit Schuldenerleichterungen. Noch im April 2020 schufen die G20 das Angebot eines Schuldenmoratoriums für 73 arme Länder, die „Debt Service Suspension Initiative" (DSSI). Durch die DSSI konnten Schuldendienstzahlungen an die G20-Mitgliedsstaaten zunächst bis Ende 2020, nun auch bis Ende 2021 aufgeschoben werden. 46 Länder erhielten bis Ende 2020 Erleichterungen durch das Moratorium, darunter Sambia und Angola. Dadurch wurden nach letzten Informationen insgesamt 5,7 Milliarden US Dollar frei, die unmittelbar für die Pandemiebekämpfung zur Verfügung stehen sollten. Im November schufen die G20 zudem das „G20 Common Framework on Debt Treatments beyond the DSSI", durch das Umschuldungen für die Länder möglich werden sollen, die ihren Schuldendienst nicht einfach wieder aufnehmen können. Drei Länder haben seither Umschuldungsverhandlungen beantragt, neben Sambia auch Tschad und Äthiopien.
Doch so sehr diese Maßnahmen auch grundsätzlich zu begrüßen sind, so sind sie gleichzeitig sehr begrenzt: So deckte die DSSI 2020 weniger als 2 Prozent aller fälligen Schuldendienstzahlungen von Entwicklungs- und Schwellenländern ab. Tatsächliche Schuldenstreichungen gab es bislang kaum, obwohl die Vereinten Nationen zu Beginn der Pandemie schätzten, dass mindestens 1 Billion US-Dollar an Schuldenstreichungen für Entwicklungsländer nötig seien, um eine Katastrophe zu verhindern.
Sambia wird die erste Corona-Staatspleite
Das erste Land, welches explizit als Folge der Corona-Rezession in die Staatspleite rutschte, war Sambia im November 2020. Das kritisch verschuldete Land hatte zuvor die Gläubiger seiner ausstehenden Eurobonds, darunter große Investmentfonds wie BlackRock und JP Morgan, um die Aussetzung seiner Zinszahlungen bis April 2021 gebeten. Die Auswirkungen der weltweiten Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie führten in Sambia 2020 zur ersten Rezession seit 25 Jahren, unter anderem aufgrund des Einbruchs des Kupferpreises und des Stillstands im Tourismus. Schon im Oktober fehlte daher das Geld, um eine Zinszahlung an die Anleger zu leisten. Einigen konnten sich die sambische Regierung und die betroffenen Anleger nicht, sodass Sambia schließlich seine Zahlungsunfähigkeit erklären musste. Im Januar 2021 konnte die nächste Zinszahlung nicht bedient werden. Daraufhin beantragte das Land eine Umschuldung unter dem G20 Common Framework.
Vom Aufschwung zur Pleite
Bis 2015 zählte Sambia zu den am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften Subsahara-Afrikas. Durch einen Teilerlass seiner Auslandsschulden im Rahmen der multilateralen Entschuldungsinitiative für hoch verschuldete arme Länder Mitte der 2000er Jahre (die sogenannte HIPC-Initiative), Investitionen in soziale und wirtschaftliche Schlüsselbereiche und hohe Wachstumsraten wurde der Binnenstaat von einem der ärmsten Länder der Welt zu einem Mitteleinkommensland. Bis 2030 wollte Sambia zu einem wohlhabenden Schwellenland werden. Um dieses Ziel zu erreichen, sollten verschiedene Wirtschaftsbereiche ausgebaut werden. Fernstraßen im ganzen Land sollten repariert, erneuert oder neugebaut, das Schienennetz modernisiert, Schulen und Krankenhäuser gebaut werden.
Der Infrastrukturausbau wurde dabei weitestgehend durch Kredite finanziert. Aufgrund seiner politischen Stabilität und der hohen Rohstoffvorkommen war Sambia eines der Länder, welches von größeren Investitionsoffensiven aus reicheren Ländern profitieren konnte. 2012 konnte Sambia erstmals in seiner Geschichte eine Staatsanleihe an den internationalen Kapitalmärkten platzieren, zwei weitere sind seitdem gefolgt. Fast die Hälfte der öffentlichen Verschuldung setzt sich heute aus zu Marktbedingungen gewährten – sprich: vergleichsweise teuren – Finanzierungen durch private Banken und ausländische Investoren zusammen. Daneben wurde China zum wichtigsten bilateralen Gläubigerland, welches hauptsächlich zu marktnahen Konditionen finanziert. Der Zugang zu günstigen Entwicklungshilfemitteln ist gleichzeitig deutlich zurückgegangen.
Dadurch veränderte sich das Schuldenprofil Sambias dramatisch hin zu einer Zusammensetzung, wie es eher für Schwellenländer typisch ist, deren Wertschöpfung zu einem Großteil aus modernen Dienstleistungen und der industriellen Fertigung kommt und nicht aus dem Export unverarbeiteter Rohstoffe. Diese Spannung sorgte schon vor der Pandemie für ein hohes Überschuldungsrisiko. Nun, in der akuten Pandemie-Situation, stellt dies die Unterstützungsmaßnahmen der Gläubiger ganz besonders auf die Probe.
G20-Schuldenmoratorium zeigt kaum Wirkung
Denn der Teufel steckt im Detail der G20-Maßnahmen. Ein Problem ist die Beteiligung von Investmentfonds, Anlegern und Banken an der Initiative, also der privaten Gläubiger. In Sambia flossen 2020 schätzungsweise 69 Prozent aller Schuldendienstzahlungen nicht an die G20, sondern an Investmentfonds in den USA, Großbritannien und Europa. Dadurch waren im Falle Sambias gerade einmal ca. 12 Prozent der fälligen Schuldendienstzahlungen vom Schuldenmoratorium abgedeckt – ein Tropfen auf den heißen Stein. Private Gläubiger haben zwar auf Bitten der G20 hin bekräftigt, sich in das Schuldenmoratorium einzubringen. Bislang wurde jedoch von privater Seite kein einziger Schuldendollar ausgesetzt. Damit besteht die Gefahr, dass die durch den Verzicht der G20 freiwerdenden Mittel nicht in die Pandemiebewältigung, sondern in die Taschen privater Gläubiger fließen. Sowohl von zivilgesellschaftlicher als auch von offizieller Seite gab es daher die Forderung nach einer rechtlich verbindlichen Einbeziehung privater Gläubiger. Doch die G20 haben bislang keine Schritte in diese Richtung unternommen.
Die Gläubiger blockieren sich gegenseitig
Die zersplitterte Gläubigerlandschaft Sambias, mit China und privaten Gläubigern als den wichtigsten Akteuren, stellt auch die Wirksamkeit des G20 Common Framework infrage. Im Common Framework ist der Schuldnerstaat dazu aufgefordert, bei seinen privaten Gläubigern die gleichen Zugeständnisse zu verhandeln, die die G20-Regierungen gewähren. Doch es ist unklar, mit welchen Mitteln der Schuldner diese Gleichbehandlung durchsetzen soll. Der Fall Sambia ist dabei vor allem durch komplizierte Machtkämpfe zwischen den einzelnen Gläubigergruppen geprägt: Private Gläubiger Sambias geben an, nicht zu Zugeständnissen bereit zu sein, solange die Gefahr besteht, dass freiwerdende Mittel in die Bedienung intransparenter chinesischer Forderungen fließen. Beobachter*innen gehen davon aus, dass China aber nur dann tatsächliche Schuldenstreichungen akzeptiert, wenn private Gläubiger zu gleichen Bedingungen Streichungen gewähren. Eine Pattsituation. Die Verhandlungen mit China werden zudem auch dadurch erschwert, dass multilaterale Gläubiger wie die Weltbank auf ihrem Status eines bevorzugten Gläubigers beharren und sich dementsprechend weigern, sich an irgendeiner der Schuldenerlassmaßnahmen zu beteiligen. Der Einbezug multilateraler Gläubiger in eine umfassende Lösung war eine explizite Forderung Chinas in den Verhandlungen um das Common Framework.
Die Verhandlungen weiter verzögern dürfte auf der anderen Seite auch die öffentliche Verschwendungssucht vor der Präsidentschaftswahl im August 2021, die durch inländische Kreditaufnahme finanziert wird. Hinzu kommt ein intransparenter Minen-Deal mit dem Rohstoffhändler Glencore: Zu Beginn des Jahres wurde bekannt, dass die sambische Regierung die Anteile des Schweizer Rohstoffhändlers Glencore an der Mopani–Kupfermine vollständig übernahm, zum Preis der Übernahme der noch ausstehenden Verbindlichkeiten des Minenunternehmens gegenüber Glencore-Körperschaften in Höhe von 1,5 Milliarden US-Dollar.
Wie das Ziel einer raschen, effizienten und fairen Entschuldung in Sambia erreicht werden soll, ist damit aktuell ungewiss.
Angola – Pleite für dieses Mal gerade noch abgewendet
Nach der Staatspleite Sambias stand Angola als nächster afrikanischer Pleitekandidat in der Diskussion. Noch im Januar 2021 erwartete die Weltbank, dass Angola eine Umschuldung im Rahmen des G20 Common Framework beantragen müsste. Schon seit 2016 befindet sich die angolanische Wirtschaft in der Rezession. Der Kollaps des Weltmarktpreises für das Exportgut Öl, welches 95 Prozent der Exporte ausmacht, der schlechtere Zugang zu Fremdfinanzierungen zu Beginn der Pandemie sowie Lockdowns zur Eindämmung der Pandemie im Land trafen die Wirtschaft hart. 2020 stieg die öffentliche Verschuldung auf mehr als 130 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Der IWF hält im Falle Angolas maximal 70 Prozent für tragbar.
Angola beantragte einen Aufschub seiner Schuldendienstzahlungen unter der DSSI, zu der sich auch China, der wichtigste bilaterale Gläubiger Angolas, als G20-Mitglied verpflichtet hatte. Doch auch hier steckt der Teufel im Detail: Denn ein Großteil der Verbindlichkeiten gegenüber chinesischen Institutionen, etwa 14,5 von geschätzten 20 Milliarden US-Dollar, liegen bei der China Development Bank (CDB). Diese betrachtet die chinesische Regierung als kommerzielle Bank und somit als Privatgläubiger – für die Verbindlichkeiten der CDB sah China sich damit nicht verpflichtet. Ohne die Beteiligung der chinesischen (halb-)staatlichen Banken hätte die DSSI Angola kaum Luft zum Atmen verschafft und die Pleite war nah. Doch dann wurde bekannt, dass sich die angolanische Regierung außerhalb der DSSI mit seinen größten chinesischen Gläubigern (der CDB, der chinesischen Export-Import-Bank und der Industrial and Commercial Bank of China) auf einen dreijährigen Zahlungsaufschub einigen konnte. Damit erhält Angola von 2020 bis 2022 Schuldenerleichterungen in Höhe von insgesamt 6,9 Milliarden US-Dollar, mehr als 45 Prozent der fälligen Zahlungen an ausländische Gläubiger in diesem Zeitraum. Zusammen mit Hilfsfinanzierungen des IWF hat Angola dadurch kurzfristig die Pleite abgewendet.
Die Zahlungen wurden allerdings nicht gestrichen. Sie müssen immer noch sämtlich, wenn auch zu einem späteren Zeitpunkt, zurückgezahlt werden. Das Schuldenproblem bleibt, die Abhängigkeit von der schwächelnden Ölproduktion auch. Der Tag der Wahrheit kommt, nur eben etwas später.
Corona-Pandemie legt Schwächen der internationalen Finanzarchitektur offen
Die Corona-Pandemie offenbart an diesen und vielen weiteren Länderbeispielen eine schon lange bestehende strukturelle Unzulänglichkeit der globalen Finanzarchitektur: einen fehlenden rechtsstaatlichen und verlässlichen Rahmen zur Koordination aller Gläubiger. Schon in vergangenen Schuldenkrisen hat die Fragmentierung in verschiedene Verfahren und Regeln und das damit bestehende Machtungleichgewicht zwischen Schuldnern und Gläubigern dazu geführt, dass Schuldenkrisen nicht gelöst, sondern teils über Jahrzehnte verschleppt wurden. Weil es kein System gibt, was die Kosten fair zwischen allen verteilt, ist es nicht verwunderlich, dass es Gläubigergruppen gibt, die nicht freiwillig verzichten. Schon vor der Corona-Pandemie forderten Entwicklungsländer, etwa der Botschafter Malawis für die Gruppe der am wenigsten entwickelten Länder in den Vereinten Nationen, die Wiederaufnahme von Verhandlungen zur Schaffung eines Staateninsolvenzverfahrens.
Auch in der deutschen Politik mehren sich die Stimmen, die sich für ein solches Verfahren aussprechen. Die IWF-Chefin äußerte bei der Frühjahrstagung von IWF und Weltbank im April 2020 noch ihr Bedauern, dass ein Staateninsolvenzverfahren nicht geschaffen wurde, als die Zeiten noch einfacher waren. Anstatt mit Bedauern den Kopf in den Sand zu stecken, muss die internationale Gemeinschaft den Moment der Krise nutzen und systemische Reformen auf den Weg bringen.
Kristina Rehbein
Die Autorin ist politische Koordinatorin und Geschäftsführerin von „erlassjahr.de – Entwicklung braucht Entschuldung" und seit 2017 Mitglied des Vorstands des European Network on Debt and Development (EURODAD) mit Sitz in Brüssel.