Heft 3/2022, afrika süd-dossier: Sprachen- und Bildungspolitik

Intellektualisierung afrikanischer Sprachen

SEIT JEHER SIND AFRIKANISCHE SPRACHEN INTELLEKTUALISIERT WORDEN. Afrikas „Organische Intellektuelle" wie Ntsikana ka Ghaba, Isiah Shembe, Nontsizi Mgqwetho im 19. Jahrhundert und Samual Edward Krune Mqhayi, Sol Plaatje und andere im 20. Jahrhundert haben immer existiert und werden es auch fortan. Dies spricht für das Spektrum der Intellektualisierung in den afrikanischen Sprachen. Ihr Konzept findet also nicht in einem Vakuum statt, sondern existiert in allen Sprachen. Es setzt „Denkende" voraus, unabhängig davon, ob sie eine formelle Ausbildung haben oder nicht, und solche gibt es seit Anbeginn der Zeit.

Von Russell H. Kaschula

Natürlich gibt es viele Faktoren, die die Intellektualisierung einer Sprache beeinflussen, darunter sozio-politische und wirtschaftliche Umstände. Diese haben zu einer formelleren Intellektualisierung geführt, bei der afrikanische Sprachen zu „unterrichteten" Sprachen wurden. Einer der frühesten Belege dafür stammt aus dem fünfzehnten Jahrhundert. Im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert bereisten z. B. bereits die Chinesen Afrika und weite Teile Asiens. Sie trieben Handel in Malindi und Mombasa an der ostafrikanischen Küste, dem heutigen Kenia (Menzies 2002). Laut Menzies (2002: 66) bestand der Hauptzweck dieser Reisen im Handel. Es war Admiral Zheng He, der im Auftrag des Kaisers von China für die chinesische Flotte zuständig war und die erste Sprachschule im Jahr 1407 in Nanjeng zur Ausbildung von Dolmetschern gründete. Sechzehn der besten Absolventen reisten mit den Flotten und ermöglichten es den Admirälen, mit Herrschern von Indien bis Afrika in Arabisch, Persisch, Swahili, Hindi, Tamil und vielen anderen Sprachen zu kommunizieren (Menzies 2002: 66).

Es ist daher kein Zufall, dass Kiswahili heute eine der am weitesten entwickelten und intellektualisierten Sprachen des Kontinents ist. Der Grund für die Anfänge der Intellektualisierung von Sprachen wie Kiswahili und Arabisch war damals die Förderung von Wirtschaftswachstum und Entwicklung.

Ein weiteres Beispiel ist Afrikaans, das unter der Apartheid und mit wirtschaftlicher Unterstützung des Afrikaner Broederbond als Wirtschaftssprache in Südafrika nach 1948 entwickelt wurde. Auch heute noch kann die Verbreitung von Konfuzius-Instituten, in denen Mandarin-Chinesisch auf dem afrikanischen Kontinent gelehrt wird, als Fortführung des 1407 eingeführten Lehrmodells für Entwicklung angesehen werden. Hinter diesen Wirtschaftssprachen verbergen sich oft klare sozioökonomische und politische Strukturen.

Es kann argumentiert werden, dass wir gerade aus diesem Grund der Förderung des Wirtschaftswachstums und der sozialen Entwicklung auf dem Kontinent heute alle afrikanischen Sprachen weiter intellektualisieren sollten, neben dem Lehren und Lernen anderer Weltsprachen wie Mandarin und Englisch, um die lokale und globale wirtschaftliche Teilhabe und Entwicklung im Allgemeinen zu fördern. Dies müsste aber politisch unterstützt werden, da jede Sprachplanung im Grunde genommen ein politisches Unterfangen ist. Das Fehlen klarer politischer Vorgaben hat eine wirksame Sprachenplanung auf dem Kontinent oft verhindert.


Intellektualisierung gab es vor der Ankunft der Europäer

Begriffe wie „Intellektualisierung", „Empowerment" und „Entwicklung" sind von Natur aus umstritten und kompliziert. Solche Begriffe könnten implizieren, dass sie konzeptionell von der Ankunft westlicher Missionare, Entdecker und Verwalter auf dem afrikanischen Kontinent abhingen. Mit anderen Worten: Es wird oft angenommen, dass es vor der Ankunft der Missionare und des geschriebenen Wortes keine Intellektualisierung der Sprachen bzw. gesellschaftliche Entwicklung in Afrika gab. Dies ist schlichtweg falsch. Als Ausgangspunkt sollten diese Begriffe als weitere zeitgenössische Intellektualisierung und Entwicklung dessen betrachtet werden, was in Afrika bereits zuvor existierte. Der mündlich überlieferte Nguni-Dichter aus dem südlichen Afrika oder der westafrikanische Griot, der als Historiker, politischer Kommentator, Literaturkritiker und „organischer Intellektueller" fungierte, existierte schon lange vor der Ankunft westlichen Denkens und westlicher Bildungspraktiken. Die Tatsache, dass die Chinesen mit Gold handelten, das von afrikanischen Goldschmieden hergestellt wurde, untermauert durch die reiche intellektuelle Geschichte des Goldbergbaus im heutigen Königreich Kumasi in Ghana, die Existenz der Ruinen von Simbabwe und der Mapungubwe-Stätten, ist ein Beweis für vergangene intellektuelle afrikanische Zivilisationen.


Forschung zur Intellektualisierung in Südafrika

Neville Alexander (2013: 81) stellt in seinem posthum veröffentlichten Buch „Thoughts on the new South Africa" diesbezüglich fest: „Die Argumente für die Verwendung und Entwicklung afrikanischer Sprachen neben Englisch, Französisch und Portugiesisch als Unterrichtssprachen in der tertiären Bildung lassen sich in Form eines fünfdimensionalen Arguments formulieren, das die Angelegenheit mit (biokultureller) Vielfalt, (wirtschaftlicher) Entwicklung, (politischer) Demokratie, (menschlicher) Würde und effektiver Didaktik in Verbindung bringt." In Bezug auf die Didaktik ist es auch notwendig, unsere Sprachen auf tertiärer Ebene zu intellektualisieren, damit Lehrer in das afrikanische Schulsystem eingeführt werden können, die den Begriff der Muttersprache und der muttersprachlich-bilingualen Erziehung verstehen (Alexander 2005).

Die ersten Kolleg:innen, die das Thema der Intellektualisierung zumindest im südafrikanischen Kontext ansprachen, waren Madiba und Finlayson (2002: 40), die sich optimistisch äußerten, indem sie feststellten, dass „die Intellektualisierung in Südafrika mit größerer Wahrscheinlichkeit erfolgreicher sein wird als in den meisten Entwicklungsländern, da sie zunehmend ... Dynamik, Unterstützung und Erfolg erhalten wird."

In der Folgezeit entwickelte Alexander dieses Konzept weiter und baute dabei auf die Arbeit philippinischer Wissenschaftler wie Sibayan und Gonzalez (1995: 11) auf, die für die Intellektualisierung von Sprachen plädieren, damit diese in der staatlichen Verwaltung, Wissenschaft, Technik, Medizin, dem Ingenieurwesen usw. eingesetzt werden können. Madiba & Finlayson (2002: 40) definieren diese Initiative als „den geplanten Prozess der Beschleunigung des Wachstums und der Entwicklung unserer einheimischen Sprachen, um ihre effektive Schnittstelle mit modernen Entwicklungen, Theorien und Konzepten zu verbessern."

Damit diese „Intellektualisierung" erfolgreich sein kann, bedarf es sowohl eines Top-down- als auch eines Bottom-up-Ansatzes für die Sprachplanung, die sowohl Regierungs- und politische Entscheidungen als auch ausreichende Finanzmittel sowie die Entwicklung und Verwendung afrikanischer Sprachen durch die Menschen vor Ort, im Schulsystem und anderswo umfassen.

Afrikanische Sprachen als Entwicklungsressourcen

Wolff macht in seinem neuen Buch mit dem Titel „Language and Development" deutlich, dass die sozioökonomische Entwicklung auf dem afrikanischen Kontinent nicht losgelöst von Fragen der Sprache und ihrer Förderung betrachtet werden kann. Dies wird von Bamgbose (2014: 98) unterstützt, wenn er feststellt, dass „Entwicklung ... nicht erreicht werden kann, wenn sie nicht die Beteiligung aller am Prozess einschließt, und eine solche Beteiligung erfordert unweigerlich, dass die Menschen erreicht werden und in der Lage sind, andere in der Sprache oder den Sprachen zu erreichen, in denen sie kompetent sind." Bei der Entwicklung geht es also darum, den Menschen Zugang zu materiellem Reichtum zu verschaffen und ihre Teilhabe an der Gesellschaft durch Sprachen zu ermöglichen, die sie am besten verstehen. In der Regel ist dies die Muttersprache eines Individuums in einer beliebigen Gesellschaft.

Die Sprachenfrage ist also der „Elefant im Raum", wenn es um die Entwicklung in Afrika geht, ja um die Transformation des Kontinents auf allen Ebenen, von der gesellschaftlichen, bildungspolitischen bis zur wirtschaftlichen Transformation. Wolff fährt fort und weist darauf hin, dass jeder neue Entwicklungsansatz die Entwicklung der afrikanischen Sprachen auf dem Kontinent berücksichtigen muss: „Der neue Ansatz für die afrikanische Entwicklung ist daher die Stärkung der afrikanischen Sprachen, ihre 'Intellektualisierung' bis zur Augenhöhe mit anderen Sprachen von globaler Bedeutung." Im Einklang mit Neville Alexander (2013) weist Wolff darauf hin, dass es ansonsten keine demokratische Teilhabe der Massen und keine Freisetzung des kreativen Potenzials Afrikas geben wird.

Es scheint, als würde in allen Entwicklungsplänen für Afrika nicht berücksichtigt, wie Sprache zur Förderung des wirtschaftlichen Fortschritts eingesetzt werden kann. Betrachtet man die African Union's New Partnership for Africa's Development (Nepad) der Afrikanischen Union sowie die Millenium Development Goals (MDGs) und Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) der Vereinten Nationen, so wird „Sprache" und ihre Bedeutung für die Entwicklung der menschlichen Fähigkeiten überhaupt nicht erwähnt. Es ist erstaunlich, dass im einundzwanzigsten Jahrhundert die Verbindung zwischen Sprache und Entwicklung noch immer nicht hergestellt wurde.

Der Kern eines solchen Entwicklungskonzepts wäre die Verwendung afrikanischer Sprachen neben anderen Sprachen zu Bildungszwecken. Eine gebildete Bevölkerung wird in der Lage sein, wesentlich zur Entwicklung der Gesellschaft beizutragen. In allen entwickelten Ländern geschieht dies in der Muttersprache, ob wir nun Norwegen, China, Japan, Amerika, Südkorea oder Großbritannien betrachten. Brock-Utne (2014: 114) stellt in Bezug auf die Geberländer Folgendes fest: „Die Geberländer selbst verwenden ihre eigenen Sprachen als Unterrichtssprachen, scheinen sich aber keine Gedanken darüber zu machen, dass die meisten Kinder in Afrika in einer fremden Sprache unterrichtet werden, die sie nicht beherrschen." Einfach ausgedrückt: Es kann keine Entwicklung für alle geben, wenn die unterstützende Sprache der Entwicklung nicht von allen, die in einer bestimmten Gesellschaft leben, ausreichend verstanden wird.

Bewährte Praktiken an Universitäten

Die Universitäten in Südafrika haben sich seit jeher mit dem Prozess der afrikanischen Sprachintellektualisierung beschäftigt und diesen gelehrt. Ursprünglich geschah dies unter rein linguistischen Gesichtspunkten. Die Sprachen wurden oft von Zweitsprachler:innen oder theoretischen Linguist:innen unterrichtet. Nach der Demokratisierung wurden sie in der Verfassung als Amtssprachen verankert, und die Universitäten begannen mit weiteren soziolinguistischen Studien und der Intellektualisierung. An der Rhodes-Universität beispielsweise dürfen Studierende seit 2014 ihre Abschlussarbeiten in isiXhosa und anderen afrikanischen Sprachen verfassen. Im Jahr 2016 reichte dort Dr. Hleze Kunju die erste Doktorarbeit in isiXhosa ein, in der er die Sprache und Kultur der in Simbabwe lebenden isiXhosa-Sprecher:innen analysierte. Eine Dissertation in chiShona wiederum wurde 2021 von Dr. Ignatius Mabaso aus Simbabwe vorgelegt.

Die meisten Universitäten haben sich auch an der Entwicklung von Terminologie mit Glossaren für verschiedene Fächer beteiligt. Die University of the Western Cape arbeitet an der Entwicklung von Begriffen in der Chemie, während viele Dissertationen dort auch in isiXhosa verfasst werden. Glossare wurden auch von den Universitäten Stellenbosch und South Africa entwickelt. Die Universitäten Kapstadt und Witwatersrand haben ein medizinisches Lexikon entwickelt, und alle Studenten sind verpflichtet, auf einer afrikanischen Sprache zu sprechen und Diagnosen zu stellen, bevor sie einen medizinischen Abschluss erlangen können. Die Universität von Limpopo hat einen zweisprachigen Studiengang in Sesotho sa Leboa und Englisch, bei dem die Hälfte der Fächer auf Englisch und die andere Hälfte auf Sesotho sa Leboa unterrichtet wird.

Außerdem gibt es zwei etablierte Forschungslehrstühle. In Rhodes gibt es einen NRF-Forschungslehrstuhl für die Intellektualisierung afrikanischer Sprachen, Mehrsprachigkeit und Bildung, während die University of the Western Cape einen Lehrstuhl für forensische Linguistik und Mehrsprachigkeit besitzt.

Die Intellektualisierung afrikanischer Sprachen ist ein kontinuierlicher Prozess. Es gibt keinen Anfang und kein Ende. Klar ist jedoch, dass die Universitäten verpflichtet sind, Absolvent:innen auszubilden, die sprachbewusst sind und sich für die weitere Intellektualisierung der afrikanischen Sprachen als Teil unseres nationalen und kollektiven Erbes einsetzen können.

Der Autor leitet im Department of African Language Studies an der University of the Western Cape den Lehrstuhl Forensische Linguistik und Mehrsprachigkeit. Die geäußerten Meinungen und Schlussfolgerungen sind die des Autors und spiegeln nicht unbedingt die Meinung der UWC wider.
Übersetzt aus dem Englischen.