Heft 3/2022, Madagaskar

Kabinettsumbildung statt Reformen

Korruptionsbekämpfung, Wirtschaftschancen und Deals zur Entwicklungshilfe in Madagaskar.

Von Janine Traber

Madagaskars Regierungschef Andry Rajoelina hat im März dieses Jahres einmal mehr sein Kabinett ausgetauscht. Zum wiederholten Male gerieten er und seine Politik in Kritik in Bezug auf den laschen Umgang mit Fällen von Korruption auf höchster Ebene. Anstatt aber tiefgreifende politische Konsequenzen daraus zu ziehen, scheint es nun zur gängigen Strategie zu werden, das Kabinett auszutauschen. So ließ sich in den vergangenen Jahren während Rajoelinas Amtszeit schon mehrfach die nationale und internationale Skepsis besänftigen.

Zu den bekannt gewordenen Korruptionsfällen während Rajoelinas Amtszeit zählt ein Fall von Juni 2020, als das Bildungsministerium unter der Leitung von Rijasoa Josoa Andriamanana beschuldigt wurde, 13 Milliarden Ariary (ca. 3 Mio. Euro) durch den extrem überteuerten Kauf von Lutschbonbons (angeblich zu Covid-Präventionszwecken) und Seife veruntreut zu haben. Im September 2020 folgte dann eine Affäre um den Kauf von Flachbildschirmen, die der damalige Innenminister Tinarivelo Razafimahefa ebenfalls für einen viel zu hohen Preis von seiner eigenen Ehefrau für den Staat erwarb. Die Folge war eine breite Neu- bzw. Umbesetzung der Ministerien im August 2021.

Der illegale Goldabbau

Ein aktuelleres Beispiel dieses Jahres stellt ein Skandal um Goldschmuggel dar. Hier versuchte man zunächst, die Wogen durch ein kurzzeitig eingeführtes Gesetz zu glätten. In Zuge dessen wurde das Mitführen von Rollkoffern und später auch von allen anderen Handgepäckstücken in Flugzeugkabinen auf Flügen von Madagaskar aus untersagt. Grund dafür war der massive Goldschmuggel, an dem unter anderem auch Regierungsmitglieder beteiligt gewesen sein sollen und der in 90 Prozent der Fälle mithilfe von Handgepäck erfolgt war. Dabei soll es eine beliebte Strategie gewesen sein, das Gold in den Rollen von Koffern zu verstecken oder gegen Hardware in Laptops auszutauschen.

Allein im Jahr 2021 wurden fast 123 kg illegal exportiertes madagassisches Gold in Südafrika und auf den Komoren entdeckt. Da es allerdings aus Sicherheitsgründen verboten ist, Batterien und anderes üblicherweise im Handgepäck transportiertes Material im Frachtraum unterzubringen, konnten kleinere Gepäckstücke in der Kabine nicht effektiv verboten werden. Das Gesetz wurde also bald wieder gekippt, sodass letztendlich nur die Kontrollen an den Flughäfen verschärft wurden. Der Spott der Medien über das ineffiziente Gesetz gegen Rollkoffer ist zwar geblieben, doch über den weiteren Verlauf der Untersuchungen gegen mögliche Regierungsbeteiligungen ist nichts mehr bekannt geworden. Stattdessen wurden im März 2022 wieder einmal einige Ministerien neu besetzt.

Das Problem des Goldschmuggels beginnt allerdings bereits an anderer Stelle und es müssten tiefgreifendere Entscheidungen von Rajoelina getroffen werden, um ihm Einhalt zu gebieten. Das System des Goldabbaus im Land müsste grundsätzlich saniert werden, um den illegalen Export zu zerschlagen. Offiziell gilt seit September 2020 ein Exportverbot für das Edelmetall, das vom damaligen Wirtschafts- und Finanzminister Richard Randriamandrato erlassen wurde. Dies hat aber nicht zum Ende der Misswirtschaft geführt, sondern den illegalen Abbau nur angekurbelt. Das ist nicht überraschend, sondern war durchaus vorhersehbar und lässt somit vermuten, dass manche Politiker:innen von einer derartigen Entwicklung zu profitieren hofften.

Wenn die Neubesetzung des Kabinetts vom März dieses Jahres nun helfen soll, effektiv gegen den Schmuggel und die illegale Schürfung vorzugehen, müssen entweder alle Minen, wie vom Erlass vorgesehen, radikal aufgespürt und geschlossen werden, oder aber der Abbau muss strukturell formalisiert und vom Rechtssystem kontrolliert werden. Besonders angesichts der aktuellen Lage am Rohstoffmarkt böte letztere Option die Aussicht auf Einkünfte in Millionenhöhe für den madagassischen Staat, statt die Taschen der am Schmuggel Beteiligten zu füllen.

Wirtschaftswachstum gegen die internationale Krise

Dabei könnten auch weitere Bereiche des Bergbausektors von Sanierungen profitieren. Wenn das frisch besetzte Bergbauministerium unter Herindrainy Olivier Rakotomalala es schaffen würde, neue und geregelte Strukturen für den Abbau von Rohstoffen einzuführen, an denen sich nicht nur ausländische Investoren und der Schwarzmarkt bereichern, könnten der Staat und die Bevölkerung massiv von dem spektakulären Anstieg des Nickelpreises seit Beginn des Kriegs in der Ukraine profitieren. Unter anderem wird dieses Metall für die Herstellung von Lithiumbatterien verwendet und auch weitere Staaten Afrikas sehen hierin eine wirtschaftliche Chance (siehe F. Misser in afrika süd Nr. 2/22).

Anfang Januar lag der Nickelpreis bei rund 20.000 US-Dollar pro metrische Tonne. Der russisch-ukrainische Krieg und die von zahlreichen Staaten verhängten Sanktionen haben jedoch zwischenzeitlich zu sprunghaften Anstiegen auf bis zu 100.000 US-Dollar geführt. Der madagassische Bergbausektor hatte zuvor stark unter der Corona-Krise gelitten, da die Schürfung größtenteils heruntergefahren werden musste. Das japanisch-koreanische Großprojekt Ambatovy, in dem Nickel und Kobalt auf Madagaskar abgebaut und exportiert werden, hat erst Mai 2021 seine Aktivitäten wiederaufgenommen und blickt nun einer finanziell rosigen Zukunft entgegen.

Internationale Entwicklungshilfe gegen verpatzte Korruptionsaufklärung

Angesichts der Korruptionsskandale und der wirtschaftlich angeschlagenen Situation der letzten Jahre war also die erneute Übergabe problembehafteter Posten an neue Minister:innen im Zuge der Kabinettsneubesetzungen mit Sicherheit ein kluger Schachzug. Die madagassische Bürgerinitiative für die unabhängige Beobachtung von Wahlen und öffentlicher Bildung KMF/CNOE bemängelte nämlich bis zum Schluss die mauen Regierungsbemühungen um eine transparente Aufklärung der Korruptionsfälle. Es ist allerdings zu vermuten, dass auch die kürzliche Neubesetzung zuallererst ein Ausweichmanöver darstellt: Statt konkret alle in die Korruptionsskandale verwickelten Personen aufzudecken, werden die Posten neu vergeben und der Staat kann sich nun mit vermeintlich unbefleckter Weste in die Verhandlungen um dringend benötigte Entwicklungsgelder begeben.

Dies hat sich bereits im August 2021 im Zuge einer weiteren Affäre im Anschluss an die Bonbon- und Bildschirmskandale gezeigt: Als die Veruntreuung von mehreren Millionen Euro aus der nationalen Rentenkasse (CNAPS) in einem Zeitraum von 2010 bis 2018 zum Bau eines Luxushotels bekannt wurde, war der madagassische Staat nicht in der Lage, die beiden Hauptangeklagten effektiv zu verurteilen. Raoul Rabekoto Arizaka, der ehemalige Direktor der Rentenkasse und gleichzeitig Präsident des nationalen Fußballverbands, und sein Komplize Jean Ravelonarivo, Premierminister Madagaskars von 2015-2016, befanden sich auf der Flucht.

Nicht nur die madagassischen Bürger:innen, sondern auch internationale Entwicklungsorganisationen waren empört über den geringen Einsatz der Regierung, die beiden Verurteilten ausfindig zu machen. Es wurde vermutet, dass die Beteiligung weiterer Regierungsmitglieder an der Veruntreuung der Gelder vertuscht werden sollte. Um dem Unmut ein Ende zu bereiten, veranlasste Andry Rajoelina eine nahezu vollständige Neubesetzung des Kabinetts. So wurden keine weiteren Personen belastet und den internationalen Partnern konnte versichert werden, dass die Zusammenarbeit ohne Gewissensfragen weitergeführt werden könne. Diese Strategie scheint nun wiederholt zu werden, wo das Land scheinbar mehr denn je auf finanzielle Investitionen von außen angewiesen ist.

Denn nicht nur die Corona-Pandemie hat dazu geführt, dass die wirtschaftliche Situation vieler Madagass:innen angeschlagen ist. Erst haben die tropischen Zyklone in diesem und den vergangenen Jahren zu verheerenden Überschwemmungen und damit Erntezerstörungen geführt, und nun steigen die Preise für Haushaltsgas, Butter, Öl, Benzin und weitere Güter des täglichen Bedarfs auf ein für die Durchschnittsbevölkerung unerschwingliches Niveau. Zudem ist die Infrastruktur des Landes abseits der Hauptstadt in teils katastrophalem Zustand, was nicht nur die Verteilung dieser teuer und rar gewordenen Produkte erschwert, sondern auch eine Hürde für den Aufschwung des Bergbausektors darstellt.

Angewiesen auf internationale Gelder

Um die Situation zu verbessern, hat Präsident Rajoelina daher zuerst eine Gehaltserhöhung für Beamte angekündigt. Diese Nachricht machte schnell die Runde unter den Staatsbediensteten, da sie seit zwei Jahren trotz steigender Preise keine solche mehr erhalten haben. Da sich die Inflation insbesondere aufgrund des Ukrainekriegs nicht aufhalten ließe, solle so versucht werden, den Folgen entgegenzuwirken. Das Geld dafür soll aus den USA kommen.
Rajoelina verkündete Ende April die Ergebnisse seiner Verhandlungsreise in die Vereinigten Staaten. Die Entwicklungen seien positiv, lautete das Statement vor der Presse. Die Weltbank wird rund eine Milliarde US-Dollar in die Umsetzung eines Sanierungsplans für das Land investieren. Davon sind allein 400 Mio. US-Dollar für Straßenbau und 134 Mio. für das Gesundheitswesen und den Sozialstaat vorgesehen. So sollen nicht nur die Misere der Rentenkasse aus dem Korruptionsskandal von 2021 ausgeglichen, sondern auch der Bau bzw. die Sanierung zweier wichtiger Nationalstraßen, der N10 und der N13, noch vor Ende des Jahres angegangen werden. Durch sie soll, wie lange versprochen, der bisher eher schlecht angebundene Süden des Landes infrastrukturell aufgewertet werden. Ein Teilabschnitt der Straße zwischen Betroka und Ambovombe werde zudem aus Mitteln des Europäischen Entwicklungsfonds (EEF) finanziert, verkündete Rajoelina.

Abgesehen davon soll auch die US-Entwicklungsagentur (USAID) Madagaskar mit 495 Mio. US-Dollar im Bereich der Ernährungssicherheit und Umweltschutz, besonders im Süden des Landes, unterstützen. Offenbar hat der Schachzug der Kabinettsumbesetzungen überzeugt. Allerdings muss sich erst zeigen, ob es Rajoelina tatsächlich um mehr geht, als nur seinen angeschlagenen Ruf aufzupolieren.

In der Vergangenheit wurden von Minister:innen erfolgreich eingeworbene ausländische Entwicklungsgelder in der madagassischen Presse meist als Erfolge gedeutet. Ein Beispiel dafür ist die Finanzministerin Rindra Hasimbelo Rabarinirinarison, die seit August 2021 im Amt ist und bei der aktuellen Neubesetzung um dieses bangen musste. Vor der Entlassung konnte sie sich vor allem dadurch retten, dass sie erfolgreich darin war, die Auszahlung des zweiten Teils der 67,5 Mio. US-Dollar umfassenden Unterstützungsgelder des Internationalen Währungsfonds durchzusetzen.

Dieser Fall verdeutlicht auch, wie sehr der madagassische Staat mit seinem vergleichsweise bescheidenen Staatshaushalt von 1,6 Mrd. Dollar auf internationale Gelder angewiesen und deshalb um sein Ansehen bei den Gebern bemüht ist. In Hinsicht auf die im nächsten Jahr anstehenden Wahlen ist Rajoelinas Motivation, weitere Entwicklungsgelder einzuwerben, daher vermutlich groß. Ob dieser Ansporn schlussendlich zu mehr als der Neubesetzung von Posten und zu tatsächlichen Reformen führt, von denen die Bevölkerung nachhaltig wirtschaftlich und strukturell profitieren kann, wird sich in den kommenden Monaten zeigen.


Madagaskars Staatspräsident Andry Rajoelina

Andry Rajoelina ist seit Januar 2019 Staatspräsident Madagaskars. Als damaliger Bürgermeister von Antananarivo war er bereits 2009 durch einen Putsch an die Macht gekommen und blieb ungeachtet internationaler Kritik, v. a. aus AU und SADC, bis 2014 „Übergangspräsident" des Inselstaats, indem er mehrmals den Wahltermin herauszögerte. Seine demokratisch nicht legitimierte Übergangsregierung stand unter internationalen Sanktionen. Unter Vermittlung der SADC leitete er Schritte zur Rückkehr in die Rechtsstaatlichkeit ein. Nachdem er sich 2013 nicht zur Wahl gestellt hatte, gewann er die Wahlen von 2018 in der zweiten Runde mit einem klaren Ergebnis von 55,7 Prozent gegen seinen Rivalen und Vorgänger Marc Ravalomanana, den er einst aus dem Amt gedrängt hatte. Bei anschließenden Kommunal-, Senats- und Parlamentswahlen konnte Rajoelina seine Machtbasis weiter ausbauen. Die nächsten Wahlen stehen Ende 2023 an, Rajoelina werden gute Chancen für eine Wiederwahl zugerechnet.

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