Heft 3/2022, afrika süd-dossier: Sprachen- und Bildungspolitik

Koloniale Sprachideologien

SPRACHEN- UND BILDUNGSPOLITIK IN MADAGASKAR. Prestige und beruflicher Erfolg sind gedanklich bei vielen Madagass:innen immer noch mit den Sprachen der ehemaligen Kolonisten verknüpft. Bestrebungen, die indigene Sprache Malagasy im Staats- und Bildungswesen zu fördern, scheitern bisher an einer nachhaltigen Umsetzung.

Von Claudine Sedrarinoro Rakotomanana

Die frühe Geschichte des madagassischen Bildungswesen war in hohem Maße von der Konkurrenz zwischen britischen Siedlern, Missionaren sowie der französischen Invasion und deren Sprachverbreitung durch die Einführung des Katholizismus geprägt. Erwähnenswert ist auch, dass Händler die arabische Schrift Sorabe einführten, besonders im Süden der Insel. Bereits einige Jahrhunderte vor der Ankunft der Briten und Franzosen versuchten arabische Unternehmer, die madagassische Sprache zu transkribieren, und fügten dem bestehenden, auf mündlicher Überlieferung (Lovantsofina) basierenden Bildungssystem eine schriftliche Komponente hinzu. Während die britischen Missionare später eher in den zentralen Gebieten der Insel zu finden waren, waren die französischen Truppen in den Küstenregionen stärker vertreten. Dies hatte einen großen Einfluss auf die Wertschätzung von Bildungseinrichtungen seitens der Bevölkerung. Während die Londoner Missionare die breitere Bevölkerung verschiedener sozialer Schichten ansprachen, strebten die Franzosen eine dauerhaftere hierarchische Differenzierung an, die mit der Strategie ihrer zukünftigen Besetzung Madagaskars – für die nächsten 60 Jahre – vereinbar war.

Die Bedeutung des Französischen

Die Folgen der Kolonialisierung haben eine allgemeine Verbitterung gegenüber Frankreich hinterlassen. Trotz der Abneigung der madagassischen Bevölkerung gegen das Französische als Erinnerung an die koloniale Besatzung taucht es immer wieder als primäres diskursives Mittel auf, wenn die Menschen Ausländer:innen, insbesondere Weißen, begegnen. Auch wenn diese sich nicht als Französ:innen herausstellen, geht die Mehrheit der Einheimischen grundsätzlich davon aus, dass die betreffende Person Französisch sprechen und verstehen muss.

Interessanterweise wird auch solchen Ausländer:innen, die sogar Sätze auf Madagassisch artikulieren können, dennoch meist auf Französisch geantwortet. Natürlich ist das eine Verallgemeinerung, die nicht für alle Madagass:innen gelten sollte, aber es gibt ein Szenario wieder, mit dem wahrscheinlich viele konfrontiert werden. Dies zeigt sehr aufschlussreich, wie tief Französisch in Madagaskar verwurzelt ist, auch wenn es von vielen Madagass:innen nicht fließend gesprochen wird. Das ist auch auf die weite Verbreitung des Französischen im Bildungssystem und in der Verwaltung zurückzuführen, wo es zu einer Art Geschäfts- und Kooperationssprache wurde. Der durchdringende Gebrauch des Französischen, obwohl die Mehrheit der Menschen es nicht vollständig beherrscht, hat unbewusst einen Automatismus in der alltäglichen Kommunikation bei denjenigen ausgelöst, die sich sozial von anderen abheben wollen.

Der Einfluss des Kolonialismus auf die Kultur

Wie in anderen ehemals kolonisierten Ländern hat Frankreich auch in Madagaskar einige Spuren hinterlassen, die sich im Alltagsleben wiederfinden, insbesondere in Bezug auf die sprachliche Struktur des Landes, sei es im privaten oder formellen Bereich. Wie in vielen ehemaligen französischen Kolonien ist Französisch weiterhin die offizielle Unterrichtssprache an Schulen und Universitäten. Darüber hinaus bemühen sich viele französische Kultureinrichtungen um eine gewisse Kontinuität in Bezug auf das Prestige und die Verwendung des Französischen in Madagaskar. Außerdem ist die französische Kultur tief in die Struktur verschiedener Verwaltungsinstitutionen wie der Gerichtsbarkeit eingegangen, denn die madagassischen Gesetze sind zu etwa 80 Prozent von den jeweiligen französischen Pendants inspiriert.
Das Bildungssystem Madagaskars wird jedoch nicht nur auf Französisch, sondern auch auf Madagassisch angeboten. Dabei gibt es zwar kein wirkliches „Maß" dafür, welche Sprache mehr verwendet wird als die andere. Dennoch ist deutlich erkennbar, dass die schriftliche Form des Unterrichts in Französisch gehalten ist, während die mündlichen Erklärungen und Diskussionen zumeist auf Madagassisch geführt werden.

Eine durchgängige französische Alphabetisierung ist jedoch nicht gewährleistet, da die offizielle Bedeutung des Französischen immer noch von der praktischen Verwendung des Madagassischen überlagert wird. Denn dieses wird im ganzen Land verstanden, gesprochen und gelebt. Die innerhalb dessen existierenden Dialekte spielen allerdings im Bildungssystem eine eher untergeordnete Rolle, werden aber zumindest am Ende der Sekundarstufe berücksichtigt. In den Küstenregionen beispielsweise ist ein Mindestmaß an Verständnis für andere Dialekte als den eigenen obligatorisch und Teil der Prüfung im Hauptfach „Madagassisch", um das Abitur (baccalauréat) zu bestehen.

Malagasy in der Schule und im Staat

Rund um die Hauptstadt wird in der Schule neben dem Französischen hauptsächlich der Merina-Dialekt verwendet. Es ist wichtig festzustellen, dass dieser dem offiziellen Madagassisch am nächsten steht, was sich auf das Verständnis auswirkt, wie die Madagass:innen im Hochland auch die weiteren Dialekte der Küstengebiete wahrnehmen. Aufgrund der sprachlichen Ähnlichkeit zwischen dem Merina-Dialekt und der offiziellen Verwaltungssprache besteht kein großes Interesse daran, auch andere Dialekte zu lernen.

Grundsätzlich gibt es keine ideologische Konkurrenz zwischen den in Madagaskar gesprochenen Dialekten. Die Verständigung zwischen ihnen ist in der Regel sehr kompromissfähig. Die Stellung des Hochlanddialekts, insbesondere des Merina-Dialekts, hat jedoch in der Vergangenheit bereits zu Missverständnissen im Schulunterricht und in der Politik geführt. So wurde beispielsweise bei der Ratifizierung und Abstimmung über neue Gesetze durch ein Referendum ein Missverständnis der eher an andere Dialekte gewöhnten Bevölkerung von den betreffenden Politikern missbraucht, um die Zustimmung der Mehrheit zu manipulieren.

Dies führt auch dazu, dass bestimmte Dialekte im Land (die im Übrigen offiziell und gesellschaftlich anerkannt sind) gegenüber dem Merina-Dialekt benachteiligt werden. Darin spiegelt sich eindeutig die koloniale Besetzung durch die Franzosen wider, die ein System der Zentralisierung einführen wollte. Diese Strategie wurde von den französischen Imperialisten in vielen ehemaligen Kolonien angewandt, um sich so die Kontrolle effektiv zu sichern und die bestehenden lokalen Autoritäten zu zerschlagen. So sollte ihre Macht langfristig gesichert werden.

Nuancen der madagassischen Sprache

Die Sprache in der Schule und in anderen öffentlichen Einrichtungen unterscheidet sich leicht von der alltäglichen Kommunikationssprache im privaten Raum. Neben Slang, Umgangs- oder Jugendsprachen findet die formelle Verwaltungssprache im Alltag eher keine Anwendung. Dennoch gibt es gewisse Überlappungen zwischen der Alltags- und Bildungssprache. Zudem existiert auch ein kleiner Prozentsatz innerhalb der Bevölkerung, der auch zu Hause und im Bekanntenkreis fast ausschließlich Französisch spricht. Dabei handelt es sich aber um eine zahlenmäßig geringe Elite. Es entsteht der Eindruck, dass sie Französisch vor allem nutzen, um sich so von der Masse abzuheben. Einerseits wird mit der Sprache ein soziales Prestige verbunden, andererseits kann so auch ein gewisses Bildungsniveau und Internationalität zum Ausdruck gebracht werden. Madagaskar ist zwar eine Insel, aber dennoch schon lange stark von internationalem Austausch und Zusammenarbeit geprägt.

Erfolg in der Hochschulbildung durch Sprache

In Anbetracht der Tatsache, dass Französisch offiziell die zweite Verwaltungssprache ist, können Schüler:innen und Student:innen grundsätzlich sehr von Kenntnissen in Französisch und auch anderen internationalen Sprachen profitieren. Daher werden genau diese von vielen privaten Einrichtungen gefördert. Der Unterricht in anderen internationalen Sprachen wie Englisch, Italienisch, Spanisch und mittlerweile auch Deutsch ist ein wichtiger Teil ihrer Marketingstrategie. Das ist sehr attraktiv für Familien, die sich bessere Bildungschancen über die Insel hinaus für ihre Kinder erhoffen. Besonders jene, die ins Ausland wollen, streben Englisch, Chinesisch und Japanisch an.

Das bildungspolitische System von 2009 bis 2011 unter dem ehemaligen Präsidenten Marc Ravalomanana hat mit finanzieller Unterstützung der Weltbank und technischer Hilfe der Unesco einen Erlass zur Bildung für alle, aber auch zur Öffnung gegenüber anderen Ländern als Frankreich angenommen. Die Initiative, so verlockend sie auch gewesen sein mag, scheiterte allerdings an ihrer Umsetzung. Denn die Regierung hatte nicht aus der Vergangenheit gelernt. Ideen zur Umstrukturierung des Bildungssystems werden bis heute kaum umgesetzt.

Dieser Fall ist vergleichbar mit den Ereignissen der Ära der „Malgachisierung" unter dem früheren Präsidenten Didier Ratsiraka. Es gab zu wenig konkrete Diskussionen darüber, wie eine Sprachpolitik wirklich umgesetzt werden sollte, und ein übermäßig emotionales Streben nach der Abschaffung des Elitismus, was zu einem völligen Versagen des Bildungssystems führte. Kurz gesagt, um in postkolonialer Zeit den französischen Einflüssen entgegenzuwirken, entschied sich die Regierung für eine politische Abkehr vom Kapitalismus und favorisierte den Nationalismus, was sich auch auf die Sprache der Verwaltung und des Bildungswesens auswirkte. Die abrupte Veränderung der offiziellen sprachlichen Strukturen führte aber anstatt zu Innovation dazu, dass es eine ganze Generation in ihrer Entwicklung behinderte. Die Auswirkungen sind bis heute spürbar.

Das Französische ist also in seiner didaktischen Form in Madagaskar allgegenwärtig, und es gab relativ wenige bis gar keine Bemühungen um eine Dekolonisierung des Bildungswesens und der Verwaltung. Das ist gerade jetzt, da die Unabhängigkeit ihren 60. Geburtstag feiert, sehr bedenklich. Es ist jedoch verständlich, dass nach der Verankerung und Institutionalisierung des Französischen in madagassischen Einrichtungen die Entwurzelung Zeit und auch ernsthafte Anstrengungen braucht, damit sie sich nicht noch verheerender auf madagassische Institutionen verschiedener Größenordnungen auswirken kann.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Beherrschung einer weiteren Fremdsprache immer ein Pluspunkt für Student:innen ist, insbesondere für diejenigen, die eine internationale Karriere anstreben. Aber es ist darüber hinaus auch wichtig, dass jemand, der ein gehobenes Malagasy beherrscht, bei zukünftigen Arbeitgebern in Madagaskar gut ankommt. Hierdurch zeigt sich schließlich, dass die Bewerber:in nicht nur offen für das Internationale ist, sondern auch Würde und Achtung vor ihrer eigenen Sprache besitzt. Ein madagassisches Sprichwort drückt es passend aus: Andrianiko ny teniko, ny an'ny hafa koa feheziko – Ich ehre meine Sprache, während ich die der anderen beherrsche.

Die Autorin hat an der Universität zu Köln Culture and Environment in Africa studiert und ihre Abschlussarbeit zu Sprache und Migration auf Madagaskar verfasst.
Übersetzt aus dem Englischen.