Heft 3/2022, afrika süd-dossier: Sprachen- und Bildungspolitik

Potenziale unter dem Deckel gehalten

EINFLUSS DER UNTERRICHTSSPRACHE AM FALL SIMBABWES. Das Lernen in einer nicht landläufigen Sprache bringt Hürden und Probleme in der Verständnis- und Ausdrucksfähigkeit mit sich und verhindert die freie Entfaltung der Schülerinnen und Schüler. So bleibt das Bildungssystem in Simbabwe hinter den eigenen Potenzialen zurück. Forderungen nach der Integration indigener Sprachen werden lauter, bleiben aber bisher eher theoretisch.

Von Collins Kudakwashe Shava

Das Erbe der englischen Sprache aus der Kolonialzeit führt im Schulalltag zu Konfliktsituationen. Stellen Sie sich vor, eine Schülerin oder ein Schüler soll in einem Pflichtaufsatz auf Englisch einer Schülerin oder einem Schüler aus einem ländlichen Gebiet in Simbabwe das städtische Leben beschreiben. Die Menschen in Simbabwe wachsen von Kindheit an mit ihren jeweiligen indigenen Sprachen auf, und wenn sie in die Grundschule kommen, sind sie gezwungen, in einer Sprache zu lernen, die zwar nicht landläufig, aber dafür international anerkannt ist. Dadurch verlieren die Schüler:innen aber die Zeit, sich in ihrer eigenen Sprache zu entwickeln und zu verstehen.

Koloniales Erbe und Widerstand

Das erste afrikanische Land, das die Unabhängigkeit erlangte, war Ghana im Jahr 1957, das letzte Land war Südafrika im Jahr 1994. In all dieser Zeit, in der Afrikaner:innen wieder für ihre Regierungsangelegenheiten verantwortlich sind, wird im Bildungssystem als erste Sprache entweder Französisch, Englisch oder Portugiesisch verwendet, je nachdem, wer der Kolonialherr war. Heute haben wir in Afrika eine Kluft zwischen anglophonen, lusophonen und frankophonen Ländern. Bei kontinentalen Konferenzen führt dies oft zu Problemen der Verständigung. Um unsere Bildungssysteme zu befreien und zu dekolonisieren, müssen wir damit beginnen, neben dem Englischen auch unsere Erstsprachen darin zu integrieren.

Am 16. Juni 1976 führte eine Gruppe schwarzer Kinder in Soweto, Südafrika, einen Aufstand an. Es handelte sich um eine Reihe von Demonstrationen und Protesten als Reaktion auf die Einführung von Afrikaans als Unterrichtssprache in örtlichen Schulen. Schätzungsweise 20.000 Schülerinnen und Schüler hatten an den Protesten teilgenommen und trafen auf erbitterte Polizeibrutalität, bei denen viele von ihnen erschossen wurden. Dieser Tag wird in Südafrika als Tag der Jugend und im Rest des Kontinents als Tag des afrikanischen Kindes gewürdigt. Es ist also nicht gelungen, die Spuren des kolonialen Erbes abzuschütteln. Afrika ist nach wie vor der Kontinent, auf dem Kinder größtenteils in einer anderen Sprache als ihrer eigenen unterrichtet werden. Dies hätte jedoch das Potenzial gehabt, zu einer breiten kontinentalen Bewegung zur Entkolonialisierung und Beseitigung von Sprachbarrieren in unserem Bildungssystem zu führen. Bis heute verharrt die Bewegung zur Dekolonisierung der Bildung aber weitgehend im akademischen Diskurs. Prominente Stimmen der Bewegung sind größtenteils Einzelpersonen, die sich Debatten über den Panafrikanismus angeschlossen haben.

Hürden der Sprachpolitik

Simbabwe erlangte 1980 seine Unabhängigkeit. In den örtlichen Schulen wird überwiegend Englisch als Unterrichts- und Prüfungssprache verwendet. Durch die Anerkennung von 16 offiziellen Sprachen bekräftigt die Verfassung, dass der Staat auch den Gebrauch aller simbabwischen Sprachen fördern und Bedingungen für die Entwicklung dieser Sprachen schaffen muss. Schätzungsweise 75 Prozent der simbabwischen Bevölkerung sprechen Shona und weitere 17 Prozent sprechen Ndebele (auf die Konkurrenz der indigenen Sprachen untereinander geht Dube im Folgeartikel ein).

Das Bildungsgesetz von 1987 sieht vor, dass in Simbabwe drei Sprachen im Bildungswesen verwendet werden: Shona, Ndebele und Englisch – Shona und Englisch in allen Gebieten, in denen die Erstsprache der Bevölkerungsmehrheit Shona ist, oder Ndebele und Englisch in allen Gebieten, in denen dies Ndebele ist.

Trotz der Bestimmungen in diesem Gesetz ist die beherrschende Sprache Englisch. Eine Reihe von Wissenschaftler:innen stellt fest, dass praktisch alle Kinder in Simbabwe auf Englisch unterrichtet werden und dass von ihnen erwartet wird, dass sie ihre Erstsprache als Unterrichtsfach lernen. Weitere Studien zeigen zudem, dass Englisch als überethnische Sprache der nationalen Integration gefördert wird. Der geringe Stellenwert der afrikanischen Sprachen wirkt sich demnach negativ auf deren Gebrauch im Bildungssystem aus.

Dies stellt eine Herausforderung für die Lern- und Verständnisfähigkeit der Schüler:innen dar. Die Intelligenz von Kindern wird anhand ihrer Fähigkeit beurteilt, in der Kolonialsprache Englisch zu lesen und zu verstehen, und nicht in ihren Erstsprachen. Dies beeinträchtigt das Lernen, das Denken und die Ausdrucksfähigkeit der Kinder, was in einigen Fällen zu schlechten Noten führt. Die Verwendung der Erstsprache beim Unterrichten hilft den Kindern eindeutig dabei, das Gelernte besser zu verstehen und sich auszudrücken. In einem Artikel von Tsakane Nkwe und Thadeus Marungudzi fällt auf, dass die Schüler:innen Schwierigkeiten haben, das auf Englisch Gelernte zu verstehen, was wiederum zu einem Gefälle in den akademischen Ergebnissen führt. Dies liegt nicht an einer vermeintlichen Rückständigkeit der Schüler:innen, sondern am Gebrauch der englischen Sprache, die von der Grundschulzeit an einen Einfluss auf die schulischen Ergebnisse hat.

Das Potenzial der einheimischen Sprachen freisetzen

Die Tatsache, dass Simbabwe auf Englisch als Lern- und Unterrichtssprache setzt, lässt befürchten, dass eine solche Sprachpolitik nicht in der Lage ist, die Entwicklung von Technologie, Wirtschaft, Sozialsystemen und anderen nationalen Bestrebungen zu fördern, wie Tsakane und Thadeus in ihrem Paper verweisen. Bereits Ende der 1990er-Jahre war zu spüren, dass die Abhängigkeit von einem von Englisch beherrschten Bildungssystem die Wettbewerbsfähigkeit des Landes im Global Village des 21. Jahrhunderts beeinträchtigt. Der Gebrauch indigener Sprachen erlaubt es den Menschen, sich freier auszudrücken und ihr Potenzial freizusetzen. Schaut man sich andere Länder an, so verwendet China Chinesisch, das Vereinigte Königreich Englisch und Deutschland Deutsch, und dies sind einige der Länder, die in Technologie und der vorgeblichen Entwicklung weit fortgeschritten sind. Afrika muss diesen Weg einschlagen, um seine Bevölkerung zu stärken und zu fördern, indem es die einheimischen Sprachen als Unterrichtssprache zulässt.

Der Gebrauch lokaler Sprachen kann das Potenzial eines Landes freisetzen, indem es indigene Ressourcen nutzt und der Bevölkerung das Gefühl gibt, sich zu Hause zu fühlen. Es würde so den Menschen das Vertrauen geben, ihre eigenen und tradierten Konzepte zu integrieren, um die Herausforderungen in ihren Gemeinden und im Land insgesamt anzugehen. Die Anerkennung der Kraft, die im Gebrauch lokaler afrikanischer Sprachen liegt, ist eine Möglichkeit, zur gesellschaftlichen Transformation und wirtschaftlichem Fortschritt beizutragen, indem das kognitive und kreative Potenzial junger Afrikaner:innen freigesetzt wird. Die Verwendung lokaler Sprachen kann Afrika dabei dienen, sein eigenes Wissen und seine eigenen Narrative zu produzieren, die im globalen Norden verwendet werden können.

In dem Bestreben, das Bildungssystem in Afrika zu dekolonisieren, besteht eine der Prioritäten darin, einen kämpferischen Ansatz bei der Umsetzung von Maßnahmen zu verfolgen, die die Verwendung lokaler Sprachen als Lern- und Unterrichtsmedium unterstützen. Bemerkenswerte Initiativen, die sich für den Gebrauch afrikanischer Sprachen einsetzen, sind z. B. an einigen südafrikanischen Universitäten und in Ostafrika zu finden. Darüber hinaus wurden die Gespräche aber in die Wissenschaft und auf Konferenzen verbannt, ohne dass daraus bisher organisierte Initiativen hervorgegangen sind. Es müssen bewusste Schritte unternommen werden, um sicherzustellen, dass die Regierungen in diesen Ansatz investieren. Nur so kann Afrika das Potenzial seines Humankapitals und sein Potenzial zur Nutzung seiner indigenen Ressourcen für die Entwicklung des Kontinents voll ausschöpfen.

Der Autor ist ein junger Panafrikanist aus Simbabwe, der sich darüber hinaus mit Klimawandel, Umwelt und andere Themen von nationalem Interesse beschäftigt. Er hat einen Master-Abschluss in Public Policy und Governance von der Africa University in Mutare.
Übersetzt aus dem Englischen.