Heft 3/2023, Meinungskolumne

„Feministische“ Entwicklungspolitik?

Von Brigitte Reinhardt

„Frauen sind die Lasttiere, die Dienerinnen, die Sklaven, die Putzfrauen, sie sind die Verzichtbereiten, die Zurückbleibenden und die Kränksten – in vielen Teilen der Welt leiden Frauen an den typischen Armutskrankheiten Anämie und Tuberkulose. Frauen verzichten zugunsten ihrer Kinder auf Nahrung, wenn es darauf ankommt, obwohl sie in manchen Ländern bis zu 80 Prozent der Nahrungsmittel in der Subsistenzwirtschaft produzieren. Unsere Unterstützung der Frauen in Entwicklungsländern hat ein Ziel: ihre Freiheit von Not und Furcht, von Unwissenheit, Bevormundung und Ausbeutung, das heißt also gleichwertige Teilhabe an der Entwicklung."

Diese Zeilen stammen aus einem Grundsatzpapier des BMZ vom Jahr 1978. Marie Schlei hatte 1976 als erste Frau das Ministerium übernommen, zu einer Zeit, als dies von manchen noch mit Kritik und Spott quittiert wurde – „vom Kochtopf ins Ministerium". Durch ihren Einsatz wurden verstärkt Frauen Akteurinnen der Entwicklungspolitik. Projektprüfungskriterien wurden erarbeitet, mit deren Hilfe die Interessen der Frauen und ihrer Familien bei möglichst allen Projekten berücksichtigt werden sollten. Ihr sog. Frauenpapier stellt auch heute noch eine der Grundlagen der deutschen Entwicklungspolitik dar, auf der auch die neue „Feministische Entwicklungspolitik" basiert. Schon damals war klar, dass bei der Umsetzung kulturelle Besonderheiten und lokale Gegebenheiten zu berücksichtigen wären.

Inzwischen hat sich hierzulande hinsichtlich der Gleichstellung der Geschlechter vieles geändert, und auch in Afrika ist längst ein Bewusstsein für die Benachteiligung von Frauen gewachsen. Zum Beispiel hat der unermüdliche Kampf einheimischer Organisationen gegen die Weibliche Genitalverstümmlung (FGM) in mehreren Ländern Afrikas dazu geführt, dass FGM offiziell verboten wurde. Weltweite Aufmerksamkeit erlangte diese Praxis durch den Einsatz von Waris Dirie aus Somalia, die ihre internationale Bekanntheit als Model dazu nutzte, um auf dieses „Verbrechen gegen die Menschlichkeit" (UN) aufmerksam zu machen. In Lesotho wurde vor kurzem ein Gesetz erlassen, nach dem Frauen, die nach traditionellem Recht verheiratet sind, nach dem Tod des Ehemannes den gemeinsamen Besitz erben können. Bis dahin galten sie als minderjährig und der Besitz ging an die Brüder des Verstorbenen. In Tansania will sich die Politik unter der Präsidentin Samia Suluhu Hasan darum bemühen, den „gender Gap" im digitalen Bereich zu schließen und generell daran arbeiten, die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern zu beseitigen. In Sambia setzt sich die Sistah Sistah Foundation, die sich selbst als feministische NGO bezeichnet, für Frauen, Kinder und Minderheiten ein. Im Senegal demonstrierten vor kurzem Frauen des „Feministschen Kollektivs" (Collective des Feministe au Senegal) gegen die Gewalt an Frauen.

Die Beispiele für den Kampf afrikanischer Frauen für Geschlechtergerechtigkeit ließen sich mühelos fortsetzen. Doch auf welchen „Normen und Werten" basiert ihr Engagement? Ginge es nach ihren einheimischen Gegnern – und zum Teil auch Gegnerinnen – dann wäre die Antwort klar: Dies sind Einflüsse aus dem Westen. Sie stellen einen Eingriff in die jeweilige lokale Kultur dar. Wer diese Ideen vertritt, wird als „unafrikanisch" ausgegrenzt. Eine derartige Reaktion sind die Frauen gewohnt – schließlich geht es um die Verteidigung von Macht und Privilegien. Verwundert wären sie sicher, wenn die Frage nun von einem Professor aus Deutschland käme (vgl. Robert Kappel, afrika süd 2/23), vor allem dann, wenn sie für ihre Arbeit Unterstützung durch die deutsche Entwicklungszusammenarbeit (EZ) erhielten. Wurde und wird ihnen da möglicherweise etwas „aufoktroyiert" – nach deutschen Normen und Werten? Ein Blick in das neue Papier des BMZ zur „Feministischen Entwicklungspolitik", das aus dem Internet mühelos heruntergeladen werden kann, macht deutlich, dass diese Besorgnis unangebracht ist. Was bleibt ist die Frage, ob es nicht auch auf dem Gebiet der Gleichstellung der Geschlechter gemeinsame Normen und Werte gibt.

Woher kommt eigentlich die Vorstellung, die deutsche EZ würde in Afrika auftauchen, um mit erhobenem Zeigefinger „Feminismusbelehrung" zu betreiben? Vermutlich hat dies weniger mit der tatsächlichen Vorgehensweise zu tun, als viel mehr mit dem Begriff selbst: „Feminismus" ist in Deutschland, im Gegensatz zu einigen skandinavischen Ländern, für viele noch immer ein Reizwort, ein Kampfbegriff, verbunden mit der Vorstellung von aggressiven Frauen, die gegen „die Männer" zu Felde ziehen. Ähnlich sieht das in Afrika aus. Wäre es da nicht besser gewesen, beim alten Begriff „Frauenförderung" zu bleiben, auch wenn er nicht ganz so peppig klingt?