Heft 3/2023, Gastkommentar

Ein vermessener Film

Ein Kommentar zu Lars Kraumes Kinofilm „Der vermessene Mensch"

Von Zola Wiegand-M'Pembele

Als ich das erste Mal von dem Film der Vermessene Mensch (2023, Regie & Drehbuch von Lars Kraume) hörte, war ich gespannt – zehn Sekunden lang. Dann habe ich gelesen, dass der Regisseur ein weißer Mann ist. Trotzdem habe ich mir die Mühe gemacht und nachgeschaut, wer die Schauspieler:innen sind. Auch das hat mich nicht gerade ermutigt. Dann kamen die ersten Kritiken aus meinem Schwarzen Netzwerk. Angesehen habe ich den Film dann doch, aber jetzt bin ich wütend! Wenn dies der Anfang einer Aufarbeitung der deutschen Kolonialzeit sein soll, dann brauchen wir nochmal 120 Jahre, um diesem Ziel näher zu kommen.

Die Handlung ist schnell erzählt: Ein biodeutscher Doktorand namens Alexander Hoffmann (AH) entwickelt durch die Deutsche Kolonialausstellung Ende des 19 Jh. Interesse an den Nama und Herero, v.a. an einer Frau der Delegation, Kezia Kambazembi, welche als Dolmetscherin fungiert. Die Liebesgeschichte ist nur von der männlichen Seite geprägt und äußert sich mehr in einem Begehren als in einer wirklich empfundenen Liebe. Der Held, der keiner ist, entdeckt, dass die Schädel der Menschen Afrikas sich nicht von denen der Weißen unterscheiden, und stellt die damals geltende Rassentheorie in Frage. Wie revolutionär! Durch Zufall kommt AH nach Südwest. Nach einigem belanglosen Hin und Her, sein Vorgesetzter stirbt durch einen Schlangenbiss oder durch Erwürgen eines Soldaten, fängt er an, Schädel der von den deutschen Kolonialheeren niedergemetzelten Herero und Nama zu sammeln. Er plündert Gräber, eignet sich Kunstgegenstände an und überhaupt alles, was er so auf seinem Weg Exotisches findet, und verschifft es nach Berlin (wo die Schädel, Objekte etc. in zahlreichen wissenschaftlichen Einrichtungen und Museen und in privater Hand bis heute liegen).

Was AH die gesamte Zeit begleitet, ist die Suche nach der schönen und klugen Dolmetscherin. Wieder einiges Hin und Her,... deutsche Soldaten in Camps, ...abtrünnige Soldaten, die mit Hoffmann auf Raubtour gehen, ... der Versuch der totalen Vernichtung der Nama und Herero. Endlich – es kann nicht mehr lange zum Filmende dauern – findet er sie in den Wirren des Ausrottungskrieges in einem Konzentrationslager (Dank an Raoul Peck: Rottet die Bestien aus). Sie sitzt in einer Hütte und wird gezwungen, die abgetrennten Schädel ihres Volkes zu reinigen und für die Verschiffung nach Berlin vorzubereiten. AH ist erschüttert und kehrt traumatisiert an die Universität nach Berlin zurück, bekommt einen Lehrstuhl und lehrt fortan als Professor die Rassentheorie. Ende.

Haben Sie jetzt auch so viele offen Fragen wie ich? Herr Kraume, was wollen Sie uns mit diesem Film sagen? Braucht es einen Weißen-Fleck-Film zur deutschen Kolonialzeit? Wieso haben Sie sich nicht ausgiebiger beraten lassen? Ich finde Ihr kritisches Weißsein braucht Nachhilfe, dringend! Ich weiß zwar, dass die wunderbare Natasha A. Kelly Sie zu Beginn des Drehbucharbeiten beraten hat und nur ihr ist es zu verdanken, dass die Schwarze Hauptfigur überhaupt Text hat. Aber das ist auch schon alles. Der weiße Blick ist in jeder Sekunde dieses Filmes so unangenehm zu spüren, dass ich mich geweigert habe, den Film in einem Workshop mit jungen Menschen zu zeigen. Der Satz von Gerald Hartung (Uni Wuppertal) auf einer Podiumsdiskussion im Anschluss an den Film trifft es: „Der unglaublich nervige Protagonist lässt mich ratlos zurück." Ja, der ganze Film macht mich ratlos. Endlich fasst jemand dieses so verschwiegene, dunkle Kapitel deutscher Geschichte an, bekommt stattliche (und staatliche) Fördergelder dafür – und dann sowas. Es gibt im Film keinerlei kritische Auseinandersetzung mit dem Thema! Die Perspektive der Nama und Herero findet nicht statt. Schwarze Menschen sind damals, wie heute, Statisten. Keiner dieser weißen Filmcrew hat sich die Mühe gemacht, die schwarze Seite zu befragen, zu fühlen, geschweige denn abbilden zu wollen. Was hat der Alptraum der kolonialen Schreckensherrschaft mit den Menschen gemacht, die heute noch immer für Gerechtigkeit kämpfen?

Ich bin es gewohnt, weißen Menschen gegenüber mit viel Verständnis und Nachsicht im Bereich Antirassismus zu begegnen, aber keiner hat Sie, Herr Kraume, zu dem Film gezwungen. Sie allein wollten dieses Thema bearbeiten, aber eben nur ein bisschen und mit viel Mitgefühl für die armen, abhängigen weißen Menschen von damals, die wussten, dass das alles falsch ist, aber nicht aus ihrer Zeit konnten. Wieso, weshalb, warum?

Bei einer Filmvorführung in Köln zeigte sich Herr Kraume über die harsche Kritik aus der Schwarzen Community überrascht. Wieso haben Sie erst eine Schwarze Deutsche um Beratung gebeten und dann nach einem Gespräch aufgegeben? Dieser Film hätte so vieles sein können. Für mich ist er wie die typische Begegnung mit weißen Menschen auf Veranstaltungen: „Wo kommen Sie denn her,... also nein, ...also wirklich, ah, Kongo, ...Belgisch-Kongo, ...ich war auch schon mal in Afrika, ... auf Safari in Kenia." Mein Fazit: Deutschland, das kannst du besser – und Sie Herr Kraume, Sie vermutlich auch.

s. a. Rezension des Films in afrika süd Nr. 2/2023