Heft 3/2023, Namibia

Netumbo Nandi-Ndaitwah: Namibias erste Staatspräsidentin?

Mit der Wiederwahl von Netumbo Nandi-Ndaitwah zur Vizepräsidentin der Swapo (siehe afrika süd 1/23) scheinen die Würfel gefallen. Wenn die Partei ihren bisherigen Spielregeln folgt, ist sie damit zur Nachfolgerin von Hage Geingob gekürt – sowohl als Kandidatin für die Wahl des Staatsoberhaupts im November 2024 wie auch als Parteivorsitzende.

Von Henning Melber

Mitte September 2022 nominierte das Zentralkomitee der Swapo die beiden Frauen in den höchsten Partei- und Staatsämtern als Kandidatinnen für die Wahl zur Vizepräsidentschaft auf dem Parteikongress Ende November. Netumbo Nandi-Ndaitwah (kurz: NNN), Außenministerin und Vize-Ministerpräsidentin, war die bisherige Amtsinhaberin. Ihre Herausforderin war Saara Kuugongelwa-Amadhila, Premierministerin und frühere Finanzministerin. Dies war eine Weichenstellung: Erstmals wurde damit der Weg für eine Staatspräsidentin geebnet. Überraschend gesellte sich mit einer Ad-hoc-Nominierung Pohamba Shifeta, Minister für Umwelt und Tourismus, zu dem Duo. Wie der Altersunterschied dokumentierte, war dies zugleich eine Wahl zwischen NNN als zweite Generation von Befreiungskämpfer:innen und einer dritten Generation, die vor der Unabhängigkeit aus Altersgründen noch keine höheren Ämter in der Organisation bekleidete.

Wiederwahl trotz mangelnder Rückendeckung Geingobs

Abweichend von bisherigen Gepflogenheiten versagte Präsident Hage Geingob seiner Stellvertreterin die erklärte Unterstützung als Nachfolgerin. Während er dies als Respekt vor der Demokratie rechtfertigte, wurde es weithin als Zeichen seiner Präferenz für die Herausforderin Kuugongelwa-Amadhila verstanden. Unbenommen dessen nahm die von ihm beschworene innerparteiliche Demokratie ihren Lauf: mit 491 Stimmen wurde NNN überzeugend wiedergewählt. Ihre Widersacherin erhielt 270 Stimmen und Shifeta wurde mit 91 Stimmen abserviert. Doch Geingob sorgte für neuerliche Irritationen. Wie er erklärte, habe er entgegen bisheriger Praxis nicht vor, spätestens bei Amtsantritt von NNN als Staatspräsidentin im März 2025 das Amt des Parteipräsidenten für sie zu räumen. Vielmehr wolle er dieses bis zum nächsten Parteikongress 2027 ausüben. Auch blieb er anfangs weiterhin stumm, was eine Unterstützung von NNN betraf. Diese übernahm der stellvertretende Staatspräsident Nangolo Mbumba. Er versicherte, dass die Partei die Kandidatur von NNN unterstütze.

Durch seine Manöver konterkarierte Geingob sein eigenes Credo, dass die Partei zwei Machtzentren (repräsentiert durch verschiedene Fraktionen) vermeiden müsse. In seiner Eröffnungsrede an das Kabinett am 7. Februar 2023 erwähnte er interessanterweise das Wahlergebnis des Parteikongresses mit keinem Wort. Mittlerweile ließ er sich dazu herab, NNN sein Plazet zu erteilen und zu betonen, dass deren Wahl unstrittig sei und die volle Unterstützung der Partei habe.

Nandi-Ndaitwahs Karriere

Geboren am 29. Oktober 1952, wuchs NNN als eines von 13 Kindern in dem Dorf Onamutai in der Oshana-Region (im früheren Ovamboland) als Tochter von Justina Nekoto Nandi und Petrus Nandi auf, der Pastor der anglikanischen Kirche war. Sie besuchte die St Mary's Missionsschule in Odibo, die ein Hort des Widerstands der Jugendlichen gegen das Apartheidsystem war, und wurde Vorsitzende der Swapo-Jugendliga im Ovamboland. Gemeinsam mit Bischof Leonard Auala und dem anglikanischen Bischof Richard Wood mobilisierte sie gegen die damals praktizierten öffentlichen Prügelstrafen als Mittel politischer Einschüchterung. 1973 war sie mehrere Monate in Haft. 1974 gehörte sie zu den tausenden Jüngeren, die sich mittels Flucht in das unabhängige Angola der Swapo im Exil anschlossen. Schon bald machte sie eine steile Karriere.

Als Mitglied des Swapo Zentralkomitees von 1976 bis 1986 war sie von 1978 bis 1980 die Vertreterin der Organisation in Lusaka (wo Hage Geingob das United Nations Institute for Namibia leitete). Von 1980 bis 1986 leitete sie die Vertretung für Ostafrika in Daressalam. Danach studierte sie am Glasgow College of Technology, wo sie 1987 in öffentlicher Verwaltung graduierte. An der Universität Keele folgte 1988 ein Diplom in internationalen Beziehungen und 1989 ein Master in diplomatischen Studien. Seit der Unabhängigkeit Mitglied des namibischen Parlaments hielt sie verschiedene Ministerposten. Wie Kaire Mbuende, der ihre Wahlkampagne in der Partei leitete, unterstützte sie 2004 den damaligen Außenminister Hidipo Hamutenya bei seinem gescheiterten Versuch, die Swapo-Führung zu übernehmen, wurde dafür aber nicht wie Hamutenyas Vizeminister Mbuende und andere abgestraft.

Ihre Kandidatur wurde von Geingobs Vorgänger Hifikepunye Pohamba unterstützt, gegen den seinerzeit Hamutenya den Kürzeren zog. Tatsächlich hat NNN große Ähnlichkeiten mit Pohamba, was deren Persönlichkeitsmerkmale und Werte betrifft. Konflikte versucht sie nicht konfrontativ zu lösen. Auf die mangelnde Unterstützung von Geingob reagierte sie gelassen staatsfraulich. Ihr gemäßigtes Verhalten und Auftreten lässt – im Unterschied zu diesem – keine Eitelkeiten erkennen. Dies verschafft ihr Autorität in einem anderen Sinne und gefällt jenen, die eine bodenständige Verankerung mehr schätzen als Geingobs Neigungen zu vollmundig-luftigen Versprechungen und abgehobenen Verhaltensweisen. Auch war sie bislang nie in aufgedeckte Skandale verwickelt oder dem Verdacht der Selbstprivilegierung und Korruption ausgesetzt. Das gibt ihrem erklärten Ziel der Korruptionsbekämpfung Glaubwürdigkeit. Ihr Vertrauensvorschuss basiert auf dem, was sie ist. Sie gibt nicht vor, etwas Anderes sein zu wollen.

Veteranin auch in Werten

Altersmäßig und hinsichtlich ihres politischen Werdegangs ist NNN als altgediente Veteranin dem noch lebenden ersten Kader der Befreiungsbewegung vertraut. Ihre Wahl unterstreicht und personifiziert die gerontokratischen Tendenzen in der Swapo. Die Delegierten des Parteikongresses präferierten offenkundig Kontinuität, indem sie für das ihnen am ehesten Vertraute votierten. Obwohl sie die erste Frau auf dem Weg ins höchste Staats- und Parteiamt ist, stellt sie keine Herausforderung für das etablierte Politikverständnis und die von Männern bestimmte Dominanzkultur dar und bleibt den ideologischen Restbeständen der „struggle days" treu.

NNN war von 1991 bis 1994 Präsidentin der Namibian National Women's Organisation, eine Berichterstatterin der vierten Weltfrauenkonferenz in Beijing 1995 sowie von 2000 bis 2005 Ministerin für Frauenangelegenheiten und Kinderwohlfahrt. Doch sie ist keinesfalls Feministin. Geleitet von einem starken christlichen Glauben verkörpert sie eine traditionelle Frauenrolle. Obgleich Namibia schon auf der Weltbevölkerungskonferenz 1994 in Kairo die reproduktiven Rechte für Frauen unterstützte, ist NNN eine überzeugte Gegnerin einer Liberalisierung des strikten Verbots der Abtreibung, wie es in Namibia noch immer existiert. Auch scheint sie wenig aufgeschlossen, was die Rechte der LGBTI+-Gemeinschaften betrifft.

Ihre außenpolitische Orientierung bleibt beeinflusst von der Absolvierung eines Kurses an der sowjetischen Lenin Komsomol-Hochschule 1975/76. Dort schloss sie mit einem Diplom zur Arbeit und Praxis der kommunistischen Jugendbewegung ab. Als derzeitige Außenministerin zeigt sie deutliche Affinitäten zu den Regierungen in China, Russland und Nordkorea. Nach ihrer Teilnahme am USA-Afrika Gipfeltreffen im Dezember 2022 in Washington nutzte sie die Rückreise für einen Abstecher nach Venezuela.

Seit 1983 ist sie mit Epaphras Denga Ndaitwah verheiratet. Seinerzeit spielte er eine führende Rolle in der People's Liberation Army der Swapo. Von 2011 bis 2013 leitete er die namibische Armee. Das Paar feierte den 70. Geburtstag von NNN nach ihrer Wiederwahl auf dem Parteikongress in der nördlichen Heimatregion in einer christlich-religiös geprägten Zusammenkunft mit zahlreichen traditionellen Elementen. Dabei sorgte für Irritationen, dass sie – ganz der Tradition folgend – großzügige Geschenke als Form der Ehrerbietung von den lokalen Gemeinschaften entgegennahm. Die Feierlichkeiten unterstrichen einmal mehr, dass die mutmaßlich nächste Staatspräsidentin Namibias ihren ethnisch-kulturellen Wurzeln und dem christlichen Glauben verbunden ist.

Viele Neuerungen sind von NNN kaum zu erwarten. Es ist davon auszugehen, dass ihre Amtsführung in Staat und Partei wenig Überraschungen bieten wird. Vermutlich wird sie auf Ausgleich bedacht und bemüht sein, als Lotsin das Swapo-Schiff auf einem möglichst ruhigen Kurs zu halten. Die letzten Monate haben den Kontrast zur Persönlichkeit und Politik des derzeitigen Amtsinhabers Hage Geingob offen zutage treten lassen. Dass sich dieser schwer damit tat, die Wahl seiner potenziellen Nachfolgerin zu unterstützen, war sicher nicht nur seinem erklärten innerparteilichen Demokratieverständnis geschuldet. Vielmehr belegte seine Zurückhaltung die Unterschiede der Beiden im Verständnis und Stil von Politikgestaltung. Inwiefern dies zu Reibereien innerhalb der Partei führen wird, bleibt abzuwarten. Das Vermögen zur Teamarbeit und ihre Akzeptanz als Frau im höchsten Amt wird dabei eine wichtige Rolle spielen.

Es bleibt abzuwarten, ob NNN die schwindende Popularität der Swapo bremsen oder gar rückgängig machen kann. Aber trotz wachsender Frustration über die Befreiungsbewegung an der Macht ist davon auszugehen, dass diese auch in den Parlamentswahlen im November 2024 die meisten Stimmen aller Parteien bekommen wird. Fraglich ist höchstens, ob es weiterhin zur absoluten Mehrheit reichen wird. Dies gilt auch für deren Kandidatin in der zeitgleich parallel stattfindenden Direktwahl des Staatsoberhaupts. Bereits jetzt zeigt sich, dass die Zahl der Bewerber:innen um das Amt deutlich höher sein wird als zuvor. Es wäre allerdings mehr als überraschend, wenn am Ende nicht NNN ein Mandat der Wählenden für das Amt erhielte. Mit ihr wird als Veteranin des Befreiungskampfes die zweite Generation das Steuer des alternden Schlachtschiffs Swapo übernehmen.

Henning Melber ist seit 1974 Mitglied der Swapo und u.a. Extraordinary Professor an den Universitäten in Pretoria und des Freistaats in Bloemfontein.