Heft 3/2023, African Futures

Utopie: Die zukunftslose europäische Fachtagung

Berechtigte Kritik an kolonialen Kontinuitäten darf nicht in Frust enden, sondern uns zum Handeln in der Zukunft motivieren. Ein Plädoyer für mehr Eigeninitiative.

Von Janine Traber

Dass im Jahr 2023 eine Konferenz zu Afrikastudien auf dem europäischen Kontinent gewisse Kontroversen hervorruft, ist keine Überraschung. Die wichtigste Diskussion dabei ist mit Sicherheit die dekolonial-philosophische: Wieso soll eine der weltweit größten Veranstaltungen der Wissensproduktion über den afrikanischen Kontinent außerhalb dessen Sphären stattfinden? Hierdurch werden nur alte Machtgefüge reproduziert und bestätigt: Der sogenannte Globale Norden habe die Deutungshoheit über den sogenannten Globalen Süden, in diesem Fall Afrika. Vorrangig Weiße diskutieren zu Themen, die vorrangig ihre eigenen Interessen bedienen. Diejenigen, über die dabei gesprochen wird, werden weitläufig ausgegrenzt. Für Forscher:innen aus Europa gibt es keine Visagebühren, die Reiseverbindungen sind kurz und die Gehälter sind den Kosten, die für den Besuch einer Konferenz zu bestreiten sind, gewachsen. Abgesehen davon bieten die meisten Universitäten ihren Angehörigen auf unterschiedlichen Wegen die Möglichkeit, sich Konferenzbeiträge und Reisekosten erstatten zu lassen. Für Akademiker:innen, die an afrikanischen Universitäten beschäftigt sind, sieht das meist anders aus. Unterstützung für Konferenzreisen gibt es oft gar nicht, viele öffentliche Universitäten bezahlen die Gehälter ihrer Angehörigen in unregelmäßigen Abständen. Selbst mit offiziellen Einladungsschreiben sind Termine bei den zuständigen Visabehörden nur umständlich zu ergattern (siehe den Beitrag von Boniface Mabanza, S. 35-36) und die Reisezeit besteht zu großen Teilen aus Aufenthaltszeiten in Wartehallen und Transitbereichen.

Trotz der Nutzung der eigenen mietfreien Universitätsräumlichkeiten sind für alle Teilnehmenden der ECAS stolze Gebühren angefallen (180 € für einen Einzeltag, 235 € für alle Tage für Personen mit geringem Einkommen, ansonsten 335 € für alle Tage), die abgesehen von Snacks und Getränken auf die professionelle Tagungsorganisationsfirma zurückgeführt wurden. Was genau der Vorzug einer solchen Firma ist, bleibt für die Besucher:innen weitestgehend im Dunkeln. Bedauerlich war es allenfalls, dass die Firmensoftware stur alle inhaltlich ähnlichen Themen zu den gleichen Uhrzeiten hat stattfinden lassen, was den gegenseitigen Austausch schwer gemacht hat.

Aber zurück zur politisch-ideologischen Kritik. Unabhängig von postkolonialen Debatten ist offensichtlich, dass derartige Teilnahmepreise wirtschaftlich schwache Personen jeglicher Herkunft ausschließen. Man kann nun sagen, dass dies nichts individuell mit der European Conference of African Studies (ECAS) zu tun habe, und dass alle internationalen Fachtagungen nun mal nach dem Prinzip von Wirtschaftlichkeit funktionieren. Im Kontext der Afrikaforschung, in der heutzutage kein Forschungsantrag ohne mindestens eines der Buzzwörter „Dekolonisierung", „subaltern", „feministisch" etc. bewilligt wird, muss man aber doch davon ausgehen, dass die Teilnehmer:innen und Veranstalter:innen es nicht nur befürworten, sondern aktiv einfordern, dass systematisierte Kolonialität gebrochen wird. Die europäische Afrikaforschung beruht historisch auf Missionierungs- und Kolonisierungsbeihilfe. Der Reichtum hiesiger Archive und Sammlungen hat in dieser Zeit seinen Ursprung, das ist nichts Neues. Und um an den Debatten genau hierzu teilzunehmen, müssen Afrikaner:innen immer noch all die genannten Hürden auf sich nehmen, wird vielfach kritisiert.

Die Veranstalter:innen, hauptsächlich die Mitarbeiter:innen des Global South Studies Centers (GSSC), beschäftigen sich natürlich seit Jahren intensiv mit post- und dekolonialen Debatten und haben sich bemüht, den genannten Kritikpunkten entgegenzutreten. Dass die Probleme allumfassend zufriedenstellend behoben wurden, kann jedoch nicht gesagt werden. Für Studierende und Personen mit geringem Einkommen wurde eine reduzierte Konferenzgebühr angeboten. Wer sich bereit erklärte, Kaffee in den Pausen auszuschenken und Beameradapter bei technischen Schwierigkeiten vom Hausmeister abzuholen, konnte auch umsonst teilnehmen. Von Teilnehmer:innen mit einem Einkommen unter 1000 € netto wurden Bewerbungen um Reisestipendien angenommen. Die erstgenannten Angebote sind solche, der für hiesige Studierende sicher nicht uninteressant waren. Beim Themenschwerpunkt der Konferenz hätte aber auch vorab schon klar sein können, dass es beispielsweise für eine Professorin aus Nigeria einen enormen Gesichtsverlust darstellt, die mögliche finanzielle Prekarität der eigenen Hochschule in einer Bewerbung zu schildern oder in den Pausen eine Schürze am Teestand überzustreifen und den europäischen Kolleg:innen Heißgetränke einzuschenken. So mussten letztendlich zahlreiche spannende angekündigte Vorträge kurzfristig abgesagt werden, da die Referent:innen nicht erscheinen konnten.

Auch dem zu erwartenden Vorwurf des „Sprechens über den/die Anderen" wurde organisatorisch versucht entgegenzuwirken. Anstatt von Keynotes (Schwerpunktvorträge), bei denen während anderer vergleichbarer Veranstaltungen oft Weiße in Predigtmanier über Afrika und Afrikaner:innen sprechen, wurden Roundtables und Plenarvorträge nahezu ausschließlich von Schwarzen Sprecher:innen gehalten. Das ist zunächst wichtig und richtig so, fanden viele Teilnehmer:innen der Konferenz. Denn zu vielen kritischen Stimmen wurde aufgrund ihrer Herkunft, Hautfarbe oder dem vermeintlich zu geringem Prestige ihrer Universität genau dieser Platz im Bühnenlicht in der Vergangenheit versagt. Andere hingegen äußerten den Eindruck, dass es sich dabei um „Blackwashing" à la Netflix bzw. Tokenismus handele. Die kolonialen Strukturen der Konferenz blieben unangetastet, aber an der Fassade würde sich dekolonial präsentiert. Man kann schlussendlich zu verschiedenen Urteilen über diese Entscheidung gelangen (Ist das glaubwürdig? Ist das übertrieben? Ist das zu wenig?).

Im Vergleich zu anderen wissenschaftlichen Fächern, die sich auch (aber viel zu) langsam dem Thema Dekolonisierung annähern, wurde hier aber wenigstens von den Veranstalter:innen eines der Probleme erkannt. Vergangenes Jahr besuchte ich beispielweise eine Fachtagung der zeitgenössischen Archäologie zum Thema Dekolonisierung, bei derer man sich derartigen Grundproblemen in der Veranstaltungsorganisation noch nicht einmal bewusst war. Der Vergleich ist ernüchternd und frustrierend, zeigt aber, dass ein guter Weg zu ausgewogenen und angemessenen Debatten leider bisher nirgends die Norm ist und erst einmal gefunden und etabliert werden muss.

Zuletzt bleibt noch das umfassende Rahmenprogramm zu erwähnen. Nahezu alle interessierten Organisationen, Vereine und Kulturschaffenden aus dem Kölner Umland mit Afrikabezug wurden in verschiedenster Form miteinbezogen und beworben, sodass auch über das akademische Format hinaus zahlreiche Konzerte, Ausstellungen, Film- und Theatervorführungen sowie Buchbesprechungen stattgefunden haben. Am prominentesten ist hierbei das africologne Festival zu nennen, das über elf Tage Programm in verschiedensten europäischen und afrikanischen Sprachen mit international renommierten Künstler:innen veranstaltet hat. Aber auch zahlreiche Museen, Vereine bis hin zu Tanzschulen haben die internationale Aufmerksamkeit auf Köln für Aktivitäten genutzt.

Als Fazit lässt sich also ziehen, dass Anfang Juni Hochkonjunktur war für alle, die zum afrikanischen Kontinent arbeiten oder sich für ihn interessieren. Die Kritik daran, dass es sich bei ECAS um eine Veranstaltung handelt, die von Grund auf koloniale Wirkweisen fortführt, ist gerechtfertigt. Das lässt sich alleine schon am Namen erkennen, European Conference..., und die Wurzel dieses Übels wird sich auch nicht beseitigen lassen, bis die Wissensproduktion sich von Grund auf verändert hat. Das akademische Machtgefüge bevorzugt aktuell den Globalen Norden und als Forscher:in gehört der Besuch von Konferenzen einfach zum Tagesgeschäft. Forschung funktioniert nicht ohne Diskussion, Austausch und Vernetzung, und auch digital ist dies kaum in ähnlichem Umfang möglich. Wenn uns Forschenden nicht gefällt, dass die wichtigsten Tagungen über Afrika in Europa stattfinden, dann gibt es zahlreiche Expert:innenkonferenzen auf dem afrikanischen Kontinent, die man besuchen kann. Wenn wir uns als Forscher:innen aus dem sogenannten Globalen Norden ernsthaft an der Dekolonisierung beteiligen wollen, müssen wir unsere Möglichkeiten aktiv dafür nutzen, uns mit Kolleg:innen in Afrika zu vernetzen und deren Veranstaltungen und Projekte unterstützen. Ressourcen müssen verschoben werden, Gelder müssen wandern. Die großen Verlagshäuser, die die Währung für Forschende in Form von Ranking-Points für Publikationen produzieren, werden entweder nachziehen oder ersetzt werden – wenn die Academia es denn nur wirklich will. Für die Vorbereitung dieses „Umzugs" kann eine solche ECAS momentan nützlich sein, aber wenn von African Futures die Rede ist, dann sollte man sich schnellstmöglich bemühen, genau dieses Format abzusetzen.