Heft 3/2024, Redaktion

Abschied von Ilona und Hans-Georg Schleicher

Am 27. Mai 2024 verstarb Dr. Hans-Georg Schleicher im Alter von 81 Jahren, nur wenige Monate nach seiner Frau Ilona, gestorben am 5. Oktober 2023. Beide sind in Afrika-Kreisen bekannt für ihre Publikationen zur Außenpolitik der DDR mit dem südlichen Afrika und der Solidarität seitens der DDR und ihrer Bevölkerung mit dem südafrikanischen Befreiungskampf. Beide haben diesen Teil der DDR-Geschichte nach 1989 nicht nur als Historiker:innen aufgearbeitet, sondern auch als Zeitzeug:innen – ein nicht einfaches Unterfangen, wird doch Zeitzeug:innen oft abgesprochen, über ihre eigene Vergangenheit kritisch zu reflektieren, zumal, wenn es sich um die DDR-Vergangenheit handelt. Beide haben Zweifelnde eines Besseren belehrt.

Ilona und Hans-Georg Schleicher waren im Dienste der DDR in deren Botschaften in Sambia, Simbabwe und Namibia tätig. Viele Bekanntschaften mit namenhaften Vertreter:innen von Befreiungsbewegungen entstammen dieser Zeit. Von 1979-1981 war Hans-Georg Schleicher zudem Erster Sekretär in der DDR-Delegation beim UN-Sicherheitsrat in New York. Ilona Schleicher war nie nur begleitende Ehefrau – sie verfolgte stets ihre eigenen Aufgaben: In New York recherchierte sie unbekannte Marx- und Engels-Handschriften für eine Gesamtausgabe, in den Botschaften übernahm sie neben protokollarischen Pflichten auch die Verantwortung für Bibliothek und Dokumentation. Die politische Wende in der DDR erlebten beide aus der Ferne. Als Leiter der Diplomatischen Beobachtermission der DDR in Namibia hisste Hans-Georg Schleicher in Windhoek kurz nach Erreichen der Unabhängigkeit von Südafrika noch die DDR-Fahne bei der Eröffnung der letzten DDR-Vertretung am 21. März 1990. Nur drei Tage zuvor hatten in der DDR die ersten demokratischen Wahlen stattgefunden.

Das Ende der DDR bedeutete für beide das Ende ihrer bisherigen Tätigkeiten und somit eine berufliche Neuorientierung. Ihrer Verbundenheit zum südlichen Afrika blieben sie treu. Ilona engagierte sich in der Anti-Apartheid-Initiative, ein ostdeutsches Pendant zur westdeutschen Anti-Apartheid-Bewegung. Zudem arbeitete sie bei SODI, dem Solidaritätsdienst international, der Nachfolgeorganisation des Solidaritätskomitees der DDR. Hans-Georg Schleicher wurde Mitglied im Vorstand der Deutsch-Namibischen Gesellschaft und teilte in Bad Honnef seine Erfahrungen im diplomatischen Dienst mit angehenden Fach- und Führungskräften der deutschen internationalen Zusammenarbeit. Er saß auf vielen Podiumsdiskussionen als anerkannter Experte seines Fachs.

Beide begannen, die DDR-Geschichte und ihre Verknüpfungen zum südlichen Afrika kritisch würdigend aufzuarbeiten: Sie deckten Widersprüche der DDR-Politik auf, aber sie scheuten sich auch nicht, aufkommende Fehlurteile gegenüber der Solidaritäts- und Außenpolitik der DDR anzusprechen. Ihre Publikationen prägten die Endphase meines eigenen Politikstudiums und führten mich letztlich zu meinem Dissertationsthema. Im Rahmen des von der Rosa-Luxemburg-Stiftung ausgerufenen Projekts ApartheidNo! hatte ich Gelegenheit, mit beiden zusammenzuarbeiten. Ich traf auf zwei warmherzige, offene Menschen, die mir mit ihrem umfangreichen Wissen mit Rat und Tat beiseite standen. Mit beiden sprach ich über ihr bewegtes Leben. Neben ihren Publikationen sind diese Interviews für die Nachwelt erhalten geblieben und im Archiv der RLS einsehbar.
Anja Schade