Heft 4/2014, Südafrika

Weiße Existenz in Südafrika

NADINE GORDIMER IST am 13. Juli 2014 im Alter vor 90 Jahren in ihrem Haus in Johannesburg verstorben.

 

Weltweit war sie als kritische literarische Stimme Südafrikas bekannt, 1991 wurde sie geadelt mit dem Literatur-Nobelpreis, und ihre Werke wurden in mehr als 30 Sprachen übersetzt. Doch in ihrer Heimat wurde sie weniger gelesen, zum Teil sogar angefeindet. Ihre kritische Haltung in ihren Romanen, Erzählungen und Essays wurde gerade bei den Leserinnen und Lesern in Südafrika – und das sind auch heute noch vornehmlich Weiße – von wenigen geschätzt oder akzeptiert.

 

Ihre erste Veröffentlichung (eine Kurzgeschichte) erlebte die 1923 in Springs geborene Tochter jüdischer Einwanderer schon als Teenager 1939. Es waren denn auch Kurzgeschichten, in denen sie zu Beginn ihrer literarischen Laufbahn ihr eigentliches Talent sah, das sie mit der Lektüre vieler Werke nährte. Auch wenn Nadine Gordimers Erzählungen von realistischen Beobachtungen und psychologischer Stimmigkeit geprägt sind, so sind sie doch noch weit entfernt von jener Auseinandersetzung mit politischen Verhältnissen, wie sie das spätere Werk kennzeichnet.

 

Veränderungen

Ihr erster Roman („Entzauberung", 1953) – stark autobiographisch beeinflusst – nähert sich freilich schon jener weißen Mittelschicht Südafrikas und deren Zerrissenheit an, mit der sie sich in vielen späteren Werken auseinandersetzt. Mehr und mehr geraten die politischen Verhältnisse Südafrikas dann in den thematischen Vordergrund ihrer Romane: In dem Maße, in dem sich die Verhältnisse in Südafrika zuspitzen, werden auch die Romane „politischer". Gordimer kommt nicht umhin, sich mit den politischen Organisationen des Widerstands zu beschäftigen. So ist der Roman „Burgers Tochter" (1979) klar vor einer politischen Folie situiert, erzählt u.a. von den Entwicklungen kommunistischer und marxistischer Doktrin, aber auch von den ideologischen Diskussionen um die Black Consciousness-Bewegung. Die „Heldin" ist kaum verhüllt die Tochter Bram Fischers, der Nelson Mandela verteidigte. Der Roman fragt nach persönlicher Verantwortung des Individuums und dem „Exil als Ausweg".

 

Düsterer noch ist der Roman „July's Leute" (1981): Wohlmeinende Weiße, für die Rassismus Anathema ist, fliehen vor einem landesweiten Volksaufstand. Sie werden von ihrem Diener in seinem Heimatdorf im Norden des Landes untergebracht und scheitern, weil ihre so vermeintlich gute Haltung nur ein Missverständnis paternalistischer Rassenbeziehungen ist.

 

Zentrale Themen

Nadine Gordimers Romane haben die zentralen Themen weißer Existenz in Südafrika aufgegriffen. In immer wieder faszinierenden Wendungen hat sie Geschichten erzählt, die die Dilemmata der weißen Mittelschicht aufzeigen, die Beziehungen zwischen den Generationen als Herausforderung und Problem verdeutlichen, Verrat und Freundschaft gleichermaßen ansprechen.

 

Und wiederholt hat sie über die Rolle von Literatur in gesellschaftlichen und politischen Prozessen nachgedacht, darüber viele Reden gehalten und Essays geschrieben. Diese treten gleichberechtigt neben ihr literarisches Werk. Zudem hat Nadine Gordimer sich auch für die Förderung der Literatur von Schwarzen in Südafrika engagiert, weil sie eines immer wusste: Sie schrieb für Weiße. „Ich bezweifle, daß der weiße Schriftsteller, selbst wenn er Themen wie Schwarze wählt, von großem gesellschaftlichen Nutzen für die Ermutigung der Schwarzen ist, oder es überhaupt sein muß. Dem weißen Schriftsteller fehlt die wichtigste Voraussetzung für die Anerkennung durch die Allgemeinheit der Schwarzen: Er lebt nicht mit ihnen im Ghetto." („Leben im Interregnum", Frankfurt 1987).

 

Um diesem Problem zu entrinnen, hat sich Nadine Gordimer gewissermaßen zum Lebensmotto gemacht, was Anton Tschechow so ausgedrückt hatte: „Eine Situation so wahrheitsgetreu beschreiben, dass der Leser sich ihr nicht entziehen kann."

 

Peter Ripken