Heft 4/2015, Angola

Angst und Schrecken in Luanda

ANGOLAS ÖL-BONANZA IST VORBEI. Auf die Haushalts- und Wirtschaftskrise nach dem Ölpreisverfall reagiert die Regierung in Luanda mit panikartiger Kreditaufnahme in China und zunehmender Repression gegen die Bevölkerung.

 

Zahlreiche „morbide Symptome" für das Ende des angolanischen Regimes lassen sich derzeit beobachten. Sie reichen von Farce bis zur Tragik. Es scheint so, als würden die Regierung des langjährigen Präsidenten José Eduardo dos Santos und seine herrschende Partei MPLA die Glocken zum jüngsten Gericht läuten hören.


Allerdings ist der drohende Untergang nach offizieller Auslegung nicht das Ergebnis von Jahren der Missherrschaft, einer Politik der Ausgrenzung und des jüngsten starken Ölpreisverfalls, was die anhaltende verheerende Verwaltung der Staatseinnahmen deutlich vor Augen führen würde. Vielmehr werden dafür die Verschwörungen durch „innerer Feinde" verantwortlich gemacht.


Schauen wir ein paar Monate zurück, um zu sehen, wie es dazu gekommen ist. Es geht hier nicht darum, aus heimlicher Freude oder Wunschdenken eine Symptomatologie des Verfalls aufzustellen, sondern darum, einige Fragen zu den unmittelbaren politischen und wirtschaftlichen Perspektiven Angolas aufzuwerfen.

 

Wirtschaftskrise nach Ölpreisverfall
Nach dem Ölpreisverfall im dritten Quartal 2014 musste die angolanische Regierung ihren ursprünglich expansiven Haushalt für 2015 revidieren, die öffentlichen Ausgaben um ein Drittel kürzen und Kredite in Höhe von 500 Millionen US-Dollar bei Investmentbanken aufnehmen. Kurz darauf flog Präsident dos Santos nach China, um weitere 25 Mrd. US-Dollar Öl-gedeckte Kredite einzuwerben und um eine Umschuldung der Rückzahlung bestehender Kredite zu bitten, eine Tatsache, auf die die angolanischen Öffentlichkeit mit noch mehr Empörung und Spott reagierte.


Die unabhängige Wochenzeitung „A Hora" titelte zum Beispiel in bewusst falschem „Chinesisch"-Portugiesisch zum lächelnden Gesicht des chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping: „Angola ist nicht gut. Angolaner wollen nur Geld, Geld, Geld. China geben Geld, Angola geben [die Provinzen] Cuando Cubango, Cuanza-Sul und Moxico."


Die Wirtschaft ging mit einer Abwertung der Landeswährung Kwanza und schwindenden Devisenreserven weiter bergab. Steigende Kraftstoff- und Lebensmittelpreise haben die Mehrheit der Bevölkerung hart getroffen. Dann offenbarte ein interner Bericht auch noch, dass die staatliche Ölgesellschaft Sonangol aufgrund ihres alles andere als nachhaltigen Operationsmodells „technisch bankrott" sei.


Doch die Regierung hütete sich in ihren offiziellen Verlautbarungen, auch nur einen Hauch von schwerer Krise zuzugeben. Anstatt einzugestehen, dass die Politik aus der letzten Ölpreiskrise 2008/09 womöglich keine ausreichenden Lehren gezogen hat und es so gut wie keine Verbesserung bei der Haushaltstransparenz und der Verwaltung öffentlicher Finanzen gegeben hat, entfesselten die Behörden den heftigsten Schlag gegen mutmaßliche „innerer Feinde" seit dem Ende des Krieges im Jahr 2002.

 

Massaker an Sektenanhängern
Mitte April töteten Polizei und Militär eine noch unbestätigte Anzahl von Anhängern der Millenniums-Sekte „Sétimo Dia á Luz do Mundo" („Licht der Welt") in der Provinz Huambo. Die Regierung spricht von 13 toten Zivilisten, nachdem neun Polizisten bei dem von den Anhängern vereitelten Versuch, den Anführer der Sekte, José Julino Kalupeteca, zu verhaften, getötet worden seien. Als Berichte von Überlebenden auftauchten, die auf ein Massaker an mehr als 1.000 Menschen, darunter Frauen und Kinder, schließen lassen, riegelten Regierungstruppen das Gebiet einfach ab. Justizminister Rui Mangueira verbat sich zudem die Forderung des UN-Hochkommissars für Menschenrechte nach einer unabhängigen Untersuchung der Ereignisse. Sein Land würde es nicht akzeptieren, „dass seine souveränen Institutionen von ausländischen Institutionen aufgefordert werden". Er verlangte sogar eine Entschuldigung von der UNO.


Im Mai verurteilte ein Strafgericht in Luanda den bekannten Aktivisten und Journalisten Rafael Marques wegen „Verleumdung" zu einer sechsmonatigen Bewährungsstrafe. Marques war auf Grund seines 2011 erschienenen Buches „Blutdiamanten", in dem er die anhaltenden Menschenrechtsverletzungen in den Diamanten produzierenden Lunda-Provinzen aufzeigte, angeklagt worden – von den Generälen, die Besitzer der privaten Sicherheitsfirmen sind, die dieser Übergriffe bezichtigt wurden.


Im Anschluss an einen für die Generäle gesichtswahrenden Deal wurde die Zivilklage fallengelassen. Zwei Tage später jedoch wurde Marques in einem Strafprozess verurteilt, was ein schlechtes Licht auf die Meinungs- und Informationsfreiheit in Angola wirft.

 

Jugendliche Aktivisten verhaftet
Am 20. Juni verhaftete die Polizei 13 jugendliche Aktivisten, die sich in einer Wohnung Luanda trafen. Zwei Tage später wurden ein Journalist an der Grenze zu Namibia sowie ein Soldat der Luftwaffe verhaftet. Der Aufenthaltsort der Verhafteten ist unbekannt. Das Innenministerium beruft sich darauf, sie hätten einen Staatsstreich gegen Präsident dos Santos geplant. Westliche Mächte hätten ihnen dafür 100 Mio. US-Dollar zur Verfügung gestellt. Eine Liste, auf der die Zusammensetzung einer „Regierung der nationalen Rettung" umrissen wird, wurde als Beweis für ihre Absichten präsentiert.


In der Tat hatten die Aktivisten zwei Bücher diskutiert, in denen Strategien zum friedlichen Widerstand gegen repressive Regime entworfen werden; die vermeintliche Nachputsch-Regierung wurde der Facebook-Seite des Anwalts Albano Pedro entnommen. Er hatte offen über die „ideale" Zusammensetzung einer neuen Regierung im Falle einer politischen Krise spekuliert und Freunde und Anhänger eingeladen, mit eigenen „Nominierungen" beizutragen.


Menschenrechtsorganisationen haben die Verhaftungen verurteilt. Die portugiesische Tageszeitung „Público" bezeichnete die angolanische Regierung sogar als „faschistisch" und verglich ihre Methoden mit der Salazar-Diktatur. Noch bis ins letzte Jahr, als die portugiesische Wirtschaft in starken Maße von angolanischen Investitionen abhing, wurden ähnliche Medienattacken auf die angolanische Regierung im Vorfeld von der portugiesischen Regierung verurteilt. Manchmal folgten dem auch offizielle Entschuldigungen. Es mag reiner Zufall sein, dass dieses Mal eine derartige Reaktion ausblieb, nachdem die portugiesische Regierung kürzlich einen Kreditrahmen über 500 Mio. Euro für in Angola operierende portugiesische Unternehmen eröffnet hat, die mit nicht beglichenen Forderungen und Kapitalverkehrskontrollen konfrontiert sind.


Als ein US-Unterhaltungskanal vor kurzem in seiner Fernsehserie „Mein Traum in Weiß" („Say Yes To The Dress") die Tochter des angolanischen Ministers für territoriale Verwaltung, Bornito de Sousa, dabei zeigte, wie sie 200.000 US-Dollar für ihr Hochzeitskleid und die Kleider ihrer Brautjungfern ausgab, gab es in den sozialen Medien Angolas einen wütenden Aufschrei. Bis dahin genoss Bornito de Sousa, wiewohl ein Hardliner der MPLA, wegen seines guten Rufs für Rechtschaffenheit, Integrität und Kompetenz noch immer Respekt unter weiten Teilen der städtischen Bevölkerung. Seine Facebook-Reaktion auf die Berichte verrät jedoch eine seltsame Mischung aus Gereiztheit, Realitätsverlust und Anspruchsdenken, was viele selbst seiner einstigen Sympathisanten dazu veranlasste, ihn offen und hart in den Kommentareinträgen zu kritisieren.

 

Dos Santos Tage scheinen gezählt
Der bekannte kamerunische Politikwissenschaftler Achille Mbembe hat überaus überzeugend und stimmungsvoll beschrieben, wie das Schauspiel der grotesken Auswüchse Herrscher und Beherrschte in „gegenseitiger Zombifizierung" vereint. Allerdings sieht es so aus, als würde sich Angolas Verheißung von „unmittelbarem Reichtum" – der spektakuläre Wohlstand, der dank der scheinbar grenzenlosen Öleinnahmen über Nacht hereinbricht – in der Kälte des Cacimbo (trockene Wintermonate) wie eine Fata Morgana auflösen. Das Ende der Öl-Bonanza zeigt die Grenzen dieser zur Ware gewordenen Politik deutlich auf.


Einflussreiche Wirtschaftspartnerländer wie die USA, Großbritannien, Portugal und Frankreich, die bis vor kurzem bereit waren, die internen Angelegenheiten Angolas im Austausch für Öl und Investitionsmöglichkeiten zu dulden oder zumindest ein Auge zuzudrücken, scheinen ihre Haltung mittlerweile ein wenig geändert zu haben. Angolas Regierung hat eine panische Angst vor jedem, der anders denkt und dies auch in der Öffentlichkeit kundtut. Doch die Unzufriedenheit über das schlechte Krisenmanagement des Präsidenten wächst selbst innerhalb der MPLA.


Die offene Kritik an der Regierung und hitzige Spekulationen über einen herbeigeführten Machtwechsel (einschließlich einer – möglicherweise gewaltsamen – internen Abrechnung mit der Familie von dos Santos und seinen engsten Verbündeten) zeigen, dass selbst eine Intensivierung der Repression möglicherweise nicht mehr ausreicht, die Gezeiten des Wandels aufzuhalten.


Jon Schubert

 

Der Autor ist politischer Anthropologe und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Regionalstudien, Universität Leipzig. Er arbeitet seit 2007 zu Angola.
Sein Beitrag erschien auf Englisch unter dem Titel „Fear and Loathing in Luanda" im Internetportal African Arguments, 13.7.2015 (http://africanarguments.org)