Heft 4/2015, Malawi: Theater

Der Mensch lebt nicht vom Brot allein

DAS MALAWISCHE NANZIKAMBE ARTS THEATRE UND DAS THEATER KONSTANZ auf dem Weg zu einem emanzipatorischen Kunstprojekt.

 

Wir gehen über den Hof des Staatsgefängnisses von Blantyre. Es ist heiß, es gibt keinen Schatten und hunderte junger Männer sitzen auf dem Steinboden oder stehen in Gruppen zusammen. Sie grüßen uns, andere schauen gelangweilt auf den Boden. Mitten im Gefängnishof ist ein abgesperrter Bereich, aus den Resten von Plastiktüten haben Gefangene ein Theater gebaut, einen Ort der Intimität geschaffen, in den man vom Gefängnishof aus nicht hereinblicken kann. Siebzehn junge Männer empfangen uns in ihrem Zelt, in weißer Sträflingskleidung, wie schwarze Engel mitten im Knast.


Effie Makepeace vom Theater Nanzikambe Arts und Max, ein ehemaliger Gefangener, inszenieren hier. Sie suchen mit den Eingeschlossenen nach theatralen Formen, Aufarbeitung und Verbildlichung des eigenen verpfuschten, barbarischen, gequälten und in nur wenigen Fällen selbst gewählten Lebens. Effir kommt aus England und hat in London Theaterwissenschaften studiert. Max hat bei ihr gelernt. Spielend mit dem Leben umgehen, im Spiel nach Alternativen suchen, sich selbst noch einmal anders wahrnehmen, als Dieb oder Vergewaltiger, als Schläger oder Betrüger – und die anderen schauen zu.

 

Blühendes Theater
Theater blüht in Malawi nicht nur im Knast, sondern nahezu in allen geographischen Regionen. Es ist vom Performativen selten zu trennen, und dennoch lassen sich zwei grobe Linien erkennen: Theater als Aufarbeitung eigener Geschichte, ein Theater der Unterdrückten und gegen Unterdrückung ganz im Sinne des brasilianischen Theaterautors Augusto Boal, der während der Militärdiktatur in Brasilien diese Formen des politischen Theaters entwickelte. Ein Theater in Abgrenzung zur kolonialen Aufführungspraxis, die dazu dienen sollte, das Verständnis der englischen Sprache unter Schülern zu verbessern. Theater aber auch als Fortentwicklung der ethnischen Tanz- und Musikkunstformen, zur Unterhaltung, Bannung der Geister und emotionalen Entschlüsselung der Lebensfragen: Theater um des Theaters willens, wenn wir so wollen.


Malawi hat eine eigene Theaterlandschaft entwickelt, und das ist erstaunlich, denn es gibt für Theater in Malawi und nahezu in allen Ländern des südlichen Afrika keine finanziellen Mittel, kaum Räume, keine Schauspielschulen. Kunst ist offiziell überflüssig oder suspekt, weil sie eine Form der Subversivität in sich birgt. Die deutsche Entwicklungspolitik entspricht diesem Vorurteilsmuster, denn in den entwicklungspolitischen Organisationen spielt Theater keine Rolle. Diese Kunstform wird an den Rand gedrängt. Es könnte sogar gefährlich sein, Bilder und Szenen zu betrachten, die eigene Unterdrückungsmechanismen aufdecken. Entwicklungspolitik will bestätigt sein, als humanitär und nicht als eine neue Herrschaftsform.


Henning Mankel erzählt davon in seinem bereits 1996 geschriebenen Stück „Antilopen":
„Mit hehren Zielen ist der Entwicklungshelfer Lars Rune Ekman mit seiner Frau einst aus Europa nach Afrika gekommen; jetzt, kurz vor ihrer Rückkehr nach Schweden, stehen sie vor einem Scherbenhaufen. Zynisch und desillusioniert schauen sie auf die letzten 11 – oder waren es doch 14? – Jahre zurück: Was ist von den Träumen der Weltveränderung geblieben? Hat sich der Einsatz gelohnt? Ist man nicht doch den rassistischen Vorurteilen erlegen und trägt die Arroganz der Weißen stolz wie eine zweite Haut?"


Das Theater Konstanz hat dieses Drama im Jahr 2013 in der Zentrale der GIZ in Eschborn vor ca. siebenhundert Mitarbeitern aufgeführt, Nachdenklichkeit gestiftet und Diskussionen bewirkt, wenn auch ohne weitere Konsequenzen.

 

Theaterbündnis
Von 2009 bis 2012 bildete sich in Malawi ein wundersames Theaterbündnis. Das Nanzikambe Arts Theatre und das Stadttheater Konstanz haben über mehrere Jahre gemeinsam Theaterstücke entwickelt und mit gemischten Ensembles in Deutschland und Malawi aufgeführt: Mal im Stadttheater in der Bodenseestadt Konstanz, mal auf den Straßen von Blantyre, Lilongwe oder am Malawisee.


Das Stück „World 3.0 – The Aid Machinery" erzählt von einem gescheiterten NRO-Projekt auf dem Lande, der Boss der NRO verlässt frustriert das Dorf. Für die Bewohner geht das Leben weiter, als sei nichts geschehen, als sei alles nur eine Fiktion weißer Einzelgänger gewesen.
Die Schauspielerin Otoli Mazansa schrieb darüber: „Erstens mochte ich die Art und Weise, wie beide Teams kooperierten. ... Mir gefiel es, wie Regisseure und Dramaturgen den ganzen Prozess angingen. Zweitens trug das gute Verhältnis zwischen den kreativen Team-Mitgliedern zum Erfolg des Projektes bei. Wir lernten von der Kultur in Deutschland und ich hoffe, sie lernten auch etwas von unserer Kultur." Es gibt kaum eine intensivere Form der Zusammenarbeit zwischen Schauspielern, als in diesen Projekten. Man lernt sich intensiv kennen, die Lebensweisen und Bruchstellen, die Ängste, und feiert den Erfolg.

 

Nanzikambe Arts und Konstanz
Im Jahre 2003 wurde Nanzikambe von zwei Britinnen und dem Malawier Smith Likongwe gegründet, später kam der Südafrikaner William Le Cordeur dazu. Die Theatergruppe hatte die Organisationsform einer lokalen NRO. Das Theater verfügte über eigene Büroräume und eine Bühne, der Staat Malawi gab keinerlei Mittel, aber vor allem die skandinavischen Länder, insbesondere Norwegen, hatten Theater und theatrale Formen zum Bestandteil ihrer Entwicklungspolitik gemacht und Nanzikambe gefördert.


2011 begann ein wesentlicher Strukturwandel. Nanzikambe sollte ausschließlich von Malawiern geleitet werden, erfolgreich leiteten Chris Nditani als Geschäftsführer und Thokozani Kapiri als künstlerischer Programmdirektor das Haus. 20 feste Mitarbeiter und viele freie Schauspieler lebten von diesem Theater. Seit 2014 ist die finanzielle Unterstützung der norwegischen Botschaft und anderer weggebrochen.


Das Theater Konstanz hingegen existiert seit 410 Jahren. Es ist das älteste durchgehend bespielte Theater Deutschlands und dennoch für deutsche Verhältnisse das am schlechtesten finanzierte Theater in Baden- Württemberg. Ich leite dieses Haus seit nunmehr zehn Jahren und war zum ersten Mal in Afrika mit einem Theaterprojekt in Uganda im Jahre 2002. Seit dieser Zeit sind zahlreiche Projekte entstanden, vor allem in Togo, Burundi und Malawi. Teils unterstützen wir eigene Produktionen der afrikanischen Kolleginnen und Kollegen mit Geldzuwendungen, finanzieren Stipendien an unserem Hause in Regie, Schauspiel und Technik. In Malawi und Togo haben wir Gelder gegeben zum Ankauf von Grundstücken, damit dort kleine Theaterbauten entstehen können. Ich habe einmal ein Seminar für Verwaltungskräfte in Blantyre über gute Verwaltung und Regierungsführung durchgeführt. Wir haben uns aber aus den inneren politischen Prozessen völlig herausgehalten, möglicherweise war dies ein Fehler.


Die Entscheidung, überhaupt in Malawi ein Theaterprojekt zu starten, beruhte auf folgender Überlegung: Dieses Land, das Gott sei Dank keine Kriege erlebt hatte, aber eines der ärmsten Afrikas ist, könnte eine kulturpolitisch strategische Bedeutung bekommen – angesichts der Krisenherde im Südosten Afrikas. Zugleich gab es den Malawisee, größer, schöner, gefährlicher, aber durchaus vergleichbar mit dem Bodensee.

 

Von See zu See
Das Projekt „Crossing Borders – von See zu See" wurde maßgeblich durch den Fonds Wanderlust der Kulturstiftung des Bundes und mit 5.000 Euro vom Goethe-Institut unterstützt. Das Goethe-Institut hat aber aus völlig unverständlichen Gründen mittlerweile sein Büro in Malawi geschlossen. Alle Gelder, die uns oblagen, dienten der Qualifikation von malawischen Schauspielern, den Reisen von See zu See. Große Chancen gab es auch für die deutschen Schauspieler, völlig andere, „arme" Lebensweisen kennenzulernen. Natürlich verband ich damit die Hoffnung, es entstünde ein größeres ehrenamtliches Engagement für Afrika.


Dem Regisseur Clemens Bechtel ist zu verdanken, dass Stoffe und Stücke entwickelt wurden, die die Konflikte von Arm und Reich, von Tradition und Globalisierung thematisierten. William Le Cordeur hat das große Talent, europäische Klassiker zu adaptieren und sie nach Ihrer Relevanz für die gesellschaftliche Realität zu befragen.


Wenn wir ehrlich und selbstkritisch sind, so ist es gelungen, einige Schauspieler und ihre Familien für eine Zeitlang finanziell abzusichern. Thokozani studiert jetzt in Zürich Regie. Er will nach dem Studium zurück. Eine Schauspielerin hatte hier auf der Bühne ein akutes Nierenversagen, in Malawi wäre sie gestorben. Jetzt hat sie eine transplantierte Niere und studiert am Bodensee Kulturwissenschaften. Mbene bangt um sein Visum in der Schweiz, denn auch er, ein Protagonist, wird an der Hochschule Bern Regie studieren. Effie ist schon lange wieder in London und der wunderbare Schauspieler Mpundu wartet in Blantyre, dass wir wiederkommen.


Nanzikambe hat alle Räumlichkeiten in Malawi verloren, die Zukunft ist ungewiss. Wir haben die großen Entwicklungshilfeorganisationen nicht für das Theater gewinnen können, wir sind Bittsteller geblieben. Auf dem Gefängnishof in Blantyre sitzen siebzehn junge Männer und wünschen sich, dass das Theater irgendwie weitergehen kann, wenn schon die Welt so bleibt, wie sie ist.


Christoph Nix

 

Prof. Dr. jur. Dr. phil. Christoph Nix ist Hochschullehrer für Jugendstrafrecht an der Universität in Bremen und Intendant des Theaters Konstanz.