Heft 4/2016, Südafrika

Flüchtlingsschutz ist Politik

DIE BESTEN GESETZE ZUM SCHUTZ VON FLÜCHTLINGEN HABEN WENIG WIRKUNG, wenn Schutzsuchende als Sicherheitsrisiken gelten. Um so wichtiger sind übergreifende politische Konzepte, konkrete Ansätze und neue Diskussionsforen – weltweit und in Südafrika.

 

Der große internationale Kongress zur humanitären Hilfe, den der UN-Hochkommissar für Flüchtlinge und das UN-Hilfswerk UNHCR im Mai in Istanbul ausrichteten, erhielt wegen der strittigen Flüchtlingsintegration viel mediale Aufmerksamkeit. In dem Kontext diskutierten Migrations- und Fluchtforscher aus Südafrika und anderen Ländern auf dem OpenDemocracyNet über Strukturprobleme und neue Orientierungen in der Flüchtlingspolitik. Ihre programmatische Einschätzung will zur differenzierten Diskussion beitragen.


Die Vereinten Nationen (UN) gehen derzeit von weltweit 19,5 Millionen Flüchtlingen aus, davon 14,4 Millionen unter dem UNHCR-Mandat. Wegen der fortdauernden Instabilität in vielen Ländern wird die Zahl der Schutzsuchenden weiter steigen, so schätzen zumindest die UN-Organisationen. Die heutige Form des globalen Regierens im Umgang mit Flüchtlingen stammt aus der Zeit nach dem 2. Weltkrieg. Ist sie für derzeitige Herausforderungen überhaupt noch geeignet? Viele Staaten konkurrieren mit immer schärferen Asylgesetzen und Grenzregimen. Wie können sie überzeugt werden, stattdessen zu kooperieren, und wie kann die UN ihren isolierten Ansatz der humanitären Flüchtlingshilfe in Friedens- und Entwicklungszusammenarbeit integrieren?


Vorschläge zur Verbesserung des Flüchtlingsschutzes und der damit verbundenen Verwaltungsaufgaben verbleiben oft in einem Vakuum und werden von politischen Hindernissen getrennt. Diese steuern jedoch das Verhalten von Staaten im internationalen System. Bill Frelick, Direktor des Flüchtlingsprogramms von Human Rights Watch, hat auf der Global Rights-Diskussionsplattform zu Flüchtlingen beschrieben, wie politische Realitäten die Optionen beschränken. Das betrifft völkerrechtliche und institutionelle Fragen unter Bezug auf die UN-Flüchtlingskonvention von 1951, die Zuständigkeiten des UNHCR und einzelner Regierungen.


Vorschläge, die staatliche Pflichten in der internationalen Gemeinschaft betonen, werden seltener befolgt, als Theoretiker zu internationalen Beziehungen meinen. Auch auf nationaler Ebene ist also viel zu tun. Staaten handeln im Eigeninteresse und die Aufnahme großer Flüchtlingszahlen dient meist nicht ihren Zielen. Ein solches Vorgehen lässt sich nicht gut politisch verkaufen, selbst wenn ein Land ausländische Arbeitskräfte und Ressourcen braucht. So war es auch in Deutschland, als Kanzlerin Angela Merkel hunderttausende Flüchtlinge aufgenommen hatte. Diejenigen, die es mit Verbesserungen im Flüchtlingsschutz ernst meinen, sollten beachten: Das ist ein politisches Thema. Wir haben keine andere Wahl und müssen uns mit Politik auseinandersetzen.

 


Flüchtlinge und Asylsuchende in Südafrika
2015 bezifferte das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR die Zahl der Flüchtlinge und Asylsuchenden in Südafrika auf 576.000. Viele kamen aus Konfliktgebieten: DR Kongo, Burundi, Somalia, Eritrea und Simbabwe. Die südafrikanische Regierung ging von etwa 65.000 registrierten Flüchtlingen aus, in der ersten Jahreshälfte 2015 und in 2014 wurden 81 Prozent aller Anträge auf einen Flüchtlingsstatus abgelehnt. Zudem warteten ca. 230.000 Menschen auf die Bearbeitung ihres Asylantrags. 2015 erhielten knapp 2500 Menschen Asyl. Weit über 90 Prozent der Anträge wurde abgelehnt.


 

Südafrika: Faktisch kein Rechtsschutz
Leider bleiben viele Flüchtlingsanwälte in einer Sprache universeller Menschenrechte und damit verbundener Pflichten stecken. Ihre wohlwollenden formalistischen Versuche, die Situation der Flüchtlinge zu verbessern, sind oft realitätsfern und deshalb erfolglos. Internationale und sogar nationale Gesetze haben wenig Wirkung, wenn es um den konkreten Flüchtlingsschutz geht. Südafrika beispielsweise ist einer der afrikanischen Staaten mit mittlerem Einkommen, einer differenzierten Gesetzgebung und entsprechenden Institutionen. Südafrika hat eine der weltweit progressivsten Flüchtlingsgesetzgebungen. Faktisch ist das südafrikanische Flüchtlingsrecht umfassender als die UN-Flüchtlingskonvention und das entsprechende Abkommen der Afrikanischen Union. Aus einer rein legalistischen Perspektive besteht also überhaupt kein Reformbedarf. Asylbewerber und Flüchtlinge haben nahezu die gleichen Rechte wie südafrikanische Staatsbürger. Es steht ihnen frei, ihren Wohnsitz, Arbeitsplatz oder Studienort frei zu wählen. Und es existiert ein Weg, ein permanentes Aufenthaltsrecht zu erlangen.


Aber es gibt nicht nur die Gesetzesgrundlagen. Faktisch haben die Asylbewerber und Flüchtlinge keinen Rechtsschutz. Vielmehr sind sie mit Vertreibung und Abschiebehaft konfrontiert – und zwar ganz unabhängig von ihrem legalen Status. Asylbewerbern, die häufig furchtbare Gewalt überlebt haben, bietet ihr Flüchtlingsstatus nicht den Schutz, der ihnen auf dem Papier zusteht. Ihnen nützen keine juristischen Siege, wenn der Staat und die Behörden wenig um die Entscheidungen der Richter geben.

 

Gesetze versus Praxis
Wie kommt es zur Kluft zwischen Gesetzesgrundlagen und Praxis? Flüchtlingsanwälte weisen oft auf fehlende Kapazitäten oder mangelndes Bewusstsein hin. Das mögen reale Probleme sein, aber unzureichender Schutz ist weniger ein hierdurch verschuldetes Versäumnis. Vielmehr geht es für Staaten um Einwanderung. Politiker wie die Öffentlichkeit wollen nicht den Unterschied zwischen Vertreibungen und anderen Formen der grenzüberschreitenden Mobilität sehen, obwohl das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR diese unterscheidet. In der politischen Vorstellung wie in der Umgangssprache sind Flüchtlinge Einwanderer, deshalb werden sie wie alle anderen Migranten instrumentalisiert und zu Sündenböcken für Probleme auf nationaler oder lokaler Ebene gemacht. Wenn man berücksichtigt, dass Flüchtlinge Bedürfnisse haben und von gewaltsamen Konflikten körperlich oder psychisch gezeichnet sind, schürt das Ängste in den Ländern, in denen sie Hilfe suchen, etwa die Sorge vor unerwünschten Herausforderungen an die soziale Sicherung – insbesondere durch den Staat – und den gesellschaftlichen Zusammenhalt.


Solange der Flüchtlingsschutz als der Sicherheit und ökonomischen Anliegen zuwider laufend wahrgenommen wird, werden ihm die Staaten keine Priorität einräumen, obwohl sie durch nationale und globale Abkommen dazu verpflichtet sind. Daher müssen diejenigen, die sich für Flüchtlingsschutz einsetzen, sinnbildlich den Geflohenen in die politisierten lokalen Auseinandersetzungen über Wirtschaft und Sicherheit folgen. Das heißt nicht, dass man sich auf die entmenschlichende Ebene eines Trump oder der Alternative für Deutschland begibt. Aber es bedeutet: Flüchtlingsrechte sind Gegenstand politischer Verhandlungen.

 

Veränderte Diskurse
So betont Emily Arnold-Fernandez, Geschäftsführerin von Asylum Access, der global führenden Organisation für die Rechte von Flüchtlingen, die Staaten würden immer auf lokale Wähler reagieren. Sogar wohlmeinende und an Gerechtigkeit orientierte Staatschefs finden es schwierig, eine große Zahl Flüchtlinge aufzunehmen, wenn ihre eigenen Bürgerinnen und Bürger mit Arbeitslosigkeit, Armut und Unsicherheit konfrontiert sind. Sobald die Wähler vor Ort ihre Bedürfnisse als nicht erfüllt sehen, sind Rückschläge in der Flüchtlingspolitik möglich. Deshalb ist es unwahrscheinlich, dass sich Lücken im Flüchtlingsschutz mit formeller Politik oder Rechtsreformen füllen lassen. Die beste Flüchtlingsgesetzgebung der Welt ist wirkungslos, wenn diejenigen, die davon profitieren sollen, als Wirtschaftsmigranten oder Sicherheitsrisiken eingestuft werden. Im Namen der nationalen Sicherheit und mit Blick auf Fragen von Terrorismus oder Immigration sind die Regierungen schnell zu gesetzlichen Ausnahmen bereit. Sowohl das Beispiel Südafrika als auch die globale Flüchtlingskrise zeigen: Länder werden immer Wege finden, um internationale oder nationale Pflichten zu umgehen, wenn deren Befolgung ihren eigenen Interessen entgegensteht.


Deshalb müssen Reformschritte im Flüchtlingsschutz von veränderten Diskursen begleitet werden. Schließlich reicht die Debatte über Flüchtlingspolitik in viele andere Bereiche hinein. Sie betrifft den Wohnungs- und Arbeitsmarkt, den Zugang zu Bildung und medizinischer Versorgung.

 

Reformschritte sollten praktisch ausgerichtet sein und nicht nur humanitäre Überlegungen betreffen. Das fordert James Milner vom Refugee Studies Centre an der Universität Oxford. Er verlangt einen umfassenderen Politikansatz. Neben den wirtschaftlichen Vorteilen für ein Land sollten die Fähigkeiten und Fertigkeiten unterstrichen werden, die Flüchtlinge mitbringen.


Flüchtlingsanwälte haben sich lange ausschließlich über ihren speziellen Arbeitsbereich definiert. Das reicht nicht mehr. Sie müssen nun ihre Solidarität mit verschiedenen lokalen Interessen in Einklang bringen. Deshalb sollten sie sich in unterschiedlichen politischen Bereichen einsetzen und, wenn notwendig, die Diskurse ändern. All diese unterschiedlichen Ansätzen könnten dazu beitragen, dass die Öffentlichkeit und die Politiker Schutzsuchende akzeptieren.

 

Loren B. Landau und Roni Amit

 

Dr. L.B. Landau ist Direktor des African Center for Migration and Society, Witwatersrand Universität in Johannesburg. Roni Amit forscht an diesem Zentrum. Ihre Schwerpunkte sind Flüchtlingsrecht und Rechtsentwicklung im Bereich Immigration und Abschiebehaft.

 

Roni Amit/ Loren B. Landau: Refugee protection is politics. 31.3.2016. Ein Beitrag zur openGlobalRights-Debatte über die Zukunft des Flüchtlingsschutzes. Mit freundlicher Genehmigung des opendemocracy.net und der Autoren. https://www.opendemocracy.net/openglobalrights/roni-amit-loren-b-landau/refugee-protection-is-politics