Heft 4/2017, afrika süd-Dossier: Angola vor den Wahlen

Angola mischt im Kongo mit

DIE DR KONGO ALS HÖCHSTE AUSSENPOLITISCHE PRIORITÄT DES NEUEN PRÄSIDENTEN ANGOLAS. Nach den Parlamentswahlen im August 2017 wird Angola erstmals seit 1979 ein neuer Präsident vorstehen. Dies ist ein entscheidender Moment. In Anbetracht der 38 Jahre währenden Amtszeit des scheidenden Präsidenten José Eduardo dos Santos gibt es fieberhafte Spekulationen darüber, welche Prioritäten die neue Präsidentschaft haben wird. Ein Politikwechsel ist sehr wahrscheinlich, was einen deutlicheren Fokus auf der Diversifizierung der Wirtschaft, etwas weniger präsidiale Dominanz bei Entscheidungsfindungen und ein Überdenken der Außenpolitik einschließen dürfte.

 

Gestützt von vier strategischen Partnern – China, den USA, Brasilien und Portugal – hat Angola seit Ende des Bürgerkrieges im Jahr 2002 eine stringente Außenpolitik betrieben. Der Beitrag der strategischen Partner ließ aber zu wünschen übrig und war in den vergangenen zehn Jahren von Hochs und Tiefs geprägt. Die Vereinigten Staaten haben große Anstrengungen unternommen, um die bilateralen Verbindungen zu Angola verbessern, und waren bemüht, im außenpolitischen Bereich Schnittmengen in den Themenfeldern zu finden, die für Luanda wesentlich waren – an erster Stelle Stabilität in der Demokratischen Republik Kongo. Es ist von entscheidender strategischer Bedeutung für Angola, wie sich die Verhältnisse in der DR Kongo entwickeln. Und Luanda investiert deutlich mehr in strategische Überlegungen hinsichtlich des Kongo als die meisten Nachbarstaaten. Was die DR Kongo betrifft, ist Angola ein wesentlicher Akteur. Sonderbeauftragte für den Kongo und die Great Lakes-Region, Oppositionspolitiker und kongolesische Würdenträger kommen regelmäßig nach Luanda.


Angolas starkes Interesse an der DR Kongo reicht weit zurück. Es hat seine Wurzeln im Unabhängigkeitskampf Angolas und der Politik des Kalten Krieges, als die CIA und der Kleptokrat Mobutu Sese Seko aus Zaire die Kampagne der FNLA (Frente Nacional de Libertação de Angola) unterstützten, um Luanda zu einzunehmen. Mobutus Macht schwand mit dem Ende des Kalten Krieges und Angola schloss sich gemeinsam mit vielen benachbarten Staaten der Region einer Rebellenkoalition unter Führung von Laurent-Désiré Kabila an, die Mobutu 1997 seines Amtes enthob.


Eine weitere militärische Intervention Angolas in der DR Kongo erfolgte 1998; dieses Mal, um die neue Post-Mobutu-Administration zu stärken, die mit einer von Ruanda und Uganda unterstützten Rebellion konfrontiert war. Angola sah die Gefahr, dass im Fall der Machtübernahme durch die Rebellen im Kongo diese die angolanische Unita-Bewegung unterstützen würden. Außerdem ging es Angola auch darum, seinen Einflussbereich vor ruandischen Übergriffen zu schützen. Das angolanische Militär bewies, dass mit ihm zu rechnen war. Die Soldaten kreisten die ruandischen Truppen ein, die einen Rebellenvorstoß auf Kinshasa unterstützten (und gestatteten ihnen nach Vermittlung durch die USA sicheren Abzug). Für eine Weile war Angola de facto die Autorität im südwestlichen Kongo. Angola war auch ein wichtiger Unterstützer für Joseph Kabila, der nach dem Attentat auf seinen Vater im Jahr 2001 das Präsidentenamt übernommen hatte. Im Kontext der Wahlen 2006 wurden angolanische Truppen nach Kinshasa entsandt, um Kabilas Bodyguards zu helfen, dem Ex-Rebellen Jean-Pierre Bemba nahestehende Kämpfer zu besiegen.

 

Kabila kann nicht mehr auf Luanda setzen
Heute ist eine stabile DR Kongo das entscheidende politische Ziel Luandas. Und Angola hat sich als wichtigster externer Player in Kinshasas Spitzenpolitik in Position gebracht. Der Vorsitz von Präsident dos Santos bei der Internationalen Konferenz der Große Seen (ICGLR) zur Beendigung der bewaffneten Konflikte im Ostkongo und den Anrainerstaaten und anderen in Luanda abgehaltenen Gipfeln demonstriert das fortwährende angolanische Engagement.


Allerdings kann eine Unterstützung Kabilas nicht weiter vorausgesetzt werden. Luandas Position gegenüber der Politik Kinshasas hat sich im Laufe dieses Jahres 2017 gewandelt. Während bisher ein Aussetzen der Wahlen in der DR Kongo als stabilisierender Faktor angesehen wurde, beurteilt Luanda einen weiteren Aufschub der Wahlen durch Joseph Kabila als langfristig destabilisierend. Kabilas Mandat endete offiziell im Dezember 2016 und die Verfassung erlaubt gegenwärtig keine dritte Amtszeit. Daher signalisiert Luanda zunehmend, weitere Verzögerungen seien nicht angezeigt.


Angola hat seine Mitgliedschaft im UN-Sicherheitsrat 2015 und 2016 dazu genutzt, sein Missfallen durch die Unterstützung härterer Resolutionen gegen die DR Kongo zu unterstreichen. Außerdem wurden militärische Ausbilder im Dezember 2016 aus dem Kongo abgezogen. Sowohl die generelle als auch die diplomatische Haltung bestehen zusehends auf der Abhaltung von Neuwahlen.


Das Ausmaß der Besorgnis zeigen nicht nur die Resolutionen des UN-Sicherheitsrats, sondern auch die Tweets von Sindika Dokolo, einem kongolesischen Geschäftsmann und Kunstsammler, der mit Isabel dos Santos, der Tochter des angolanischen Präsidenten, verheiratet ist. Im Juni nutzte Dokolo Twitter, um Präsident Kabila mit Mobutu zu vergleichen, und sagte gegenüber Reuters: „Wir unterschätzen die Kapazitäten des Kongo, die ganze Region zu destabilisieren." Und: „Wir hantieren mit Streichhölzern unmittelbar neben einem Fass voller Sprengsätze und das besorgt mich sehr."


Derartige Bemerkungen sind völlig undenkbar ohne die Autorisierung der angolanischen Präsidentschaft und lassen Rückschlüsse darauf zu, wie besorgt Luanda darüber ist, was sich möglicherweise im Nachbarland entwickeln könnte, falls diese politische Malaise weiter geht.


Die aktuelle Krise in der kongolesischen Kasai-Region unterstreicht für Luanda die Dringlichkeit, Antworten auf die sich verschlechternde politische Situation in der DR Kongo zu finden. Seit April sind mehr als 31.000 Flüchtlinge aus der DR Kongo nach Angola gekommen. Das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) und die angolanische Regierung prognostizieren mehr als 50.000 Flüchtlinge für die nächste Zeit. Der Druck auf die angolanischen Offiziellen wächst. Die Flüchtlingsaufnahmeeinrichtungen in Angola sind unterfinanziert, bereits überbelegt und haben Schwierigkeiten, Neuankömmlinge unterzubringen. Das UNHCR fordert 6,5 Mio. US-Dollar für schnelle Hilfe.

 

Kongo-Politik wird neu bewertet
Nach den angolanischen Wahlen Ende August wird Luanda seine strategischen Optionen hinsichtlich der DR Kongo neu bewerten. Die Langmut bezüglich der 16-jährigen Amtszeit Kabilas ist vorbei und Luanda ist zum Schluss gekommen, dass Kabila zunehmend die Kontrolle über sein Land verliert. Die Kasai-Region ist nur eine von vielen, in der Kinshasas Autorität kaum zählt. Als Angola in den 1990er- und 2000er-Jahren eingriff, um die Kabila-Administration zu stärken, bestanden gemeinsame angolanische und kongolesische Interessen. Der damalige Armeechef João de Matos gab zu Protokoll, dass diese Intervention sowohl „dem Schutz der legitimen Regierung der DR Kongo" als auch „der Wahrung der angolanischen Interessen" diente. Diese Schnittmenge existiert nun nicht mehr.


Sollte sich die politische Elite der DR Kongo nicht bald auf eine zuverlässige und friedliche Machtübergabe einigen, riskiert sie fortschreitende Instabilität und Verunsicherung. Die UN wird ihre Friedensmission zurückfahren, westliche Geldgeber zeigen Ermüdungserscheinungen und je näher die Ablösung in Kinshasa rückt, werden die benachbarten Staaten zunehmend unruhig. Seit dem Sturz von Mobutu Sese Seko, der einen Krieg auslöste, in den etliche Nachbarn, darunter auch Angola, hineingezogen wurden, sind genau zwanzig Jahre vergangen.


Die Furcht, diese Geschichte könnte sich wiederholen, macht die DR Kongo zur Priorität auf der außenpolitischen Agenda des neuen Präsidenten Angolas. Dessen Optionen reichen von deutlichen Worten bis hin zu direktem Vorgehen gegen Kabila. Kinshasa ist sich bewusst, dass man sich auf Kollisionskurs zu Luanda befindet. Kabilas Außenminister betreibt bereits Pendeldiplomatie in Afrika, um Unterstützung für Kabila einzuwerben. Das Ergebnis sind einige gemeinsame Erklärungen, die Einmischungen von außen kritisieren. Unbestätigten Berichten zufolge nähert sich Kinshasa nun Ruanda an, was einen neuerlichen Kollisionskurs mit Angola bedeuten kann. Kongolesische Oppositionspolitiker wie beispielsweise Moïse Katumbi, der Luanda im Juni seine Aufwartung machte und in der Folge von Sindika Dokolo gepriesen wurde, suchen ihrerseits die Unterstützung Angolas.


Angola managt seine eigene Übergangsphase und ist wegen seiner aufgrund sinkender Ölpreise geschwächten Wirtschaft nicht geneigt, eine überstürzte militärische Intervention in der DR Kongo durchzuführen. Aber die Geschichte zeigt: Angola wird unabhängig von seinen wirtschaftlichen Verhältnissen dann ein direktes Vorgehen in Kinshasa erwägen, wenn die eigene Sicherheit langfristig gefährdet erscheint. Angolas Entgegnung auf die Politik der DR Kongo wird die erste wichtige politische Entscheidung des neuen Präsidenten von Angola sein. Die Kabila-Administration ignoriert die Sichtweise Luandas und geht damit ein Risiko ein.


Alex Vines

 

Der Autor ist Direktor des Afrika-Programms am Chatham House, the Royal Institute of International Affairs, in London und Senior Lecturer an der Coventry University.