Heft 4/2017, afrika süd-Dossier: Angola vor den Wahlen

Ende der Öl-Bonanza

ANGOLAS FINANZKRISE UND DIE AUSWIRKUNGEN DES ÖLPREISVERFALLS: Verlangsamung des Wirtschaftswachstums, Stagnation und Rezession der Wirtschaft, Steuerausfälle und Staatsverschuldung – all das sind Folgen einer Wirtschaftspolitik, die allein auf den Öl-Boom baute und alles andere als vorausschauend war. Auf Angolas Finanzlage kommen schwere Zeiten zu.

 

Die Widerstandskraft der angolanischen Wirtschaft gegenüber Schocks von außen ist relativ gering, kleine Korrekturen des Ölpreises reichen aus, um alle Systeme negativ zu beeinflussen. So war es 2009/2010 und zuletzt 2014, insbesondere in der zweiten Jahreshälfte, als der Preis für ein Barrel Öl um fast 45 Prozent fiel. Den Exporteinnahmen – von denen die Fähigkeit zur Finanzierung der Wirtschaft in dramatischer Weise abhängt – stehen Importe gegenüber, deren Anteil 65 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) ausmacht. Die Steuereinnahmen (aus dem Öl-Sektor) trugen 2008 noch 43 Prozent zum BIP bei. Die Dynamik des Wirtschaftswachstums gerät durch diese Schocks ins Wanken. Die durchschnittliche jährliche reale Änderungsrate des BIP betrug im Zeitraum 2008-2016 nur noch 2,7 Prozent. 2015 stagnierte die Wirtschaft fast vollständig (Änderungsrate von 0,9 Prozent) und 2016 wurde eine Rezession von geschätzten -3,6 Prozent verzeichnet. Die Staatsfinanzen konnten diese negativen Auswirkungen selbstverständlich nicht abfangen und das kumulierte Haushaltsdefizit 2013-2016 liegt bei 15,5 Prozent des BIP. Infolgedessen könnte die Gesamtverschuldung (einschließlich der staatlichen Unternehmen) etwa 70 Prozent des BIP erreichen.

 

Wenig vorausschauende Wirtschaftspolitik
Der negative Kreislauf des Erdöls ist nur eine Erklärung, aber keine Rechtfertigung für die unzureichenden öffentlichen Einnahmen Angolas. Er ist nur einer der Faktoren, die wichtigeren dürften eher im Bereich der öffentlichen Politik liegen, die in allen Sektoren meistens reaktiv und adaptiv und nur selten antizipierend und vorausschauend ist.


Die starke Verlangsamung der Wirtschaftsentwicklung belegt, dass bei einem geringeren Einfluss des Öls auf die nationale Ökonomie die öffentlichen Finanzen keine alternativen Quellen für Steuereinnahmen haben, von denen einige – zum Beispiel die Zolltarife – wirkliche Hemmschuhe für eine Diversifizierung des Exports sind. Eine Veränderung der Exportstruktur des Landes und die Erschließung neuer Märkte wären reale Anreize für das Wachstum des Nicht-Öl-Sektors, der durch die geringe Größe des Binnenmarktes und durch seine niedrige Wettbewerbsfähigkeit geknebelt ist. Im Nicht-Öl-Sektor sollte nach Alternativen zu den Öleinnahmen gesucht werden – und zwar unter vernünftigen Bedingungen, damit die Steuereffizienz gestärkt wird und makrofinanzielle Phänomene wie die Laffer-Kurve vermieden werden. Man hat den Eindruck, dass sich im Erdölsektor das von dem amerikanischen Nationalökonomen Arthur Laffer beschriebene Phänomen (Wachsende Steuereinnahmen bei steigendem Steuersatz, nach Erreichen eines Maximums sinken sie wieder und nehmen die Form eines umgekehrten „U" an; d.R.) bereits zeigt. Ausländische Unternehmen haben wiederholt über die extrem hohe Besteuerung ihrer Tätigkeiten geklagt; und das Steueraufkommen nimmt ab, da durch die steuerlichen Fehlanreize und Benachteiligung die Produktion verringert wird.


In den Steuerbilanzen der Regierung ist deutlich zu erkennen, dass keine neuen Steuereinnahmequellen geschaffen oder bestehende gestärkt werden können, wenn dies mit einigen haushaltspolitischen Zielen unvereinbar ist (zum Beispiel vergrößern mehr öffentliche Ausgaben auch im sozialen Bereich, deren Rendite man nicht kennt, sowie in Bauprojekten das Defizit und bestimmen den Anstieg der Staatsverschuldung). Diese Situation potenziert sich durch eine konservative Währungspolitik zugunsten der Erhaltung der Preisstabilität.

 

STEUERAUFKOMMEN (in % des BIP)
TITEL 2013 2014 2015 2016
Steuereinnahmen aus dem Öl-Sektor 30,1 23,8 15,4  9,1
Steuereinnahmen aus dem Nicht-Öl-Sektor  8,1  9,1  9,3  9.2
Sozialbeiträge  1,0  0.7  1.2  0,9
Schenkungen  0,0  0,0  0,0  0,0
Sonstige Einnahmen  1,0  1,7  1,4  1,4

Quelle: Begründungsbericht zum Staatshaushalt 2017

 

Die dramatische Finanzlage des Staates – die bereits 2012 ihren Anfang nahm, auch wenn die Tabelle dieses Jahr nicht erfasst – erreichte ihren Höhepunkt 2016, als die Steuereinnahmen aus dem Erdöl nur noch 9,1 Prozent des BIP ausmachten, während ihr Anteil in den glorreichen und goldenen Jahren 2003-2008 bei einem jährlichen Durchschnitt von 32 Prozent lag. Das Drama der chronischen Finanznot des Staates wird dadurch verschärft, dass der relative Anteil der Steuern aus dem Nicht-Öl-Sektor (Unternehmensgewinne, Arbeitseinkommen, Kapitalgewinne, Waren und Dienstleistungen sowie Welthandel) vollkommen unverändert ist.

 

Schwieriges Jahr 2016
Offenbar bringt die Politik der Importsubstitution nicht die erwarteten und von den Verfechtern einer Abschottung der Volkswirtschaften erhofften Ergebnisse: Die industrielle Produktion sinkt (bestenfalls wächst sie nicht wie geplant) und die Landwirtschaft bleibt unverändert. Nach 2013 verlor das Nicht-Öl-BIP an Schwung und die Wachstumsrate sank von 8,2 Prozent im Jahr 2014 auf 1,2 Prozent im Jahr 2016. Daraus erklärt sich der Stillstand in dem Prozess der Diversifizierung des nationalen Steuersystems und die Unveränderlichkeit des Anteils dieser Steuerkomponente am BIP. Mit einem niedrigen Wachstum in den für die Diversifizierung wichtigen Sektoren und bei den Produktivitätsgewinnen werden sich die Schwierigkeiten des Staates, Finanzmittel zu erhalten, noch verschärfen.


Der relative Anteil der Zolltarife hat sich in den Jahren 2013-2016 bei durchschnittlich einem Prozent eingependelt, was darauf zurückzuführen ist, dass die Importe und Investitionen infolge der Wachstumskrise zurückgegangen sind und der private Konsum (insbesondere bei den ärmeren Familien) abnimmt, als Reaktion auf den durch die hohe Inflation bedingten Kaufkraftverlust.


Ein weiterer wichtiger Aspekt sind die Beiträge zur Sozialversicherung (mit einem durchschnittlichen jährlichen Anteil von 0,95 Prozent am BIP) – woraus man schließen kann, dass sich das Sozialversicherungssystem im Land auf einem niedrigen Niveau befindet. Verschiedene empirische Studien belegen, dass durch die Kombination aus progressiven Steuern und Sozialversicherungssystemen die (wirtschaftlichen und sozialen) Ungleichheiten erheblich reduziert werden und die Armut nachhaltig bekämpft wird.


Das Jahr 2016 war also ein sehr schwieriges Jahr für die staatlichen Finanzen. Nur durch eine Erhöhung der Staatsverschuldung (intern und extern) konnten die – aus Sicht der Regierung – strategisch wichtigsten und wesentlichsten Ausgaben realisiert werden, wenngleich mit kleineren Korrekturen aufgrund der unzureichenden Steuereinnahmen und der daraus resultierenden knappen staatlichen Mittel. Das heißt, man hat sich für eine minimalistische Strategie der Haushaltskorrektur entschieden, mit kleinen Änderungen bei den Staatsausgaben, während die Situation mehr Mut erfordert hätte, den Haushalt an die realen finanziellen Gegebenheiten und Möglichkeiten des Staates anzupassen (Verringerung der Anzahl der Ministerien, Minister und Staatssekretäre, Abschaffung der „Geisterbeamten", Anpassung der Verwaltungsstruktur öffentlicher Institutionen an die tatsächlichen Produktivitätsniveaus).

 

HAUSHALTSAUSGABEN (in % des BIP) 
 TITEL  2013 2014 2015 2016
 Gehälter   9,6 10,6  11,3  9,3
 Anschaffung von Waren und Dienstleistungen  10,2 10,0   6,4  5,0
 Schuldendienst   0,8  1,2  2,0  2,6
 Sozialleistungen   1,7  1,9  2,3  1,2
 Öffentliche Investitionen  11,4 12,4  5,8  5,7

Quelle: Begründungsbericht zum Staatshaushalt 2017

 

Auf der Ausgabenseite verzeichnen alle Positionen einen Abwärtstrend, ausgenommen der Schuldendienst, dessen Anteil am BIP von 0,8 Prozent im Jahr 2013 auf 2,6 Prozent im Jahr 2016 gestiegen ist. Das ist eine unmittelbare Folge der gestiegenen Inlands- und Auslandsverschuldung und auch der Verschlechterung der Bedingungen für neue Kredite. Die Zinssätze auf dem internationalen Finanzmarkt sind erheblich gestiegen, da das angolanische Finanzsystems an Vertrauen und Glaubwürdigkeit verloren hat. Im Inland bietet der Staat Anlegern von Staatsanleihen hohe Zinssätze, um private Ersparnisse anzuziehen. Hinzu kommt, dass die hohe Inflationsrate in den Jahren 2015 und 2016 dazu beigetragen hat, dass die Banken höhere Zinsen verlangen.


Die Gehälter der zivilen und militärischen Staatsbediensteten haben einen Anteil am BIP von durchschnittlich 10,2 Prozent, was nach internationalen Standards hoch ist. Jedoch wurde beim durchschnittlichen Monatsverdienst im öffentlichen Dienst (467.135 zivile und militärische Stellen) 2016 der Wert von 265.000 Kwanza (ca. 1400 Euro) nicht überschritten. Die Komponenten der laufenden Ausgaben (darin enthalten die allgemeinen Betriebskosten der staatlichen Institutionen) haben wirtschaftliche Auswirkungen auf den privaten Konsum, auf die Produktion, die Inflation und auf die Einkommensverteilung. Es ist aber von grundlegender Bedeutung, dass die laufenden Ausgaben an die Produktivitätszuwächse angepasst werden, wenn sich die Qualität der öffentlichen Dienstleistungen verbessern soll.


Die erhebliche Reduzierung des relativen Anteils der Beschaffung von Waren und Dienstleistungen lässt offen, ob es eine Verschlechterung der Bedingungen für den Betrieb des Staatsapparates und seiner Dienstleistungen an die Bürger und Unternehmen gegeben hat. Zwischen 2013 und 2016 gingen diese Ausgaben um 31 Prozent zurück.


Die Sozialleistungen, durch die man soziale Ungleichheiten verringern und Chancen ausgleichen kann, machten 2016, nach einer Steigerung von 0,6 Prozentpunkten zwischen 2013 und 2015, im Jahr 2016 nur noch 1,2 Prozent des BIP aus (50 Prozent weniger als 2015). Das verfügbare Einkommen der Familien – das für Spar- (Investitionsfinanzierung) und Konsumzwecke (Wachstumsfaktor) genutzt wird – kann sich durch diesen Rückgang verringern und Armutssituationen verschärfen. Dieser Haushaltstitel ist von 283,2 Mrd. Kwanza in 2015 auf 200,1 Mrd. Kwanza in 2016 gesunken ist, ein Rückgang von 29,3 Prozent.

 

Haushaltsdefizite
Schließlich sind die öffentlichen Investitionen eines der bestimmenden Elemente für eine Steigerung des Produktionspotenzials der Wirtschaft. Nach 2014 war die strategische Option der Regierung, das Investitionsniveau aufrechtzuerhalten, um die infrastrukturellen Voraussetzungen für mehr Wirtschaftswachstum zu schaffen. Die durchschnittliche Wachstumsrate des BIP lag 2015 und 2016 auf dem niedrigsten Stand, bezogen auf den nationalen Konjunkturzyklus 2010-2016, und war im vergangenen Jahr sogar negativ, was nach den volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen des Nationalen Statistikamtes (INE) einer Rezession von 3,6 Prozent gleichkommt. Wie oben bereits angeführt, wählte man angesichts fehlender Einnahmen die Staatsverschuldung als Mittel, um die öffentlichen Investitionen auf einem Niveau zu halten, das minimale Anreize für privatwirtschaftliche Betätigung schafft, sowohl direkt durch die Vergabe von öffentlichen Bauvorhaben als auch indirekt durch die Wirkungen, die solchen Projekten vor- und nachgelagert sind. In der derzeitigen Situation reicht eine Investitionsquote von 5,7 Prozent des BIP nicht aus, um eine Infrastruktur in Angola aufzubauen, die notwendig ist, um die Wettbewerbsfähigkeit der angolanischen Wirtschaft zu verbessern.

 

HAUSHALTSDEFIZIT (in % des BIP) 
 TITEL  2013 2014 2015 2016
 Gesamtsaldo (Verpflichtung)   0,3 -6,6 -3,3 -5,9
 Noch zu zahlende und einzunehmende Beträge   2,7  4,1  1,1  0,0
 Gesamtsaldo (Kasse)   3,0 -2,4 -2,2 -5,9
 Nettofinanzierung  -2,9  2,5  2,2  5,9

Quelle: Erläuterungen zum Staatshaushalt 2017

 

Der kumulierte Finanzierungssaldo belief sich 2016 auf -15,5 Prozent des BIP, bezogen auf die Verbindlichkeiten, und auf -7,5 Prozent, bezogen auf die Kasse. Beide Werte sind hoch. Wie sich das auf die Wirtschaft auswirkt, hängt davon ab, ob es sich um negative oder positive Haushaltsdefizite handelt.

 

Herkulische Herausforderungen
Die zukünftige Finanzplanung wird auch weiterhin in erheblichem Maße vom Ölpreis abhängen. Das Jahr 2016 endete mit einem Preis von durchschnittlich 41,85 US-Dollar pro Barrel. Nachdem der Erdölpreis noch 2017 einige vorübergehende Preisanstiege bis zu 56 US-Dollar erfahren hatte, pendelte sich der Preis neuerlichen Beobachtungen zufolge wieder bei etwa 50 US-Dollar pro Barrel ein. Die Diversifizierung der Steuereinnahmen braucht Zeit und hängt davon ab, wie sich die Wachstumsfähigkeit und die Umwandlung der Wirtschaft entwickeln, die ebenfalls Zeit erfordern. Vor allem aber braucht es eine gute Politik und eine verantwortungsvolle Regierungsführung.


Die Regierung legt normalerweise keine mittelfristigen Finanzplanungen vor, die Begründungsberichte erstrecken sich bestenfalls auf ein zusätzliches Jahr. Eine Finanzprognose für die Jahre 2017 bis 2021 lässt sich aber aus dem letzten Tätigkeitsbericht des Internationalen Währungsfonds vom 27. März 2017 entnehmen.


Auch wenn es sich um ein Basisszenario handelt, das normalerweise eine Prognose auf der Grundlage der derzeitigen Bedingungen darstellt, ohne Berücksichtigung von etwaigen Strukturanpassungsmaßnahmen, wird deutlich, dass die zukünftige Finanzlage in Angola enorm schwierig sein wird:

  • Der relative Anteil der Steuereinnahmen aus dem Öl-Sektor (von 2017-2021 nahezu gleich bleibend bei 8,6 bis 8,7 Prozent) und der aus dem Nicht-Öl-Sektor (leicht steigende Prognose von 8,2 Prozent 2017 bis 8,7 Prozent 2021) haben sich vollkommen angeglichen. In der Praxis bedeutet dies das Ende des Ölzeitalters in Angola, ohne dass die notwendigen und wichtigen Umwandlungen in den Bereichen Infrastruktur, Landwirtschaft, Gewerbe und Energie erfolgt sind. Die Diversifizierung hat somit keine strukturelle Basis, keine Zukunft und keine Konsistenz – vorausgesetzt, dieser Trend setzt sich fort.
  • Der Anteil der laufenden Ausgaben am BIP geht zurück (von 20,4 Prozent 2017 bis 17,4 Prozent 2021), was für gesunde Finanzen des Staates und für eine Erhöhung der Handlungsspielräume für privatwirtschaftliche Initiativen positiv ist. Aber man muss sich mit den sozialen Bereichen, insbesondere mit der Bildung, befassen, denn ihre Quantität und Qualität sind entscheidend für die Wachstumsqualität und ihr Potenzial.
  • Es wird eine staatliche Investitionsquote beibehalten, ohne dass das Land über einen Bestand des Anlagevermögens der Volkswirtschaft verfügt.


Angola steht vor herkulischen Herausforderungen, für deren Bewältigung es an Humankapital, finanziellen Mitteln und strategischen Fähigkeiten zur Regierungsführung fehlt.


Alves da Rocha

 

Der Autor ist Wirtschaftsexperte, Professor und Leiter des Forschungs- und Wissenschaftszentrum an der Angolanischen Katholischen Universität in Luanda sowie korrespondierendes Mitglied der Akademie der Wissenschaften in Lissabon.