Heft 4/2017, Namibia

Patriot im positiven Sinne

IN MEMORIAM TOIVO YA TOIVO

 

Andimba Herman Toivo ya Toivo, schon zu Lebzeiten zur Legende geworden, starb 93-jährig am 9. Juni 2017 zu Hause friedlich beim Zeitunglesen in seinem Sessel.


Von Korruptionsskandalen unberührt, galt er seit Jahren als der große, aber im namibischen Tagesgeschehen wenig einflussreiche alte Mann der Swapo. Charakteristisch für ihn war, dass er sich nicht von Fraktionen innerhalb der Regierungspartei im Kampf um Posten und Futtertröge vereinnahmen ließ.


Sein Lebenslauf wurde oft genug nachgezeichnet. Obwohl mütterlicherseits aus der königlichen Familie des Ondonga-Reiches stammend, wächst Andimba unter schwierigen Umständen seit dem 11. Lebensjahr als Halbwaise im Ovamboland auf. Nach der Zimmermannsausbildung in Ongwediva meldet er sich als Rekrut im Zweiten Weltkrieg und arbeitet als Kontraktarbeiter auf einer Farm. An der Missionsschule von Odibo bildet er sich bis zum Lehrerexamen weiter.


Auf der Suche nach höherer Schulbildung geht er als Kontraktarbeiter nach Südafrika. Er erlebt seine politische Bewusstwerdung im Umkreis des ANC und mobilisiert die namibischen Arbeiter in Kapstadt und im weiteren Südafrika zur Gründung des Ovamboland People's Congress, der die Abschaffung der Kontraktarbeit und die Verwaltung Namibias durch die UNO propagiert. 1958 schickt er eine weit beachtete Petition auf Tonband an die UNO und wird vom Apartheidregime zurück ins Ovamboland deportiert. Dort wird er von dem mit Südafrika kollaborierenden Chief zeitweise unter Hausarrest gestellt. Er betreibt einen Laden in Ondangwa und beginnt den Aufbau der Swapo im Ovamboland.

 

20 Jahre Robben Eiland
Als die ersten im Exil ausgebildeten Befreiungskämpfer zurückkommen, hilft Toivo ya Toivo mit Geld, Rat und Tat bei der Einrichtung eines Trainingslagers, obwohl er den militärischen Kampf für verfrüht und aussichtslos hält. Im Gefolge der ersten bewaffneten Auseinandersetzung zwischen Swapo und südafrikanischer Polizei am 26. August 1966 wird er mit Hunderten anderer Swapo-Mitglieder verhaftet.


Nach Pretoria verbracht, folgen Isolationshaft, Verhör und Folter. Mit 36 anderen wird er im „Terrorism Trial" angeklagt, bei dem er seine weltberühmte Rede als Schlusswort hält. Eine internationale Kampagne verhindert die vom Regime geplanten Todesurteile. Er wird zu 20 Jahren auf Robben Island verurteilt.


Ungebeugt trotz langer Einzelhaft, verweigert er alle Vergünstigungen wegen „guter Führung". Im selben Trakt wie die ANC-Führung inhaftiert, beginnt eine lebenslange Freundschaft mit Nelson Mandela.


Nach 16 Jahren wird Toiva ya Toivo im März 1984 entlassen: ein vergeblicher Versuch des Apartheidregimes, Glaubwürdigkeit für eine Pseudo-Unabhängigkeit von „SWA/Namibia" zu gewinnen und womöglich die Swapo zu spalten. Er geht ins Exil, wird Swapo-Generalsekretär und verbringt die nächsten Jahre als internationaler Goodwill-Botschafter der Befreiungsbewegung.


Mit Umsetzung des UN-Unabhängigkeitsplans kehrt er 1989 zurück, wird in die Verfassungsgebende Versammlung gewählt und mit der Unabhängigkeit Namibias 1990 unter Präsident Nujoma als erster Bergbau- und Energieminister eingesetzt. 1999 als Arbeitsminister und 2002-2005 zum Minister für Gefängniswesen ernannt, findet eine – sicher auch altersbedingte – stetige Abnahme an politischer Bedeutung statt.

 

Sich selbst zurücknehmen
In seiner Abschiedsrede im Parlament erklärte er im März 2015: „Es gibt keinen Raum in der Politik oder im öffentlichen Dienst für Leute, die ihre Positionen ausnutzen, um sich zu bereichern. Korruptes Verhalten in der Führung ermuntert Toleranz gegenüber Korruption auf allen Ebenen der Gesellschaft." Offensichtlich sah er die Entwicklung mit Sorge.


Trotz Festen und großer Medienpräsenz zu seinem 80. und 90. Geburtstag war es um ihn still geworden. Seine öffentlichen Verlautbarungen beschränkten sich zuletzt meist auf Äußerungen als Ehrenvorsitzender der Namibia-Cuba Friendship Association.


Kennzeichnend für Andimba Toivo ya Toivo war nicht nur seine bis zur Selbstaufgabe reichende Kompromisslosigkeit gegenüber dem Apartheidregime, sondern auch die Bereitschaft, sich selbst zurückzusetzen, wenn es um die Einheit in der Befreiungsbewegung ging. Das zeigte sich unmittelbar nach seiner Freilassung aus Robben Island sowohl in seinem Auftritt vor einem Kongress des nicht mit Südafrika kollaborierenden Flügels der Swanu, wie auch in seiner Weigerung, die Exilführung der Swapo infrage zu stellen. Der für ihn schwierigste Moment war wohl die Konfrontation mit den Swapo-Gefangenen in Lubango im Mai 1989, wo er nicht in der Lage war, dem außer Kontrolle geratenen „Sicherheitsapparat" effektiv zu begegnen. Dass dieser Apparat im unabhängigen Namibia trotz des Fehlens einer offiziellen Aufarbeitung stillschweigend neutralisiert wurde, ist sicher unter anderem ihm zu verdanken.


Am 24. Juni wurde er unter großer Anteilnahme auf dem Heroes Acre bei Windhoek beigesetzt. Das Ausmaß an Trauer und Betroffenheit weit über Namibia hinaus dokumentierte die enorme Bewunderung und Verehrung für einen der Wenigen, denen der Begriff „Patriot" im positiven Sinne zusteht.


Werner Hillebrecht


Der Autor ist ein aus Deutschland stammender Archivar und Bibliothekar Namibias. Von 2003-2015 leitete er das Nationalarchiv Namibias.