Heft 4/2017, afrika süd-Dossier: Angola vor den Wahlen

Rappen gegen das Regime

VIER RAP-MUSIKER IN ANGOLA: Sie stehen an der Spitze einer unterschätzten Jugendprotestbewegung, die langsam aber sicher das angolanische Regime zu Fall bringen könnte.

 

Musik als ein Mobilisierungsfaktor für den Widerstand einer unterdrückten Bevölkerung gegen repressive Regime, das ist keine neue Erkenntnis. Dass aber eine Partei wie die MPLA, die als ehemalige Befreiungsbewegung einst revolutionäre Musik im Kampf gegen 500 Jahre portugiesische Kolonialherrschaft einsetzte, die Sprengkraft populärer Lieder vergessen hat, lässt sich nur mit ihrer nun 42 Jahre andauernden Alleinherrschaft erklären. Die Vertreter der Regierungspartei haben auch vergessen, wie man für das alltägliche Wohl und die Ernährungssicherheit des Volkes sorgt. Vielmehr hat man sich darum gekümmert, wie die Rohstoffe geplündert, ihre Erlöse gestohlen und die Staatskassen leer geräumt werden können. Und dann machten sie aus der Korruption auch noch die einzig funktionierende „Institution" des Landes, ohne die dort nichts geht. Kritiker und Journalisten der unabhängigen Medien wurden unterdrückt und ermordet. Freies Denken galt als strengstens verboten.

 

Brigadeiro 10 Pacotes: selbsternannter Revolutionär
Dann kam ein junger Mann aus den einfachen Verhältnissen der angolanischen Hauptstadt. Er ließ sich nach eigenen Angaben von diesen kritischen Geistern und Zeitungen inspirieren, um Anfang der 2000er-Jahre sein Debütalbum mit dem Titel „O governo Toca Mais Uma Guitarra" zu veröffentlichen. Der aus den Ghettos aufgetauchte Rap-Musiker gab sich selbst den Künstlernamen „Brigadeiro 10 Pacotes" und erklärte sich zum „Revolutionsführer der Jugendlichen" Angolas. Allein die Tatsache, dass ein Junge aus armen Verhältnissen die angolanische Elite mit seinem Gesang so mutig an den Pranger stellte und ihre Korruptheit als Grund aller Misere offenbarte, war eine große Sensation für die Menschen. Obwohl das angolanische Regime mit einem Veröffentlichungsverbot auf sein Album reagierte, verbreitete sich die Musik rasant. Sie fand ihre Vertriebskanäle über die Tausenden von Candongueiros, die informellen Verkehrsmittel der Großstädte Angolas. So wurde Brigadeiros 10 Pacotes auch unter Kleinkindern bekannt. Er gehört zu den Künstlern, dessen Werke jedes Mal der staatlichen Zensur zum Opfer fallen.


Manchmal kann er sehr polemisch sein, was seiner wachsenden Popularität keinen Abbruch tut. Seine Stimme ist im Widerstand der angolanischen Jugendlichen gegen Korruption, Vetternwirtschaft, Hunger, Ausplünderung, schlechte Regierungsführung und Machtmissbrauch nicht mehr wegzudenken. Der selbst ernannte Revolutionär Brigadeiro 10 Pacotes hat Angolas Jugend nach der Bürgerkriegszeit mit seinen Rap-Texten angesteckt, er hat den Weg für eine angolanische Rap- und Untergrundprotestkultur geebnet.

 

MC Kappa: Mobilisierer der Jugend
Kurz danach und nahezu parallel tauchte in den Jahren nach 2002 ein zweiter Künstler auf namens MC Kappa, kurz MCK. Er ließ sich vom Mut seines Musikerkollegen inspirieren, machte jedoch seine eigene Karriere. MCK kam aus den gleichen armen Verhältnissen, wie Brigadeiro 10 Pacotas wuchs er in einem der Vororte Luandas auf. Beide verbindet von Anfang an etwas Gemeinsames: Sie stimmen die angolanische Jugend gegen das korrupte Regime unter José Eduardo dos Santos und seiner Regierungspartei MPLA ein. Sie haben in den letzten 15 Jahren ihr Selbstbewusstsein im Kampf für Bürger- wie Menschenrechte gestärkt.


Auch wenn MCK über Liebe singt, ist seine oft poetische Musik immer von einer kritischen Melodie gegen die Raubkultur der Machthaber eingefärbt. MCK ist überall präsent und hat sich trotz seiner Berühmtheit nie von seinen Wurzeln entfernt. Oft tritt er in den Musseques, den Ghettos der Städte, auf. Von dort stammen auch seine jungen Komparsen für seine Video-Clips. So zeigt er diesen Jugendlichen, dass sie es gemeinsam trotz aller Widrigkeiten schaffen können. Damit konnte MCK ganze Scharen von Jugendlichen überall im Land mobilisieren. Mit seinem 2006 erschienenen zweiten Album gab er den Jugendlichen spirituelle Nahrung: „Nutrição Espiritual", wie der Titel des Albums heißt. Es wurde sogleich verboten, und fünf Jahre lang wurde es still um den Künstler, weil er ins Exil verbannt wurde.

 

Carbono Casimiro: Der Techniker und Vermarkter
Während die Untergrundkultur in der Hauptstadt Luanda sich ohne ihre Helden der Rap-Musik weiter entwickelte, tauchten neue Künstler aus völlig anderen sozialen Verhältnissen auf. Carbono Casimiro war so einer, er hatte Informatik studiert und mischte 2010 die DJ- und Jugendszene bis in die Ghettos hinein auf. Nach dem arabischen Frühling Ende 2010 war er als Bürgerrechtler eine der treibenden Kräfte bei den Vorbereitungen für die erste friedliche Protestdemonstration von Jugendlichen in der Geschichte Angolas. Sie fand am 7. März 2011 in Luanda statt und wurde dann von Sicherheitskräften mit exzessiver Gewalt niedergeschlagen.


Carbono gilt als der Techniker der Jugendbewegung, all die Jahre über hat er den Protestmusikern und Rappern die Infrastruktur zur Produktion ihrer Werke oder Videos zur Verfügung gestellt. Seit er fast zwei Monate nach dieser Protestdemo gemeinsam mit 15 weiteren Mitstreitern 45 Tage im Gefängnis saß, wurde er immer wieder Opfer von willkürlicher Verhaftung und Folter durch die Sicherheitsorgane Angolas. Oft entkam er nur knapp einer Verschleppung, bis die angolanische Polizei 2015 seine Arbeitsmaterialien bei einer Durchsuchungsaktion beschlagnahmte, nachdem die „15+2"-Jugendlichen des sogenannten Buch-Klubs am 20. Juni des Jahres wegen angeblichen Umsturzversuchs inhaftiert worden waren. Trotz einer juristischen Beschwerde hat er seine Ausrüstung bis heute nicht zurückerhalten.


Carbono Casimiro ließ sich nicht entmutigen, er singt und produziert weiter seine Kunst und vermarktet inzwischen sogar sein eigenes Marken-Label für Trainingsanzüge gegen die Diktatur und die „Anti-Demokraten", wie er sagt.

 

Luaty Beirão: „Widerspenstige Rapper" und verlorener Sohn des Regimes
Luaty Beirão, mit Künstlername „Ikonoklasta", auch als „Brigadeiro Matafrakus" über Angolas Grenze hinaus bekannt, ist ein Weggefährte Carbono Casimiros. Gemeinsam mit diesem hat er die historische Protestdemo vom 7. März 2011 in der angolanischen Hauptstadt organisiert. Luaty, der auch einen portugiesischen Pass besitzt, ist der Sohn des früheren und inzwischen verstorbenen Vorsitzenden der Privatstiftung von Präsident dos Santos, der „Fundação Eduardo dos Santos" (FESA). Sein Vater João Beirão, ein Mitglied der regierenden MPLA, hat aus ihm das gemacht, was er heute geworden ist, sagt Luaty oft, in dem er ihm gute Bildung ermöglichte und ihn zum Freidenker werden ließ.


Der 1981 geborene Luaty entdeckte den Hip-Hop im Jahr 1994, als seine Verwandten aus Frankreich nach Angola zu Besuch kamen. Trotz der privilegierten Position seiner Familie in der angolanischen Gesellschaft scheute er nicht den Kontakt zu seinen Mitbürgern in den Ghettos der Hauptstadt, die von exzessiver Gewalt gekennzeichnet sind und in denen die extreme Armut als Realität Angolas zutage tritt. Gerade in diesen Armenvierteln baute er mit seinen Mitstreitern eine alternative Infrastruktur für eigene Produktionen wie für Konzerte auf, die zu Treffpunkten für einen Großteil der Jugend Luandas wurden. Damit wurde Luaty zu einem der Anführer der angolanischen Jugendprotestbewegung und späteren Mitbegründer jener weit über Angolas Grenzen hinaus bekannt gewordenen Gruppe, die sich der Reflexion eines Buches des US-amerikanischen Autors Gene Sharp über „Gewaltfreie Überwindung der Diktatur" widmete und dann dem angolanischen Sicherheitsapparat zu Opfer fiel. Zwischen dem 20. Juni 2015 und dem 29. Juni 2016 saß er auf Anordnung von Präsident dos Santos höchst persönlich mit allen anderen 16 Gruppenmitgliedern wegen „Umsturzversuchs" im Gefängnis und wurde misshandelt und gefoltert.


Während seiner Haft trat Luaty Beirao in einen langen Hungerstreik von 36 Tagen. Damit lenkte er die internationale Aufmerksamkeit auf die Menschenrechtssituation und staatliche Gewalt in Angola und sorgte dafür, dass das Regime sich gegenüber seinen Partnern im Ausland diskreditierte. Dieser „15+2"-Fall trug dazu bei, den langsamen Zersetzungsprozesses von dos Santos innerhalb der Regierungspartei einzuleiten.


Sowie der Protest-Rapper Luaty und alle anderen 16 Mitglieder seiner Gruppe seitdem als „persönliche Gefangene des angolanischen Präsidenten" galten, so erhoffen sich die Jugendlichen um diese revolutionären Rapper langsam aber sicher das Ende des Diktators und seines Regimes. Das letzte gemeinsame Konzert von Luaty und MCK vom November 2016 wurde von der Polizei ebenso verboten wie das jüngste Album von Brigadeiro 10 Pacotes. Trotzdem geben sich diese Musiker nicht geschlagen. Die Zeiten in Angola stehen auf Übergang, die Diktatur wird untergehen. Dazu haben diese Rapper ihren Beitrag geleistet. Es lebe die Kunst und der Freigeist!


Emanuel Matondo