Heft 4/2020, Südafrika

Bescheidener und unbestechlicher Mahner

NACHRUF ANDREW MLANGENI. Am 21. Juli 2020 starb der ANC-Freiheitskämpfer Andrew Mlangeni im Alter von 95 Jahren in Pretoria nach kurzer, schwerer Krankheit. Er war der letzte Überlebende der elf Angeklagten des Rivonia-Prozesses und wurde wie sieben andere Angeklagte wegen Sabotage zu lebenslanger Haft verurteilt. Den Großteil seiner Haft verbüßte er auf der Gefängnisinsel Robben Island bei Kapstadt. 1989 wurde er freigelassen und bezog wieder sein altes Wohnhaus in Soweto.

Von 1991 bis 1997 gehörte Andrew Mlangeni dem National Executive Committee des ANC an. 1992 wurde er mit der Isitwalandwe-Medaille des ANC geehrt, der höchsten Auszeichnung der Bewegung. Nach den ersten freien Wahlen 1994 war er bis 1999 für den ANC Mitglied der südafrikanischen Nationalversammlung. Später gründete er die „June and Andrew Mlangeni Foundation". Ab 2009 betrieb er ein Kontaktbüro für die Einwohner seines Wohnbezirks. Mlangeni war verheiratet und hatte zehn Kinder. Cheryl Carolus, langgediente ANC-Aktivistin, würdigte ihn als einen „außergewöhnlich bescheidenen Menschen".

Andrew Mokete Motlokwa Mlangeni, der am 6. Juni 1925 in Matoding in der Nähe von Bethlehem im „Freistaat" geboren wurde, war eines von 12 Kindern. Seine Eltern, Matia und Aletta Mlangeni, waren Landpächter und Subsistenzfarmer. Nach ihrer Vertreibung von der Kleinfarm war die Familie gezwungen, nach Johannesburg umzusiedeln und sich dort ihren Lebensunterhalt als Tagelöhner zu verdienen.

1944 wurde er, mittlerweile selbst einfacher Hilfsarbeiter ohne formale Ausbildung, von Ruth First für die Young Communist League rekrutiert. Er trat 1959 der South African Communist Party (SACP) bei und arbeitete hauptberuflich als SACP-Sekretär für die Region Johannesburg. Im Jahr 1951 trat er formell der ANC Youth League bei, 1954 dann dem ANC. Während seiner ersten Jahre als ANC-Mitglied erhielt er, u.a. durch Oliver Tambo, seine weitere Ausbildung.

Ab 1961 war er eines der ersten Mitglieder von uMkhonto we Sizwe (MK), des bewaffneten Arms des ANC. Noch im gleichen Jahr schickte man ihn zur militärischen Ausbildung in die VR China. Nach seiner Rückkehr 1963 schloss er sich einer Untergrundeinheit von MK an und wurde Mitglied des MK-Oberkommandos.

Nach seiner Verhaftung während einer Razzia auf der Liliesleaf-Farm in Rivonia nahe Johannesburg wurde Mlangeni zusammen mit Nelson Mandela, Walter Sisulu, Govan Mbeki und anderen Führern 1964 – während des berüchtigten Rivonia-Prozesses – zu lebenslanger Haft verurteilt. Er wurde erst im Oktober 1989 nach 26 Jahren Gefängnis freigelassen.
Während seiner Haft auf Robben Island galt Mlangeni als enger Vertrauter von Nelson Mandela. Er unterstützte Mandelas kompromisslose Haltung gegenüber dem Apartheidregime. Beide waren auch nach ihrer Freilassung eng befreundet.

Sich treu geblieben
Nach seiner Haftentlassung änderte sich Mlangenis prinzipielle Einstellung nicht. Er blieb sich immer treu. Patriotismus, Prinzipientreue, ethische Führung, Unbestechlichkeit und Anstand zeichneten ihn aus. Den neuen „pekuniären Verlockungen" widerstand er.

Als Parlamentsabgeordneter genoss er einen untadeligen Ruf. Auch während dieser Zeit war er vor allem für Disziplin und Aufrichtigkeit bekannt. Selbst bei den Abgeordneten der Opposition war er hochgeschätzt. Seinen Zusagen konnte man vertrauen; Gespräche blieben vertraulich. Seine Gesprächsrunden auf den Bänken des Parlamentsgartens in Kapstadt sind legendär. Auch bei einem kurzen Intermezzo als Geschäftsmann in einem BEE-Unternehmen hat er großen Eindruck ob seiner Korrektheit und Führungsqualitäten hinterlassen.

Viele jüngere ANC-Mitglieder nahmen ihn kaum ernst, da er nicht als „aktiver Kämpfer" galt. Man warf ihm auf ANC-Parteitagen regelmäßig vor, nicht wirklich „gekämpft" zu haben. Kolportiert wird gerne die Geschichte, dass Mlangeni gefragt wurde, warum er sich mit diesen Kritikern nicht auf eine Schlammschlacht einlassen wollte, die er sicher gewinnen würde. Er entgegnete: „... nur Schweine kommen im Schlamm gut zurecht".

Andrew Mlangenis herausragende Leistung war jedoch, dass er einer der Wenigen war, der während der Präsidentschaft von Jacob Zuma versuchte, die Prinzipien des ANC hochzuhalten. Er hat nie ein Blatt vor den Mund genommen. Er war immer derjenige, auf den sich der ANC verlassen konnte, wenn es darum ging, die Dinge beim Namen zu nennen. Vertuschen, Verschweigen und unter den Teppich kehren waren nicht sein Ding.

Andrew Mlangeni war es, der Jacob Zuma im Nkandla-Skandal über den offensichtlichen Mangel an politischer Ethik zur Ordnung rief. Wie man heute weiß – ohne jeden Erfolg. Die Kampagnen einzelner ANC-Granden, diejenigen zur Rechenschaft zu ziehen, die öffentliche Gelder missbraucht hatten, wurde von ihm vor und hinter den Kulissen losgetreten.

Mlangeni forderte die Suspendierung derjenigen, die schwerer Verbrechen angeklagt waren bzw. angeklagt sind; insbesondere im Zusammenhang mit dem Missbrauch öffentlicher Gelder oder öffentlicher Ämter. Er war es, der die ersten Alarmglocken innerhalb der ANC-Führung in Bezug auf „State Capture" läutete und Jacob Zuma als Rädelsführer benannte. Unter seiner Führung musste das Integritätskomitee des ANC reagieren.

Während der Trauerfeierlichkeiten, die durch die Covid-19-Pandemie Einschränkungen geprägt waren, sagte Ex-Präsident Thabo Mbeki via Video-Stream: „[Beim ANC sind] soziale Distanz zu den Menschen, Korruption, Vetternwirtschaft, Arroganz, Elitismus, Fraktionalismus, Manipulation von Organisationsprinzipien und Missbrauch staatlicher Macht ... tief verwurzelt..." Mbeki forderte in seiner Trauerrede nochmals die umgehende Erneuerung des ANC.

Die offizielle Trauerfeier fand auf dem Soweto-Campus der Universität von Johannesburg statt. Mlangeni wurde auf dem Roodepoort-Friedhof beigesetzt.

In den sozialen Medien forderten viele junge ANC-Mitglieder die Wiederbesinnung auf die Werte der „Rivonia Trialists": Klare ethische Werte, Zuverlässigkeit, Ehrlichkeit, Bescheidenheit, eine neue politische Agenda, Patriotismus, Prinzipientreue, Unbestechlichkeit und schlichtweg altmodischen menschlichen Anstand. Will der ANC zukünftig noch eine wichtige Rolle bei der Gestaltung Südafrikas spielen, so sollte die ehemalige Befreiungsbewegung sich jetzt selbst von den Unzulänglichkeiten der letzten Dekade befreien, fordern die ANC-Chatter.

Menschen wie Andrew Mlangeni, Nelson Mandela, Dennis Goldberg, Albertina Sisulu, Ahmed Kathrada und viele andere dieser Generation seien die wahren Vorbilder – nicht die korrupten Elemente wie Jacob Zuma und Ace Magashule, der jetzt u.a. verdächtigt wird, gemeinsam mit seinen Söhnen mit Covid-19-Hilfsmitteln krumme Geschäfte zu machen und sich selbst zu bereichern.

Aufmerksame Fernsehzuschauer konnten auf ihrem Fernsehschirm das „interessante" Verhalten von ANC-Offiziellen, Offizieren und Polizisten am Rande der Trauerfeier beobachten: Hochrangige Beamte saßen rauchend und trinkend auf dem Campusgelände und missachteten damit das bestehende Covid-19-Verbot von Alkohol- und Tabakverkauf und -Konsum.

Jürgen Langen