Heft 4/2020, afrika süd-dossier: Afrika-Asien

Bollywood und die indische Softpower

Film- und Videoproduktionen sind herausragende Beispiele dafür, wie die Kulturindustrie als Vehikel von Identität, Werten und Bedeutung Menschen für das Verständnis des Anderen und für Entwicklung öffnen können, sagte Koichiro Matsura, bis 2005 Unesco-Generaldirektor. Die ersten indischen Filme sind bereits in den 20er-Jahren in Ostafrika vorgeführt worden. Indisches und afrikanisches Publikum genossen die „Bombay Movies", wie sie vor Bollywood genannt wurden. Ab den 1930er-Jahren bereicherten sie zunächst das Leben der vielen indischen Vertragsarbeiter und Migranten in Ostafrika, wurden aber bald zu einem gemeinsamen Kulturvergnügen auch des afrikanischen Publikums, schreibt Ned Berz in seiner Onlinepublikation „Bollywood in Afrika".

Die heute als Bollywood bekannten indischen Filme sind in Afrika bereits seit sieben Jahrzehnten beliebt. Ihre Ausbreitung in Afrika beginnt Anfang der 50er-Jahre, nicht etwa in Ost- und Südafrika, wo der Großteil der indischen Diaspora lebt, sondern in Westafrika. Hier, besonders im Senegal und in Nigeria, einst importiert von libanesischen Händlern als billige Alternative zu Filmen aus dem Westen, stellten die Menschen sofort einen starken Bezug zu den Bollywood-Geschichten her. Die Hindi-Filme liefen ohne Untertitel oder gar Übersetzungen und doch sahen sie zahllose Menschen, häufig viele Male, und da die Themen sich wiederholten, verstanden sie bald genug, um den Geschichten zu folgen. Diese erzählten über das Leben im und den Kampf gegen den Kolonialismus und die Sehnsucht nach Befreiung. Die Armen und Ausgebeuteten oder auch Mythen stellten oft die wichtigsten Rollen in den Filmen, Themen, die europäische oder amerikanische Filme ignorierten. Sylviane Diouf vom Center for Research in Black Culture in New York bemerkt 2011, dass Bollywood ein Modell kulturellen Widerstands und einen Weg zwischen Tradition und Moderne anbot. Wie in Westafrika, ist auch in Indien die Familie besonders wichtig. Die Menschen verehren ihre Altvorderen, leben in Häusern mit allen Generationen zusammen, kleiden sich in langen Tuniken, Turbanen und Schleiern, essen mit den Händen und tragen Lasten auf dem Kopf. Tiere, auch Kühe, laufen überall in den Straßen frei herum. Große und lärmende Hochzeiten, Tänze und Gesänge sind üblich, ein rauschendes Farbenfest mit Geschichten voll romantischer Liebe, aber ohne Sex. Arrangierte Ehen, die Barrieren der Kasten und der ethnischen Zugehörigkeit, die Bedeutung der Familienehre, des guten Namens der Familie und der Religion sind zentrale Themen sowohl für Bollywood als auch für afrikanische Gesellschaften.

Der Film „Mother India" zum Beispiel wurde 1957 zum ersten Mal in Dakar gezeigt und fand seinen Weg direkt in die Herzen der Menschen im Senegal. Er ist bis heute ein Hit in Afrika.

Indische Filme haben Haussa sprechende Musiker, Poeten und Autoren aus dem Norden Nigerias inspiriert. Das Wiedererstarken der islamischen Kultur im Gefolge der Iranischen Revolution 1979 ließ dort Bollywood in neuer Popularität erstrahlen. Ob Mädchenchor einer islamischen Schule oder Sufi-Männergruppe, alle sind Indienfans, sie alle singen Bollywood-Filmmelodien mit Haussa-Texten zum Lob des Propheten Mohammed. Zwar kritisierten die Fundamentalisten des Boko Haram in Nord-Nigeria diesen Trend seither, aber die Liebe der Region für Bollywood blieb stark.

Bollywoods Geschichten drehen sich weiter um Korruption, Liebe, den Kampf der Frauen, Terrorismus, religiöse Fragen etc. Zwar gibt es starke Einflüsse der Kultur der Schwarzen in den USA und ihrer Geschichten, ihrer Musik, Gesang, Disko Tanz, Funk oder Michael Jackson. Aber Bollywood bleibt stark verwurzelt in den kulturellen Traditionen Indiens.

Nur wenige Regisseure des Genres schaffen Inhalte für die wohlhabende indische Diaspora in Afrika. Viele in Afrika wünschen sich, das afrikanische Kino würde Bollywood künftig nachbilden und dabei die eigenen kulturellen Perspektiven in den Mainstream heben. Ein Beispiel sind die Erfolge des in Indien geborenen Regisseurs und Produzenten Manish Mundra. Er kam 2005 als Öl-Manager nach Nigeria. Bollywood war dabei, allmählich seine Kraft als Erzähler von Geschichten über die Auseinandersetzung der Menschen mit den Herausforderungen ihres Lebens zu verlieren, schreibt der Filmkritiker Jeremy Luedi in Lagosi. Mundra schaffte es in Nigeria, wieder gute Bollywoodfilme zu zeigen. Sein Film „Newton" war 2018 für einen Oscar nominiert.

Bollywood-Filme und Kricket haben im kulturellen Leben, bei der Unterhaltung sowie im Sport afrikanischer Gesellschaften einen festen Platz. Die indischen Außenpolitiker sind sich bewusst: Farruq Khan und Madhuri Dixit oder Sachin Tendulkar sind für das gute indische Image unbezahlbar.

Dr. Kanchana Lanzet

Die Autorin ist Kulturanthropologin von der Universität Puna in Indien. Sie arbeitete im Bereich medizinische Anthropologie und Frauenarbeit in der ländlichen Entwicklung in Asien und Afrika. In Deutschland war sie ehrenamtlich als 2. Vorsitzende für das deutsche Nationalkomitee UNWomen tätig und gestaltet z.Z. ein australisches Journal zur Sozialarbeit mit.