IN DER DEBATTE UM CHINESISCHE ENTWICKLUNGSPROJEKTE wird China gerne als ein „neuer Geber" bezeichnet. Was dabei oft übersehen wird, ist, dass China eine längere Entwicklungshilfe-Geschichte hat, als viele der „traditionellen Geber" im globalen Norden.
Schon kurz nach der Gründung der Volksrepublik China, die der Führer der chinesischen Kommunisten Mao Zedong am 1. Oktober 1949 in Peking am Platz des Himmlischen Friedens ausrief, leistet China Militär- und wirtschaftliche Aufbauhilfe an die kommunistischen Bruderstaaten Nordkorea und Vietnam. Gleichzeitig ist die Volksrepublik Empfänger sowjetischer Hilfe. Doch während diese aus Krediten besteht, welche Stalin laut jüngst freigegebenen historischen Quellen an Chinas Mitwirkung im Koreakrieg knüpft, erklärt China seine Hilfen an Nordkorea und Vietnam in 1953 zum „Geschenk". Ab Mitte der 1950er-Jahre folgen Hilfen an die entkolonialisierten Länder in Asien und Afrika, auch hier weitestgehend ohne, dass China auf Rückzahlungen besteht.
Warum vergab China Hilfen an andere, wo es die Ressourcen dringend für den eigenen Aufbau brauchte? Wer den dazugehörigen historischen Kontext versteht, versteht auch die Motive der chinesischen Entwicklungshilfe heute. Im Unterschied zu der populär verbreiteten Annahme, dass Hilfe altruistisch sei – oder zumindest sein sollte –, gibt es in der Literatur zu internationalen Beziehungen einen breiten Konsens, dass Entwicklungshilfe, wie vom Begründer des politischen Realismus Hans Morgenthau in seinem 1962 erschienenen Artikel „A Political Theory of Foreign Aid" (Eine Politische Theorie der Auslandshilfe) dargelegt, interessengeleitet und inhärent politisch ist. Der französische Soziologe Marcel Mauss wiederum beschrieb in seinem gleichnamigen Essay „Die Gabe" (1923) Entwicklungshilfe als einen Teil einer Schenkökonomie, die im Unterschied zu Almosen historisch immer eine (verzögerte) Reziprozität implizierte – und dem Beschenkten somit Status zusprach.
Chinas Führung spricht offen aus, dass Entwicklungshilfe schon immer ein zentrales Instrument ihrer Diplomatie war. Das Weißbuch zu „Chinas Auslandshilfe" von 2011 legt dar, dass es Auslandshilfe war, die China half, „freundschaftliche Beziehungen und die Zusammenarbeit in Wirtschaft und Handel mit anderen Entwicklungsländern zu festigen".
Nach ihrer Gründung war die VR China international isoliert. Politisch wurde sie von den meisten westlichen Ländern nicht anerkannt, wirtschaftlich war sie mit einem durch die USA initiierten Embargo belegt. Letzteres hatte schwerwiegende ökonomische Folgen, denn auf die USA entfielen zwischen 1946 und 1948 über die Hälfte aller chinesischen Importe und 20-40 Prozent der chinesischen Exporte. Entwicklungshilfe wurde zum wichtigsten Instrument, um die internationale Isolation zu durchbrechen.
Zhou Enlai: Architekt der EZ-Politik Chinas
Ihr Architekt war Chinas erster Premierminister Zhou Enlai. 1955, bei der Konferenz der entkolonialisierten Ländern Asiens und Afrikas im indonesischen Bandung, gelang es Zhou, die anderen Delegierten davon zu überzeugen, dass China eine friedliche Politik verfolgte und keine Weltrevolution zu exportieren suchte. Stattdessen setzte sich Zhou für „gegenseitige Hilfe" der „rückständigen Nationen" ein und versprach, dass China im Rahmen seiner Möglichkeiten Industriemaschinen und Experten bereitstellen, Technologien austauschen und Experten trainieren würde.
Zhou Enlai nutzte in Bandung vor allem persönliche Gespräche mit anderen Delegierten, um Handelsvereinbarungen anzubahnen. Bei den später folgenden Gesprächen bot China den Verhandlungspartnern auch technische und wirtschaftliche Hilfe an. Zumeist wurde Chinas Hilfsangebot mit diplomatischer Anerkennung erwidert; umgekehrt wurde diplomatische Anerkennung mit Entwicklungshilfe belohnt.
Es ging Zhou jedoch nicht nur um diplomatische Anerkennung. Er glaubte, dass China langfristig von der wirtschaftlichen Entwicklung seiner Empfängerländer profitieren würde, welche durch mehr wirtschaftliche Unabhängigkeit auch politisch unabhängiger vom Westen würden. Auf einem Parteitag in 1956 erklärte er:
„China ist ein Land, das erst kürzlich befreit wurde. Unsere Wirtschaft ist noch sehr rückständig, und wir haben noch keine wirtschaftliche Unabhängigkeit erreicht. Daher ist auch unsere wirtschaftliche Stärke begrenzt, und unser vorwiegender Weg der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit anderen Ländern der Handel. Aber, wir haben verstanden, dass wirtschaftliche Unabhängigkeit die wesentliche Voraussetzung zur Erreichung politischer Unabhängigkeit darstellt. Während wir also unsere eigene Wirtschaft aufbauen, wollen wir im Rahmen unserer Möglichkeiten unsere begrenzten Kräfte dafür einsetzen, anderen Ländern bei ihrer wirtschaftlichen Entwicklung zu helfen."
Nach dem Desaster von Maos „Großem Sprung nach Vorne" und dem Bruch mit der Sowjetunion 1960 rückten die afrikanischen Staaten noch stärker in den Fokus von Zhous Politik. Ende 1963 brach er auf eine Tour zu zehn überwiegend afrikanischen Ländern auf (Ägypten, die Vereinigten Arabischen Emirate, Algerien, Marokko, Tunesien, Ghana, Mali, Sudan, Äthiopien und Somalia). Auf dieser Reise verkündete er am 16. Januar 1964 in Ghana die „Acht Prinzipien der chinesischen Auslandshilfe", deren Betonung des gegenseitigen Nutzens und des Respekts für nationale Souveränität die afrikanischen Staaten an die mit China geteilte Erfahrung des Kolonialismus erinnern und einen Kontrast zur Politik der USA und der Sowjetunion bilden sollte.
Hilfe mit schneller Wirkung
1964 machten chinesische Kredite 53 Prozent aller an afrikanische Staaten vergebenen Kredite aus, womit China mehr Entwicklungshilfekredite an Afrika gab, als die westlichen Staaten und die USA zusammen. Dieser Trend setzte sich auch während der von Mao im Mai 1966 initiierten Kulturrevolution fort, obwohl dies China im inneren politisch paralysierte und seiner Wirtschaft und Gesellschaft einen schweren Schaden zufügte. 1967 erklärte sich China bereit, die 2000 km lange Tansania-Sambia-Eisenbahn (TAZARA) zu bauen, die die Kupferminen in dem landumschlossenen Sambia durch Tansania mit dem Meer verbinden würde, nachdem die Weltbank und mehrere westliche Staaten diese als unrealisierbar abgelehnt hatten.
Der zeitgenössische Beobachter Peter Andrews Pool notierte 1966, dass die chinesische Entwicklungshilfe von den Empfängern positiv gesehen wurde: Kredite ohne oder mit sehr niedrigen Zinsen; kleine, unkomplizierte Leichtindustrieprojekte, die schnell operabel waren und dem Empfängerland zumindest einige schnelle und sichtbare Wirkungen brachten; und chinesische Techniker, die den Lebensstandard der Empfängerländer teilten. Letzteres steigerte für den deutschen Sinologen Wolfgang Bartke den Wert der chinesischen Projekte und bildete einen krassen Kontrast zu den extravaganten Lebensstilen westlicher Entwicklungshelfer. Selten wird erwähnt, dass der Lebensstandard in dem Empfängerländern oft um vieles besser war als in China.
Mit dem sowjetischen Einmarsch in die Tschechoslowakei 1968 und den geheimen Friedensverhandlungen der USA mit Vietnam änderte sich die globale geopolitische Lage. China bot dies ein Opportunitätsfenster, die Bemühungen um internationale Anerkennung zu verstärken. Zwischen 1969 und 1970 stieg Chinas Entwicklungshilfe um das 15fache an. Mit Erfolg: 1971 stimmte die UN-Generalversammlung für die Resolution Albaniens, die Volksrepublik China in die UN aufzunehmen und die Republik China auf Taiwan auszuschließen. Die entsprechenden Stimmen, heißt es, wurden durch die ständige Vertretung von Tansania organisiert.
Auch nach 1971 setzte sich der Anstieg der chinesischen Entwicklungshilfe fort, was darauf schließen lässt, dass die Entwicklungsländer für ihr Wahlverhalten in der UN „belohnt" wurden. 1973 gab China zwei Prozent seines BIP für Entwicklungshilfe aus. Es war nahezu das dreifache der 0,7 Prozent, auf die sich entwickelte Länder 1970 als langfristiges Ziel geeinigt hatten (heute geben sie im Durchschnitt 0,4 Prozent aus). China zählte zu diesem Zeitpunkt zu den zwanzig ärmsten Ländern der Welt.
Nach 1978 musste sich die neue Führung um Deng Xiaoping eingestehen, dass China sich übernommen hatte. Gleichwohl erklärte Deng Entwicklungshilfe zu einer strategisch notwendigen Ausgabe: „Wir haben anderen geholfen, und sie halfen uns. Dass wir heute diese Stellung in der Welt haben [i.e. VN-Sitz], ist untrennbar von der Unterstützung befreundeter Länder, vor allem in der Dritten Welt."
China, erklärte Deng, war auf Entwicklungshilfe angewiesen, um ein stabiles internationales Umfeld für die eigene Modernisierungspolitik zu schaffen. Es galt eine delikate Balance herzustellen zwischen diplomatischen und wirtschaftlichen Interessen. Zhou Enlais Beispiel folgend, reiste Chinas neuer Premierminister Zhao Ziyang zwischen Dezember 1982 bis Januar 1983 nach Afrika, um dort die „Vier Prinzipien der wirtschaftlichen und technischen Zusammenarbeit zwischen China und Afrika" vorzustellen. Diese rückten den gegenseitigen wirtschaftlichen Nutzen in den Fokus. China hoffte, dass kooperative Produktion und Joint Ventures zu einem Vehikel für Technologie- und Industrieexporte werden könnten.
Das Entwicklungshilfevolumen sank jedoch nicht wesentlich. 1984 war China der achtgrößte Geber in Sub-Sahara-Afrika. Erst Mitte der 1990er-Jahre gelang es China, die Entwicklungshilfe mit dem wirtschaftlichen Nutzen für eigene Unternehmen zu verbinden. Da führte China, dem Modell Japans folgend, konzessionierte Kredite ein. Japanische Entwicklungshilfe für China hatte vor allem aus niedrig verzinsten Krediten bestanden, die Importe von Industrietechnologie und Gütern aus Japan im Austausch für Exporte von chinesischem Rohöl und Kohle finanzierten. Rohstoffgedeckte Kredite wurden ab Mitte der 2000er-Jahre zum wichtigsten Modus der chinesischen Entwicklungshilfe in Afrika.
Der Westen sah in China einen neuen Akteur in Afrika, doch China war in Afrika konstant seit Mitte der 1950er-Jahren präsent. Man nahm China nach 1978 nur nicht mehr als Geber wahr.
Marina Rudyak
Die Autorin ist Sinologin und hat ihre Doktorarbeit zur Außenpolitik Chinas am Institut für China-Studien der Universität Heidelberg geschrieben. Von 2009-2013 war sie für die GIZ in Peking tätig.
https://www.zo.uni-heidelberg.de/sinologie/institute/staff/rudyak/