AUSSICHTEN FÜR EINEN ABGESTIMMTEN DIALOG?
Trotz Covid-19 führt Europa Gespräche mit seinen afrikanischen Partnern über eine neue gemeinsame Strategie, die auf dem 6. Gipfeltreffen im Oktober 2020 zwischen Afrikanischer und Europäischer Union in Brüssel verabschiedet werden soll. Diese Vorbereitungen Europas müssen eine kohärente Afrika-Politik in den Bereichen Sicherheit, Einwanderung und Klimawandel aufweisen, die über den Handel hinausgeht. Dies bietet zumindest die Gelegenheit für einen Dialog mit der Russischen Föderation, die sich ebenfalls wieder in Afrika engagiert. Der erste Russland-Afrika-Gipfel in Sotschi im Oktober 2019 fand unter dem gemeinsamen Vorsitz des russischen Präsidenten Wladimir Putin und des ägyptischen Präsidenten und AU-Vorsitzenden Abd al-Fattah as-Sisi statt. Er zog auch 43 Staats- und Regierungschefs und mehr als 6.000 Teilnehmer und Medienvertreter aus Russland und 104 anderen Ländern und Gebieten an.
Aus dem Gipfeltreffen in Sotschi ist das Russland-Afrika-Partnerschaftsforum hervorgegangen, das den zweiten Russland-Afrika-Gipfel im Jahr 2022 vorbereiten soll. Auf dem virtuellen G20-Gipfel, der Ende März stattfand, schlug Präsident Putin die Einrichtung eines Sonderfonds zur Unterstützung Afrikas vor und betonte die Notwendigkeit des Informationsaustauschs. Rund 30 afrikanische Länder hatten um russische Unterstützung zur Bekämpfung von Covid-19 gebeten. So haben bspw. in der Entwicklungsgemeinschaft des südlichen Afrika (SADC) die Komoren und Madagaskar Nahrungsmittellieferungen bekommen, während Südafrika Testkits erhielt. Allerdings werden die wirtschaftlichen Auswirkungen von Covid-19 wohl Moskaus Afrika-Ambitionen erheblich zurückwerfen. Dies wiederum wird zu einer stärkeren Konzentration auf Schlüsselländer wie Südafrika führen. Moskau ist Gastgeber des 12. BRICS-Gipfels (auch wenn er wegen Covid-19 verschoben wurde) und strebt eine vertiefte Verteidigungs- und Nuklearpartnerschaft mit Pretoria an, trotz des erheblichen Rückschlags nach dem Rücktritt von Jacob Zuma.
EU-Russland-Dialog
Die EU und Russland haben gemeinsame wirtschaftliche, politische und strategische Interessen, und eindeutig gibt es Bereiche von Sicherheitsinteressen, einschließlich maritimer Sicherheit und der Bekämpfung von gewaltsamem Extremismus, die sich überschneiden. Besonders ist das in Nordafrika (derzeit vor allem Libyen) und der Sahelzone der Fall sowie im Golf von Aden, im westlichen Indischen Ozean und an der ostafrikanischen Küste.
Das militärische Engagement Russlands in der Zentralafrikanischen Republik, in Libyen und in jüngster Zeit in Mali und Mosambik hat der EU und ihren Mitgliedstaaten gezeigt, wie wichtig es für sie ist, den Dialog mit Moskau fortzusetzen. Gleichzeitig erfordert ein solcher Dialog jedoch Transparenz und Vertrauen, um erfolgreich zu sein. Brüssel und Moskau fördern derzeit weiterhin rivalisierende Normen und Visionen. So setzt sich die EU beispielsweise für gute Regierungsführung und den Aufbau von Institutionen ein. Das wiederum kollidiert manchmal mit Russlands Strategie, keine Vorbedingungen zu stellen, die auf geopolitischen und merkantilistischen Interessen beruht.
Russische Aktionen in Afrika bedürfen der Offenlegung. Im Oktober 2019 stoppte Facebook die Beiträge im Zusammenhang mit Jewgeni Prigozhin, dem Geschäftsmann, der angeblich hinter Russlands Trollfabrik steht. Die Facebook-Einträge versuchten aktiv, die Innenpolitik einer Reihe afrikanischer Länder zu beeinflussen. Facebook sperrte drei Netzwerke „unechter" russischer Konten, die acht Länder des Kontinents zum Ziel hatten. In den letzten zwei Jahren waren die mit Russland verbundenen Organisationen durch ihre Aktivitäten auf sozialen Medien insbesondere bei den Wahlen in der DR Kongo, Mosambik und Madagaskar sichtbar. Sie scheinen sich auch auf die Wahlen in Tansania (Oktober 2020) und in Sambia (2021) vorzubereiten.
Die jüngste Erfahrung auf Facebook erinnert an die Grenzen der Zusammenarbeit zwischen Russland und der EU. Die Annexion der Krim und der Konflikt in der Ostukraine haben viele EU-Mitglieder zutiefst skeptisch gegenüber den russischen Absichten und der Möglichkeit eines konstruktiven Engagements mit Moskau gestimmt, insbesondere die NATO und die ostmitteleuropäischen Staaten der EU (vor allem die Visegrad-Gruppe).
Felder der Zusammenarbeit
Dennoch gibt es für Brüssel und Moskau Möglichkeiten, die Risiken einzudämmen und die Kosten jedweder Konfrontation zu reduzieren. Teilweise könnte dies erreicht werden, indem man nicht nur darauf abzielt, den afrikanischen Kontinent zu einem neuen Schauplatz für geopolitischen Wettbewerb und Experimente zu machen, sondern auch, indem man Informationen austauscht.
Es gibt Bereiche, in denen Russland die Transparenz erhöhen könnte, wie etwa die Offenlegung seiner Verteidigungstransfers in das Register der Vereinten Nationen für konventionelle Waffen. Es gibt auch Raum für die Zusammenarbeit mit den EU-Mitgliedstaaten im UN-Sicherheitsrat bei den Sanktionen gegen die Zentralafrikanische Republik, den Südsudan, Mali und Libyen sowie bei anderen Themen wie der Friedenssicherung in Mali, der DR Kongo und der Zentralafrikanischen Republik.
Die Hochschulbildung ist ein Bereich, in dem Russland expandieren will. Moskau nimmt für sich in Anspruch, eine halbe Million Afrikaner habe sich in Russland oder der ehemaligen Sowjetunion ausgebildet. Es gibt in diesem Bereich ein Potenzial für die Zusammenarbeit im öffentlichen Gesundheitswesen und in den Naturwissenschaften, wo EU-Hochschuleinrichtungen eine Qualitätsbeurteilung oder eine gemeinsame Ausbildung anbieten könnten. Die Unterstützung der Hochschulbildung von Afrikanern ist eine wachsende Priorität der EU. Im November 2017 nahm das Europäische Parlament einen Beschluss mit dem Titel „EU-Afrika-Strategie: Ein Impuls für die Entwicklung" an, in der die EU und die AU aufgefordert werden, den Austausch zwischen Studierenden, Lehrkräften, Geschäftsleuten und Forschenden zwischen den beiden Kontinenten zu fördern. Ferner begrüßt es den Vorschlag der Kommission, eine EU-Einrichtung für die berufliche Aus- und Weiterbildung sowie ein afrikanisches Jugendwerk einzurichten und damit den Anwendungsbereich des Erasmus-Plus-Programms zu erweitern. Darüber hinaus fordert das Parlament eine Diskussion über die Anerkennung der von afrikanischen Schulen und Universitäten ausgestellten Zeugnisse und Diplome durch die EU. Im Oktober 2019 veranstaltete die Europäische Kommission eine hochrangige Konferenz zum Thema „Investitionen in Menschen durch Investitionen in Hochschulbildung und Qualifikationen in Afrika". Das Interesse der EU an der Förderung der Hochschulbildung Afrikas könnte den Weg ebnen für eine trilaterale Zusammenarbeit mit russischen Hochschulanbietern zu Afrika.
Gemeinsame Projekte im Bereich der Infrastrukturentwicklung und öffentlich-privater Partnerschaften könnten eine Möglichkeit für Partnerschaften mit EU-Ländern in der Zukunft schaffen, aber das würde Vertrauen und Transparenz erfordern. Die in Kairo ansässige Afrikanische Export-Import-Bank (Afreximbank) ist ein gutes Beispiel für eine Institution, die von einer erhöhten russischen Finanzierung für afrikanische Infrastrukturinvestitionen profitiert. Projekte über die Afreximbank könnten die Förderungen zusammenführen. Nach Angaben der Afreximbank hat sich der Handel zwischen Afrika und Russland in den Jahren verdoppelt, seit sich die Bank mit dem Russischen Exportzentrum (REC) zusammengetan hat, um den Handel zwischen beiden Seiten zu fördern. Auf dem Gipfel in Sotschi verpflichteten sich die Afreximbank und das REC, das Handelsvolumen in den nächsten zwei Jahren erneut zu verdoppeln.
Die breitere Konfrontation zwischen Russland und der EU darf nicht dazu führen, dass der Dialog mit Russland über gemeinsame Interessen und Anliegen in Afrika eingestellt wird. Insbesondere Subsahara-Afrika könnte ein Gebiet sein, in dem die geopolitische Rivalität kein Nullsummenspiel sein muss, und Moskau und Brüssel könnten Nischenbereiche für eine Zusammenarbeit finden, entweder bilateral oder über den UN-Sicherheitsrat und andere zwischenstaatliche Gremien.
Wo es offensichtliche Widersprüche gibt, wie z.B. bei Interventionen von Trollen bei Wahlen oder robuste Sicherheitseinsätze, bei denen Rechte und Regierungsfragen ignoriert werden, müssen diese klar benannt werden. Beides könnte Russland kurzfristige politische Vorteile verschaffen, ist aber langfristig nicht tragfähig. Die Veränderungen in der politischen Führung im Sudan und in Algerien sind eine Erinnerung daran. Russland investierte stark in die langjährigen Führungspositionen von Abdelaziz Bouteflika (der 20 Jahre lang Präsident Algeriens war) und Omar al-Bashir (der 30 Jahre lang im Sudan amtierte). Beide wurden 2019 durch zivile Proteste abgesetzt, was dazu führte, dass Moskau neue Führungsbeziehungen aufbauen musste.
Im nächsten Jahrzehnt wird sich der geopolitische Wettbewerb in Afrika verschärfen, an dem zahlreiche regionale und externe Akteure beteiligt sein werden. Die afrikanischen Staaten und die AU tragen die Hauptverantwortung dafür, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen und wie sie sich international engagieren. Russland und die EU verstärken ihr Engagement und ihr Interesse an dem Kontinent. Wenn sie weiteren geopolitischen Spannungen entgehen wollen, wird die Bewältigung ihrer eigenen Rivalitäten und Visionen ebenso wichtig sein wie die Konsultation ihrer afrikanischen Partner zu ihren Strategien.
Alex Vines
Der Autor ist Direktor des Afrika-Programms des Chatham House in London und Assistenzprofessor an der Universität Coventry.
Sein Artikel geht zurück auf: EUREN Brief 15, Values vs Interests: EU and Russian competition in Africa, January 2020, http://eu-russia-expertnetwork.eu/en/analytics/euren-brief-15