IN DEN KOMMENDEN JAHRZEHNTEN WILL INDIEN EINEN ERHEBLICHEN TEIL DER FÜR SEINE ENTWICKLUNG NOTWENDIGEN ENERGIEN UND RESSOURCEN AUS AFRIKA BEZIEHEN und diese zunehmend mit dem Absatz seiner Produkte für den wachsenden afrikanischen Mittelstand bezahlen. Dabei kommt Indien beim Kampf um afrikanische Ressourcen, Marktanteile und politische Sympathien seine „Soft Power" in Afrika zugute. Indien möchte sich auch Afrikas „China-Müdigkeit" zunutze machen, da Pekings Auftreten auf dem Kontinent zunehmend als zu massiv empfunden wird.
Zentrale Triebkräfte der indischen Außenpolitik sind der dringende Wunsch, die ökonomische und militärische Umarmung durch China abzuschütteln und in Asien und auf der Weltbühne eine der Bevölkerungsgröße Indiens wirtschaftlich und politisch adäquate Rolle zu spielen. 2025 soll Indien China in Bezug auf den Bevölkerungsreichtum überholen und dann ca. 1,6 Milliarden Menschen beherbergen. Gegenwärtig leben in Indien 1,38 Mrd., in China 1,4 Mrd. Menschen. Aber im Wettlauf um Industrialisierung, Handel, Infrastruktur, Durchschnittseinkommen, militärische Stärke, Raumfahrt und vor allem um globalen Einfluss und politische Relevanz liegt Indien gegenüber China weit zurück.
Uralte Beziehungen
Die Geschichte der indisch-afrikanischen Beziehungen reicht bis in die Pharaonen- und Römerzeit zurück, als zwischen Ägypten und der Malabarküste (Indiens Westküste) Handel hauptsächlich mit Gewürzen betrieben wurde. Ab dem 17. Jhd. arbeiteten indische Sklaven für holländische Kolonialherren am Kap der Guten Hoffnung und äthiopische Krieger dienten als Soldaten beim Nizam, dem islamischen Herrscher des Fürstenstaats Hyderabad. Die Siddis, Nachfahren afrikanischer Krieger in den Diensten der Herrscher von Gujarat, leben seit 400 Jahren im Westen dieses Bundesstaates. Zwischen achtzig und hunderttausend indische Menschen wurden Mitte bis Ende des 19. Jahrhunderts mit Hilfe von Zwangsarbeitsverträgen oder aufgrund der sich bietenden Chancen nach Ost- und Südafrika gelockt, um Eisenbahntrassen zu verlegen (32.000 kamen alleine nach Kenia zum Bau der Kampala-Mombasa-Eisenbahn) oder um in den Minen Südafrikas oder in der Landwirtschaft der anderen ostafrikanischen Kolonien zu arbeiten, auch im ehemaligen Deutsch-Ostafrika. Die Briten setzten besser gebildete indische Migranten als Verwalter, Buchhalter, Organisatoren der einheimischen Bevölkerung vor. Die Verwaltungsarbeit des britischen Kolonialreichs in Ost- und zum Teil auch in Südafrika lag weitgehend in ihren Händen. Sie begannen Handel zu treiben und setzten sich bald in ihren Lebensverhältnissen deutlich von der afrikanischen Bevölkerung ab.
Als sich Afrika in den 1960er- bis 1980er-Jahren von den Kolonialregimen befreite, blieb ein großer Teil der indischen Bevölkerung im Land, viele nahmen die jeweiligen Staatsangehörigkeiten und Pässe an, andere wanderten nach Großbritannien oder Australien aus. Jawaharlal Nehru und seine Tochter Indira Gandhi, Indiens prägende Premierminister nach der Befreiung Indiens von Großbritannien (15.8.1947), hatten Indien zur Führung der Bewegung der Blockfreien Staaten während des Kalten Krieges verholfen, beginnend mit der berühmten Bandung-Konferenz 1955 in Indonesien. Indien unterstützte die afrikanischen Befreiungsbewegungen sowie die Anti-Apartheitbewegung diplomatisch, durch militärische Ausbildung, Sorge für die Opfer und Waffenlieferungen. Aber erst 1986 wurde ein Fonds dafür gegründet (AFRICA, Action For Resisting Invasion, Colonialism and Apartheid), der private und öffentliche Gelder für die Befreiung sammelte.
Fehlende Assimilation und Indophobie
Nach der kolonialen Befreiung wiesen Nehru und Gandhi den Wunsch der indisch-stämmigen Menschen in Afrika nach doppelten Staatsangehörigkeiten und damit Rückkehrmöglichkeiten nach Indien zurück und empfahlen ihnen, sich als Bürgerinnen und Bürger in die neuen Länder zu integrieren. „Indophobie" gab es schon während der Kolonialzeit, aber auch nach der Befreiung gerieten indische Menschen immer wieder zwischen die politischen Fronten. Die indischen Immigranten haben sich nie in den afrikanischen Gesellschaften assimiliert, sondern blieben auf ihre kulturelle Besonderheit bedacht. Ihre Dominanz in der Geschäftswelt und der daraus erwachsene Wohlstand sorgten für anhaltenden Argwohn der afrikanischen Bevölkerungen gegenüber der indischen Minderheit, der sich gelegentlich in Ausschreitungen entlud.
Marie-Aude Fouréré zeigt in ihrer historisch-anthropologischen Studie vom März 2017 für Tansania, wie über lange Zeiträume lokale Eliten das Zusammenleben von indischen und afrikanischen Menschen auch mittels der Zuschreibung von Stereotypen kontrolliert haben.
„Indians are exploiters, Africans are idlers", HAL Archive, https://halshs.archives-ouvertes.fr/halshs-01493027
1949 haben Zulus in Durban, Südafrika, ein Massaker mit 147 Toten unter der indischen Bevölkerung angerichtet, Frauen und Kinder vergewaltigt und Geschäfte zerstört. Auch 1985 flammten diese indophoben Unruhen wieder auf. Beim Staatsstreich gegen den kenianischen Präsidenten Arap Moi 1982 wurden indische Geschäfte geplündert und Inderinnen vergewaltigt. Am bekanntesten ist die ethnische Säuberung Ugandas durch Präsident Idi Amin 10 Jahre zuvor. 80.000 indischstämmige Menschen mussten das Land verlassen, 26.000 davon migrierten nach Großbritannien, Uganda wurde seiner Unternehmerschicht weitgehend beraubt.
Seit einigen Jahren gibt es Kritik an der Haltung Mahatma Gandhis zur schwarzen Bevölkerung Afrikas. Wohl hat er sich während seiner 21 Jahre in Südafrika verschiedentlich abfällig über die „Eingeborenen" geäußert, sein Kampf mit der südafrikanischen Kolonialverwaltung um die Gleichheit der indischen Minderheit vor dem Gesetz schloss die schwarze Mehrheit nicht mit ein. Dennoch hat sein gewaltloser Kampf gegen die koloniale Unterdrückung auf viele, die für die Befreiung Afrikas kämpften, inspirierend gewirkt.
Mit Entrüstung werden vor allem in Nigeria, aber auch anderen afrikanischen Ländern, die seit 2016 auftretenden rassistischen Ausschreitungen gegen studierende Landsleute in New Delhi und anderen indischen Städten wahrgenommen. Diese werden beschuldigt, Drogen zu verkaufen oder sich zu prostituieren, es kommt immer wieder zu Todesfällen. Laut BBC vom April 2017 haben afrikanische Botschaften in Delhi einen Protestbrief an die Regierung geschrieben, die fremdenfeindlichen und rassistischen Ausschreitungen verurteilt sowie eine Untersuchung durch die Menschenrechtskommission verlangt. Konsequenzen sind nicht gezogen worden.
Indiens Afrikapolitik
Die Spannungen zwischen China und Indien haben sich zuletzt besorgniserregend verschärft, seit Mitte Juni 2020 bei Auseinandersetzungen von Militärs in der Region Galwan und Pangong Lake entlang der Kontrolllinie zwischen beiden Ländern im nordöstlichen Ladak 20 indische Soldaten getötet wurden. Indien empfindet die chinesischen Investitionen zum Aufbau einer neuen Seidenstraße, die „Belt and Road Initiative", als bedrohliche wirtschaftliche Umklammerung ebenso wie die sogenannte „Perlenkette", eine Kette von Häfen, die sich von Malaysia über Burma, Sri Lanka, Malediven und Pakistan erstreckt und droht, den Indischen Ozean zu einem Chinesischen Ozean zu machen. Diese Konkurrenz bezieht sich auch auf Afrika als Einflussgebiet, als Kontinent mit begehrten Ressourcen, günstigen landwirtschaftlichen Anbauflächen und Märkten mit zunehmender Nachfrage, auch nach Gütern und Dienstleistungen aus Indien.
Schon heute bezieht Indien aus Nigeria, Angola und Sudan ca. 25 Prozent seines gesamten Rohölbedarfs, sowie Gas aus Ägypten. 2017 machten die afrikanischen Energielieferungen 60 Prozent der afrikanischen Exporte nach Indien aus. Seit dem neuen Jahrtausend haben eine ganze Reihe afrikanischer Staaten jährliche Wachstumsraten von über fünf Prozent erreicht. Das kontinentale Bruttoinlandsprodukt beträgt gegenwärtig ca. zwei Billionen US-Dollar pro Jahr und die Bevölkerungszahl ist auf ca. eine Milliarde Menschen angewachsen. Afrika wird seither in Indien als Schlüsselpartner betrachtet. Die indische Wirtschaft sieht die Möglichkeit, erheblich am jährlichen afrikanischen Mittelschichtkonsum von ca. 1,4 Billionen US-Dollar zu verdienen. Auf all diese Fakten weist die indische Exim-Bank aus Mumbai, Indiens halbstaatliche Exportförderbank, hin. Sie wickelt die private und staatliche kreditbasierte Süd-Südkooperation mit Afrika ab und hat dabei besonders den indischen Export nach Afrika und die Förderung indischer Vorhaben in Afrika im Blick.
Die Bank unterhält mit Stand Mai 2019 177 Kreditrahmen in afrikanischen Ländern in Höhe von 9,7 Mrd. US-Dollar für Projekte, die vom Eisenbahn- und Industrieanlagenbau über IT Parks, Bewässerung und Landwirtschaft, Energie und ländliche Elektrifizierung reichen, wie man der Website der Exim-Bank entnehmen kann. Die Exim-Bank unterhält Zweigstellen in Abidjan, Addis Abeba und Johannesburg.
Exim-Bankkredite für Afrika 2010 bis 2019 | ||
Region | Kreditsumme (in Mio. USD) | Anteil |
Ostafrika | 3.325,34 | 38 % |
Südliches Afrika | 2.294,42 | 26 % |
Westafrika | 1.551,28 | 18 % |
Zentralafrika | 852,04 | 10 % |
Ecowas Bank for Investment and Development (EBID) | 650 | 7 % |
Gesamt | 8.673,08 | 100 % |
Quelle: Policy Center for the New South, PB 19/34 |
Indisch-Afrikanische Gipfeltreffen
Indien will mit China in Afrika auf zwei Weisen konkurrieren. Gleichzeitig mit den eigenen Interessen möchte man das Kompetenzlevel aller afrikanischen Partner fördern. Und mit der Hilfe der wirtschaftlich und politisch gut integrierten indischen Diaspora in Afrika möchte Indien seinen eigenen Kurs in Afrika zwischen China, den USA und den Europäern entwickeln. Zur Stärkung der Beziehungen will die Regierung Modi 18 neue diplomatische Vertretungen in Afrika einrichten, sechs davon gibt es bereits.
Bereits 2005 wurden zwischen Indien und der Afrikanischen Union alle drei Jahre Treffen auf der Ebene der Staatschefs vereinbart. Bisher fanden drei solcher Treffen statt, das nächste ist für September 2020 angesetzt, falls es nicht wegen der Corona-Krise verschoben wird. Beim letzten Treffen in New Delhi (2015) sagte Narendra Modi, Premierminister Indiens von der national konservativen Indischen Volkspartei, Afrika 500 Millionen US-Dollar an Zuschüssen zu, legte einen Entwicklungsfonds in Höhe von 100 Mio. US-Dollar auf und eröffnete einen Kreditrahmen in Höhe von 10 Mrd. US-Dollar. Mit einer Exportkreditabsicherung (88,89 Mio. US-Dollar im Zeitraum 2015-2016) ähnlich der Hermes-Kreditversicherung in Deutschland soll die Scheu indischer Investoren vor unternehmerischen Risiken in Afrika abgemildert werden.
Als Teil des bereits 1964 eingerichteten Regierungsprogramms „Indian Technical and Economic Cooperation" (ITEC) sollten ferner 50.000 afrikanische Studenten bis 2025 eine Ausbildung an indischen Lehranstalten, Universitäten oder auch Militärhochschulen erhalten. 30.000 haben dieses Ziel bereits erreicht, schreibt Indiens Ministerium für Auswärtiges, das für die Süd-Südkooperation zuständig ist. Christian Wagner von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin ist der Ansicht, dass dieses Programm vermutlich dazu beigetragen hat, Indiens Position als Wortführer der Entwicklungsländer über die Jahre zu stärken (SWP 11, 2019). Bis heute haben sich weit über 50.000 Führungspersonen aus Politik, Wirtschaft und Verwaltung zu Aus- und Weiterbildungszwecken in Indien aufgehalten, darunter 13 ehemalige oder amtierende Präsidenten und sechs Armeechefs.
Indien beteiligte sich an der 1998/2005 vereinbarten HIPC-Initiative der G7/8 zum Schuldenerlass für die ärmsten und am höchsten verschuldeten Länder in den Nullerjahren. Es erließ Mosambik, Tansania, Gambia, Guyana, Nicaragua, Ghana und Uganda insgesamt 20 Mio. US-Dollar. Auch jetzt während der Corona-Krise beteiligt sich Indien am Schuldenmoratorium der G20-Länder, in dessen Rahmen alle Schuldendienste für 2019 gestundet und auf Ende 2020 verschoben werden.
Indiens Afrikaprioritäten
Während seiner Afrikareise nach Südafrika, Ruanda und Uganda 2018 sprach Premierminister Modi vor dem Parlament in Kampala. Er verkündete dort Indiens 10 Grundsätze und Felder für seine künftige Kooperation mit Afrika. Dabei versicherte er, dass die Länder Afrikas in der indischen Politik künftig an vorderster Stelle stehen werden und bei der konkreten Zusammenarbeit die afrikanischen Prioritäten zum Zuge kommen. Er will die indischen Märkte für afrikanische Produkte attraktiv machen und die indische Industrie bei Investitionen in Afrika unterstützen. Indien will seine digitale Kompetenz zur Unterstützung der digitalen Revolution in Afrika nutzen, staatliche Dienstleistungen, Bildung und Gesundheit sowie die digitale Alphabetisierung fördern, die Teilhabe aller Schichten und Geschlechter an Finanzdienstleistungen ermöglichen und dabei helfen, marginalisierten Gruppen einen Zugang zur Mittelschicht zu verschaffen. Indien will zudem die afrikanische Landwirtschaft verbessern und als Partner gemeinsam mit Afrika globale Herausforderungen wie den Klimawandel, den Terrorismus und die Sicherheit des Cyberspace bestehen helfen sowie die Ozeane für alle Staaten offenhalten. Indien will vermeiden, dass Afrika erneut wie zur Kolonialzeit zum Spielball internationaler Rivalitäten wird. Gemeinsam mit Afrika will man multilaterale Institutionen wie die UN oder die Weltbank und den IWF so reformieren, dass sie künftig demokratischer und repräsentativer handeln.
Diese Liste von Kooperationsfeldern betont die indischen Stärken, z.B. im Bereich des Digitalen und der Bildung, und seine Interessen z. B. in der Landwirtschaft, der Sicherheit und der Anti-Terrorzusammenarbeit. Die Modi-Regierung will Afrika darin unterstützen, nicht zum Spielball chinesischer Politik zu werden, was in vielen afrikanischen Hauptstädten aufgrund des auf Schulden basierenden Entwicklungsmodells Chinas sicherlich auf Interesse stößt. Zwar bietet Indien Partnerschaft auf Augenhöhe, aber zugleich betont es auch seinen Führungsanspruch etwa bei den Bemühungen um die Reform des Multilateralismus und seiner globalen Institutionen und hofft auf die Unterstützung Afrikas bei der Forderung nach einem festen Sitz Indiens im UN-Sicherheitsrat. Realistischerweise hat Modi jeden Anklang von Rivalität mit China in diesen Kooperationsfeldern vermieden. Die Botschaft lautet: Indien sucht seinen ganz eigenen Weg in Afrika.
Handel und Investitionen
Bei größeren Schwankungen ist Indiens bilateraler Handel mit afrikanischen Staaten seit 2001 um durchschnittlich 14,2 Prozent pro Jahr gestiegen. Indien avancierte damit zum drittgrößten Handelspartner Afrikas. Als Anteil des Gesamthandelsvolumens Indiens ist der Handel mit Afrika in den letzten 20 Jahren nur von 7,6 auf 8 Prozent angewachsen, anders als bei den afrikanischen Staaten, für die er von 2,7 auf 6,4 Prozent anstieg, wie aus einer Analyse der „African Export-Import Bank" in Kairo und der „Export-Import Bank of India" in Mumbai von 2018 hervorgeht. Der Handel Afrikas mit China ist mehr als dreimal so groß (zum Vergleich: 2018 belief sich der Chinesisch-afrikanische Handel auf 185 Mrd. US-Dollar). Die erwähnten staatlichen und zwischenstaatlichen Handelsbanken hoffen, dass sich der afrikanisch-indische Handel bis 2021 auf 117 Mrd. US-Dollar ausweitet. Premier Modis „Make in India"-Exportoffensive hängt zu einem Teil vom erfolgreichen Anzapfen der Kaufkraft der neuen afrikanischen Mittelschicht ab.
Neben Südafrika und Nigeria, die mehr als 60 Prozent der indischen Exporte erhalten und 45 Prozent der indischen Importe aus Afrika ausmachen, sind Ägypten, Kenia, Angola und Tansania wichtige Handelspartner Indiens.
Die Ausländischen Direktinvestitionen (ADI) bieten ein unausgeglichenes Bild, insofern als die ADI afrikanischer Länder in Indien etwa vier Mal so hoch sind wie umgekehrt. 2014 haben indische Firmen gut 15 Mrd. US-Dollar in Afrika investiert, afrikanische Investoren investierten in Indien gut 73 Mrd. US-Dollar, knapp ein Viertel der ADI in Indien überhaupt. Diese Mittel fließen zum größten Teil über das Steuerparadies Mauritius in den indischen Markt, schreiben die Exportbanken. Stellt man die vom Center for Global Integrity in Washington ausgewiesene Kapitalflucht der Länder südlich der Sahara (alleine durch überhöhte Rechnungsstellung, andere Formen der Kapitalflucht nicht mitgerechnet) in die Entwicklungsländer Asiens in Rechnung, erklärt sich der hohe Mittelzufluss nach Indien zumindest teilweise. Kumulativ auf 2014-2018 gesehen betrugen die Auslandsdirektinvestitionen Indiens in Nigeria, Südafrika und einigen nordafrikanischen Ländern zur Sicherung des Energiebedarfs dennoch 54 Mrd. US-Dollar. Damit stieg Indien zum viertgrößten Investor in Afrika auf.
Landgrabbing
Indien gehört zu den großen „Landgrabbern" unter den BRICS-Ländern in Afrika, um die Ernährungssicherung Indiens zu verbessern. Es will für 15-20 Jahre zwei Millionen Tonnen Getreide und fünf Millionen Tonnen Lebensmittelöle pro Jahr u.a. in Afrika produzieren und hatte zu diesem Zweck bereits 2015 eine Zusammenarbeit von Regierung und Privatsektor auf den Weg gebracht sowie u.a. bilaterale Investitionsschutzabkommen mit 13 Ländern in Afrika ausgehandelt. Der größte Teil dieser Landkäufe fand, begleitet von Protesten der Bevölkerung, in Äthiopien statt, 2013 waren es bereits 600.000 ha. Es gibt wohl kaum Fälle, bei denen die Landübertragungen ohne die Vertreibung der angestammten Landbevölkerung vonstatten gehen. Die indische Firma Karuturi hatte 100.000 ha in Äthiopien gekauft, das Land wurde aber nach langanhaltenden starken Protesten der Bevölkerung nationalisiert. Seither verlangt Karuturi Schadensersatz von der äthiopischen Regierung.
Insgesamt wird noch auf absehbare Zeit hin Indiens Austausch von Waren und Kapital mit Afrika weit hinter seinem Handel mit den Regionen Mittlerer Osten oder Südostasien zurückstehen, mit Ausnahme des Energiebereichs.
Indiens Sicherheitspolitik
Vier Themenbereiche bestimmen die indische Sicherheitspolitik mit Blick auf Afrika. Eine wesentliche Triebkraft ist auch hier die Rivalität mit China, allerdings auch das Sicherheitsinteresse der Handelsschifffahrt vor Piraterie und die Sicherheit indischer Seeleute.
- Indische Blauhelme: Seit Jahren ist Indien einer der größten Truppensteller für die Blauhelm-Bataillone der Vereinten Nationen, bis dato ca. 8000 (SWP 11, 2019). Auch weibliche Polizeikräfte hat Indien im Rahmen von Friedensmissionen entsandt. 80 Prozent der indischen Blauhelme sind in Afrika stationiert, auf den Kontinent entfallen auch 70 Prozent der indischen Blauhelm-Opfer. Indien ist jedoch weiterhin bereit, Blauhelm-Verantwortung im Rahmen der Vereinten Nationen zu übernehmen. In letzter Zeit mehren sich jedoch kritische Stimmen in Indien, die angesichts der anwachsenden Zahl westlicher und chinesischer Blauhelme und dem geringen Einfluss Indiens auf die UN-Blauhelmpolitik die Höhe des indischen Blauhelmengagements infrage stellen.
- Anti-Piraterie und Anti-Terrorkampf: Indien ist Mitglied der internationalen Kontaktgruppe zu Somalia. Von 2008 bis 2013 haben indische Kriegsschiffe knapp 1200 eigene und fremde Handelsschiffe bei Anti-Piraterie-Patrouillen in somalischen Gewässern begleitet, 2018 auch eines des Welternährungsprogramms und der Operation Atalanta der EU. Sie haben dabei 13 Piratenangriffe abgewehrt. Sicherheit und Anti-Terrorkampf gehören zu den zehn Hauptkooperationsbereichen der künftigen indisch-afrikanischen Zusammenarbeit, die Premier Modi 2018 in Uganda verkündete. Mit Mosambik, Tansania, den Seychellen und Nigeria hat Indien bereits bilaterale Sicherheitsabkommen geschlossen. Von Entführungen und Terroranschlägen sind immer wieder indische Bürger oder die indische Diaspora betroffen, weshalb der Sicherheitsdialog und die Zusammenarbeit der Geheimdienste nun verstärkt und qualifiziert werden soll. Ein 2018 mit den Seychellen geschlossenes Abkommen soll die Basis für die Errichtung einer indischen Marine- und Luftwaffenbasis bilden. Das Parlament der Seychellen hat allerdings noch nicht zugestimmt.
- Militärische Ausbildung: Zwischen 1990 und 2000 wurden ca. 800 Marineoffiziere aus 12 afrikanischen Staaten ausgebildet, indische Armeeausbilder unterstützen Botswana, Sambia und die Seychellen bei der Offiziersausbildung.
- Rüstungskooperation: Reges indisches Interesse besteht am Rüstungsgüterverkauf. Hier trifft Indien aber auf die besonders harte Qualitäts- und Preiskonkurrenz der chinesischen Waffenexporte.
Indiens Hoffnung für gute Beziehungen mit Afrika ist seine „Softpower": Dabei handelt es sich hauptsächlich um ca. drei Millionen überwiegend wohlhabender und einflussreicher indischstämmiger Menschen, die in Politik und Wirtschaft einen wichtigen Beitrag in ihren Ländern leisten.
Peter Lanzet
Der Autor, 1980/81 Geschäftsführer der issa, gestaltete 17 Jahre lang das Südasienprogramm von Brot für die Welt mit und baute danach die Fachstelle Entwicklungsfinanzierung und Entschuldung von BfdW auf. Heute arbeitet er ehrenamtlich im Lenkungskreis der deutschen Entschuldungsinitiative „erlassjahr.de".