Heft 4/2020, afrika süd-dossier: Afrika-Asien

MaChina in Lesotho

FÜR DIE EINEN EIN SEGEN, FÜR DIE ANDEREN EIN ÄRGERNIS

Maliretso Sehale kann die Freudentränen kaum zurückhalten. Die Chieftainess der Gegend von Tsoelike in den Bergen Lesothos ist überglücklich, dass nun endlich die so dringend benötigte Straße in die Provinzstadt Qacha's Nek gebaut wird. Bei der feierlichen Zeremonie anlässlich der Unterzeichnung des Vertrages zwischen der Regierung Lesothos und einer chinesischen Baufirma berichtet sie, womit die Menschen in dieser Gegend bisher zu kämpfen haben. Der Zustand der vorhandenen Straße sei so schlecht, dass sie während der Regenzeit zeitweilig unpassierbar sei und Verbrecher leicht entkommen könnten, da die Polizei nicht schnell genug vor Ort einträfe. Darüber hinaus sei der Sehlabathebe National Park, Lesothos einziges Weltkulturerbe, für Touristen schwer erreichbar. Finanziert wird der Bau über einen Kredit der chinesischen Regierung in Höhe von 128 Millionen US-Dollar, 30 Prozent der Bauaufträge sollen an lokale Unternehmen vergeben werden und während der 36-monatigen Bauzeit sollen etwa 500 Menschen dort Arbeit finden.

Das Projekt wird jedoch nicht von allen begrüßt. Der Verband lesothischer Bauunternehmer beschuldigte die Regierung der Intransparenz im Zusammenhang mit dem Ausschreibungsverfahren. Offensichtlich würden chinesische Firmen lokalen Bauunternehmen vorgezogen. Außerdem sei die Regierung fahrlässig vorgegangen. Das betreffende Unternehmen stehe bereits seit 2011 auf der schwarzen Liste der Weltbank wegen Korruption und Betrug, was auch von der „South China Morning Post" bestätigt worden sei. Das zuständige Ministerium blieb jedoch bei seiner Entscheidung. Zum einen sei das Unternehmen bereit, die Anschubfinanzierung zu leisten. Zum anderen habe man mit manchen einheimischen Unternehmen keine gute Erfahrung gemacht hinsichtlich der Qualität ihrer Arbeit.

Die Unterstützung Chinas für Infrastrukturvorhaben in Lesotho geht weit über den Straßenbau hinaus. Bereits fertiggestellt wurden u.a. ein Kongresszentrum, das Parlamentsgebäude, die Staatsbibliothek, die Residenz des Premierministers, ein Industriepark und eine Mittelschule. Geplant bzw. im Bau befindlich sind eine Feuerwache, eine Abfallbeseitigungsanlage, ein zentrales Lager für landwirtschaftliche Produkte und eine Klinik mit Augenklinik im Distrikt Maseru. Von chinesischer Seite heißt es, es gehe China nicht darum, Lesotho durch Überschüttung mit finanzieller Hilfe zu kolonisieren, wie gelegentlich unterstellt werde. Bei den meisten Interventionen handle es sich um Zuschüsse, nicht um Kredite. Man dränge sich nicht auf, sondern reagiere auf Anfragen und halte sich strikt an den Grundsatz der Nicht-Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Partnerländer. Dies beziehe sich auch auf den Entwicklungsweg, für den das Land sich entscheide.

Auch auf einem klassischen Gebiet der Entwicklungszusammenarbeit ist China aktiv: Ausbildung und Fortbildung. Basotho studieren in China – z.B. Medizin – und nehmen an Fortbildungskursen teil – z.B. in den Bereichen Landwirtschaft, Technologie, Finanzmanagement und Tourismus. Zweifel am bisherigen Auswahlverfahren für diese Kurse äußerte Ende 2019 der damalige Minister für Entwicklungsplanung Tlohelang Aumane. Es mache wenig Sinn, wenn Teilnehmende aus China zurückkämen und dann von der Regierung erwarten würden, erst mal die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass sie das erworbene Wissen in die Praxis umsetzen könnten. Man werde in Zukunft darauf achten, vor allem Personen auszuwählen, die bereits in ihrem Geschäftsfeld aktiv sind und bei denen es nur um die Aneignung zusätzlicher Kenntnisse gehe.

Geschäft ist Geschäft
Wie nicht anders zu erwarten, bedienen sich auch chinesische Geschäftsleute der Patronage, um ihre Ziele zu erreichen. Im Zentrum der Aufmerksamkeit und Kritik steht seit Jahren der inzwischen eingebürgerte Unternehmer Yan Xie, genannt „John", der sich einmal damit brüstete, „fast jeden Politiker" in Lesotho „gefördert" zu haben. Es ist kein Geheimnis, dass er dem ehemaligen Premierminister Tom Thabane nahestand. Thabane habe „seine Seele an die Chinesen verkauft", beklagte ein Kolumnist in „the Post". 2017 habe er in einem Haus von Yan Xie gewohnt, bevor seine Residenz bezugsfertig gewesen sei, und dann habe er sich von ihm den Wahlkampf der All Basotho Convention (ABC) finanzieren lassen.

Zu massiven Protesten von Bauern kam es im Frühjahr 2018, als eine neue Verordnung über die Vermarktung von Wolle und Mohair in Kraft trat. Statt über ein südafrikanisches Unternehmen, mit dem die Bauern zufrieden gewesen waren, sollte nun ausschließlich über ein neugegründetes Zentrum in Lesotho vermarktet werden, an dem der Chinese Stone Shi Mehrheitsanteileigner ist. Die Bauern befürchteten, von der Regierung und „ihrem chinesischen Freund" abgezockt zu werden. Die Proteste hatten Erfolg: Die Bauern können nun wieder frei wählen, wie sie ihre Produkte vermarkten.

Im jüngsten Bauskandal, der Ende 2019 Schlagzeilen machte, geht es um Betrug in Millionenhöhe. Yan Xie wird zur Last gelegt, einheimische Firmen als Front benutzt zu haben, um an einen lukrativen Auftrag zu gelangen. Mit Hilfe eines komplexen Firmengeflechts sei es ihm dann gelungen, die lokalen Firmen um ihnen zustehende Einnahmen zu betrügen. Der Fall ist inzwischen vor Gericht.

Auch einzelnen Ministern wird vorgeworfen, von Chinesen kontrolliert zu werden. Der ehemalige Minister für Kleinunternehmen, Kooperativen und Marketing Chalane Phori wehrte sich dagegen. „Schon bevor ich Minister wurde, war ich in China und habe Chinesen eingeladen, in Lesotho zu investieren. Chinesen sind Menschen wie wir. Sie haben die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt und sind doch bereit, in unserem Land zu leben. Ich kann nicht begreifen, wie man etwas gegen sie haben kann. Die selben Leute, die im Parlament gegen die Chinesen rumpoltern, vergessen, dass es von Chinesen gebaut wurde."

Einig ist man sich in Lesotho darin, dass Kleinunternehmen Basotho vorbehalten sein sollen. Seit Jahren lässt sich beobachten, dass Chinesen nicht nur Supermärkte betreiben – selbst in entlegenen Gebieten –, sondern auch Getränkeläden, Kfz-Werkstätten, Tankstellen, Eisenwaren- und Möbelgeschäfte und neuerdings sogar Apotheken. Das zuständige Ministerium unterstützt den grundsätzlichen Vorbehalt, weist jedoch darauf hin, dass es nicht so leicht sei festzustellen, wie viele Unternehmen tatsächlich in einheimischer Hand seien, da korrupte Basotho ihre Lizenzen „ ausländischen Geschäftsleuten asiatischer Herkunft" zur Verfügung stellen würden. Demgegenüber weist ein ABC-Abgeordneter die Behauptung zurück, Chinesen würden langsam Basotho-Kleinunternehmer vertreiben. Anstatt sich über eine „neue Form des Imperialismus" zu beklagen, sollten Basotho Selbstkritik üben. Sie würden nur reden und nicht produzieren. Keiner würde wirklich produktiv arbeiten und außerdem könnten sie sich an der Arbeitsmoral der Chinesen ein Beispiel nehmen.

Wrangler's und Levi's Jeans aus Lesotho
In der Bevölkerung weitgehend akzeptiert sind die chinesischen Unternehmen, die seit mehreren Jahrzehnten im Textil- und Bekleidungssektor aktiv sind. Sie produzieren für den Export, vor allem in die USA, begünstigt durch das 2004 geschlossene AGOA (African Growth and Opportunity Act)-Abkommen, das neben anderen afrikanischen Ländern auch Lesotho zollfreie Einfuhren in die USA ermöglicht. In den vergangenen Jahren erwirtschafteten sie etwa 20 Prozent des BIP und boten ca. 40000 Menschen – überwiegend Frauen – relativ sichere Arbeitsplätze. Die Zukunft dieser Arbeitsplätze hängt jedoch von der jeweiligen Verlängerung des AGOA-Abkommens ab. Nach längeren Verhandlungen ist es nun bis 2025 gesichert.

Die Tatsache, dass die meisten dieser Unternehmen aus Taiwan kommen und nicht aus der Volksrepublik China, ist für Basotho unerheblich. Für sie sind alle Chinesen „MaChina". Anders sieht es jedoch auf der Ebene der großen Politik aus. Als Lesotho Schulden für mehrere Bauprojekte erlassen wurden, geschah dies von chinesischer Seite mit der Begründung, man bringe damit die Dankbarkeit dafür zum Ausdruck, dass Lesotho beharrlich die „Ein-China-Politik" der chinesischen Regierung vertreten und Taiwan nicht als separaten Staat anerkannt habe.

Zu einem Problem für Chinesen wird zunehmend die prekäre Sicherheitslage. Im August 2019 gingen Manager von zwei Textilunternehmen an die Öffentlichkeit, nachdem sie mehrfach überfallen worden waren. Sie kündigten an, ihre Investitionen in andere afrikanische Länder zu verlagern, da die Polizei offensichtlich nicht in der Lage sei, ihre persönliche Sicherheit zu gewährleisten. Länder wie Tansania und Mosambik böten besseren Schutz vor Gewaltverbrechen und darüber hinaus auch noch den Vorteil, billiger zu sein und über Häfen zu verfügen, die den Export erleichtern würden. Sollten sie ihre Ankündigung wahrmachen, würde dies den Verlust von 12000 Arbeitsplätzen bedeuten. Auch von daher ist zu begrüßen, dass sich die neue Regierung unter Moeketsi Majoro darum bemühen möchte, die industrielle Basis Lesothos zu vergrößern, um nicht länger vom Textilbreich abhängig zu sein.

Auch wenn der Beitrag der Chinesen zur Entwicklung der Infrastruktur Lesothos im Allgemeinen anerkannt wird – in der Bevölkerung beliebt sind sie nicht. Die Arbeitsbeziehungen in den Textilfabriken sind konfliktiv, ihr Umgangston wird als rau und oft respektlos beschrieben, die von ihnen verkauften Waren seien von schlechter Qualität. In einigen Bereichen werden sie als Konkurrenz empfunden und sehen sich darüber hinaus mit dem Vorwurf konfrontiert, ihre Positionen und auch die lesothische Staatsangehörigkeit durch Korruption erlangt zu haben. Wie viele von ihnen bereits dauerhaft in Lesotho leben, lässt sich nicht genau feststellen. Es könnten 5000 sein oder mehr.

Brigitte Reinhardt