REGIERUNGSWECHSEL DURCH WAHLWIEDERHOLUNG. Malawi ist das erste Land in Afrika, in dem eine Präsidentschaftswahl gerichtlich annulliert wurde und in der Wiederholungswahl der Oppositionskandidat über den Amtsinhaber obsiegte. Bis dahin gab es nur in Kenia 2017 einen ähnlichen Vorgang. Dort konnte sich aber der Präsident Uhuru Kenyatta gegen seinen Kontrahenten Raila Odinga durchsetzen, der die Wiederholungswahl boykottierte.
Bei den Präsidentschaftswahlen am 21. Mai 2019 wurde der Amtsinhaber Peter Mutharika (Democratic Progressive Party, DPP) mit einer knappen Mehrheit von 3,2 Prozent (knapp 160.000 Stimmen) vor dem Zweitplatzierten, Lazarus Chakwera von der ehemaligen Einheitspartei Malawi Congress Party (MCP), zum Wahlsieger ausgerufen. Auf die Plätze 3 und 4 kamen Saulos Chilima (United Transformation Movement, UTM) mit gut 20 Prozent und Atupele Muluzi von der United Democratic Front (UDF) mit 4,7 Prozent der Stimmen.
Die Opposition reklamierte weitreichende Unregelmäßigkeiten und vermutete Wahlbetrug. Zahlreiche Beschwerden wurden bei der Wahlkommission eingereicht. Es kam zu Protestaktionen von Oppositionsanhängern. In Lilongwe wurde Anfang Juni 2019 der Regierungssitz Capital Hill von Protestanten abgeriegelt und die Regierungsbeamten damit quasi festgesetzt, bis die Sicherheitskräfte die Aktion kurzer Hand beendeten. Auch die MCP-Führung distanzierte sich von dieser Aktion. Während Chilima Mutharika zum Wahlsieg zunächst gratuliert hatte, machte Chakwera deutlich, dass er die Wahl nicht anerkennen werde. Er rief seine Anhänger zu friedlichen Protesten und Demonstrationen auf, stachelte sie jedoch an mit seinem Ausruf: „For Malawi to raise Mutharika must fall."
An die Spitze der genehmigten Demonstrationen setzte sich die Human Rights Defenders Coalition (HRDC), eine neu entstandene zivilgesellschaftliche Organisation, die den Rücktritt der Vorsitzenden der Wahlkommission, Jane Ansah, forderte. Die vor den Wahlen auch von der Opposition geschätzte Richterin am Obersten Berufungsgericht wurde für die vermeintliche Wahlfälschung verantwortlich gemacht. Die gut besuchten, von der HRDC organisierten Demonstrationen fanden ab Juni 2019 regelmäßig statt, fast ausschließlich in den großen Städten. Sie wurden angemeldet und genehmigt. Trotzdem kam es häufig zu Vandalismus und Gewalt: Geschäfte wurden geplündert, Scheiben eingeschlagen, Brände gelegt und Steine auf Unbeteiligte geworfen. Es gab auch Übergriffe auf die Polizei und Armee, sogar mit einzelnen Todesopfern bei den Sicherheitskräften. Auch Polizeigewalt war zu beobachten inklusive der mutmaßlichen Vergewaltigung zahlreicher Frauen durch Polizisten. Eine für Ende August 2019 geplante spektakuläre Blockade aller internationalen Flughäfen und Grenzübergänge wurde in letzter Minute gerichtlich unterbunden.
Obwohl sich die HRDC als parteipolitisch neutral darstellt, war die Nähe zu MCP und UTM unübersehbar. Der HRDC-Vorsitzende, Timothy Mtambo, trat im April 2020 zurück und trat mit seiner neugegründeten Partei Citizens for Transformation (CFT) der Wahlkoalition unter Chakwera bei. Nach der Wahl wurde er Kabinettsminister. Die HRDC-Protestanten sollen regelmäßig Verpflegung erhalten haben, um sie über viele Monate immer wieder auf die Straße zu bringen.
Das Urteil des Obersten Gerichts
Neben den Demonstrationen führte die Opposition einen juristischen Kampf. Die Präsidentschaftswahlergebnisse wurden vor dem High Court in Lilongwe sowohl von Chilima als auch von Chakwera angefochten. Die Wahlkommission und Mutharika beharrten auf ihrem Standpunkt, dass die Wahlen ordnungsgemäß durchgeführt worden seien. Pikanterweise wurde im Januar 2020 der schwerreiche Bankier und Geschäftsmann Thom Mpinganjira von der Antikorruptionsbehörde ACB unter dem Vorwurf der Bestechung festgenommen. Er soll den Richtern Geld geboten haben, damit sie die Klage abweisen (im Raum stehen 100 Mio. K (125.000 Euro)), was diese dem Chief Justice meldeten, der wiederum das ACB verständigte.
Das Hauptverfahren wurde von den Medien live übertragen und von der interessierten Öffentlichkeit mit Spannung verfolgt. Die von der Opposition vermutete Wahlfälschung bestätigte sich indes nicht. Umso mehr schlug das Urteil des fünfköpfigen Gerichts am 3. Februar 2020 wie eine Bombe ein: Die mit schusssicheren Westen bekleideten, vom Militär geschützten Richter annullierten die Wahlen und ordneten eine Wahlwiederholung innerhalb von 150 Tagen an. Zudem interpretierten sie die Verfassung dahingehend, dass nicht – wie bisher bei allen Wahlen seit 1994 – die einfache Mehrheit zum Wahlsieg reicht, sondern mindestens 50%+1 Stimme erreicht sein müssen. Der Präsident blieb mit allen Vollmachten im Amt. Damit sollte ein Machtvakuum verhindert werden. An der Wiederholungswahl durften sich nur die 2019 bereits registrierten Wähler und nur die damals angetretenen Präsidentschaftskandidaten beteiligen. Allerdings war es ihnen freigestellt, mit neuen Vizepräsidentschaftskandidaten ins Rennen zu gehen.
Das Gericht sprach in seinem 500-Seiten-Urteil zwar nicht von Wahlbetrug und Wahlfälschung, stellte aber fest, dass die Unregelmäßigkeiten und prozeduralen Fehler der Wahlkommission (z. B. mit Korrekturflüssigkeit bearbeitete Ergebnisprotokolle) so weitreichend, systematisch und schwerwiegend gewesen seien, dass die Wahlergebnisse nicht mehr als glaubwürdig eingestuft werden können. Dafür machte sie die Inkompetenz der Wahlkommission verantwortlich. Eine Nachzählung der Stimmzettel wurde nicht in Erwägung gezogen. Ebenso blieben die gleichzeitig durchgeführten Parlaments- und Kommunalwahlen gültig.
Wahlbündnisse nach dem Urteil
Das Urteil hatte gravierende politische Folgen. Durch die Wahlannullierung verlor der 2019 im Gespann mit Mutharika gewählte Vizepräsident Everton Chimulirenji sein Amt ausgerechnet an Saulos Chilima, der von 2014-2019 unter Mutharika Vize war und dann in die Opposition ging. Der offensichtlich völlig überraschte Mutharika und die Wahlkommission legten Berufung gegen das Urteil beim Obersten Berufungsgericht ein. Die sieben Richter bestätigten jedoch das Urteil vollumfänglich am 8. Mai 2020. Auch die 150-Tage-Frist, die aufgrund der Corona-Pandemie zunächst kaum haltbar erschien, wurde nicht verlängert.
Politisch formierten sich die Lager neu. Um die nunmehr erforderliche absolute Mehrheit zu erzielen, wurden Wahlbündnisse geschmiedet. Mutharika trat im Gespann mit seinem einstigen Koalitionspartner UDF an. Der Parteichef Atupele Muluzi, Sohn des ehemaligen Präsidenten Bakili Muluzi, wurde Vizepräsidentschaftskandidat. Chilima ging nach langem Hin und Her schließlich mit dem MCP-Chef Chakwera ein Wahlbündnis ein. Dieses Oppositionsbündnis, das sich den Namen Tonse („zusammen") gab, wurde von der ehemaligen Präsidentin Joyce Banda und sechs eher unbedeutenden Parteien verstärkt. Vor allem zwischen dem ambitionierten Chilima und Chakwera gab es bereits im Wahlkampf Missverständnisse. Chilimas Ziel ist es, Staatspräsident zu werden. Deshalb hatte er die UTM gegründet und Mutharika bei den Wahlen 2019 herausgefordert. Im Tonse-Wahlbündnis konnte er sich indes nicht als Präsidentschaftskandidat durchsetzen, da Chakwera 2019 15 Prozent mehr Stimmen holte als er und seine Partei gerade einmal vier Parlamentssitze errang, während die MCP 55 Mandate erzielte. Damit blieb Chilima nichts anderes übrig, als erneut Juniorpartner zu werden.
Das Koalitionsabkommen wurde nicht komplett offengelegt. Chilimas Darstellung, er würde eine mit deutlich mehr Vollmachten ausgestattete Vizepräsidentschaft übernehmen und zudem auch Finanzminister werden, wurde nach dem Wahlsieg nicht umgesetzt. Er bekam das Portfolio Wirtschaftsplanung und Entwicklung, das vom Finanzministerium abgetrennt wurde. Die (geringen) Vollmachten des Vizepräsidenten sind in der Verfassung geregelt und könnten nur vom Parlament mit einer Zweidrittelmehrheit geändert werden. Von einer solchen ist die Regierung weit entfernt. Zudem wird Chilima bei den nächsten Wahlen 2025 nicht wieder als Vizepräsidentschaftskandidat antreten dürfen, da die verfassungsgemäße Höchstdauer auf zwei Amtsperioden begrenzt ist. Chakwera dürfte indes eine zweite Amtszeit anstreben. Gezielt von der UTM gestreute Gerüchte, dass Chakwera nur eine Wahlperiode absolvieren wolle und Chilima 2025 den Vortritt überlassen würde, wurde von der MCP flugs dementiert. Damit ist der machtpolitische Konflikt zwischen beiden Politikern programmiert.
Kurzer Wahlkampf
Der Wahlkampf war kurz. Auf Regierungsseite legte sich vor allem der junge und dynamische Atupele Muluzi ins Zeug, der durch das Land tourte. Mutharika nahm nur wenige Termine wahr. Er beschimpfte die Richter und verwies auf seine bisherige erfolgreiche Entwicklungspolitik. Dabei kam der 80-Jährige als wenig dynamisch und defensiv herüber. Öffentlichen Widerwillen löste die als Übergriff auf die Unabhängigkeit der Justiz kritisierte Zwangspensionierung des Chief Justice Andrew Nyirenda kurz vor den Wahlen aus, der gezwungen werden sollte, seinen Resturlaub zu nehmen. Chakwera und Chilima traten häufig getrennt voneinander auf und präsentierten sich offensiv. Sie bezeichneten Missstände und machten weitreichende Wahlversprechen, wie allgemeine Subventionierung für Dünger und Anhebung des monatlichen Lohnsteuerfreibetrages. Während des Wahlkampfes wurden die Corona-Vorsichtsmaßnahmen weitestgehend ignoriert.
Erst Tage nach dem Urteil des Obersten Berufungsgerichts entschloss sich die offen angefeindete Vorsitzende der Wahlkommission, Jane Ansah, zum Rücktritt. Mutharika ernannte nach Parteienproporz eine neue Wahlkommission unter dem Vorsitz des Richters am Obersten Gericht, Chifundo Kachale. Der Vorsitzende genoss auch das erklärte Vertrauen der Opposition. Im Parlament wurde die Regierung, die den Wahltermin verschieben wollte, von der Opposition überrumpelt. In einem Entschließungsantrag stimmten die Abgeordneten in einer chaotischen Sitzung mit knapper Mehrheit für die Durchführung der Wahlen schon am 23. Juni 2020. Nachdem die in Dubai gedruckten Wahlzettel tatsächlich am 19. Juni in Lilongwe eintrafen, konnte die Wahl quasi im letzten Moment abgehalten werden.
Wahlsieg Chakweras
Der Wahltag verlief größtenteils friedlich. Der Wahlgang war geordnet und transparent. Das war dem deutlich geringeren Aufwand geschuldet. 2019 wurden zeitgleich auch das Parlament und die Kommunalräte gewählt. Die DPP beanstandete Fälle von Gewalt gegen ihre offiziellen Wahlbeobachter, vor allem in der Zentralregion. Diese wurden von der Wahlkommission zur Untersuchung an die Polizei weitergeleitet. Internationale Wahlbeobachter waren aufgrund der Corona-Pandemie nicht angereist.
Bereits am Nachmittag des 24. Juni zeichnete sich nach inoffiziellen Ergebnissen ein klarer Sieg Chakweras ab. Im Gegensatz zu 2019 nahm sich die Wahlkommission Zeit, alle Beschwerden abzuarbeiten. Erst am Abend des 27. Juni wurde das Endergebnis verkündet. Kurz zuvor hatte Mutharika in einer Pressekonferenz seine Anhänger aufgerufen, das Ergebnis friedlich hinzunehmen. Der tief enttäuschte Präsident bezeichnete die Wahlen zwar als die schlechtesten seit Einführung des demokratischen Systems, kündigte aber an, des Friedens willen die Ergebnisse nicht gerichtlich anfechten zu wollen. Damit hat er dem Land eine weitere politische Hängepartie erspart.
Nach seiner Abwahl fuhr Mutharika zu seinem neu gebauten Haus in Mangochi am Malawisee. Da das Haus anscheinend nicht bezugsfertig war, wurde er zunächst im Sommersitz des Präsidenten in Chikoko Bay untergebracht. Anscheinend hatte er mit seiner Abwahl gar nicht gerechnet.
Ergebnisse der Prsäsidentschaftswahl vom 23. Juni 2020 | |||
Kandidat | Partei | Stimmenanteil | Prozent |
Lazarus Chakwera | MCP | 2.604.043 | 58,57 |
Peter Arthur Mutharika | DPP | 1.751.877 | 39,92 |
Peter Kuwani | MMD | 32.456 | 0,74 |
Ungültige Stimmen | 57.323 | 1,28 | |
Registrierte Wähler | 6.859.570 | ||
Wahlbeteiligung | 4.445.659 | 64,81 | |
Quelle: Eigene Darstellung nach: Malawi Electoral Commission: Final Results; 27.06.2020. |
MMD: Mbakuwawaku Movement for Development.
Das Wahlergebnis zeigt die ethnisch-regionale Spaltung des Landes. Chakwera gewann 89 Prozent der Stimmen in seiner Heimat, der Zentralregion. Mutharika dominierte in seiner Heimat, der Südregion, wo er fast 80 Prozent der Stimmen erzielte. Die dünn besiedelte Nordregion stimmte für Chakwera (87 Prozent). Bemerkenswert ist, dass im Distrikt Ntcheu, Chilimas Heimat, die geringste Wahlbeteiligung (knapp 49 Prozent) zu verzeichnen war. Die MCP/UTM-Kandidaten erreichten nur 74 Prozent der Stimmen, was darauf hindeutet, dass Chilima unter seiner Landbevölkerung wenig Unterstützung genießt. Die Wahlbeteiligung fiel regional relativ gleichmäßig um etwa 10 Prozent niedriger aus als 2019, was eine Tendenz zur Wählerapathie zeigt.
Der Machtwechsel ging erstaunlich reibungslos über die Bühne. Im Parlament wechselte die bisherige Regierung auf die Oppositionsbänke. Der ehemalige Finanzminister, dessen Haushaltsentwurf nun zurückgezogen wurde, half seinem Nachfolger bei der Erstellung eines provisorischen Haushalts. Dieser wurde dann vom Parlament einstimmig verabschiedet. Die DPP kündigte eine konstruktive Opposition an.
Der Amtsantritt der Chakwera-Regierung begann indes etwas holprig. Das neue Kabinett, bestehend aus 21 Ministern (darunter vier Frauen) und acht stellvertretenden Ministerinnen, erfuhr breite und massive Kritik aus allen Lagern. Diese bezog sich auf Verwandtenernennungen (ein Ehepaar; ein Geschwisterpaar aus der Verwandtschaft des ehemaligen Diktators Kamuzu Banda) und auf Ernennungen von Gefolgsleuten, die – so der Vorwurf – für ihren Wahlkampfeinsatz belohnt werden sollen. Der Eigentümer der größten privaten TV/Radiostation Zodiac wurde Informationsminister, ein Bergbauunternehmer Bergbauminister und der MCP-Anwalt im Wahlanfechtungsverfahren Justizminister. Der führende Anwalt Modercai Msisha hatte seine – anscheinend ohne Rücksprache mit ihm erfolgte – Ernennung zum Justizminister unter Hinweis, dass das wie eine Belohnung für seine Arbeit aussehen könnte, abgelehnt.
Der Rechtsstaat hat obsiegt. Die friedliche Wahlwiederholung mit anschließendem geordneten Machtwechsel ist sicherlich beispielhaft für den ganzen Kontinent. Malawi hat in der Tat Geschichte geschrieben!
Heiko Meinhardt
Der Autor ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Consultant und Wahlexperte. Zahlreiche Publikationen, u. a. zu Malawi.