Heft 4/2020, afrika süd-dossier: Afrika-Asien

Neue Seidenstraßen

CHINAS AMBITIONEN IN AFRIKA. Die Corona-Pandemie trägt dazu bei, die geopolitische Konfliktlage, in deren Zentrum die Konkurrenz zwischen China und den USA steht, zu verschärfen und neu zu konfigurieren. Verbündete sucht China besonders unter Ländern des Globalen Südens. Und es sieht so aus, als ob Peking in Afrika dafür durchaus gute Karten hat, trotz der durchwachsenen Erfahrungen mit seiner bisherigen Rolle.

Für den Kampf gegen SARS-CoV-2 in Afrika leistete China mit der Lieferung von Schutzkleidung, Tests und Beatmungsgeräten und der Entsendung von medizinischem Personal nicht nur finanzielle, sondern dringend benötigte materielle Unterstützung. Auf multilateraler Ebene verspricht die Regierung in Peking ein neues Hauptquartier für „Africa CDC" (Africa Centres for Disease Control and Prevention, gegründet im Januar 2017), die wichtigste Koordinierungsstelle bei Epidemien wie Corona und Ebola, und 50 Million US-Dollar für die Weltgesundheitsorganisation WHO, mit der sie auch eine Zusammenarbeit an einer „Seidenstraße der Gesundheit" vereinbart hat. Um die „chinesisch-afrikanische Solidarität gegen Covid-19" zu unterstreichen, lud sie Mitte Juni zu einem virtuellen Sondergipfel, bei dem neben einem Dutzend Staats- und Regierungschefs auch Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa, Vorsitzender der Afrikanischen Union, UN-Generalsekretär Antonio Guterres und WHO-Generaldirektor Tedros Ghebreyesus zugeschaltet waren. Für die US-Regierung sind das alles nur Versuche, Chinas Einfluss im globalen Gesundheitssystem auszuweiten.

Die Regierung in Peking braucht Imagepflege und Verbündete. Denn sie steht unter Druck. Die Corona-Krise stellt für ihre ehrgeizigen Ambitionen, die Volksrepublik bis zu ihrem 100. Gründungsjubiläum 2049 zu einer gleichberechtigten Großmacht zu führen, innenpolitisch und wirtschaftlich eine gewaltige Herausforderung dar. Zudem wurde dadurch der geopolitische Konflikt verschärft. Nicht ohne eigenes Verschulden Pekings hat sie US-Präsident Trump ein Narrativ geliefert, um China für die Pandemie, für wirtschaftliche Rezession und menschliches Leid weltweit verantwortlich zu machen. Daraus ist schnell eine weltumspannende Kampagne geworden, die durch die Repression gegen Uiguren in der westchinesischen Provinz Xinjiang, die Niederschlagung der Proteste in Hongkong und die territorialen Ansprüche gegenüber Nachbarn weitere Munition bekommt. Schon sprechen Beobachter wie Henry Kissinger, einst Architekt der Kooperation zwischen China und den USA, vom „Vorfeld eines Kalten Krieges". Und wieder steht Europa zwischen den Fronten.

Süd-Süd-Kooperation
Mit seiner Solidaritäts-Kampagne kann China an eine lange Geschichte der Kooperation anknüpfen. Schon frühzeitig bot es sich als Alternative zu postkolonialen Mächten an. Ein sichtbares und wirksames Symbol dafür waren Infrastrukturprojekte wie die 2000 Kilometer lange Bahnstrecke Tazara (Tanzania Zambia Railway), die in den 1970er-Jahren mit Unterstützung des kommunistischen China gebaut wurde und half, die Abhängigkeit von den Apartheidregimen im südlichen Afrika zu verringern.

So richtig in Schwung kam das Engagement allerdings erst in den 1990er-Jahren mit der zunehmend aktiven globalen Expansion Chinas. Die seit der wirtschaftlichen Liberalisierung 1979 immer stärker gewordene Wirtschafts- und Handelsmacht suchte weltweit Investitionsmöglichkeiten, Absatzmärkte und Zugang zu Ressourcen. Finanzielle Mittel hatte sie als „Werkstatt der Welt" zur Genüge. Als zeitweises Mitglied der in den 1950er entstandenen Bewegung der blockfreien Staaten und selbst Opfer kolonialer Mächte sah es sich an der Seite der unabhängigen Länder des Globalen Südens, als natürlicher Partner für eine gleichberechtigte Süd-Süd-Kooperation. Und mit einer Politik der Nichteinmischung in innere politische Verhältnisse bot Peking eine Alternative zur Dominanz postkolonialer Abhängigkeiten und westlicher „Entwicklungshilfe". Chinas eigener wirtschaftlicher Aufstieg, seine sozialen Erfolge und politische Stabilität lassen es manchen als ein Vorbild für Afrika erscheinen. „Wir betrachten China als ein erfolgreiches Entwicklungsmodell und einen verlässlichen Alliierten beim Kampf gegen Armut und dem Wunsch nach Wohlstand", erklärte beispielsweise Äthiopiens früherer Premierminister Hailemariam Desalegn.

Peking lässt sich die Süd-Süd-Kooperation einiges kosten. Geschätzt wird, dass Afrika etwa die Hälfte von Chinas Auslandshilfe erhält, die allerdings – wie bei anderen Ländern auch – häufig an den Kauf chinesischer Güter und Dienstleistungen gebunden ist. Dazu gehören zum Beispiel nicht-kommerzielle Projekte wie zahlreiche große landwirtschaftliche Ausbildungsbetriebe im südlichen Afrika. Nach offiziellen Zahlen stiegen zudem die Direktinvestitionen zwischen 2008 und 2018 von 7,8 auf 46 Milliarden US-Dollar. Für Afrikas Regierungen sind Kredite chinesischer Entwicklungsbanken wie der China Development Bank und der Exim Bank of China eine willkommene Alternative zu Internationalen Finanzinstitutionen wie Weltbank und Afrikanischer Entwicklungsbank (AfDB) oder privaten Investoren, deren Finanzierung häufig mit Auflagen und langwierigen Verfahren wie der Prüfung von Umweltauswirkungen verbunden ist.

Ein höchst willkommener Fokus des chinesischen Engagements ist der Infrastrukturbereich, aus dem sich westliche Geber nach der Jahrtausendwende mehr und mehr zurückzogen. Geld und Baukonzerne aus China wurden immer wichtiger, um die „Infrastrukturlücke" zu verringern. Afrikas Nachholbedarf beim Ausbau moderner Infrastruktur erfordert nach Schätzung der AfDB jährlich mindestens 90 Milliarden US-Dollar. Die Belt&Road Initiative (BRI), die 2013 von Chinas Präsident Xi Jinping verkündet wurde und besser bekannt ist als Neue Seidenstraßen, brachte weitere Milliarden-Kredite und Investitionen für zahlreiche Hafenprojekte rund um Afrika, den Ausbau des Straßen- und Bahnstreckennetzes, von Energieversorgung und Sonderwirtschaftszonen, für Schulen, Krankenhäuser, Stadien und Regierungsinstitutionen und für symbolträchtige Gebäude wie den Sitz der Afrikanischen Union in Addis Abeba. 2016, so wird geschätzt, lag der Umsatz chinesischer Bauunternehmen im Afrika 25 mal höher als die chinesischen Investitionen. Staatliche Unternehmen wie die China Communication Construction Company (CCCC) oder die China Harbour Engineering Company CHEC) bieten Planung, Finanzierung, Bau und Management aus einer Hand.

Außerdem lockte Afrikas gewaltiger Ressourcenreichtum, verfügt China doch nicht über ausreichende Rohstoffvorkommen für seinen rapiden Wirtschaftsaufschwung, abgesehen von wenigen Ausnahmen wie Kohle und Seltene Erden. Mit Finanzierungskonzepten wie dem „Angola-Modell", bei dem der Kredit mit Rohöl abbezahlt wird, machten chinesische Unternehmen der westlichen Vorherrschaft bei der Plünderung Konkurrenz. Dafür scheuten chinesische Investoren auch nicht vor Ländern mit hohen politischen Risiken oder schwierigen logistischen Bedingungen zurück. Mit Angola, Nigeria und Sudan wurde Afrika zum zweitgrößten Rohöllieferanten nach dem Mittleren Osten. Kurzzeitig versuchten sich chinesische Unternehmen auch als Agrarinvestoren, nachdem 2007/2008 die spekulativen Preissteigerungen für Grundnahrungsmittel Chinas Ernährungssicherheit gefährdeten. Doch viele Großprojekte scheiterten, sodass China im Gegensatz zu landläufiger Meinung beim Landgrabbing in Afrika weit hinter den USA und Großbritannien rangiert.

Durchwachsene Bilanz
Das Engagement zahlte sich aus. Politisch erkaufte sich Peking damit wachsende internationale politische Unterstützung, etwa für seine „Ein-China-Politik", die Isolierung Taiwans. Für viele Regierungen bot China eine willkommene Alternative zu westlicher Finanzierung, leicht zugänglich und – auch politisch – zu günstigen Konditionen, häufig für die Finanzierung von Prestigeprojekten.

Aber auch wirtschaftlich war es im großen Ganzen ein Gewinn. Für China bieten diese Projekte die Möglichkeit, um Überkapazitäten wie bei Kohle, Zement, Aluminium und Stahl abzubauen, für seine Technologie zu werben und neue Absatzwege zu erschließen. Im Gegenzug für Rohstoffe wie Erdöl, Eisenerz und Mineralien wurde Afrika zum Absatzmarkt für Konsumgüter. Bis 2014 stieg das Handelsvolumen auf 210 Milliarden US-Dollar, bereits 2009 rutschten die USA als Handelspartner auf Platz 2. Knapp ein Fünftel aller Importe für den afrikanischen Kontinent kommen inzwischen aus China, chinesische Händler sind längst im kleinsten Marktflecken anzutreffen. Viele chinesische Vertragsarbeiter blieben und gründeten mit ihren Ersparnissen Dienstleistungsunternehmen, Baufirmen und Betriebe – ein wichtiger Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung.

Mit seinem Engagement gewinnt China zwar die Unterstützung durch Regierungen, bietet aber auch vielfältige Angriffsflächen für Kritik und teils heftige Ablehnung. Die Importe verdrängen teilweise einheimische Produktion. Qualitätsmängel importierter Billigware, Korruption und Intransparenz bei der Vergabe von Aufträgen und der Kreditaufnahme, wirtschaftlich unsinnige Projekte und die Beschäftigung chinesischer Arbeitskräfte schüren Unmut und Proteste. Die wachsende Zahl von Chinesen, die inzwischen auf ein bis zwei Millionen geschätzt wird, ruft auch anti-chinesische Stimmungen hervor.

Immer wieder kommt es zu Konflikten wie im Kupferbergbau in Sambia, wo es gewaltsame Konfrontationen zwischen Belegschaft und chinesischem Management gab, oder Rückschläge wie in Kenia, wo ein großes Kohlekraftwerk nahe der kenianischen historischen Küstenstadt Lamu aus Umweltgründen gerichtlich gestoppt wurde. Aufgrund von Zweifeln an ihrer Wirtschaftlichkeit wurden geplante Bahnstrecken wie die Verlängerung der prestigeträchtigen Verbindung zwischen Nairobi und dem Hafen Mombasa aufgeschoben. Und vorwiegend westliche Medien, Entwicklungsexperten und Regierungsvertreter klagen, dass das chinesische Engagement, das die eigene wirtschaftliche und politische Vormachtstellung zunehmend bedroht, Entwicklungsansätze mit dem Fokus auf politischen und institutionellen Reformen, Menschenrechten und Demokratisierung untergraben würde.

Neue Perspektiven
Verglichen mit Zentralasien und Südostasien blieben die chinesischen Aktivitäten in Afrika dennoch gering. Mit der Amtsübernahme von Präsident und Parteichef Xi Jinping 2012 und der Belt&Road Initiative zeichnet sich aber eine Neuausrichtung von Pekings wirtschaftlichen Plänen für Afrika ab. Beim 7. Gipfeltreffen des Forums für die Zusammenarbeit von Afrika und China (FOCAC) in September 2018 in Beijing versprach Xi weitere 60 Milliarden US-Dollar Hilfsgelder, Investitionen und Kredite für einen umfassenden Aktionsplan – der in seinen Grundzügen BRI ähnelt. FOCAC bietet afrikanischen Regierungen eine weitere Alternative zu ihren Beziehungen zu westlichen Ländern und zu den in vielen Ländern ungeliebten „Economic Partnership Agreements", mit denen die Europäische Union eine weitere Öffnung für Investoren aus Europa erreichen will. Zudem ist die Zahl der afrikanischen Länder, die Vereinbarungen über die Kooperation im Rahmen des Multi-Milliarden-Programms BRI abgeschlossen haben, auf 40 gestiegen, von Tunesien bis Südafrika, das als BRICS-Partner (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) einen besonderen Status genießt, von Äthiopien bis Senegal, das als Chinas Tor nach Westafrika gilt.

BRI ist ein zentraler Pfeiler der Bestrebungen der Regierung unter Xi Jinping, um China – wie zur Zeit der historischen Seidenstraßen – wirtschaftlich und politisch wieder als Großmacht zu etablieren. Pendant dazu ist die Modernisierungsstrategie „Made in China 2025", die China von einem vorwiegend exportorientierten Produktionsstandort zu einer globalen High-tech-Großmacht machen soll. Diese Ambitionen, so die Einschätzungen, verfolgt die Regierung gegenwärtig zunehmend selbstbewusst, um nicht zu sagen aggressiv – sowohl innenpolitisch, beispielsweise repressiv in Xinjiang und gegenüber Hongkong, als auch militärisch-konfrontativ zur Bekräftigung territorialer Ansprüche auf Taiwan und in den Gewässern Südostasiens.

Schlüsselbegriffe für die Abkehr von der bisherigen Strategie, die China verbreitet den Vorwurf eingebracht hatte, den Kontinent mit Bergbau, Landgrabbing und dem Absatz billiger Konsumgüter nur auszubeuten, lauten „Kooperation im industriellen Bereich" und „strategische Komplementarität". Das treibt die Verlagerung arbeitsintensiver Industrien, die Erschließung neuer Märkte und den Zugang zu Ressourcen wie Platin und Chrom, wichtige Exportprodukte für Südafrika, Kobalt oder Kupfer, die für Grüne Energien und eine digitalisierte Industrie 4.0 erforderlich sind, durch weiteren Infrastrukturausbau und Investitionen voran – und die Hoffnungen auf einen Industrialisierungsschub.

Schwerpunkte sind bislang Ostafrika und Mosambik, Sambia und Simbabwe. Afrikas Ostküste hat einen direkten Anschluss an die „Maritime Seidenstraße", den Seeweg von China durch den Indischen Ozean und den Suez-Kanal nach Europa. Sie verbindet die im Rahmen von BRI in Asien ausgebauten Verkehrsverbindungen mit denen in Afrika. Angesichts gestiegener Löhne in China wird eine Verlagerung, beispielsweise in der Textil- und Lederverarbeitung, in Ländern wie Äthiopien mit den niedrigsten Löhnen weltweit attraktiv. Ein Vorzeigemodell sind die Sonderwirtschaftszonen bei Addis Abeba mit Fabriken von Huajian, einem der größten Schuhexporteure Chinas. In Südafrika kaufen sich chinesische Investoren in Bergbauunternehmen wie Palabora ein und wollen für 10 Milliarden US-Dollar einen riesigen Hüttenwerkskomplex errichten. Simi Technologies in Uganda exportiert Handys nach Marokko, Mobiltelefone aus der Transsion-Fabrik in Äthiopien haben einen Marktanteil von mehr als 50 Prozent. Ein McKinsey-Report von 2017 schätzt, dass die inzwischen rund 10.000 größeren chinesischen Unternehmen einen Anteil von 12 Prozent an Afrikas Verarbeitungsindustrie haben.

Die Krise als Chance
Durch die Corona-Krise erlitten die Pläne einen Rückschlag. Die wirtschaftliche Rezession in China und auf dem Kontinent führte dazu, dass Projekte verzögert oder ganz eingestellt wurden. Schlimmer noch war der Imageschaden durch die verbreiteten, als rassistisch empfundenen behördlichen Maßnahmen und Diskriminierungen gegen die zahlreichen Afrikanerinnen und Afrikaner in Guangzhou und anderen chinesischen Städten, deren Zahl auf eine halbe Million geschätzt wird. Es gab Demonstrationen, Boykottaufrufe, Kritik von Regierungsvertretern. Nigerianische Behörden lehnten medizinische Hilfen ab, weil sie sich bevormundet sahen. Der verbreitete Eindruck, dass Chinas Engagement und verstärkt die Belt&Road Initiative vorrangig von eigenen Interessen und weniger von Süd-Süd-Solidarität geprägt werden, wurde verstärkt. Investitionen und Diplomatie von Jahrzehnten schienen plötzlich vergeblich gewesen zu sein.

Gleichzeitig gibt es auf beiden Seiten starke Interessen für ein weitere und engere Zusammenarbeit. Politisch sucht Peking Verbündete gegen die konzertierte Kritik an seiner expansiven und zunehmend aggressiven Politik in Asien, und setzt dafür nicht nur „Masken-Diplomatie" ein. Der Handelskrieg mit den USA und die durch die Corona-Krise aufgeworfenen Bestrebungen europäischer und anderer westlicher Industrieländer, sich von China in Schlüsselbereichen wie Medizinindustrie und Digitalisierung wirtschaftlich unabhängiger zu machen, könnten die „strategische Komplementarität" intensivieren. Das im Mai vergangenen Jahres abgeschlossene „African Continental Free Trade Agreement" (ACFTA), für dessen Zustandekommen China als wichtiger Motor gilt, eröffnet die Chance, nach der Überbrückung der Infrastrukturlücke nun andere Handelshindernisse wie Zölle, Tarife und Bürokratie zu verringern, die als wesentliche Hürden für Afrikas wirtschaftliche Integration und Wachstum gelten.

Auch von Seiten Afrikas besteht ein starkes Interesse an einer Vertiefung der Zusammenarbeit – und sei es als Gegengewicht zu westlichen Zumutungen und Offerten, die durch Interessen an Migrationskontrolle geprägt sind. Der Internationale Währungsfonds IMF schätzte Ende Juni, dass das Bruttosozialprodukt (GDP) in den Ländern Südlich der Sahara aufgrund der Coronakrise und gesunkener Rohstoffpreise in 2020 um mindestens 3,2 Prozent sinken wird. Länder wie Angola, Nigeria und Südafrika würden frühestens in drei bis vier Jahren wieder positive Wachstumsraten erreichen. Chinesische Investitionen und Angebote, als Antwort auf Covid-19 den Gesundheitsbereich zu digitalisieren, versprechen einen Einstieg in einen Modernisierungsschub – mit dem Nebeneffekt, wie in China staatlich-autoritäre Überwachungs- und Kontrollmöglichkeiten ausbauen zu können. Dass diese Interessenkonvergenz erfolgreich sein kann, zeigte sich beim „Solidaritäts-Gipfel" Mitte Juni: In der Abschlusserklärung heißt es, Afrika „unterstützt Chinas Position zu Taiwan" und die Maßnahmen in Hongkong „zum Schutz der nationalen Sicherheit".

Überschuldungskrise
Zu einer Nagelprobe für die weiteren Beziehungen wird die neue Überschuldungskrise, die durch die Pandemie verschärft wird. In vielen Ländern mit geringen Staatseinnahmen wird zwei bis vier mal so viel für den Schuldendienst wie für die Gesundheitsversorgung ausgegeben. Weltweit werden Forderungen nach Schuldenerleichterung laut. Auch wenn die Schuldenprobleme überwiegend durch andere Gläubiger verursacht wurden, kann sich China, das in den vergangenen Jahren zum größten bilateralen staatlichen Gläubiger der Länder des Globalen Südens geworden ist, der Forderung nicht entziehen, zumal es bereits mit dem Vorwurf konfrontiert ist, BRI betreibe „Schuldenfallen-Diplomatie" und sei neokolonialistisch.

Wie viel und zu welchen Konditionen afrikanische Länder chinesischen Gläubigern schulden, ist nicht transparent. Geschätzt wird, dass China um die 20 Prozent der Schulden, die auf insgesamt zwischen 130 und 195 Milliarden US-Dollar geschätzt werden, hält. Ähnlich sein Anteil am Schuldendienst, wenn man vom Großschuldner Angola absieht. Aktuell ist die Verschuldung bei chinesischen Gläubigern allerdings nur für wenige Länder problematisch, errechnet das Forschungsinstitut CARI. Erstmalig beteiligte sich Peking an einer multilateralen Initiative, dem Beschluss der G20-Länder, Zinszahlungen und Tilgungen für bilaterale Kredite für 77 einkommensschwache Länder, darunter 40 in Afrika, bis Ende 2020 auszusetzen (vgl. nachfolgenden Beitrag von Alex Vines) – ein erster, eher kleiner Schritt. Afrikanische Regierungsvertreter verlangen aber nicht nur kurzfristige, selektive und bilaterale Erleichterungen, sondern eine substanzielle Um- und Entschuldung.

Peking befindet sich dabei in einer Zwickmühle: Einerseits zögert es, solange die Internationalen Finanzinstitutionen und vor allem westliche Banken und Konzerne nicht an einer substanziell weitreichenden Umschuldung beteiligt sind. Zudem verfügt auch China nicht über unbegrenzte Finanzmittel und muss innenpolitisch Rücksicht nehmen auf Kritik, dass zu viel Geld für fragwürdige Projekte und korrupte Regierungen vergeudet wurde, das im Land selbst dringend benötigt wird. Andererseits würde Großzügigkeit politisch Sinn machen und die Süd-Süd-Solidarität unterstreichen.

Im neuen Wettlauf um Afrika zwischen den USA, der Europäischen Union und China und der Neuordnung geopolitischer Einflussbereiche hat China anscheinend die besseren Karten, zumal die Trump-Regierung gegenwärtig das Engagement herunterfährt: Peking hat bereits viel investiert, ist wirtschaftlich und politisch gut verankert, und afrikanische Regierungen brauchen rasche Unterstützung, die eher China liefert – und das ohne viele Fragen oder Konditionen. Ein Spitzendiplomat der Afrikanischen Union prognostiziert daher, „was China betrifft, sehe ich kaum langfristige Probleme".

Uwe Hoering

Der Autor, Dr. rer. pol., ist Politikwissenschaftler, freier Autor und hat im Sommer 2018 das Buch „Der Lange Marsch 2.0" (VSA: Verlag, Hamburg) über die Neuen Seidenstraßen veröffentlicht. Er ist Vorstandsmitglied der Stiftung Asienhaus in Köln und betreibt den Weblog www.globespotting.de.