VOM ÜBERLEBEN KLEINER BETRIEBE IN SIMBABWE.
Anfang März flog ich für einen Workshop nach Simbabwe. Es ging darum, gemeinsam Vermarktungschancen für Kleinbauern und lebensmittelverarbeitende Betriebe zu eruieren. Das Land ist am Boden, das wusste ich. Hyperinflation, eine schrumpfende Wirtschaft, Lebensmittel- und Brennstoffknappheit, zwei Drittel der Bevölkerung in absoluter Armut, grassierende Korruption, hinzukommen die Dürren der letzten beiden Jahre. In Harare überall Zeichen von Armut: Vor den Geldautomaten lange Schlangen, ebenso vor den Tankstellen. An den Ampeln drängen sich Straßenhändler zwischen die wartenden Autos, verzweifelt manche. Allgegenwärtig die Geheimpolizei.
Wie überlebt man hier wirtschaftlich, frage ich mich. Und doch, im Laufe der zwölf Tage, die ich im Land verbringe, begegnen mir bemerkenswerte Menschen, denen es trotz dieser widrigen Bedingungen gelungen ist, ein Gewerbe aufzubauen.
Popcorn in Chimanimani
In Ward 8 des Chimanimani Distrikts, im Dorf Chishakwe, treffen wir den Bauern Brighton Mutigwe. Der Vater von fünfzehn Kindern und Ehemann von drei Frauen besitzt drei Hektar Land, auf dem er Hirse und Sorghum im Regenfeldbau anbaut. Den Mais für die Familie produziert er auf einem halbem Hektar bewässerten Land, das er pachtet. Den Lebensunterhalt und die Pacht verdient Mutigwe mit der Herstellung von Popcorn: Maputi in der Shonasprache.
„Maputi sind ein beliebter Snack bei uns", erzählt er, „viele Leute stellen ihn zu Hause her, einige auch in größerem Maßstab. Die holzbetriebenen Popcornkessel habe ich schon früh gelernt zu bedienen, mir damit Geld verdient. Den Lohn habe ich gespart und mir dann letztes Jahr, mit einem zusätzlichen Kredit meiner Spargruppe, eine Maschine gekauft. Achthundert US-Dollar habe ich dafür bezahlt. Ich habe vorher gut recherchiert, bin extra nach Mutare gefahren, um mir die verschiedenen Modelle zeigen zu lassen."
Präzise Arbeit
Mutigwe zeigt uns, wie er das Popcorn herstellt. Sein Sohn platziert die Holzscheite, es qualmt, der Kessel kracht und knackt. Während wir sprechen, lässt Mutigwe den Kessel nicht aus den Augen, läuft immer wieder hinüber. Dann platzen die Maiskörner mit einem ohrenbetäubenden Lärm. Sofort werden sie herausgeschoben, um nicht zu verbrennen. Die Popcornproduktion verlangt Konzentration und Geistesgegenwart.
Brighton Mutigwe geht nicht nur sorgfältig mit seiner Maschine um, er ist auch ein cleverer Geschäftsmann, der auf seine Kosten achtet. Den Popcorn-Mais kauft er in den 80 Kilometer entfernten Eastern Highlands, wo es passende Sorten zu günstigen Preisen gibt. Für einen Eimer Mais zahle er momentan hundert RTGS-Dollar (oder Bond Notes, das gegenwärtige Zahlungsmittel), sagt er. Zu Popcorn verarbeitet, nimmt er dafür 240 RTGS-Dollar ein. Mit dem Docht einer Kerze verlötet seine Frau die billigen Plastiktütchen, in die sie das Maputi verpackt. Seine Kosten seien gering, sagt Mutigwe, bestünden hauptsächlich aus den Fahrtkosten. Dazu kommt das Feuerholz und die Tütchen – Lohnkosten hat er nicht, die Arbeit wird von der Familie erledigt.
Bei der NGO Tzuro Trust hat Mutigwe mehrere Kurse zur Lebensmittelverarbeitung absolviert: Herstellung von Mehlen aus Hirse, Sorghum, Cassava und Süßkartoffeln, von Baobabkaffee, von Marmeladen und Säften, Solartrocknung von Obst und Gemüse und anderes mehr. Doch Maputi sei am profitabelsten, meint er. In seinem Ward gibt es nur eine weitere Maschine, die Konkurrenz halte sich in Grenzen. Wenn er den Kessel nicht benutzt, vermietet er ihn an andere, das bringt zusätzliches Geld.
„Ich bin stolz auf das, was ich erreicht habe. Die Bauern, für die ich früher gearbeitet habe, sind nun meine Kunden."
Die Kraft eines Familienunternehmens
Einige hundert Kilometer westlich von Chishakwe, in der Kleinstadt Norton, lebt Peckance Machingambi mit seiner Familie. Ähnlich wie Mutigwe hat er mit eigenen Mitteln ein Kleinunternehmen gestartet, obwohl er aus bescheidenen Verhältnissen stammt und keine weiterführende Schule besucht hat. Seine 2006 gegründete Textilwerkstatt Yaper Hoper Crafts konnte er im Jahr 2015 als Gewerbe registrieren lassen, somit hat er den Sprung vom informellen in den formellen Sektor geschafft.
„Ich habe früher in der Lederproduktion gearbeitet", erzählt Machingambi. „Irgendwann fingen meine Frau und ich an, Stoffreste zu sammeln und daraus Taschen zu nähen. Für unsere erste Nähmaschine haben wir lange gespart, sie kostete damals 700 US-Dollar, eine sehr hohe Summe für uns."
Anfangs boten sie ihre Produkte auf der Straße an, als ambulante Händler, wie die meisten in seiner Nachbarschaft, erzählt Machingambi. Heute besitzt er vier Nähmaschinen, stellt Rucksäcke, Etuis, Taschen und Schirmmützen her und verkauft diese in Souvenirshops in Safari-Lodges. Alle Familienmitglieder arbeiten in der Werkstatt, außerdem eine wechselnde Anzahl von Nähern und Näherinnen, denen er einen Tageslohn bezahlt. Die Ware bringt er bis nach Botswana, Südafrika und Sambia, dort bekommt er harte Währung. Das lohne sich, sagt er, trotz der dreißig Prozent Ausfuhrzoll, die er an der Grenze bezahlen muss, und trotz der Schikanen der Grenzbeamten.
Geschäft mit Touristen
Ein gutes Geschäft sind auch Festivals und Messen in der Region, wo er regelmäßig einen Stand mietet. Außerdem hat Yaper Hoper einen festen Kreis lokaler Kunden, für den die Firma Spezialanfertigungen macht. So habe man vor kurzem fünfhundert Konferenzmappen für die Jahresversammlung einer Bank hergestellt. Auch Hilfsorganisationen bestellen bei ihnen Rucksäcke oder Mäppchen mit ihrem Logo.
Was ist euer Erfolgsrezept? frage ich Machingambi. „Disziplin, Durchhaltevermögen, der Rückhalt der Familie", antwortet er. „Und Spaß an der Sache: Ich stelle sehr gerne Designs zusammen, meine Frau kümmert sich um die Verarbeitung. Außerdem haben wir die Unterstützung der NGO Kunzwana, die uns Buchführung lehrte und uns bei der Registrierung als Unternehmen half. Das ist die Voraussetzung dafür, dass wir exportieren dürfen und an Messen teilnehmen." Da seien die 20 US-Dollar Mitgliedsgebühr, die Yaper Hoper jedes Jahr bei Kunzwana zahlt, gut angelegt. Seine Frau fügt hinzu: „Unser Erfolg beruht auf der Qualität unserer Produkte. Sie sind hochwertig, außerdem können wir größere Mengen liefern, und wir sind zuverlässig. Das schätzen unsere Kunden."
Ihre größte Errungenschaft sei jedoch, so das Ehepaar, dass sie ihren drei Kindern höhere Bildung ermöglichen konnten. Eine Tochter hat Design studiert, lebt in Südafrika und organisiert von dort aus den Vertrieb für Yaper Hoper. Die zweite Tochter studiert Development Studies, der Sohn macht gerade sein Abitur.
Die Inflation frisst alles auf
Doch wachsen kann Yaper Hoper unter den gegebenen Umständen nicht. Machingambi ist realistisch: „In Simbabwe haben wir seit zwei Jahrzehnten Wirtschaftskrise. Vandalismus und Diebstahl belasten unseren Betrieb, wir hatten schon mehrere Einbrüche. Strom gibt es nur nachts. Wir haben zwar einen Generator, aber wegen der Benzinknappheit können wir ihn selten benutzen. Wir stehen nachts auf, um zu nähen."
Das größte Problem sei die Inflation. Wenn Aufträge in simbabwischen Bonds bezahlt werden, macht Yaper Hoper Verluste. Selbst wenn der Kunde sofort zahle, habe die Währung bereits an Wert verloren und der Betrieb könne die Kosten für den Auftrag nicht decken. Darum ist für ihn der Vertrieb in den Nachbarländern essenziell.
Gesundes Essen – ein Geschäftsmodell?
Bertha Nherera hat ihre Firma Orsha Wholesome Foods ebenfalls in 2009 in Harare gegründet. Das Unternehmen stellt im Stadtteil Marlborough Hirsemehl, Erdnussbutter, einen Snack-Mix (Mutakura), Baobabpulver und Kräutertee her. Die Inflation macht auch ihrem Betrieb zu schaffen: „Ich hatte Verträge mit Supermärkten, und mit dem Parirenyatwa-Krankenhaus in Harare. Das war toll, für kranke Menschen ist gesunde Ernährung ja besonders wichtig. Aber wegen des Währungsverfalls habe ich letztens nur noch Verluste gemacht. Ich muss die Bauern bezahlen, wenn ich meine Inputs kaufe, bekomme aber mein Geld von den Kunden erst Wochen später", klagt Nherera.
Nur nachts wird produziert
Derzeit bearbeitet sie nur noch kleine Aufträge aus ihrem persönlichen Netzwerk, die sofort bezahlt werden. Und, wie Brighton Mutigwe, vermietet sie ihre Maschinen: Die Erdnusspresse, der Getreideröster und die Schälmaschine für Hirse. Dann müssen die beiden Angestellten nachts arbeiten, denn wie in Norton ist Strom in Marlborough oft erst spätabends verfügbar. Meist komme der Strom gegen zehn Uhr abends und werde dann morgens wieder abgeschaltet, sagt Nherera. Ein Leben in Standby.
Nherera hat Umweltökonomie studiert und lange für NGOs Projekte gemanagt. Sie kennt die Armut der Bauern, ihre Not, Einkommen aus der Landwirtschaft zu erzielen. „Orsha sollte den Bauern einen Absatz sichern und gleichzeitig den Markt mit traditionellen Lebensmitteln versorgen", erläutert Nherera. „Sorghum, unsere einheimischen Hirsesorten, Baobabfrüchte und lokale Gemüse – das sind gesunde, nahrhafte Erzeugnisse, die an das simbabwische Klima angepasst sind. Wir sollten Sadza (traditionellen Maisbrei) und Mahewu (traditionelles Maisgetränk) aus Hirse herstellen, statt Reis Sorghum zubereiten. Das hilft Simbabwe auch bei der Klimaanpassung, denn die lokalen Sorten sind resilienter."
Als Geschäftsfrau musste Nherera lernen, die Wirtschaftlichkeit ihres Betriebs an erste Stelle zu setzen. „Ich brauchte ein ganzes Jahr, bis ich zuverlässige Lieferanten hatte, die mir saubere Getreidekörner geliefert haben", erzählt sie. Mehl mit Sand und Steinchen verkaufe sich nicht.
Einheimische Pflanzen und Wildkräuter – ein Unternehmer auf Mission
Austin Munyavhi gründete sein Unternehmen Utsanzi vor zwanzig Jahren. Ähnlich wie Nherera treibt ihn eine Vision an: Traditionelle Nahrungs- und Heilmittel wieder in Simbabwe einzuführen. Utsanzi stellt Lebensmittel, Kosmetikartikel und Medizinprodukte aus einheimischen Pflanzen und Wildkräutern her. In seiner Manufaktur beschäftigt Munyavhi sechs feste und etliche freie Mitarbeiter. Seine Erzeugnisse stellt er in seinem hübschen Laden in der Longcheng Plaza Mall in Harare aus, dort macht er Verträge und zeigt uns seine Produkte.
„Der Markt für autochthone Pflanzen und Kräuter wächst", bekräftigt Munyavhi. „Wir Simbabwer essen zu viel Mais und ungesundes Essen. Das sehen immer mehr Leute. Mit einheimischen Produkten stärken wir nicht nur unsere Wirtschaft, sondern beugen Krankheiten vor und halten uns gesund." Und Geld verdienen kann man auch damit. „Utsanzi war der erste gesundheitlich orientierte, lebensmittelverarbeitende Betrieb in Simbabwe, der seine Produkte in etablierten Märkten platzieren konnte", erzählt er stolz. Achtzig Prozent seines Absatzes erzeuge die Firma mittlerweile in Supermärkten. Zur Qualitätssicherung betreibt Utsanzi ein eigenes Labor, prüft darin die Lebensmittelsicherheit seiner Produkte. Den staatlichen Siegeln traut Munyavhi nicht.
Neue Märkte schaffen durch Bewusstseinsbildung
Der energische Firmeninhaber ist kreativ, wie Machingambi gestaltet er gerne Neues. Im Jahr 2016 gewann Utsanzi den internationalen Global Food Industry Award, für seine Zviyo- and Nyemba-Breie, einen innovativen Mix aus Fingerhirse und lokalen Erbsen. „Die Breie sind sehr nahrhaft, ein tolles Produkt", berichtet Munyavhi. „Nur leider verkauften sie sich nicht, ich biete sie nicht mehr an. Als Unternehmer bin ich darauf angewiesen, dass die Leute meine Erzeugnisse kaufen. Darum sind Bildung und Sensibilisierung der Konsumenten so wichtig." Nherera kann dem nur zustimmen: „Wir müssen unsere Landsleute dazu bringen, mehr lokale Nahrungsmittel zu konsumieren." Bewusstseinsbildung sei die Voraussetzung, dass die Nachfrage für ihre Produkte steige. Darum nutzt sie ihre Werkstatt auch für praktische Schulungen.
Post Covid-19
Während ich im Mai diesen Text schreibe, hat Covid-19 alles verändert. In Chishakwe können sich viele Familien nur noch eine Mahlzeit am Tag leisten, wegen der Reisebeschränkungen verrotten die Produkte der Bauern auf den Feldern. Simbabwes Grenzen sind dicht, Peckance Machingambi hat seinen Markt verloren, Festivals sind abgesagt, Touristenläden geschlossen. „Ich sehe kein Licht in den nächsten sechs Monaten", schreibt er mir. Bertha Nherera berichtet, sie verkaufe kaum noch etwas, könne ihren finanziellen Verpflichtungen nicht nachkommen. Sie mache sich Sorgen um ihre Angestellten, deren Gehalt sie kürzen musste. Und Austin Munyavhi versucht, sich den Gegebenheiten anzupassen. „Die Geschäfte gehen schlecht, aber es besteht Aussicht auf Verbesserung", teilt er mit.
Bettina Meier
Die Autorin ist Beraterin für Ökonomisches Empowerment bei Brot für die Welt. In ihren Workshops bringt sie Brot für die Welt-Partnerorganisationen mit Kleinunternehmern aus dem informellen und formellen Sektor zusammen.