CHINESISCHE MIGRANTEN AUF DEM AFRIKANISCHEN KONTINENT. Ihre Anzahl ist zwar nicht genau bekannt, doch immer mehr chinesische Staatsbürger lassen sich in Afrika nieder. Sie sind keine Agenten des chinesischen Staates und verfolgen ihre eigene Agenda. Aber sie sind Teil des wachsenden Engagement Chinas in Afrika.
Die Daten über die Zahl der chinesischen Migranten in Afrika sind unvollständig und unzuverlässig. Es wird geschätzt, dass in den 55 afrikanischen Ländern zwischen einer und zwei Millionen leben. So gab die äthiopische Botschaft in Peking an, dass sich ca. 35.000 bis 40.000 Chinesen in Äthiopien angesiedelt haben, andere Quellen sprechen von 20.000. Was Ghana betrifft, werden 7.000 bis 20.000 chinesische Migranten genannt. Nur eines ist eindeutig: Die Zahl der in Afrika ansässigen chinesischen Staatsbürger hat in den letzten zwei Jahrzehnten erheblich zugenommen hat. Laut „Annual Report on Overseas Chinese Study" waren 2012 mehr als 1,1 Millionen chinesische Einwanderer auf dem afrikanischen Kontinent ansässig, verglichen mit weniger als 160.000 im Jahr 1996. 90 Prozent der Eingewanderten kamen nach 1970.
Aus den in ganz Afrika gesammelten Daten geht hervor, dass die meisten chinesischen Einwanderer in Südafrika zu finden sind, gefolgt von Nigeria, Sudan, Angola, Algerien und Mauritius. Man geht davon aus, dass sich Chinesen in Südafrika eher ansiedeln als in anderen Teilen des Kontinents, was vor allem mit der wirtschaftlichen Lage des Landes und den möglichen Chancen für Zuwanderer zu tun hat. Zu den Chinesen, die bereits sehr früh nach Südafrika kamen, gehörten Sträflinge und Firmensklaven der Niederländischen Ostindien-Kompanie, die Mitte bis Ende des 17. Jahrhunderts das Kap kontrollierte. Zwischen 1904 und 1910 wurden über 63.000 Vertragsminenarbeiter nach Südafrika importiert. Die Vorfahren der in Südafrika geborenen Chinesen kamen ab Ende der 1870er-Jahre in kleiner Zahl nach Südafrika. Heute zählt diese Gruppe etwa 10.000 Menschen. Sie stammen aus zwei Gebieten der Provinz Guangdong in Südchina. In den 1980er-Jahren siedelten sich ca. 2.500 Einwanderer aus Taiwan an. Von ihnen wurden fast 150 Fabriken mit 40.000 Beschäftigten errichtet, zumeist in abgelegenen Teilen des Landes in oder in der Nähe der ehemaligen „Bantustans". In den 1990er Jahren begann eine weitere Einwanderungswelle. Im Gefolge von Industrieinvestitionen migrierten Taiwanesen und Hongkong-Chinesen nach Südafrika. Sie gründeten Import-/Exportfirmen und Restaurants und es kamen Studenten. Sie ließen sich vor allem in den größeren Städten Südafrikas nieder. Die gegenwärtige Einwanderungswelle ist durch die Einwanderung aus der Volksrepublik China gekennzeichnet. Seit den späten 1980er Jahren und mit zunehmendem Tempo bis zur Anerkennung der Volksrepublik China durch Südafrika im Januar 1998 sind vom chinesischen Festland aus sowohl legale als auch illegale Einwanderer in großer Zahl nach Südafrika gekommen. Die chinesische Botschaft schätzt die Zahl der Chinesen in Südafrika auf etwa 200.000. Südafrika hat gegenwärtig mindestens fünf- bis zehnmal mehr Chinesen in seinen Grenzen hat als jede andere afrikanische Nation.
Chinas Aufstieg
Die Wanderung chinesischer Migranten der letzten zwei Jahrzehnte nach Afrika ist eine Folge der Veränderungen im politisch-wirtschaftlichen Kontext Chinas. In den ersten drei Jahrzehnten nach der Gründung der Volksrepublik China im Jahr 1949 wurde die Migration Chinas streng kontrolliert. Die Menschen verließen das Land, um in staatlich geförderten Projekten in Entwicklungsländern im Ausland zu arbeiten, bspw. in Tansania. Um diplomatische Beziehungen mit den neuen unabhängigen afrikanischen Staaten zu fördern, sandte die Kommunistische Partei unter Mao Tse Tung ca. 150.000 Arbeiter und Techniker nach Afrika, um an Projekten in den Bereichen Landwirtschaft, Technologie und Infrastruktur mitzuwirken, von denen die überwiegende Mehrheit nach Abschluss ihrer Arbeit nach China zurückkehrte. In der Reform- und Öffnungsphase seit 1978 kam es zunächst zu einer allmählichen legalen Migration. Erst seit Beginn des 21. Jahrhunderts begannen Festland-Chinesen in nennenswerter Zahl eigenständig nach Afrika zu migrieren. Seit der Verkündung von Chinas Aufstiegsstrategie im Jahr 1999 hat die chinesische Regierung die Abwanderung von Unternehmen und Menschen aktiv gefördert. In der Folge investierten chinesische Unternehmen in großer Zahl in den Sektoren Bergbau, Bauwesen, Straßenbau, Wasserkraft, Elektrizität, Eisenbahn, Telekommunikation und in der Industrie. Laut McKinsey sind derzeit über 10.000 chinesische Firmen auf dem gesamten afrikanischen Kontinent tätig. China ist dadurch zu einem der wichtigsten Wirtschaftspartner Afrikas geworden. Stark anwachsende chinesische Investitionen gibt es in afrikanischen Ressourcensektoren (Öl, Kupfer, Kohle, Diamanten, Gold, Bauxit, Eisenerz, Holz). Zudem hat China auf dem ganzen Kontinent in die physische Infrastruktur (Häfen, Straßen, Flughäfen, Eisenbahnen, Krankenhäuser, Brücken, Dämme, Minen, Kraftwerke, Raffinerien, Stadien, Regierungsgebäude usw.) investiert. Die chinesische Regierung ist auch daran interessiert, Märkte für chinesische Waren zu schaffen.
Welche Gruppen auswandern
Drei Arten von chinesischen Migranten in Afrika lassen sich identifizieren:
- Es gibt die große Gruppe der chinesischen Vertragsarbeiter. Sie arbeiten in chinesischen Unternehmen als Ingenieure, Manager und Facharbeiter. Sie bleiben als Vertragsarbeitnehmer in der Regel für ein oder zwei Verträge. Die Vertragsarbeiter, die in Infrastrukturprojekten arbeiten, haben den größten Kontakt mit Einheimischen. So wie in China leben diese Arbeiter oft kollektiv auf dem Betriebsgelände. Das tun sie jetzt auch in Afrika. Das hilft den Unternehmen, Zeit und Geld zu sparen. Oft müssen die Vertragsarbeiter unter sehr schlechten Bedingungen mit sehr niedrigen Löhnen leben und oft schlechten Unterkünften zurechtkommen.
- Chinesische Privatunternehmer sind in Afrika an verschiedenen Aktivitäten beteiligt, die von globalen Telekommunikationsfirmen bis hin zur Low-End-Globalisierung einzelner multinationaler chinesischer Konzerne reichen.
- Eine dritte Gruppe sind die kleinen Unternehmen, die oft auch chinesische Angestellte oder Familienangehörige als Arbeitskräfte einstellen. So gibt es bspw. chinesische Händler für Plastikspielzeug und -schmuck, Mobiltelefone, Kleidung und Unterwäsche. Einige Chinesen sind Grundstücksverkäufer auf lokalen Märkten, andere sind Besitzer von Gemischtwarenläden, Restaurants und Hotels. Einzelpersonen besitzen kleine Fabriken, Minen und Holzkonzessionen, züchten Schweine und Geflügel, bauen Weizen und Baumwolle an oder bieten Gesundheitsversorgung und Zahnmedizin an. Abhängig von ihrem wirtschaftlichen Status leben sie in kleinen Gruppen in den Städten Afrikas. Sie pflegen Beziehungen zu lokalen Angestellten, Kunden oder Partnern. Sie sind umso stärker lokalisiert, je länger sie bleiben – beispielsweise gehen ihre Kinder in örtliche Schulen, was ihnen eine bessere Integration ermöglicht.
Stereotypen
Die Darstellungen chinesischer Migrationen nach Afrika werden fälschlicherweise durch das staatliche Engagement Chinas auf dem Kontinent beurteilt. Oft werden chinesische Migranten als Agenten des chinesischen Staates beschrieben, dies ist jedoch keineswegs der Fall. In der Presse werden sie oft mit uninformierten Stereotypen bedacht. Bspw. würden „Millionen chinesischer Soldaten, die mit billigen Waren bewaffnet" seien, den Kontinent überströmen. Die Chinesen hätten „die Fähigkeit zur Selbstaufopferung, den Riecher für Geschäfte, die Fähigkeit, sich an die Umgebung anzupassen, und das Talent, Kosten zu sparen und diskret zu agieren". Diese Stereotypen über China in Afrika widerspiegeln lediglich tief verwurzelte westliche Ängste, wonach ihre Vorherrschaft in Afrika im Begriff ist, von einer nicht-westlichen Macht abgelöst zu werden.
Wir behaupten nicht, dass einige der negativen Darstellungen vollkommen ungerechtfertigt sind. Aber um „die Chinesen in Afrika" besser zu verstehen, sollte es differenzierte Darstellungen der Aktivitäten der chinesischen Migranten geben. Es gibt durchaus eine „ethnische Ökonomie" von China-Läden mit Restaurants, die auf die chinesische Küche spezialisiert sind, Karaokebars, Geschäften für chinesische Medizin, Supermärkten mit chinesischen Nahrungsmitteln und Bordellen mit chinesischen Sexarbeiterinnen, die chinesische Kunden bedienen. Aber keineswegs trifft es zu, dass die Chinesen in afrikanischen Ländern ein homogener Block sind. Denn „die Chinesen" kommen aus verschiedenen Provinzen, Aufenthaltsdauer im Land, Beruf und Alter sind sehr verschieden. Sie kommen auch mit sehr verschiedenen Motivationen. Die Konzentration von chinesischen Restaurants in den Millionenstädten und die chinesischen Schriftzeichen täuschen darüber hinweg, dass es kaum Gemeinsamkeiten der chinesischen Migranten gibt.
Forschungen deuten darauf hin, dass viele Chinesen motiviert sind, nach Afrika umzuziehen, um ihre wirtschaftlichen Verhältnisse zu verbessern. Chinesen, die nach Afrika einreisen, haben in der Regel keine Verbindungen zu formalen chinesischen Institutionen wie der Botschaft und zu älteren chinesischen Gemeinschaften, falls es solche gibt, oder zu den Bewohnern der Aufnahmegesellschaft. Es fehlt ihnen an sozialem Kapital, wenn sie nach Afrika kommen, es sei denn, sie haben familiäre Bindungen.
In der afrikanischen Landwirtschaft sind nur wenige Chinesen tätig, trotz westlicher Medien- und NGO-Berichte über „Landraub". Selbst in Sambia, wo es etwa ein halbes Dutzend chinesischer Staatsfarmen und etwa 30 chinesische Privatfarmen gibt, bleiben chinesische Farmen im Großen und Ganzen relativ kleine Akteure. Im Gegensatz zur offiziellen chinesischen Rhetorik der China-Afrika-Agrarkooperation, die den modernisierten Agrarsektor Chinas, die fortschrittlichen Techniken und die mechanisierten großflächigen landwirtschaftlichen Praktiken betont, agieren die chinesischen Kleinbauern in Afrika wie die chinesischen Kleinbauern in China. Es besteht kaum eine Chance, dass diese Betriebe großflächig, hoch mechanisiert oder kapitalintensiv werden. Ihre Produktion ist nicht für den Export bestimmt, sondern ganz darauf ausgerichtet, den Bedarf eines Nischenmarktes für hauptsächlich chinesische Kunden in dem jeweiligen Land zu decken.
Im Gegensatz zum Stereotyp des erfolgreichen chinesischen Unternehmers in Afrika kämpfen viele chinesische Migranten unter erheblichen Entbehrungen um ihren Lebensunterhalt, sei es in der Landwirtschaft, im Einzelhandel oder im Kleingewerbe.
Die Realitäten chinesischer Migranten stimmen weder mit populären Medienstereotypen von Dominanz, Verschuldungsabhängigkeiten, Verdrängung der lokalen Unternehmen und Landnahme noch mit den Erzählungen der chinesischen Regierung über Süd-Süd-Kooperation, Technologietransfer und landwirtschaftliche Entwicklung überein. Chinesische Migranten sind keineswegs eine „schweigende Armee". Sie operieren unabhängig und verfolgen ihre eigene private Agenda.
Der Erfolg der Migranten hängt auch von den chinesischen Netzwerken ab, in die man bei der Ankunft eingebunden ist. Familiäre Bindungen bilden den Kern der transnationalen Netzwerke in der chinesischen Diaspora. Diese sind für viele chinesische Migranten der Schlüssel für den Erfolg ihrer Unternehmen.
Schlussfolgerung
Die chinesischen Neueinwanderer sind in gewisser Weise mit Indern in Kenia oder Libanesen in Westafrika vergleichbar. Diejenigen unter den chinesischen Neueinwanderern, die am ehesten Erfolg haben, sind die mit größerem Sozialkapital (Englischkenntnisse, besserer Ausbildung, früherer Auslandserfahrungen/-exponiertheit), stärkeren sozialen Netzwerken (chinesische Geschäftsverbindungen zu Vertriebshändlern/Großhändlern) und einem besseren Zugang zu Krediten. Die Art und Weise, wie sie nach Afrika gekommen sind, mit oder ohne Hochschulbildung, mit oder ohne Kapital – macht den entscheidenden Unterschied für Erfolg oder Misserfolg aus.
Es gibt einige bedeutende Unterschiede zwischen den neuen chinesischen Migrationen und den früheren Migrationen anderer Gruppen, bspw. der indischen Zuwanderung. Die beiden signifikantesten Unterschiede haben mit Chinas aufsteigender globaler Macht und Chinas Agieren im verarbeitenden Gewerbe zu tun. Vor dem Hintergrund des globalen Aufstiegs Chinas sowohl in wirtschaftlicher als auch in politischer Hinsicht, Chinas hohen Investitionen in afrikanischen Staaten, dem Handel mit Afrika und der Stärkung der Beziehungen zwischen China und afrikanischen Ländern sind chinesische Einwanderer Teil des gesamten chinesischen Engagements auf dem Kontinent.
Robert Kappel
Der Autor ist Professor em. an der Universität Leipzig. Er leitete von 2004-2011 als Präsident das GIGA German Institute of Global and Area Studies in Hamburg.
Blog Weltneuvermessung mit Beiträgen vom Autor: https://weltneuvermessung.wordpress.com/