Heft 4/2021, afrika süd-dossier: Ernährungssouveränität

Abhängig vom Vertriebssystem

AGRA UND IHR EINFLUSS AUF SAATGUT- UND DÜNGEMITTELGESETZE. Die „Allianz für eine Grüne Revolution" (Alliance for a Green Revolution in Africa, AGRA) mit Sitz in Kenia wurde 2006 mit Mitteln der Bill & Melinda Gates Foundation und der Rockefeller-Stiftung gegründet. Seitdem erhielt AGRA weitere Zuschüsse (bis zu einer Milliarde US-Dollar) zur „Modernisierung" der afrikanischen Landwirtschaft von anderen Philanthropen und Ländern, unter anderem Deutschland.

AGRA forciert einen Wechsel von einem staatlich gelenkten Dünger-Importmodell zu einem vom Privatsektor betriebenen Input-Vertriebssystem. Durch das „Program for Africa's Seed Systems" (PASS) hat AGRA die Entwicklung verbesserter Saatgutsorten unterstützt und ein Rückverfolgungssystem etabliert, das sowohl die Zucht und Zertifizierung von Saatgut, als auch Multiplikatoren, Händler*innen und Kleinbäuerinnen und Kleinbauern einschließt.

In ihren 13 Schwerpunktländern hat AGRA die Verabschiedung von Richtlinien vorangetrieben und unterstützt, die die Türen für landwirtschaftliche Betriebsmittel und Pestizide der grünen Revolution öffnen. Dadurch werden aber alternative landwirtschaftliche Ansätze, wie beispielsweise die Agrarökologie, von staatlicher Unterstützung ausgeschlossen.

Das ursprüngliche Ziel von AGRA war es, die landwirtschaftlichen Erträge und die Einkommen von 30 Millionen kleinbäuerlichen Haushalten zu verdoppeln und damit sowohl Hunger als auch Armut in 20 afrikanischen Ländern bis 2020 zu halbieren. Dies konnte jedoch nicht erreicht werden, weswegen die Nennung der Ziele kommentarlos von der AGRA-Website verschwunden ist.

Mehr Hunger trotz AGRA
Die Produktion von Mais – primäre Kulturpflanze in vielen afrikanischen Staaten – hat besonders von den Subventionsmaßnahmen profitiert. In den letzten zwölf Jahren sind die Erträge durch Maisproduktion um 29 Prozent gestiegen. Das angestrebte Ziel lag mit 100 Prozent aber deutlich höher. Außerdem wurde Mais auf Kosten anderer Kulturen gefördert und in einigen Fällen, wie zum Beispiel in Sambia, wurde die Ertragssteigerung nur durch Landrodungen für den Maisanbau ermöglicht. Diversifizierungs- und Bodenverbesserungstechniken wie Fruchtwechsel, Kompostierung und integrierter Pflanzenschutz (IPM), die die Abhängigkeit von oft giftigen landwirtschaftlichen Betriebsmitteln verringern könnten, wurden nur sehr wenig verfolgt. Die Zahl der Menschen, die unter extremem Hunger leiden, ist in den AGRA-Jahren um 30 Prozent gestiegen. Grund hierfür ist die Abnahme der Ernährungsvielfalt durch die Vernachlässigung von klimaresistenten, aber nicht-priorisierten Pflanzen wie Hirse, Sorghum, Süßkartoffeln, Maniok usw..

Viele Bäuerinnen und Bauern haben sich durch AGRA verschuldet, weil sie auf der einen Seite in Betriebsmittel wie Dünger, Pestizide und Hybridsaatgut investiert hatten, auf der anderen Seite aber starke Ernteausfälle aufgrund des Klimawandels erleiden mussten. Historisch gesehen hatte der öffentliche Sektor eine Schlüsselrolle bei der Saatgutzertifizierung und der Verteilung von Saatgut und Betriebsmitteln in Kenia. Im Laufe der Zeit wurden neue Saatgutsorten nur noch durch den „Kenya Plant Health Inspectorate Service" (KEPHIS) zertifiziert. Dieser war jedoch nicht in der Lage, die Nachfrage zu decken, und konzentrierte sich hauptsächlich auf die Zertifizierung des von der Kenya Seed Company produzierten Saatguts.

Die Allianz für eine Grüne Revolution erweitert den Zugang zu hybriden oder verbesserten Kulturpflanzensorten hauptsächlich durch die Unterstützung von Pflanzenzüchtungsarbeiten, Saatgutproduktionsunternehmen und Hoflieferanten für Saatgutkulturen wie Mais und Sorghum. Außerdem unterstützt sie afrikanische Wissenschaftler*innen, die neue Pflanzensorten entwickeln, die unter den lokalen Anbaubedingungen gut gedeihen, sowie lokale Unternehmen, die Saatgut für diese neuen Sorten produzieren können. Gleichzeitig hilft sie dabei, die Zahl der ländlichen Agrarhändler*innen zu erhöhen, die Saatgut verkaufen und Kleinbäuerinnen und Kleinbauern bei der Auswahl beraten.

Biodiversität in Kenia
Die „Biodiversity and Biosafety Association of Kenya" (BIBA-K) ist ein Zusammenschluss von 60 Bauernorganisationen, Tierschutz- und Verbrauchernetzwerken, Glaubensgemeinschaften, Gemeindeorganisationen und NGOs. Das Hauptziel von BIBA-K ist es sicherzustellen, dass die Öffentlichkeit über die Themen Umwelt, Landwirtschaft, Viehzucht, Lebensmittelsicherheit und -gesundheit sowie Biodiversität informiert wird. Wir arbeiten mit kleinbäuerlichen Haushalten zusammen und fordern die kenianische Regierung sowie andere afrikanische Regierungen auf, vorsichtig zu sein, bevor sie giftige landwirtschaftliche Betriebsmittel wie synthetische Düngemittel, giftige Pestizide etc. als vermeintlichen Lösungsweg bewerben. Der Standpunkt der BIBA-K beruht auf der Tatsache, dass die Anwendung anderer „traditioneller" Optionen wie Landreformen, Bewässerung und die Einführung nachhaltiger agrarökologischer Praktiken, wie z. B. biologische Landwirtschaft, sowie die Bewahrung einheimischer Anbaumethoden nachweislich bessere und langfristige Ergebnisse für Gesellschaften bieten, die für die Ernährung einer ständig wachsenden Bevölkerung kämpfen.

BIBA-K unterstützt und begleitet Caroline Anyona, eine Bäuerin in Butula, Busia, die sich seit Jahren auf das lokal angepasste Saatgut verlässt, einschließlich Maissorten, die wunderschön in lila, rot und gelb gefärbt sind. Sie hat kontinuierlich eine Rekordernte eingefahren, auch wenn sich die Wetterbedingungen geändert haben. Sie baut ihren Mais mit Hofdünger und Kompost an und recycelt und pflügt einen Teil der Maisstängel zurück, um ihre Farm zu ernähren und gleichzeitig Kohlenstoff zu binden. Dies erspart ihr die Abhängigkeit von Saatgut und Düngemitteln der Agrarhändler*innen in der Umgebung und spart vor allem Geld.

Die übermäßige Abhängigkeit von Hybridsorten hat zum Verlust der Pflanzenvielfalt geführt. Seit den 1990er-Jahren sind etwa 75 Prozent der pflanzengenetischen Vielfalt verloren gegangen, da die Bäuerinnen und Bauern laut FAO weltweit ihre zahlreichen lokalen Sorten zugunsten genetisch einheitlicher, ertragreicher Sorten aufgegeben haben.

Diversifizierte Nahrungsmittelproduktion
Zunehmend wird die Rolle der Agrobiodiversität und der Agrarökologie als Schlüssel für die Bewirtschaftung von Ressourcen für heutige und zukünftige Generationen erkannt. Agrarökologie ist die Wissenschaft, die ökologische Konzepte und Prinzipien anwendet, um die Wechselwirkungen zwischen Pflanzen, Tieren, Menschen und der Umwelt zu managen, mit dem Ziel, die Nahrungsmittelsicherheit und Ernährung zu gewährleisten (FAO). Agrobiodiversität wiederum bezeichnet die Vielfalt und Variabilität von Tieren, Pflanzen und Mikroorganismen, die direkt oder indirekt für die Ernährung und Landwirtschaft genutzt werden, einschließlich Nutzpflanzen, Vieh, Forstwirtschaft und Fischerei.

Um angemessene und nahrhafte Lebensmittel zu produzieren, die lokal verfügbar, zugänglich und bezahlbar sind, muss ein nachhaltiges und klimafreundliches Landwirtschafts- und Lebensmittelproduktionssystem gefördert und sichergestellt werden. Dies wird als agrarökologisches und auf Agrobiodiversität beruhendes Lebensmittelproduktionssystem bezeichnet, das sich in zwei wesentlichen Punkten von den derzeitigen konventionellen Lebensmittelproduktionssystemen unterscheidet: Erstens wird die Regeneration der Bodenmikroorganismen gefördert. Dazu werden lokal verfügbare Bodenverbesserungstechniken und Anreicherungspraktiken wie Kompostierung und die Verwendung von Restprodukten von Nutztieren und Pflanzenresten mit mikrobieller Wirkung eingesetzt, um Böden anzureichern und Nährstoffe zu produzieren, die wiederum die Pflanzen ernähren. Die Verwendung externer synthetischer Agrochemikalien zur Ernährung der Pflanzen zerstört unbeabsichtigt die Mikroorganismen im Boden und damit die Agrobiodiversität. Zweitens: Im Gegensatz zur konventionellen Landwirtschaft, die Monokulturen und großflächige Landwirtschaft fördert, stellen agrarökologische Ansätze kleinbäuerliche Betriebe, wie von Caroline Anyona, mit einer diversifizierten und lokalen Nahrungsmittelproduktion in den Mittelpunkt dieser Produktion.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass unter dem Einfluss von AGRA die Düngemittel- und Saatgutpolitik auf die Förderung von synthetischen Düngemitteln und Hybriden konzentriert. Diese erodieren allmählich die Böden und bringen die Kleinbäuerinnen und Kleinbauern dazu, in jeder Saison mehr und mehr Dünger zu verwenden. Viele afrikanische Landwirte haben nach dem Ende der Subventionen keinen Zugang mehr zu diesen Düngemitteln. Am Ende des Tages sind es die multinationalen Dünger- und Saatgutkonzerne, die davon profitieren und ihre Präsenz in Afrika ausbauen können.

Wir – also BIBA-K und unsere Mitglieder – fördern Agrarökologie und von den Kleinbauern verwaltete Saatgutsysteme („Farmer Managed Seed Systems", FMSS), die sich um die heutigen und zukünftigen Generationen kümmern und dabei niemanden zurücklassen.

Anne Maina

Die Autorin ist nationale Koordinatorin der „Biodiversity and Biosafety Association of Kenya".