Heft 4/2021, afrika süd-dossier: Ernährungssouveränität

Aquaponik als zukunftsweisendes System

EIN DIGITALES AUSBILDUNGSPROGRAMM FÜR DEN SADC-RAUM. In Europa herrscht noch ein weitgehend verstaubtes Bild von Landwirtschaft und landwirtschaftlicher Bildung auf dem afrikanischen Nachbarkontinent. Es werden fast ausschließlich Kleinbauern oder Subsistenzbäuerinnen porträtiert, die kaum von ihren Erträgen leben können. Dies ist aber nur eine Seite der Medaille. Auf der anderen Seite entwickeln landwirtschaftliche Schulen und Universitäten in Afrika bereits seit einiger Zeit hochmoderne, fortschrittliche und zukunftsweisende Systeme für eine neue und umweltfreundliche Landwirtschaft.

Während europäische, insbesondere deutsche Universitäten in Zeiten der Covid-19-Pandemie mit den Herausforderungen der digitalen Technik zu kämpfen hatten und teils weiterhin haben, nutzen viele Einrichtungen in den Ländern des südlichen Afrika bereits seit Jahren Digitalisierungsmöglichkeiten im Bereich Landwirtschaft und landwirtschaftlicher Bildung. Afrika scheint eine ganze Generation übersprungen zu haben. Ein Beispiel für diese Entwicklung ist Aquaponik, ein modernes landwirtschaftliches System, das sich auch dem Klimawandel stellt und zunehmend die digitale Ausbildung im Bereich der Landwirtschaft prägt.

Aquaponik und seine Geschichte
Das Wort „Aquaponik" ist eine Wortneuschöpfung aus den Begriffen „Aquakultur" und „Hydroponik". Dabei ist die symbiotische Verbindung von konventioneller Aquakultur (kontrollierte Aufzucht von Fischen) und Hydroponik (die Kultivierung von Pflanzen im Wasser) gemeint. In der Natur fressen Fische alles, was sie an Nahrung finden können. Die dabei entstehenden Abfälle werden von Bakterien im Wasser abgebaut, wodurch Nährstoffe für Pflanzen entstehen. Die Pflanzen nehmen diese Nährstoffe wiederum auf und helfen so, das Wasser für die Fische zu reinigen und die Toxizität, die in herkömmlichen Aquakulturen entsteht, zu senken.

Historisch gesehen geht die Aquaponik-Technologie bereits auf die aztekischen Chinampas-Kanäle zur manuellen Bewässerung der Pflanzen und auf Südchina zurück, wo Reis in Feldern in Kombination mit Fischen angebaut und gezüchtet wurde. Die Forschung zur modernen Aquaponik nahm Ende der 1970er-Jahre an der North Carolina State University in den USA und in Kanada ihren Ausgang. In den 1990er-Jahren gab es in Kanada ein wachsende Zahl kommerzieller Aquaponik-Anlagen für die Aufzucht hochwertiger Kulturen wie Forellen und Salat.

In Afrika steckt Aquaponik noch in den Kinderschuhen. Bei den wenigen bekannten Systemen handelt es sich in der Regel um kleine Hinterhofanlagen und solche, die für die Ernährung mehrerer Familien ausgelegt sind. Doch die Förderung von Aquaponik durch Unternehmen nimmt in Afrika zu. Es ist bekannt, dass die Technologie bereits in Südafrika, Namibia, Botswana, Malawi, Kenia, Sambia und Ruanda angewandt wird. Viele der Initiativen stammen von Gruppen, die sich um die Linderung von Armut und Ernährungsmängeln vor Ort bemühen. Die lokale Aquaponikindustrie in Südafrika ist recht gut organisiert. 2015 wurde die Aquaponics Association of Southern Africa (www.aquaponicssa.org/) gegründet.

Funktionsweise von Aquaponiksystemen
In Aquaponiksystemen macht man sich den natürlichen Kreislauf zu Nutze. Zwar unterscheidet sich das Pflanzenwachstum in einem Aquaponiksystem optisch und systematisch erheblich vom konventionellen Wachstum in landwirtschaftlichen Betrieben, jedoch sind die gleichen natürlichen Voraussetzungen gegeben. Der Stickstoffkreislauf stellt hierbei das Schlüsselelement dar, da er in symbiotischer Weise für die Fruchtbarkeit der Pflanzen sorgt und das Wasser für Fische reinigt. Üblicherweise sammelt sich ein hohes Maß an toxischen Stoffen in Aquakulturen. Um dies zu verhindern, wird in Aquaponiksystemen das Wasser aus einer Aquakulturanlage durch einen biologischen Filter geleitet, bevor es zu den Pflanzen und dann zurück in die Aquakultur fließt.

Der Haupteintrag in diesen Stickstoffkreislauf – abgesehen vom Strom, der in diesem Fall für die Pumpe zur Umwälzung des Wassers benötigt wird – ist Fischfutter. Nachdem die Fische das Futter gefressen und verdaut haben, scheiden sie Abfallstickstoffe in Form von Ammoniak (NH3) über ihre Kiemen direkt ins Wasser aus. Fischabfälle sowie jegliches nicht gefressenes Fischfutter werden ebenfalls zersetzt, wobei der größte Teil des Stickstoffs in Ammoniak umgewandelt wird. Dieses Ammoniak wird dann beim Durchströmen des biologischen Filters, in dem sich Nitrosomonas-Bakterien befinden, in Nitrit (NO2), welches für Fische giftig ist, umgewandelt. In einem weiteren Schritt wandelt eine zweite Bakterienart, Nitrobactor, Nitrit in Nitrat (NO3) um. Nitrat ist für Fische harmlos. Dieses Nitrat dient dann, während es durch das Zuchtbett fließt, als Dünger für die darin befindlichen Pflanzen, da es die bevorzugte Stickstoffform für höhere Pflanzen wie z. B. Fruchtgemüse ist. Die Pflanzen entfernen in diesem hydroponischen Teil des Systems das Nitrat aus dem Wasser und reinigen es so, während es zurück in das Aquarium fließt und den Fischen frisches, sauberes Wasser zum Gedeihen liefert.

Bei mehrfacher Wiederverwendung des Wassers sammeln sich ungiftige Nährstoffe sowie organische Stoffe an. Diese Nebenprodukte können in Sekundärkulturen kanalisiert und in der primären Fischproduktion eingesetzt werden. Als integrierte Systeme bezeichnet man die Verwendung von Nebenprodukten aus der Produktion der Hauptfischart zum Anbau zusätzlicher Pflanzen. Handelt es sich bei den Sekundärkulturen um Wasser- oder Landpflanzen, die zusammen mit Fischen gezüchtet werden, wird dieses integrierte System als Aquaponiksystem bezeichnet.

Die symbiotische Beziehung von Fischen und Pflanzen innerhalb des Aquaponiksystems führen zu einem sinnvollen Systemdesignkriterium, insbesondere wenn eine große Fischmenge in relativ kleinem Wasservolumina in Verbindung mit dem Anbau erdloser Pflanzen aufgezogen werden sollen. Im Allgemeinen können fast alle Süßwasserfische und Schalentiere mit Aquaponik gezüchtet werden. Ebenso kann eine breite Palette von Pflanzen in dieser Art von System angebaut werden. Es ist jedoch einfacher, Pflanzen zu züchten, die keine großen Wurzeln haben, um Fäulnis zu umgehen. Pflanzen mit geringem bis mittlerem Nährstoffbedarf kommen am besten zurecht.

Vorteile von Aquaponik
Die Aquaponiktechnologie bietet die Möglichkeit, Lebensmittel auf wirtschaftlich und ökologisch nachhaltigere Weise zu produzieren, da sie einen geringen Ressourceneinsatz benötigt. Aquaponik könnte auch dazu beitragen, die Kohlenstoffemissionen aus der Lebensmittelproduktion zu verringern und durch die Verkürzung der Lieferketten die Lebensmittelsicherheit und Widerstandsfähigkeit von Lebensmittelsystemen zu verbessern. Zudem könnte die lokale Wirtschaft durch den Einsatz von Aquaponik weiter angekurbelt und so ein Teil des Wertes ihrer Erzeugnisse zurückgewonnen werden. Dies wurde kürzlich durch eine Studie demonstriert, bei der häusliches Abwasser zum Anbau von Tomatenpflanzen genutzt und festgestellt wurde, dass schädliche Chemikalien im Wasser, wie z. B. Ammoniumnitrat, auf ungiftige Werte reduziert wurden, sodass der Einsatz in landwirtschaftlichen und industriellen Systemen möglich war. Darüber hinaus könnte ein Aquaponiksystem den Wasserverbrauch für die Lebensmittelproduktion im Vergleich zu bestehenden landwirtschaftlichen Methoden erheblich reduzieren.

Natürlich gibt es auch Nachteile bei Aquaponiksystemen. Der offensichtlichste davon ist das große Verhältnis von Pflanzenaufzuchtfläche zu Fischaufzuchtfläche. Um ein ausgewogenes System mit relativ konstantem Nährstoffniveau zu erreichen, benötigt es deutlich größere Pflanzen- als Fischflächen. Die Verhältnisse variieren je nach Grad der Feststoffentfernung von 2:1 bis 10:1 oder mehr.

Bedarf an landwirtschaftlicher Ausbildung
Eine von der Agricultural-Sector Education Training Authority (Agri-SETA) im Jahr 2010 durchgeführte Analyse hat eine Reihe von Qualifikationsdefiziten in der Landwirtschaft sowohl in kleinbäuerlichen Betrieben als auch bei Arbeitskräften im kommerziellen Landwirtschaftssektor aufgezeigt. Prof. Mohammad Karaan, der frühere Dekan der Fakultät für Agrarwissenschaften der Universität Stellenbosch, ist der Ansicht, dass jeder Wirtschaftszweig, der sich weiterentwickelt, dies auf der Grundlage von Investitionen in Menschen und Technologie tut. „Wenn wir einen Landwirtschaftssektor aufbauen wollen, der zum Wachstum des Sektors beiträgt, müssen wir in menschliche Fähigkeiten investieren", stellt er fest. „Wir bringen nicht genug davon hervor. Wir bringen sicherlich nicht genug schwarze Talente hervor, um eine Klasse von schwarzen Landwirtschaftsfachleuten zu schaffen. Wir brauchen menschliche Fähigkeiten, um den Wohlstand in diesem Sektor zu fördern."

Das digitale Aquaponik-Schulungsprogramm
Der interdisziplinäre Charakter der Aquaponik kann sie zu einem attraktiven Instrument für die Ausbildung machen, doch kann dieser Aspekt auch dazu führen, dass ein Aquaponiksystem schwierig zu implementieren und zu verwalten ist. Die Lehrkräfte benötigen geeignetes Schulungsmaterial und -kurse für ihre jeweiligen Bildungseinrichtungen. Desertfoods International GmbH und zwei südafrikanische Partnerorganisationen haben sich zum Ziel gesetzt, digitale und interaktive Aquaponik-Studienprogramme in der gesamten Region der Entwicklungsgemeinschaft des Südlichen Afrika (SADC) zu entwickeln. Hierbei soll ein hybrider Lehransatz mit vorakademischen Online-Kursen, wissenschaftlichen Graduiertenstudien, praktischen Live-Schulungen und begleitenden Formaten wie virtuellen Workshops genutzt werden.

Die wichtigsten Lehrmedien für das Studienprogramm sind digitale Werkzeuge wie wie Handys, Notebooks sowie Tablet- und Desktop-PCs. In der Lehrdidaktik sollen möglichst alle Formen der Visualisierung eingesetzt werden. Dazu gehören Video, Audio, Grafik, Animation, virtuelle Realität, Best-Practice-Szenarien und E-Skripte. Die Hauptunterrichtssprache ist dabei Englisch. Die Partner sind sich einig, dass eine ausgewogene Aufteilung zwischen Theorie und Praxis von wesentlicher Bedeutung ist, wobei der „train with purpose"-Ansatz das Kernkriterium für alle Kurse und Veranstaltungen im Rahmen des Studienprogramms darstellt.

Von den Studierenden wird erwartet, dass sie eine Mindestanzahl praktischer Stunden auf Aquaponik-Farmen verbringen, die entweder als Demonstrations-, Forschungs- und Kompetenzeinrichtungen oder als kommerzielle Lebensmittelproduktionsanlagen im großen Maßstab betrieben werden. Die praktische und berufliche Ausbildung wird als Teil des Mentorings und der Verfolgung des Fortschritts der Student*innen im Sinne einer Beschäftigung oder Unternehmensentwicklung betrachtet. Zur Vermittlung von Spitzen-Know-how und -Technologie müssen die Betriebe bestimmte Standards sowohl in Bezug auf das System als auch auf das Design erfüllen. Das Profil der virtuellen Dozent*innen bzw. der vor Ort tätigen Ausbilder*innen muss ebenfalls bestimmte Voraussetzungen erfüllen, deren Kriterienkatalog von den Partnern gemeinsam festgelegt wird.

Die Teilnehmer*innen des Studienprogramms sollen sich aus einer sozial vielfältigen Studierendenschaft zusammensetzen. Um den Zugang zum Studienprogramm zu ermöglichen und eine größere Vielfalt an Studierenden zu erreichen, sollen Personen, die aus einer unterprivilegierten Gruppe oder einer benachteiligten Gemeinschaft stammen, finanziell unterstützt werden. Studierende mit herausragenden akademischen oder praktischen Leistungen sollen besonders berücksichtigt und ermutigt werden, sich z. B. um ein Stipendium zu bewerben. In jedem akademischen Jahr werden aber auch eine Reihe Stipendien für Personen bereitgestellt, die sich den betreffenden Kurs ansonsten nicht leisten könnten. Um ein rentables Geschäft zu betreiben, muss die Höhe der Einschreibegebühren in engem Zusammenhang mit dem Profil der Zielgruppe sowie mit dem Umfang der Wissensvermittlung und der Dauer des Kurses stehen. Die Teilnehmenden des Studienprogramms werden regelmäßig aufgefordert, die einzelnen Kurse mittels eines Online-Fragebogens zu evaluieren. Es werden regelmäßige Bewertungen durchgeführt, um die finanzielle Solidität des Studienprogramms, vor allem aber die akademische Qualität und die Bildungsautonomie, zu gewährleisten.

In Zukunft soll der Kern der digitalen Ausbildung des Studiengangs eine (webbasierte, plattformübergreifende oder hybride) Softwareanwendung („App") sein, die verschiedene Schnittstellen auf einer einzigen Plattform vereinheitlicht, wie z. B. Verwaltung, Enzyklopädie (AquaponicWiki, FarmingWiki) sowie Funktionen und Tools.

Die Partner betrachten sich gegenseitig als gleichberechtigt mit einem starken Engagement für die Verbindung von akademischer Exzellenz mit modernster landwirtschaftlicher Praxis und Unternehmergeist zum Nutzen der Teilnehmenden des Studienprogramms, wobei die Studierenden als die größte und wichtigste Interessengruppe der Kooperation betrachtet werden. Das gemeinsame Ziel ist die Schaffung von Ernährungssicherheit, neuen Beschäftigungsmöglichkeiten und langfristiger Nachhaltigkeit durch Aquaponik-Anbau in mehreren Kreisläufen im Einklang mit der Natur.

Henk Stander

Der Autor ist im Fachbereich Tierwissenschaften der Fakultät für Agrarwissenschaften an der Universität Stellenbosch tätig.
Kontakt: hbs@sun.ac.za