FÖRDERUNG VON INDIGENEM WISSEN ZUR VERBESSERUNG LANDWIRTSCHAFTLICHER RESILIENZ. Simbabwe ist ein durch vielfache Schocks und Risiken gefährdetes Land. Im Notre Dame Global Adaptation Initiative Index gilt es als eines der am stärksten gefährdeten und am wenigsten auf den Klimawandel vorbereiteten Länder. Die Bevölkerung hat jedoch Wege entwickelt, mit einem schwierigen Klima, schlechten Böden, ungerechter kolonialer Landpolitik, jahrzehntelanger wirtschaftlicher und politischer Krise, Ernährungsunsicherheit sowie mit dem Zusammenbruch des Gesundheitssystems und anderer Infrastruktur umzugehen. Dabei kann sie auf indigenes Wissen zurückgreifen.
Der Klimawandel hat messbare Auswirkungen auf Temperatur, Niederschlag und Wettermuster im ganzen Land. Dies verschärft bereits bestehende Risiken für das Leben und die Lebensgrundlagen auf dem Land, die mit einer schlechten Landnutzung und mit einem schwachen Regierungshandeln in Bezug auf natürliche Ressourcen verbunden sind. Diese Faktoren haben zu einem massiven Rückgang der Biodiversität, massiver Bodendegradation, Wasserknappheit, Umweltverschmutzung und Schädlingsbefall geführt. Etwa 70 Prozent der Bevölkerung sind zur Erzeugung von Nahrung und Einkommen von der Landwirtschaft abhängig. Die Abhängigkeit von landwirtschaftlichen Produktionsmitteln und Cash Crops bei instabilen Märkten lässt viele ländliche Haushalte verarmen. Chronische Unterernährung tritt am häufigsten in Gebieten auf, in denen die kommerzielle landwirtschaftliche Produktion am höchsten ist.
Indigenes Wissen kann definiert werden als Weisheit, Erfahrung und Praktiken, die an einem bestimmten Ort entwickelt und im Laufe der Zeit weitergegeben wurden, um den Menschen zu helfen, sich an ihre Umgebung anzupassen. Indigenes Wissen wurde ausführlich als Mittel zur Stärkung der Widerstandsfähigkeit gegenüber den Gefahren des Klimawandels untersucht, aber die Ergebnisse dieser Forschung sind für Gemeinden, Entwicklungsagenturen und politische Umsetzer selten zugänglich.
Studien zur vorkolonialen Lebensweise zeigen, dass die Simbabwer*innen jahrhundertelang ein nachhaltiges Management natürlicher Ressourcen praktizierten und trotz eines von Natur aus variablen Klimas florierende Gesellschaften aufrechterhielten. Von diesen Praktiken wurde während der Kolonialzeit abgeraten oder sie wurden verboten, als moderne Methoden empfohlen wurden, die darauf abzielten, die Erträge zu steigern und Kleinbäuerinnen und Kleinbauern in die Marktwirtschaft zu locken. Zu diesen Methoden gehörten die weit verbreitete Rodung von Bäumen, maschinelles Pflügen und der Anbau von Cash Crops in Monokulturen. Widerstandsfähige, einheimische Pflanzen wurden zurückgedrängt, während Mais – aus Mittelamerika eingeführt – gefördert wurde. Im Laufe der Zeit wurden die Landwirt*innen dazu gedrängt, teures Hybridsaatgut und Viehrassen sowie Düngemittel, Herbizide und Pestizide zu kaufen.
Initiative „Indigenes Wissen" zur Klimaanpassung
Im Juli 2020 wurde mit Mitteln der Konrad-Adenauer-Stiftung die Initiative IKA (Indigenous Knowledge for climate Adaptation) ins Leben gerufen. Ziel war es, indigenes Wissen aus ganz Simbabwe zu sammeln, auszutauschen und zu zelebrieren, um Wege zu finden, die Gemeinschaften bei der Anpassung an den Klimawandel zu unterstützen. Aufgrund der Covid-19-Pandemie und des nationalen Lockdowns wurde eine neuartige Forschungsmethode entwickelt. Menschen im ganzen Land wurden über bereits bestehende NGO-Netzwerke kontaktiert und eingeladen, Wissensvermittler*innen für Gemeinden (Community Knowledge Gatherers – CKGs) zu werden. Es wurde ein einfaches Interview mit Fragen zu vorkolonialen Praktiken in Bezug auf traditionelle Wettervorhersage, Landwirtschaft, Ernährung, Umweltmanagement und gemeinschaftliche Kooperationssystemen entwickelt. Daten in Form von schriftlichen Aufzeichnungen, Sprachaufnahmen, Fotos und Videos wurden von den CKGs per WhatsApp übermittelt. Die Daten wurden zusammengetragen und zu einem Buch zusammengestellt. Videos, Fotos und Geschichten wurden auf Facebook geteilt.
Bis September 2020 hatten etwa 46 CKGs über 200 Personen in 49 Distrikten in allen Provinzen Simbabwes interviewt. Von den befragten Personen war die Jüngste 23 und die Älteste 99 Jahre alt und das Verhältnis zwischen Männern und Frauen fast ausgeglichen. Die meisten waren im Ackerbau tätig, aber einige waren auch traditionelle Oberhäupter, Heilkundige, Hebammen, Töpfer-, Tischler-, Lederarbeiter- und Lehrer*innen sowie sogar Universitätsstudierende.
Forschung in Entwicklungsländern wird in der Regel von Außenstehenden durchgeführt – von Akademiker*innen oder Ausländer*innen. Die Ergebnisse dieser Forschung werden in der Regel in wissenschaftlichen Artikeln veröffentlicht, außerhalb der Reichweite der breiten Öffentlichkeit und derjenigen, die ihre Informationen geteilt haben. Die IKA-Initiative hat einen anderen Ansatz gewählt. Die meisten CKGs waren Mitglieder der Gemeinschaften, in denen das Wissen gesammelt wurde. Der Einsatz von WhatsApp und anderen sozialen Medien hat bewiesen, dass Forschung nicht von Akademiker*innen durchgeführt werden muss und ein großes Publikum erreichen kann. Die Präsentation der Videos, Fotos und Geschichten in sozialen Medien machte die Forschung interaktiv, sodass es zu Gesprächen kam, an denen auch Menschen teilnahmen, die nicht direkt am Projekt beteiligt waren.
Ergebnisse der IKA-Studie
Die Forschung brachte eine riesige Menge an Informationen hervor. Die Analyse zeigte, dass, obwohl Simbabwe ein großes Land mit unterschiedlichen geografischen Regionen und mehreren ethnischen Gruppen in verschiedenen Gebieten ist, viele indigene Praktiken im ganzen Land ähnlich sind.
Es wurde ein breites Spektrum an einheimischen Klima- und Wettermethoden beschrieben. Dies zeigt ein tiefes Verständnis der Umwelt, das der frühen simbabwischen Bevölkerung half, ihre natürlichen Ressourcen nachhaltig zu bewirtschaften und erfahrene Landwirt*innen zu werden. Die beschriebenen Systeme der Gemeinschaftskooperation und der sozialen Sicherheitsnetze schienen weit verbreitet zu sein und werden in einigen Gemeinden auch heute noch angewandt. Dazu gehören Gemeindemitglieder, die zusammenarbeiten, um arbeitsintensive Aufgaben zu erledigen, sowie die Unterstützung der Verletzlichsten, indem sie Felder und Getreidespeicher für den Anbau zusätzlicher Nahrungsmittel zugewiesen bekommen.
Am auffälligsten waren die erfassten Veränderungen in der Landwirtschaft und der Ernährungsweise, die in den letzten 100 Jahren stattfanden. Vor der Kolonialisierung wurde Wanderfeldbau betrieben und kleine Felder für den Ackerbau gerodet. Wenn die Böden erschöpft waren, ließ man diese Felder brach und rodete neue Flächen. Bestimmte Baumarten wurden auf Feldern gehalten, die der Bevölkerung Nahrung, Brennstoff, Holz und Medizin lieferten. Dieses einfache Agroforstsystem wird vom Interviewpartner Tamuka Matambo aus Mvuma erklärt:
„Unsere Vorfahren rodeten nur die Sträucher und Äste der Bäume und pflanzten ihre Feldfrüchte. Alternativ pflanzten sie diese einfach ins Gesträuch, ohne die Vegetation zu beseitigen. Solche Methoden wurden [von den Kolonialherren] als primitiv und unproduktiv verurteilt. Diese Methoden stellten auf natürliche Weise die organische Substanz des Bodens aus den Blättern wieder her, Nährstoffe wurden von den tief verwurzelten Bäumen und Sträuchern recycelt. Das System kontrollierte auch auf natürliche Weise Schädlinge, Krankheiten und schädliches Unkraut. Es bindet auch Böden durch Pflanzenbedeckung, erhöht die Wasserinfiltration und hilft bei der Vorbeugung von Bodenerosion, die durch die Auswirkungen von Regentropfen entstehen können."
Auf den Feldern wurden vielfältige Mischungen nährstoffreicher, trockenheitsresistenter einheimischer Feldfrüchte (u. a. Getreide, Hülsenfrüchte, Wurzel- und Knollengewächse sowie Gemüse) angebaut. Die Landwirt*innen behielten und lagerten Saatgut und identifizierten zahlreiche Pflanzensorten, die sie nach Geschmack, Ertrag und Klimaanpassung auswählten. Die Studienteilnehmer*innen haben Dutzende von lokalen Pflanzensorten notiert.
Heutzutage ziehen die meisten Simbabwer*innen Mais gegenüber einheimischen Getreidesorten vor und weithin werden westliche Lebensmittel konsumiert. Diese sind in Simbabwes heißem, trockenem Klima oft weniger nahrhaft und schwieriger anzubauen als die traditionellen Sorten. Mwadaro Chieza aus dem Dorf Chitimbi in Mhandarume bei Chimanimani beklagt:
„Früher ernteten wir ausreichend Nahrung und Wildfrüchte, aber ab den 1990er-Jahren bemerkten wir eine Veränderung des Klimas: hohe Temperaturen, ungleichmäßige Niederschlagsmuster, Dürren und Viehsterben. Schädlinge und Krankheiten nahmen sowohl bei Nutzpflanzen als auch bei Nutztieren zu. Bäuerinnen und Bauern, die Mais anbauten, litten unter Hunger. Aber trotz sinkender Erträge konnte sich unsere Familie ernähren, weil wir dürretolerante kleine Körner anpflanzten. In Dürrezeiten baten die Ältesten ihre Vorfahren (Madzime) um Nahrung und Überschwemmungen waren selten."
Kolonialpolitik erodierte traditionelle Systeme
Der Pflug wurde um 1910 von weißen Siedlern eingeführt und ersetzte schnell die traditionelle Landbearbeitung, da er Arbeit spart und die Rodung großer Felder für Cash Crops ermöglicht. Dies war äußerst bodenschädigend. Heute engagieren sich landwirtschaftliche Berater*innen und NGOs landesweit für die Förderung der „regenerativen Landwirtschaft" (s. dazu auch Artikel zu „Foundations for Faming" in afrika süd 2/21 und „Von der Natur lernen" in diesem Heft), die im Wesentlichen zum traditionellen System der minimalen Bodenbearbeitung zurückkehrt. Panyika Dovi aus Mashava, Masvingo, erklärt:
„Ich sehe jetzt, dass einige Leute anfangen, über die Null-Boden-Bearbeitung im Ackerbau (zero tillage farming) als etwas Neues zu sprechen, aber es ist nicht neu. Wir haben nie all die riesigen Landflächen bestellt, sondern nur die kleinen Körner verstreut oder einfach Löcher gegraben, wo wir Samen säen wollten."
Reis und andere wasserliebende Pflanzen wurden in Feuchtgebieten angebaut, die als besondere Orte angesehen wurden, an denen spezielle Bodenbewirtschaftungsmethoden angewendet werden mussten. Der Anbau in Feuchtgebieten wurde verboten, weil weiße Siedler versuchten, diese Gebiete zu pflügen und dort Vieh weiden ließen. Sie erkannten bald ihre Instabilität und ihren wichtigen Beitrag zur Hydrologie, ignorierten jedoch die nachhaltigen Bewirtschaftungsmethoden, die von indigenen Landwirt*innen entwickelt worden waren. IKA-Teilnehmer*innen beschrieben kulturelle Systeme, die sich zum Schutz von Wäldern, Hügeln, Feuchtgebieten und Quellen entwickelt haben. Diese Gebiete waren wichtige Quellen für sauberes Wasser und nahrhafte Nahrungsmittel, wie Wildobst und -gemüse, Pilze, Honig, essbare Insekten, Fische und andere Kleintiere. Traditionelle Oberhäupter in jeder Gemeinschaft setzten strenge Regeln durch, wie diese Gebiete genutzt werden durften und welche Vorsichtsmaßnahmen getroffen werden mussten. Menschen, die diese Regeln brachen, wurden bestraft und es entstanden Legenden von spirituellen Wesen, die diejenigen verfluchen würden, die geschützte Wasserquellen missbrauchten. So erzählte uns Pelina Mhondera aus Gutu:
„Die Kultivierung von empfindlichen Gebieten in der Nähe von Wasserquellen (chindanga) war nicht erlaubt. In diesen Gegenden geschahen mysteriöse Dinge, wenn man die Orte einfach ohne entsprechende Verhaltensregeln besuchte; man konnte eine schöne Frau auf dem Wasser sitzen sehen oder eine riesige schwarze Schlange."
Wiederbelebung von indigenem Wissen
Der Aufstieg des Christentums, der Niedergang traditioneller Überzeugungen, die politische und soziale Untergrabung traditioneller Führung, Kolonialpolitik und marktorientierte Politik haben zum dramatischen Niedergang dieser Systeme, die der Erhaltung natürlicher Ressourcen dienten, beigetragen. Das IKA-Projekt zeigt jedoch, dass diese Praktiken nicht in Vergessenheit geraten sind und das Potenzial besteht, sie in ein nachhaltiges, klimaresilientes Agrarsystem für das Land einzubinden. Die Integration moderner Techniken zur Bodenverbesserung, Regenwasserernte und Viehhaltung mit der Förderung traditioneller dürreresistenter einheimischer Nutzpflanzen und Nutztierrassen, minimale Bodenbearbeitung, Mischkulturen und die Erhaltung von Bäumen in der Landschaft müssen gefördert werden. NGOs und Vorreitergemeinden haben bereits Fortschritte bei der Förderung einiger dieser Maßnahmen erzielt.
Organisationen wie das Forum für traditionelle und biologische Lebensmittel (ZTOFF) machen große Fortschritte bei der Förderung nahrhafter einheimischer Nahrungsmittel und erleben langsam ein Comeback. Mit ein wenig Ermutigung und aufbauend auf indigenem Wissen können Gemeinschaften ihre Widerstandsfähigkeit erhöhen. Das IKA-Projekt hat deutlich gemacht, dass viele Simbabwer*innen auf dem Land dieses Wissen schätzen und gerade angesichts eines sich veränderten Klimas seinen Wert erkennen. Dies lässt hoffen, dass das Wissen in Zukunft zum Wohle des Landes genutzt werden kann.
Anna Brazier
Die Autorin ist Beraterin für nachhaltige Entwicklung mit Sitz in Simbabwe und spezialisiert auf den Zusammenhang zwischen Ernährung, Landwirtschaft und Umwelt.
Anna Brazier
Harnessing Zimbabwe's indigenous knowledge for a changing climate
KAS Zimbabwe 2020
abrufbar unter https://www.kas.de/de/web/simbabwe/publikationen/einzeltitel/-/content/harnessing-zimbabwe-s-indigenous-knowledge-for-a-changing-climate-2