Heft 4/2021, afrika süd-dossier: Ernährungssouveränität

Die Rückeroberung des Ernährungssystems

Über die Transition-Town-Bewegung und Ernährungssicherheit in Greyton, Western Cape, sprachen Anna Balkenhol und Lukas Gielen mit Marshall Rinquest.

Kannst du uns zunächst etwas über die Transition-Town-Bewegung und den Begriff der Transition im Allgemeinen erzählen?
Die Transition-Town-Bewegung wurde 2007 von einem Mann namens Rob Hopkins in Totnes in England begründet. Im Grunde geht es darum, zu überlegen, wie Dinge lokal gestaltet werden können. Wir befassen uns mit Kreislaufwirtschaften und damit, wie wir weniger von Lebensmitteln abhängig sind, die in unsere Stadt importiert werden müssen. Bei Transition (dt. Übergang) geht es darum, aktiv zu schauen, wo wir im Moment stehen mit unserer Lebensmittelversorgung, mit unserer Energieversorgung, mit unserer Bildung. Es geht also um die Frage: Wo stehen wir gerade und ist es etwas, das nachhaltig ist? Ist es etwas, das nachhaltig ist? Können wir mehr tun? Im Grunde geht es also darum, wie wir von einem Punkt zu einem anderen kommen.

Kommen wir nun zu Greyton. Wie hat die Bewegung dort angefangen?
Die Transition-Town-Greyton wurde 2012 gegründet. Unsere damalige Vorsitzende kommt ursprünglich aus England und sie hat die Idee nach Südafrika und nach Greyton gebracht. Im Gründungsjahr kamen also ein paar Menschen zusammen und sagten: Lasst uns einfach etwas tun, lasst uns nicht darauf warten, dass die Regierung etwas tut. Greyton ist ein kleines Dorf auf dem Land mit etwa 10.000 Einwohnern. Ursprünglich bauten die Menschen ihre eigenen Lebensmittel aus und tauschten sie aus, es gab ein Gefühl von Gemeinschaft. So war es früher, als wir noch Kinder waren. Ich glaube das ging verloren, als die Menschen zu arbeiten begannen und ihr Geld verdienten. Für uns war das einer der Hauptgründe, dieses Gefühl zurückzubringen.

Wie hat sich das Projekt seitdem entwickelt? Was waren die wichtigsten Schritte in den Jahren nach der Gründung?
Als erstes beschäftigten wir uns mit Umweltbildung. Wir haben kleine Umweltclubs gegründet, die nach der Schule stattfanden. Mittlerweile wurden sie in den Schulunterricht integriert und finden in der Schulzeit statt, das war ein wichtiger Schritt für uns. Sie haben jetzt Zugang zu Umweltbildung, bei der wir mit ihnen in die Berge gehen, Dinge aus Müll bauen, Flüsse säubern und im Schulgarten Lebensmittel anpflanzen. Ein weiterer wichtiger Schritt war die die Verbesserung unserer Abfallwirtschaft. Wir haben keine sehr aktive Stadtverwaltung und alles landete auf der Mülldeponie, es gab kein System, kein Recycling. Jetzt gibt es ein System und unsere Abfälle werden getrennt und recycelt. Seit sieben oder acht Jahren haben wir jeden Mittwoch einen Wochenmarkt etabliert. Das ist eine weitere wichtige Errungenschaft. Hier kommen Menschen zusammen, um Gemüse, Eier, Brot etc. zu kaufen und zu tauschen. Gleichzeitig ist es auch ein Ort, an dem die Menschen miteinander ins Gespräch kommen.

Und was sind aktuelle Projekte, an denen ihr arbeitet?
Die Valley Food Gardens sind ein Projekt, das während des ersten Lockdowns, also vor ca. anderthalb Jahren, entstanden ist. Viele hatten in der Pandemie ihre Arbeit verloren oder verdienten weniger Geld. Zusammen mit dem Roten Kreuz und anderen Organisationen haben Hilfsgelder gesammelt, insgesamt 1,2 Millionen Rand (ca. 70.000 Euro). Mit dem Geld stellten wir Lebensmittelpakete zusammen, um den Menschen akut zu helfen. Pakete sind aber natürlich keine nachhaltige Methode, also haben wir nach sechs Monaten das Projekt gestartet. Damit wollten wir Menschen dabei unterstützen, in ihren Haushalten, Hinterhöfen oder dort wo es möglich ist Nahrungsmittel selbst anzubauen und unterstützten sie mit Setzlingen, Kompost und Saatgut. Einige Haushalte produzieren auch Überschüsse, die wir dann abkaufen. So können sie auch Geld verdienen. Aber es geht eher darum, dass die Menschen Lebensmittel in ihrem Garten haben.

Gab es bei dem Projekt auch Schwierigkeiten?
Es war wirklich schwierig, die Menschen zu motivieren, wieder ihre eigenen Lebensmittel anzubauen. Aber viele Leute gehen lieber arbeiten und kaufen mit dem Geld Gemüse und Lebensmittel. Dieser Prozess, mit dem wir uns beschäftigen, verändert also auch die Einstellung der Menschen, dass es besser ist, ihre eigenen Lebensmittel anzubauen, dass es gesund ist und dass sie damit gleichzeitig auch Geld verdienen können. Um euch einen Überblick zu geben: Anfangs haben wir etwa 800 Familien mit Lebensmittelpaketen unterstützt. Und nur etwa 150 davon haben auch Saatgut und Unterstützung für den Aufbau eines eigenen Gartens angenommen. Es ist vor allem schwierig junge Leute zu überzeugen, dass es nicht rückwärtsgewandt ist, wenn man sein eigenes Essen produziert und Landwirtschaft betreibt.

Was sind weitere Herausforderungen, mit denen ihr bei den verschiedenen Projekten konfrontiert werdet?
Eine Herausforderung besteht darin, dass wir nicht viel Unterstützung von der Regierung bekommen. Es scheint mir so, dass die Regierung immer in die entgegengesetzte Richtung arbeitet und immer nur Essen verteilt. Das Sprichwort „Gib einem Mann einen Fisch und du ernährst ihn für einen Tag. Lehre einen Mann zu fischen und du ernährst ihn für sein Leben" macht hier Sinn. Die Regierung gibt immer nur Fische und macht die Menschen von ihnen abhängig. Und wir wollen die Menschen natürlich unabhängig machen, damit sie selbst Lebensmittel anbauen oder vielleicht selbst ein Unternehmen gründen können. Eine weitere Herausforderung ist natürlich die Finanzierung. Ich mache die meiste Arbeit freiwillig. Wenn man das hauptberuflich machen könnte, könnte man seine ganze Zeit investieren und die Dinge könnten viel schneller gehen. Außerdem merken wir auch die Folgen des Klimawandels. Es ist viel kälter im Winter und wärmer im Sommer, einige Ernten haben wir dadurch verloren. Man muss viel innovativer sein.

Anschließend an das Thema Klimawandel: Welche Rolle spielt Permakultur in euren Projekten?
Ich habe vor sechs Jahren einen Kurs zu Permakultur besucht und mir dort angesehen, wie man mit der Natur zusammenarbeitet. Bei Permakultur geht es um permanente Landwirtschaft und darum, weniger Monokultur zu betreiben. Diese sehen wir bei den meisten Landwirten, die das Land pflügen Chemikalien, Pestizide und Herbizide einsetzen und damit das Ökosystem zerstören. Permakultur ist das Gegenteil davon. Es geht darum, mit dem Ökosystem zusammenzuarbeiten und trotzdem Lebensmittel zu produzieren. Dafür arbeitet man mit einem geschlossenen Kreislaufsystem, man nutzt, was man hat, arbeitet mit der Natur, mit den Jahreszeiten.

Was bedeutet für dich in diesem Kontext Ernährungssouveränität?
Für mich bedeutet Ernährungssouveränität, dass die Menschen vor Ort ihre Fähigkeiten und ihr Wissen nutzen, dass der Kreislauf klein gehalten wird und dass die Menschen für ihren Ort wissen, Was wann und wie angebaut werden sollte. Wie kann man die Lebensmittelproduktion in die Hände der Leute vor Ort legen? Wir sind zum Beispiel eine große Bauerngemeinde. Die meisten Menschen in der Gemeinde arbeiten in den größeren kommerziellen Betrieben. Sie pflanzen das Zeug an, bestellen es und ernten es. Dann geht alles nach Kapstadt, ca. 170 km entfernt, und kommt mit einem großen Lastwagen zurück in die Läden vor Ort, wo es in Styropor und Plastik verpackt ist. Und dieselben Leute, die es angebaut haben, müssen es zu einem hohen Preis kaufen. Für mich bedeutet Ernährungssouveränität, wenn wir diese Kette verkürzen.

Was ist deine persönliche Motivation, dich so zu engagieren?
Ich habe mich schon von klein auf in Naturschutzverbänden engagiert. Wir leben in einem wunderschönen, malerischen Bergtal und es war mir immer ein Anliegen, mich um das Tal zu kümmern. Und als ich älter wurde, habe ich gemerkt, dass ich was tun muss und nicht warten kann, dass die Regierung alles tut. Ich habe mich gefragt, was wir für unsere Kinder und die Zukunft machen können. Nun habe ich selbst Kinder. Das ist meine größte Motivation und es bleibt eine fortlaufende Sache.

Und deine Wünsch für die Zukunft oder hast du eine Botschaft, die du teilen möchtest?
Essen ist so ein wichtiger Aspekt unseres Lebens, für mich ist es ein heiliges Element unserer Existenz. Mein Wunsch ist, und das würde ich den Leuten sagen: Setzt euch mit euren Lebensmitteln auseinander, wisst woher sie kommen, fragt nach, was in euren Lebensmitteln enthalten ist und unterstützt lokale Produkte. Wir haben gesehen, was mit dieser Pandemie passiert ist, und es kann noch schlimmer kommen. Und davor müssen wir unser Lebensmittelsystem so in Ordnung bringen, dass es ein System ist, auf dass wir uns immer verlassen können.

Das volle Interview gibt es als Podcast in der Mediathek auf der issa-Website.