Heft 4/2021, Editorial

Die Verantwortung liegt bei Deutschland

Die Verantwortung westlicher Länder im Allgemeinen und Deutschlands im Speziellen für die umfangreichen Verbrechen in ihren ehemaligen Kolonien ist im Mainstream der gesellschaftlichen Debatte angekommen: Seien es Diskussionen um die Gestaltung der ethnologischen Ausstellung im Berliner Humboldt-Forum, die jahrelange Debatte um die Rückgabe der Witbooi-Bibel und vor allem der Völkermord an den Herero und Nama. Die deutsche Kolonialgeschichte ist präsent wie nie zuvor! Dadurch stellt sich auch die Frage nach deutscher Verantwortung und deren Implikationen.

Henning Melber nimmt mit dem Versöhnungsabkommen zwischen Deutschland und Namibia das bekannteste und aktuell meist diskutierte Beispiel zum Anlass, um über deutsche Schuld zu reflektieren. Es gibt weiterhin diverse Ansichten zum Abkommen – sowohl in Deutschland als auch in Namibia. Die genaue Ausgestaltung und Bemessung der das Abkommen begleitenden Unterstützungsgelder ist sicherlich dessen kontroverseste Dimension. Die Bewertung des Abkommens ist nun vorrangig bei den Namibier:innen selbst durch ihre demokratischen Vertreter:innen verortet. Auch wenn die Debatte im namibischen Parlament durch die aktuell dramatische Corona-Situation ausgesetzt ist und sich daher verzögert: Zustimmung oder Ablehnung liegt jetzt in ihren Händen. Teil unserer Verantwortung ist es, diese selbstbewusste Willensbildung und deren Ergebnis anzuerkennen und gemeinsame Konsequenzen daraus zu ziehen! Die Frage nach deutscher Verantwortung in Namibia und deren praktischer Konsequenzen stellt sich aber auch in Bezug auf zwei weitere aktuelle Ereignisse: die Auswirkungen der Corona-Pandemie und die Buschholz-Debatte.

Die Covid-19-Pandemie geriet in den vergangenen Wochen in Namibia außer Kontrolle, wie Herbert Jauch in seinem Artikel aufzeigt. Das Gesundheitssystem ist überlastet. Zugleich verschlimmern die wirtschaftliche Krise, Nahrungsmittelengpässe und Tuberkuloseausbrüche die Situation. Der Tod prominenter Politiker wie Mburumba Kerina, Zed Ngavirue und Vekuii Rukoro sorgt für internationale Sichtbarkeit – auch weil viele von ihnen Schlüsselrollen im Versöhnungsprozess innehatten. In dieser Gesundheitskrise manifestiert sich deutsche Verantwortung in ihrer konkretesten und fundamentalsten Weise. Die Gesundheitspolitik stand bisher nicht unmittelbar im Zentrum der deutschen staatlichen Entwicklungszusammenarbeit in Namibia. Dennoch muss hier akut unterstützt werden. Die zeitliche Nähe zum Abschluss der Verhandlungen macht dies noch dringlicher. Die Lieferungen von medizinischen Gütern durch die Bundesregierung im Juni und Juli 2021 sind eine gute Basis, wenn auch verhältnismäßig spät und in der Außendarstellung eher heimlich umgesetzt. Essenziell ist nun die Bereitstellung von Impfstoffen, weiteren Beatmungsgeräten und Sauerstoff. Indem mindestens aktuell nicht benötigte Impfdosen aus Depots in Deutschland frühzeitig und gezielt nach Namibia gesendet werden, kann die Bundesregierung die Chance nutzen, ihren rhetorischen Bekenntnissen konkrete Taten folgen zu lassen. Die Zivilgesellschaft nimmt diese Verantwortung bereits durch viele private und unternehmerische Initiativen sowie öffentliche Solidaritätsbekundungen wahr. Dies zeigte sich auch in der breiten Unterstützung des Offenen Briefes im frühen Juli 2021 und auch den Sendungen an die namibische Botschaft in Berlin.

Bertchen Kohrs zeigt darüber hinaus auf, wie komplex die Abwägung zwischen Stärkung der namibischen Wirtschaft einerseits und der Berücksichtigung von Umwelt- und Klimaschutzinteressen andererseits ist. Die Diskussion über den Import von Buschholz aus Namibia nach Deutschland steht hierfür stellvertretend. Angesichts der widersprüchlichen Schlussfolgerungen der bestehenden Gutachten muss insbesondere der Beitrag für die namibische Wertschöpfung geklärt werden. Zumindest aus Klimaschutzgründen ist die Sinnhaftigkeit des Exports in Frage zu stellen. Hier zeigt sich die Schwierigkeit der Abwägung zwischen globaler und länderspezifischer Verantwortung aus deutscher Sicht. Durch anderweitige Verwendung des Buschholzes oder lokale Vermarktung erscheint dennoch Wertschöpfung und Schaffung von Arbeitsplätzen möglich. Jedoch würde dies eine weniger prägnante Rolle Deutschlands bedeuten. Wir sind überzeugt: Auch Verzicht und Rückzug kann Ausdruck der Verantwortung Deutschlands gegenüber Namibia sein.

Verantwortung muss in allen Aspekten der staatlichen und zivilgesellschaftlichen Zusammenarbeit mitgedacht werden. Sicher ist: Der kontinuierliche zivilgesellschaftliche Austausch zwischen der deutschen und namibischen Bevölkerung ist essenziell. Er ist die Grundlage für alles Verstehen, ohne das keine Verständigung möglich ist. Austausch schafft die Grundlagen und den politischen Druck für Handlungen und Reflektion über die genaue Ausgestaltung von Maßnahmen. Deutsche Verantwortung manifestiert sich dabei in der Anerkennung ihrer wichtigsten Vorbedingung: Der konsequenten Akzeptanz jeden Agierens der namibischen Regierung und Zivilgesellschaft. Eines ist klar: Einen Anspruch auf Versöhnung gibt es für die deutsche Seite nicht! Wir können aber den ersten Schritt gehen.

Carsten Rietmann und Moritz Wargalla – Welwitschia e.V.