Heft 4/2021, afrika süd-dossier: Ernährungssouveränität

Megaprojekte sichern nicht das Recht auf Nahrung

13 JAHRE KONTROVERSEN UM GROSSE AGRARINVESTITIONEN. Der Versuch des südkoreanischen Konzerns Daewoo, die schier unglaubliche Fläche von 1,3 Millionen Hektar Land in Madagaskar zu erwerben, hat 2008 die Diskussion um Landgrabbing und großflächige Agrarinvestitionen losgetreten. Seitdem wird in der Wissenschaft, der Zivilgesellschaft und in Regierungen darum gerungen, ob solche großen Agrarinvestitionen echte Entwicklung schaffen oder eher Menschenrechte verletzen.

Joachim von Braun, einer der prominenten Befürworter großer Auslandsinvestitionen, prognostizierte 2009, dass solche Investitionen die Möglichkeiten der lokalen Bevölkerung, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, deutlich verbessern würden.1 Es wurde zwar vor Risiken gewarnt, aber vor allem die Chancen gesehen. Damit einher etablierte sich ein sogenanntes „Win-Win"-Narrativ: Ein paar Stellschrauben drehen, ein paar Regeln einhalten und schon haben alle was davon, Investoren und die lokale Bevölkerung. Bis heute halten sich die Argumente vom notwendigen Strukturwandel, der Schaffung von Jobs und der dringend benötigten Steigerung der Produktivität auf Afrikas Äckern.

Der folgende Artikel versucht, 13 Jahre nach dem Beginn der breiten internationalen Auseinandersetzung einen Blick auf die anfänglichen Argumente, insbesondere die Frage der Ernährung, Jobs und Existenzmöglichkeiten zu werfen.

Der Mix macht's: Drei Säulen sichern das Recht auf Nahrung
Es gibt – ganz besonders im ländlichen Afrika – keine monolithische Organisation der Ernährungssicherung. Im Menschenrechtsjargon lässt sich dies wie folgt zusammenfassen: Die Bevölkerung ernährt sich erstens über den Zugang zu Land. Damit produziert sie Nahrung für den direkten Eigenkonsum. Diese auch Subsistenzwirtschaft genannte und in unserer Politik und unter Wissenschaftskreisen oft negativ konnotierte Strategie ist jedoch eine zentrale Säule der ländlichen Existenzsicherung. Daneben wird zweitens auch über den Zugang zu Land ein Teil der angebauten Nahrung verkauft, wodurch ökonomischer Zugang zu Nahrung (= Kauf) sichergestellt wird. Drittens ist der Zugang zu Wäldern, Weiden, Flüssen oder Seen eine wichtige Quelle für den direkten Zugang zu Nahrung – beispielsweise über das Sammeln von Früchten oder Pilzen. Wichtig ist, dass für die weit überwiegende Mehrzahl der ländlichen Existenzen ein Mix aus diesen drei Strategien die Grundlage für ihr Überleben darstellt. Und alle drei Säulen benötigen Land – Land, welches eben auch Investoren wollen.

Große Agrarinvestitionen produzieren keine Nahrung für die lokale Bevölkerung
Im Fall des in der Demokratischen Republik Kongo aktiven Palmölunternehmens Feronia-PHC sind beispielsweise ganze Dörfer von Palmölplantagen umzingelt. Dies zeigt ein Blick auf den Plantagenstandort Lokutu. Auch in der von neun Gemeinden im November 2018 eingereichten Beschwerde gegen die finanzierenden Entwicklungsbanken DEG aus Deutschland (eine Tochtergesellschaft der KfW), die FMO (Niederlande) und BIO (Belgien) stellen die Gemeinden das Landproblem ausdrücklich ins Zentrum. In der Beschwerde erklären sie: „Als Ergebnis der Besetzung ihres Landes durch PHC wurden den Gemeinden die Nutzung ihres Landes, Wälder, Wasserquellen und dortiger natürlichen Ressourcen genommen. Dies führte zu tiefer Verarmung und extremer Ernährungsunsicherheit." Auch die Nutzung des in den Landkonzessionen liegenden Waldes verwehrt die Firma, obwohl „die Wälder für die Gemeinden überlebenswichtig sind und wichtige Nahrung wie Pilze und Raupen liefern"2.

In einer aktuell von Misereor veröffentlichten Studie unterstreichen Wissenschaftler*innen grundsätzlich die problematischen Auswirkungen solcher Großinvestitionen auf die Ernährungssicherung. Sie kommt auch zu dem Schluss, dass mit dem Wechsel von kleinbäuerlichen Systemen hin zur industriellen Produktion meist ein effektiver Rückgang der Lebensmittelproduktion in der Region verbunden ist.3

Kein „Best Practice" in Sicht
Von Investorenseite und Befürworter*innen blieben Informationen zu den Positiveffekten entsprechend ernüchternd. Viele Positivbeispiele – sogenannte „Best Practices" – wurden angekündigt und dann doch nicht geliefert. Herausragendes Beispiel war der Weltbankbericht „Rising Global Interest in Farmland" aus 2011, dessen Veröffentlichung auch wegen der nicht verfügbaren Daten über Positivbeispiele mehrfach verschoben wurde. Und so wurde auch der Begriff „Best Practice" auf einmal in „Good Practice" umgemünzt. Bis heute gibt es kein Beispiel, das man als Aushängeschild für solche großen Agrarinvestitionen nutzen könnte. Viele Investitionen sind gescheitert oder stehen mit Ausbeutung und Konflikten in Zusammenhang, wie der Fall der Palmölplantagen im Kongo, auf den später noch eingegangen wird. Mehr noch, vielfach verhilft – still und heimlich – öffentliches Geld solchen Investitionen zu einem positiven Image.

Ein Beispiel ist der vom BMZ in Luxemburg aufgelegte Investment-Fonds AATIF. Dieser hat 2011 einen Kredit über 10 Millionen US-Dollar an den Agrarinvestor Agrivision mit Sitz auf Mauritius vergeben. Agrivision hat in Sambia etwa 20.000 Hektar Land erworben und betreibt dort industrielle Landwirtschaft. In einem Bericht über die Investition wird beispielsweise darauf verwiesen, dass die lokale Schule renoviert und ausgebaut und auch ein Schulbus erworben wurde. Jedoch wurden Schule und Bus durch etwa 300.000 Euro zusätzliche Gelder des BMZ und des norwegischen Entwicklungsfonds Norfund realisiert (siehe auch afrika süd 3/2018). Dieses sicherlich sinnvolle Projekt hätte natürlich auch ohne die 10 Millionen Euro Finanzierung des Agrarinvestors durchgeführt werden können. Dies hingegen in einen Wirkungszusammenhang zu stellen, ist irreführend.

Arbeitsplatzvernichtende Investitionen
Ein zentrales Argument der Befürworter*innen ist, dass diese Investitionen der dringend notwendige Jobmotor im ländlichen Raum sind. Dabei stützt man sich immer wieder auf Untersuchungen, die zeigen, dass Wirtschaftswachstum im Landwirtschaftssektor früher deutlich stärker Armut reduziert habe als Wachstum in anderen Sektoren.4 Ignoriert wird jedoch, dass dies auf Agrarentwicklungen basierte, die weitgehend staatlich finanziert, gesteuert und breit angelegt waren. Dies kann man nicht auf heutige private Megainvestitionen übertragen, die Gewinnextraktion für internationale Investoren als Auftrag haben.

Die erste umfassende Kritik zum Thema Jobs und Landgrabbing kam von der kanadischen Professorin Tania Murray-Li. Sie beschrieb 2011 in ihrer Bewertung „Centering Labor in the Land Grab Debate" des Weltbankberichts zu Landgrabbing von 2011, wie die Weltbank die Joberwartungen völlig falsch einschätzte. Sie zeigte anhand der eigenen Daten der Weltbank, dass solche Investitionen unter dem Strich Arbeitsplätze verdrängen: ein Arbeitsplatz pro 100 Hektar Getreidegroßfarm, ein weiterer pro 50 Hektar Baumplantage. Murray-Li zeigte auch die astronomischen Investitionssummen auf, mit denen Jobs geschaffen werden: 200.000 US-Dollar für einen Job auf industriellen Getreidefarmen, 50.000 US-Dollar auf Zuckerrohrplantagen. Im Fall Feronia-PHC haben alleine die Entwicklungsbanken über 150 Millionen US-Dollar regelrecht in den Plantagen versenkt. Murray-Li nannte dies Arbeitsplatz-vernichtende Investitionen.

Vertragslandwirtschaft bietet kaum Lösungen
Auch als Reaktion auf die berechtigte Kritik wurde die Vertragslandwirtschaft (siehe auch Artikel in diesem Heft) als vermeintlicher Mittelweg zwischen riesigen industriell bewirtschafteten Feldern und kleinbäuerlicher, eher zirkulärer Landwirtschaft von vielen Akteurinnen und Akteuren gefördert und gefordert. Sie ist nach einigen Jahren des Hypes in der Versenkung verschwunden. In Sambia beispielsweise hat der vom Entwicklungsministerium finanzierte Investor Agrivision sie trotz Versprechens erst gar nicht umgesetzt. Ein weiterer Investor aus Deutschland, Amatheon Agri, weigerte sich, die Ernten der Kleinbäuerinnen und -bauern abzukaufen, als deren Marktpreise im Keller waren. Viele haben das Vertrauen verloren und frustriert aufgegeben.

Zukunftsbauern: Beschäftigungseffekte müssen im Zentrum stehen
Investitionen von und für eine kleinbäuerliche Landwirtschaft haben trotz immer wiederkehrender Vorwürfe nichts mit Romantisierung oder rückwärtsgewandten Entwicklungsideen zu tun. Sie sind schlicht von enormer globaler Bedeutung: Weltweit gibt es so viele Landwirtinnen und Landwirte wie nie zuvor. In vielen Ländern sind 70 bis 80 Prozent der Bevölkerung in der kleinbäuerlichen Landwirtschaft tätig. Parallel stagniert zum Beispiel in Afrika der Anteil der Erwerbstätigen in Industrie und Dienstleistungssektor. Durch einen Strukturwandel, der einseitig große Agrarkonzerne fördert, werden Kleinbäuerinnen und -bauern weiter verdrängt und Millionen von Arbeitsplätzen vernichtet. Agrar-Investitionen müssen daher nicht nur die Ernährungssicherheit verbessern, sondern auch die Beschäftigungssituation des gesamten Sektors im Blick haben – sonst sind Arbeitslosigkeit und Migration vorprogrammiert.

Das Ziel von Entwicklungspolitik muss daher eine lebendige kleinbäuerliche Landwirtschaft sein, die lokale Wertschöpfung und Kreisläufe stärkt. Dies kommt der eigentlichen Zielgruppe direkt zugute und ist von zentraler Bedeutung für die gesamtgesellschaftliche Stabilität in Ländern des Südens. Es wäre auch eine der Antworten auf die Frage, wie globale Fluchtursachen reduziert werden können. Mit der internationalen Finanzwelt und ohnehin mächtigen Unternehmen setzt der „Mainstream" der Entwicklungszusammenarbeit jedoch auf das falsche Pferd, da diese nicht die lokalen Kreisläufe, sondern die Extraktion von Gewinnen in ihrer DNA tragen.

Verengten Blick auf Investitionen weiten: Was macht „gute Investitionen" aus?
In den aktuellen Debatten werden Investitionen in die Landwirtschaft fast ausschließlich in einem engen ökonomischen Kontext der Mobilisierung von Finanzkapital zur Erzielung von Profit und Rendite verstanden. Investitionen in die Landwirtschaft sind jedoch weit mehr. Sie bedeuten auch den Einsatz vieler unterschiedlicher Ressourcen (wie natürlicher, menschlicher, sozialer, kultureller, physischer und finanzieller), die verschiedenen Zwecken dienen, wie beispielsweise dem Aufbau der Bodenfruchtbarkeit, dem Erhalt kulturell angepasster Anbaumethoden und Rituale oder auch der Schaffung von Chancen für die nächste Generation.

Das zeigt auch das oben genannte Beispiel der Palmölplantagen im Kongo. Des Wartens auf einen Kompromiss mit der Palmölfirma müde, übernahmen Anfang 2020 mehrere Gemeinden auf dem Lokutu-Plantagengelände in der Provinz Tshopo rund 420 Hektar der von PHC aufgegebenen Plantage und starteten ihre eigene Palmölverarbeitung: „Wir sind glücklich, endlich Zugang zu Land zu haben, das uns so lange vorenthalten wurde", erklärt ein Mitglied der Initiative. „Seit Anfang der Woche habe ich allein 15 Fässer Öl verkauft, was mir einen Gewinn von 300.000 kongolesischen Francs (150 US-Dollar) einbringt. Das ist das Siebenfache dessen, was man mit harter Arbeit für die Firma einen ganzen Monat lang verdienen könnte." Sie haben fast ohne Finanzinvestitionen ihre Unabhängigkeit zurückgewonnen und erzielen ein Einkommen, das sie niemals als Tagelöhner auf den Plantagen erreicht hätten.

Positive Investitionen können so durch vier Aspekte definiert werden: Sie müssen erstens auf einem umfassenden Konzept von „Investition" basieren, zweitens in einem menschenrechtlichen Rahmen verankert sein, drittens Land- und Ressourcengrabbing zurückdrängen und stoppen und viertens Investitionen von und für Kleinerzeuger*innen von Nahrung Vorrang geben. Ein Kleinbauer aus Sambia fasst das in einer Frage an einen Vertreter seines Landwirtschaftsministeriums zum Thema Priorisierung zwischen kommerziellen Agrarbetrieben und Kleinbauern so zusammen: „Welcher Gruppe gehört die große Mehrheit der Menschen dieses Landes an?"

Roman Herre

Der Autor ist Agrarreferent bei der deutschen Sektion der Menschenrechtsorganisation FIAN.

  1. J. von Braun, R. Meinzen-Dick (2009) "Land Grabbing" bei Foreign Investors in Developing Countries. Risks and Opportunities.
  2. Beschwerde von 9 Gemeinden eingereicht bei der DEG am 5.11.2018, eigene Übersetzung, siehe auch: https://www.farmlandgrab.org/28543
  3. Misereor (Hg.) (2021) What are the effects of large-scale land acquisition in Africa on selected economic and social indicators?
  4. World Bank (2007) World Development Report 2008: Agriculture for Development, S. 7