Heft 4/2021, afrika süd-dossier: Ernährungssouveränität

Von der Natur lernen

DEM KLIMAWANDEL MIT REGENERATIVER LANDWIRTSCHAFT TROTZEN. Mit seinen immer milden tropischen Temperaturen, einer ausreichenden Regenzeit und großer Biodiversität ist Mosambik eines der fruchtbarsten Länder des afrikanischen Kontinents. In der Realität vertrocknen und verarmen jedoch viele Böden und trotz der Fülle gibt es in Mosambik viel Mangelernährung. Jetzt vernetzen sich Praktiker*innen der regenerativen Landwirtschaft, um Wissen zu teilen und gemeinsam ihre Anbaumethoden zu verfeinern, um so für den Klimawandel gewappnet zu sein.

Besitzt ein/e Mosambikaner*in ein Grundstück, wird dieses üblicherweise erstmal „sauber gemacht". Dafür wird es entweder direkt brandgerodet oder es werden kurzerhand einige Tagelöhner angeheuert, die jegliches Gras, Büsche und Gestrüpp mit der Sense entfernen und dabei auch unbekannte und so vermeintlich unnütze Bäume eliminieren. Ist alles kahl, wird der Grünschnitt meist mit einem großen Feuer verbrannt. Das tötet dann noch die letzten Insekten. Was zurückbleibt, ist eine trostlose Wüste, im besten Fall mit einigen Fruchtbäumen.

Der völlig unbedeckte Boden wird in den darauf folgenden Tagen faktisch desinfiziert: Durch das Feuer, direkte Sonneneinstrahlung und hohe Temperaturen auf der Bodenkrume werden alle Mikroorganismen wie nützliche Pilze und Bakterien vernichtet. Die vegetativen Zellen von Bakterien und Pilzen werden schon bei Temperaturen um 60 Grad Celsius innerhalb von fünf bis zehn Minuten abgetötet. In der so entstandenen Einöde kann bei bestem Willen keine Verbreitung natürlicher Pflanzen geschehen. Umher wehende Samen finden keinen Nährboden mehr, denn die dünne Humusschicht ist verbrannt oder mangels Schutz bereits vom Winde verweht worden.

Auf den versandeten Böden wachsen nur noch wenig anspruchsvolle und an die Trockenheit angepasste Pflanzenarten wie Maniok oder Erdnuss. Regen versickert viel zu schnell, die Erosion nimmt stetig zu, Insekten, Bestäuber und Nützlinge finden keinen Unterschlupf und kaum Nahrung. Über 75 Prozent der Fläche von Mosambik war historisch von indigenen Wäldern mit sandigen Böden bedeckt, in denen die Bodenfruchtbarkeit direkt mit den natürlichen Stickstoff- und Kohlenstoffkreisläufen zusammenhing. Durch die starke Entwaldung wurden diese Zyklen unterbrochen und die Bodenfruchtbarkeit geht rasant verloren. Infolgedessen nehmen die Bodendegradation und Desertifikation zu. Der Verlust von Waldbiomasse in Mosambik stört mikro- und regionale Klimamuster, was u. a. durch extreme Klimaereignisse und Überschwemmungen belegt wird.

Mangel trotz Fülle
Das Fehlen von gewissen Nährstoffen im Kindesalter, meist proteinhaltiger Speisen, ist ein wesentlicher Grund für körperliche und geistige Behinderung. Von Maniok- und Maisbrei alleine beispielsweise kann das kindliche Gehirn sich nicht versorgen und so führt diese Art der Fehlernährung zu manifesten Problemen im Erwachsenenalter. Doch warum können viele Familien in Mosambik die für sie wichtigen Lebensmittel nicht anpflanzen? Genügend Land ist schließlich vorhanden. Häufig fehlt das Wissen über Ernährung und nachhaltige Anbaumethoden. Traditionelle proteinreiche Lebensmittel wurden meist wild geerntet und die Ackerböden sind durch schlechtes nationales Management und Bevölkerungswachstum stark degradiert. Ein Großteil der Farmer*innen ist durch die Agrarlobby beeinflusst und meint, sie bräuchten chemischen Dünger, schwere Maschinen, genmanipulierte und somit vermeintlich resistentere Samen, aufwändige Bewässerungsanlagen oder immer mehr Technik. Doch die Lösung ist viel simpler: Regenerative Landwirtschaft könnte das Allheilmittel für viele der oft hausgemachten Probleme sein.

Die Natur macht es uns vor: Um die Bodenfruchtbarkeit zu erhalten bzw. wieder zu steigern, muss der Boden bedeckt sein. Schützt eine Schicht aus Mulch, aus Blättern, Zweigen, Grünschnitt und anderen organischen Abfällen die Erde, stabilisiert dies die Bodentemperatur und reduziert die Verdunstung von Feuchtigkeit. Dies ist gut für das Wachstum der Wurzeln, es bilden sich mehr Mikroorganismen und es entsteht ein Habitat für Hunderte von Insekten und Kleintieren, die sich sogleich daran machen, die Biomasse in ihre Einzelteile zu zerkleinern und damit Nährstoffe für das Erdreich und ihre Bewohner*innen bereitzustellen. Kohlenstoff gelangt durch den Humusaufbau wieder in den Boden und die mikrobiellen Prozesse werden durch die Förderung der Interaktion von Pflanzen mit dem Bodenleben wiederbelebt. Statt kategorisch zwischen „Natur" und „landwirtschaftlicher Nutzfläche" zu trennen, wird bei der regenerativen Landwirtschaft ein integrativer und ganzheitlicher Ansatz propagiert. Die Zyklen und Abläufe der Natur werden genutzt, um sowohl die Bodenfruchtbarkeit als auch den Ertrag zu steigern, während im besten Falle sogar die Natur geschützt wird. Hauptziel ist die Förderung des Bodenlebens, mithilfe ganzjähriger Bodenbedeckung. Die Methode sorgt für eine hohe Qualität der landwirtschaftlichen Produkte, sichert stabile Erträge auch in Stresssituationen und reduziert den Aufwand im laufenden Produktionsprozess.

Regeneration ist möglich
Die Struktur eines Grundstücks wird dabei durch das Pflanzen einheimischer Bäume bestimmt, über 85 Prozent sind Leguminosen. Diese können zur saisonalen Steuerung von Licht und Wärme geeignet sein. Die Pflanzen werden in einer komplexen Reihenfolge abgewechselt, die die Anforderungen an das Bodenleben und die menschliche Ernährung widerspiegelt. Es gibt viele begleitende Pflanzen, die bei der Schädlingsbekämpfung helfen. Dem Boden kann auch Biokohle zugesetzt werden, um den Lebensraum für Mikroorganismen zu verbessern und die Feuchtigkeitsspeicherung zu optimieren.

Die diversen Facetten der regenerativen Anbaumethoden fördern die Biodiversität, verbessern die Bodenqualität, schützen Gewässer, bringen Nahrungsmittelsicherheit, erleichtern die Anpassung an den Klimawandel, steigern die Bildung und Gesundheit und vieles mehr. Die Erfahrungen z. B. im Mezimbite Forest Center haben gezeigt, dass über einen Zeitraum von fünf Jahren pro Hektar etwa 300 bis 350 Tonnen Kohlenstoff in den Böden gespeichert werden können. Klimaextreme werden abgemildert und folglich verbessert sich sogar die Produktivität in einer Mikroskala. Zudem wurde beobachtet, dass schon ab einer Grundstücksgröße von 500 Quadratmetern die Umgebungstemperaturen durch die zugeführte verbesserte Biomasse gemildert werden. Die Niederschlagsmenge verbessert sich bei Grundstücken von über zehn Hektar Größe ebenfalls in bescheidenem Maßstab. Projiziert auf eine größere regionale Skala, können so ursprüngliche Klimamuster wiederhergestellt werden. Zweifellos kann dies auch zur Lösung des globalen Klimaproblems beitragen.

Ein Großteil der SDGs (Sustainable Development Goals) sowie MDGs (Millenium Development Goals), der nachhaltigen Entwicklungsziele der Vereinten Nationen, könnte mit dem Übergang zur regenerativen Landwirtschaft erreicht werden. In einzelnen Teilen von Mosambik gibt es schon kleinere und größere Projekte, meist gefördert von NGOs oder gestartet im Rahmen der CSR-Maßnahmen (Corporate Social Responsibility) großer ? für den Klimawandel mitverantwortlicher ? Unternehmen, die die Methoden der regenerativen Landwirtschaft einsetzen oder ausprobieren. Doch die meisten Maßnahmen sind am Reißbrett konzipiert und setzen sich nicht langfristig durch, da sie von der lokalen Bevölkerung nicht angenommen und verinnerlicht werden.

Praktiker*innen vernetzen
Doch auch in der Zivilbevölkerung gibt es in ganz Mosambik vereinzelt Menschen, die regenerative Landwirtschaft wie z. B. Permakultur oder Agroforstwirtschaft betreiben und sich dieser Aufgabe von ganzem Herzen und langfristig widmen. Schritt für Schritt entsteht hier quer durchs Land Vernetzung und Austausch untereinander. Anstatt von oben und sehr theoretisch Methoden zu implementieren, kann der Bottom-up-Ansatz, der das Gegenteil der Top-down-Planung von NGOs und Unternehmen darstellt, durch schrittweise Verbreitung der innovativen Methoden durch die Praktiker*innen selbst zum nachhaltigeren Erfolg führen. Die Planung beginnt auf unterster Hierarchieebene ? hier bei den Anwender*innen der Methoden ? und bewegt sich dann von unten nach oben schrittweise aufwärts. Die Praktiker*innen planen ihre Ziele und Maßnahmen selbst und können ihre Erkenntnisse und Erfahrungen an übergeordnete Ebenen weitergeben. Durch das entstehende Netzwerk werden so wichtige und spezifische lokale Daten gesammelt und verbreitet. Der Austausch aller Stakeholder untereinander führt dazu, dass alle voneinander lernen und sich automatisch mit anderen intrinsisch motivierten Akteuren wie bestehenden Grassroots-Organisationen, lokalen nachhaltigen Unternehmen und öko-sozialen Entrepreneurs vernetzen. Zukünftig will eine Gruppe von Praktiker*innen in Maputo Workshops organisieren sowie die Zivilbevölkerung, vor allem auch Schüler*innen, über die vielfältigen Möglichkeiten der Regenerierung der Umwelt informieren.

Unabhängig von Ethnie, Religion, Geschlecht und sozialem Status können sich die Praktiker*innen unterstützen, stärken, austauschen und gemeinsam Wissen sammeln und verbreiten. Daraus soll langfristig der „Verein für regenerative Landwirtschaft" in Maputo entstehen, der die Vernetzung institutionalisieren, noch besser befeuern und ggf. auch mit finanziellen Mitteln unterstützen kann.

Die jeweiligen Grundstücke der Praktiker*innen werden als landwirtschaftliche Demonstrationsbetriebe aufzeigen, was funktioniert und was nicht. Um für die ersten Info-Veranstaltungen in Maputo ein kleines Budget zu haben, um Reisekosten und Aufwandsentschädigungen für Vortragende/Fachleute zu bezahlen, Bewirtung sicherzustellen oder auch die Anreise von sozial schlechter gestellten Interessent*innen zu garantieren, möchte die Gruppe in Maputo demnächst ein Crowdfunding starten.

Start-ups als Motor
Ein Mentor und Verbündeter dieser Szene ist Dr. Allan Schwarz, der seit über 25 Jahren in Mosambik nach kulturell sowie ökologisch angemessenen Wegen zur Regeneration forscht. Als Gründer und Inhaber des Mezimbite Forest Centers versorgt er Interessierte mit wertvollen praktischen Tipps für ihre Projekte. Er beweist mit seinem Unternehmen, dass es möglich ist, ökologische und soziale Ideale in Einklang mit ökonomischer Unabhängigkeit zu bringen. So bietet die regenerative Landwirtschaft nicht nur einen Mehrwert für die Natur, sondern auch Impulse für innovative Start-ups, die ökologisch und sozial nachhaltig handeln und neuen Wohlstand schaffen wollen. Denn regenerative Landwirtschaft ermöglicht nicht nur nährstoffreiche Lebensmittel zu kultivieren, sondern sie produziert auch die Rohstoffe für andere, bisher nicht erhältliche lokale Produkte. Verbrauchsgüter wie Bienenwachskerzen, natürliche Zahnpasta, Seifen, Deos sowie Bürsten und Besen aus Naturfasern, Einrichtungsgegenstände und Accessoires sind mit natürlichen Zutaten produzierbar und belasten weder die Natur noch die Gesundheit der Mosambikaner*innen. Regenerative Landwirtschaft wird zum Motor einer lokalen Kreislaufwirtschaft. Wenn wir von „Mutter Natur" lernen, können alle nur profitieren und so gemeinsam dem Klimawandel trotzen.

Sabine Lydia Müller

Die Autorin lebt seit vier Jahren in Mosambik, wo sie regenerative Landwirtschaft und soziales Unternehmertum promotet. Ab 2006 hat sie in Deutschland selbstständig im Bereich PR/Marketing für nachhaltige Unternehmen gearbeitet. Mit Gleichgesinnten gründete sie 2009 in Köln den „Verband der nachhaltigen Unternehmen – dasselbe in grün e.V.", wo sie Geschäftsführerin und bis 2020 auch Vorstand war. Auf ihrem Grundstück in Catembe, unweit von Maputo, betreibt sie seit 2019 biologische, regenerative Agroforstwirtschaft. Über ihr Profil @tchambalakate ist sie auf Facebook und Instagram erreichbar.

Ihr Beitrag erschien im Mosambik Rundbrief 101.