Heft 4/2022, Angola

Déjà Vu ohne Ende?

Die Parlamentswahlen am 24. August sind die ersten unter Präsident João Lourenço, der 2017 José Eduardo dos Santos nach 38 Jahren im Amt als Staatspräsidenten und Vorsitzenden der Regierungspartei MPLA ablöste. Sieben politische Parteien und eine Parteienkoalition nehmen an den Wahlen teil, und offiziell wurden 14 Millionen Wähler und Wählerinnen registriert, darunter erstmals 22.000 in der Diaspora.

Das Land durchlebt seit 2014 eine schmerzhafte Wirtschafts- und Finanzkrise mit steigender Inflation, zunehmender Arbeitslosigkeit und Armut, die sich durch die Covid-Krise noch verschärfte. Im Süden herrscht seit Jahren eine verheerende Dürre, die schwerste seit 40 Jahren, doch die Regierung hat bisher darauf verzichtet, den Notstand zu erklären. Die Frustration der jungen und am besten informierten urbanen Bevölkerung über die desolate Wirtschaftslage, die Misswirtschaft und die Verschlechterung der Lebensbedingungen, über das Fehlen von transparenten Anti-Korruptionsreformen und die andauernde Verschiebung der Lokalwahlen scheint es der MPLA nicht leicht zu machen, noch einmal eine komfortable Zweidrittelmehrheit im Parlament zu gewinnen.

Noch 2021 setzte João Lourenço eine Verfassungsänderung durch, die von der MPLA-Parlamentsmehrheit abgesegnet wurde, welche künftig die parlamentarische Kontrolle noch stärker einschränkt als in der Verfassung von 2010. So darf das Parlament künftig nur noch Rechenschaft der Regierung über Geschäfte innerhalb derselben Legislaturperiode einfordern. Mit Ausnahme der Exekution des Haushaltbudgets wird sich das neu gewählte Parlament also nur mit Geschäften der laufenden Legislaturperiode befassen dürfen, und nicht mit den letzten fünf Jahren unter Präsident Lourenço. Die weitreichenden Befugnisse des Präsidenten in der auf Dos Santos zugeschnittenen Verfassung von 2010 blieben unangetastet. Lourenços Verfassungsteilrevision war ein Top down-Prozess ohne nennenswerte Konsultation der Zivilgesellschaft, die schon lange eine weiter reichende, inklusive Verfassungsrevision fordert.

Fehlende Transparenz bleibt ein Thema

Die Chancen auf transparente und faire Wahlen stehen nicht besser als in den letzten drei Wahlen unter Dos Santos. Beide entscheidenden Institutionen für die Wahlen – das Verfassungsgericht (Tribunal Constitucional) und die Nationale Wahlkommission (Comissão Nacional Eleitoral, CNE) – haben bereits im Vorfeld kontroverse Entscheide getroffen, welche ihre fehlende Unabhängigkeit offenbaren.

Nachdem im August 2021 der Vorsitzende des Verfassungsgerichtes sein Amt aus Protest über die „undemokratische Natur" der von Lourenço durchgesetzten Verfassungszusätzen niederlegte, ernannte der Präsident als Nachfolgerin Laurinda Cardoso, die er zuvor ins Politbüro der MPLA aufgenommen hatte (von dem sie unterdessen zurückgetreten ist). Kaum war die neue Vorsitzende im Amt, annullierte das Verfassungsgericht den Unita-Kongress von 2019 – und damit die neue Führung von Adalberto Costa Júnior – , und erzwang eine erneute Durchführung des Kongresses.

Bereits zuvor hatte das Verfassungsgericht im Dezember 2020 definitiv die Registrierung der neuen Partei PRA-JA Salvar Angola des Oppositionspolitikers Abel Chivukuvuku abgelehnt, aufgrund angeblicher Unregelmäßigkeiten in den über 30.000 vorgelegten Unterschriften. Laut Parteiengesetz sind 7.500 Unterschriften für eine Registrierung notwendig – 150 in jeder Provinz. Ohne Widerrede registrierte das Gericht 2022 zwei neue Parteien von Unita-Dissidenten, N-Django und Partido Humanista de Angola. Es gab bereits in früheren Wahlen Anzeichen der Ungleichbehandlung von Parteien bei der Parteienregistrierung durch das Verfassungsgericht, doch betrafen diese nicht die wichtigsten Oppositionsparteien und -figuren.

Das Verfassungsgericht ist das einzige Appellationsgericht für die Wahlen, und in den Wahlen seit 2008 hat das Gericht alle von der Opposition vorgebrachten Klagen integral abgelehnt. Die Nationale Wahlkommission hat die Aufgabe, die transparente Durchführung der Wahlen zu organisieren und zu überwachen. Seit vielen Jahren fordern Opposition und Zivilgesellschaft eine unabhängige und inklusive Wahlkommission. Doch 16 Mitglieder der 17-köpfigen CNE werden von den Parteien gemäß ihrer Parlamentsvertretung ernannt. Der CNE-Vorsitzende – das 17. Mitglied – ist ein Richter, den das Oberste Richtergremium (Conselho Superior de Magistratura Judical) ernennt. Dieses Gremium ist wiederum von der MPLA dominiert, und dessen Vorsitzender wird vom Präsidenten bestimmt.

Die diplomatische Einschätzung der EU-Wahlbeobachtermission von 2008 zur Rolle der CNE gilt bis heute: „limited at best". Im Laufe von drei Wahlprozessen hat die CNE als formale Instanz agiert, welche weitgehend die Regierungspartei begünstigte, indem sie wiederholte und systematische Verletzungen des Wahlgesetzes von Seite der MPLA ignorierte und zudem ermöglichte, dass parallele, gesetzlich nicht vorgesehene Strukturen und Akteure Einfluss auf sensible Bereiche wie die Wahllogistik, Stimmenzählung und Urnentransporte übernehmen.

„Informelle" parallele Strukturen und Prozesse

Wie schon in den drei vergangenen Wahlen hat 2022 die spanische Firma Indra Sistemas über eine intransparente öffentliche Ausschreibung der CNE die Organisation der Informatik und Logistik übernommen. Die Ausschreibung war sehr kurzfristig angesetzt und so eng formuliert, dass nur zwei Firmen teilnehmen konnten. Indras Konkurrentin Smartmatic wurde dann wegen angeblicher Formfehler vom Verfahren ausgeschlossen. Laut Ausschreibungskriterien der CNE hätte Indra eigentlich ausgeschlossen werden sollen, nachdem die Firma 2018 von einem spanischen Gericht rechtskräftig wegen Steuervergehen verurteilt worden war.

Es dürfte zwar schwierig sein, der in 140 Ländern vor allem im Verteidigungssektor tätigen Firma Indra Sistemas Wahlmanipulationen und Absprachen mit der Regierung in Angola nachzuweisen. Doch die mehr als fragwürdigen Auswahlprozesse der immer selben Firma durch die CNE gibt der Opposition und Zivilgesellschaft allen Grund zum Misstrauen. Hinzu kommt, dass die CNE auch die Transportlogistik der Wahlurnen – ohne öffentliche Ausschreibung – an die angolanische Firma KPMP-LTI vergab. Deren Vertreter sind laut dem angolanischen Newsportal Club-k mit einer Firma des früheren Chefs des präsidialen Sicherheitsbüro unter Dos Santos, General „Kopelipa", liiert.

Laut Wahlgesetz werden die am Wahltag abgegebenen Stimmen in jedem Wahllokal gezählt. Die Ergebnisakten (Actas-síntese) sollten dann nach Begutachtung durch die Parteiendelegierten vom Wahllokalvorsitzenden an die Nationale Wahlkommission übermittelt werden. Die Delegierten aller Parteien sollten eine Kopie der Ergebnisakten erhalten. In ihrem Aufgabenheft für die Wahllogistik, für welche die Firma Indra ausgewählt wurde, etablierte die CNE jedoch parallele, im Wahlgesetz nicht vorgesehene Prozesse: So sollen die Wahlergebnisse der Wahllokale nicht von deren Vorsitzenden unter Überwachung der Parteidelegierten, sondern in eigens dafür eingerichteten Übermittlungszentren (Centros de Despacho) auf Distriktebene an die Nationale Wahlkommission übermittelt werden. Diese Zentren sollen von dafür durch die Indra zu rekrutierendes „technisches Personal" betrieben werden.

In den vergangen drei Wahlgängen haben Oppositionsparteien, Zivilgesellschaft und ausländische Wahlbeobachter:innen darauf hingewiesen, dass ähnliche parallele Strukturen und Prozesse als Einfallstor für die ungehinderte Manipulation der Wahlergebnisse durch eingeschleuste „Techniker" der Sicherheitskräfte, Geheimdienste oder des Präsidialen Sicherheitsbüros dienen.

Zudem werden nach umstrittenen Änderungen des Wahlgesetzes im August 2021 die Wahlergebnisse nicht mehr zuerst auf provinzieller Ebene ermittelt, sondern nur noch in der Zentrale der CNE in der Hauptstadt. In der Praxis war dies bereits 2017 der Fall, als die CNE bereits am Folgetag der Wahlen provisorische nationale Resultate bekannt gab, während die Auszählung in den meisten Provinzen noch im vollen Gang war. Die Oppositionsmitglieder der CNE protestierten darauf in einer Pressekonferenz, keine Kenntnis von der Herkunft dieser Zahlen zu haben. Doch statt diese Fragen zu klären, strengte die CNE später eine interne Ermittlung gegen die kritischen Oppositionsmitglieder an.

Wer wählen darf und wo

Die Wählerregistrierung wird vom Staat durchgeführt und aktualisiert, und die definitiven Wählerlisten (Cadernos eleitorais) sollten bis spätestens 30 Tage vor dem Wahltag der CNE übergeben werden. In den bisherigen Wahlen wurden die Wählerlisten zu spät oder nicht überall veröffentlicht. 2022 verzichtete die Regierung ganz auf die physische Veröffentlichung der provisorischen Wählerlisten mit dem Hinweis auf das gesetzliche Gebot der Wahrung der Privatsphäre. Wählende konnten ihr Register nur individuell per SMS, online oder bei der lokalen Verwaltung überprüfen.

Angesichts der Desorganisation vieler lokaler Verwaltungsstellen und des prekären Zugangs zu Internet und Strom in vielen Landesteilen schließen solche Vorgaben tendenziell viele Wählende von der Möglichkeit aus, ihre Angaben im Wählerregister zu überprüfen. In den vergangenen Wahlen gab es auch in den Städten zahlreiche Beispiele für Wählende, die am Wahltag von ihrer Registrierung in einem weit entfernten Provinzort erfuhren. Zudem lebt ein großer Teil der Bevölkerung in informellen Siedlungen in peri-urbanen Gebieten, ohne offizielle Kennzeichnung von Straßen und Hausnummern, was die Erfüllung formaler Kriterien für viele erschwert – eine Realität, die der Regierung bestens bekannt sein dürfte.

Kontrollierte Medien und Meinungsumfragen

Trotz substanzieller Reformvorschläge von Medienschaffenden zur neuen Pressegesetzgebung, die 2017 in Kraft getreten ist, kontrolliert noch immer der von der Regierungspartei dominierte Staat die Medien. Das Ministerium der Medien und Informationstechnologie vergibt Lizenzen, diktiert die Regeln und wacht über deren Einhaltung für Radio, Fernsehen, Printmedien und digitale Newswebsites.

Nach anfänglicher zaghafter Öffnung nach Lourenços Machtantritt sind die staatlichen Fernsehsender (TPA 1 und TPA 2) unterdessen wieder Propagandaorgane der Regierungspartei – „TMPLA", wie sie der angolanische Journalist Carlos Rosado de Carvalho charakterisiert. Zudem hat die Regierung 2020 den privaten Medienkonzern Medianova verstaatlicht (der von Alliierten des ehemaligen Präsidenten Dos Santos mit öffentlichen Geldern gegründet worden war), und entzog 2021 zwei weiteren privaten Fernsehsendern vorübergehend die Lizenz. Somit kontrolliert die Regierung praktisch alle nationalen Fernsehsender.

Der Staat hat auch noch immer das Monopol über Radiokurzwellen mit nationaler Reichweite. Mit Ausnahme von Rádio Ecclésia, der katholischen Bischofskonferenz, das unter Lourenço nun endlich auch in einigen Provinzen senden darf, haben nur staatliche Radiosender nationale Reichweite. Dank der horrenden Gebühren für die Lizensierung von Lokalradios – 126.000 Euro – ist Angola noch heute das einzige Land im südlichen Afrika ohne Community Radios.

Diffamierung (Verleumdung und üble Nachrede) gelten im neuen Pressegesetz und dem neuen Strafrechtskodex von 2020 nach wie vor als Straftat. Bei einer Verurteilung drohen bis zu 1,5 Jahre Gefängnis plus Geldstrafen. Seit 2021 warten diverse Journalisten auf ihren Gerichtstermin wegen Diffamierungsklagen aufgrund von Artikeln, die zum Teil Jahre zuvor publiziert wurden. Alle Klagen wurden von Regierungsbeamten in Machtpositionen angestrengt. Bereits vor früheren Wahlen häuften sich Diffamierungsklagen gegen Journalist:innen – nicht bei allem kam es zu Gerichtsprozessen, doch die Angst vor möglichen Klagen fördert die Selbstzensur.

Seit einem Jahrzehnt sind digitale und soziale Medien ein wichtiges alternatives Sprachrohr für kritische Stimmen, doch das Internet ist noch längst nicht für alle zugänglich, und vor allem nicht erschwinglich. Im Mai forderte das Medienministerium 15 populäre Newswebsites, sich offiziell zu registrieren. Im Fall von Camundanews standen bewaffnete Polizisten der Kriminalpolizei (SIC) vor der Tür, was eher den Eindruck von Einschüchterung als einer bürokratischen Formalität erweckte.

Im Mai segnete die MPLA-Parlamentsmehrheit ein Gesetz ab, das Meinungsumfragen während der offiziellen Kampagne durch nicht offiziell registrierte Institutionen verbietet. Die extrem hohen finanziellen Hürden für solch eine Lizensierung (umgerechnet 34.000 Euro) und die Auflage, Meinungsumfragen vor ihrer Veröffentlichung der CNE und dem Medienministerium vorzulegen, wurde von Opposition und zivilgesellschaftlichen Gruppen als eine weitere Blockade der freien Meinungsäußerung kritisiert. Laut Meinungsumfragen in über 100 Distrikten, welche die Organisation MUDEI in den letzten Monaten veröffentlichte, sinkt der Stimmenanteil der Regierungspartei auf unter 30 Prozent, mit Unita/Frente Patriótica als Gewinner.

Unabhängige Wahlbeobachter

Das Wahlgesetz beschränkt die Gesamtzahl für nationale Wahlbeobachter:innen auf 2.000 landesweit – eine absurd kleine Zahl für ein Land wie Angola. Dazu kommen hohe bürokratische Hürden und genau festgesetzte Quoten für Institutionen, die solche aufstellen können. Aufgrund wiederholter massiver Probleme unabhängiger Gruppen der Zivilgesellschaft in vergangenen Wahlen, ihre Beobachter:innen zu akkreditieren, haben Oppositionsparteien und Aktivist:innenengruppen wie MUDEI alle Bürger:innen aufgerufen, an der Beobachtung mitzuwirken.

Seit anfangs Juli dürfen verschiedene Institutionen bestimmte Quoten internationaler Beobachter einladen. Doch weniger als zwei Monate ist für ernstzunehmende und größere internationale Beobachtermissionen wie von der EU oder das Carter Center ein viel zu kleiner Zeitraum, während sich Beobachtermissionen der SADC, CPLP oder der AU in vergangenen Wahlen in erster Linie auf den friedlichen Ablauf während der offiziellen Kampagne und rund um den Wahltag konzentriert haben.

Lisa Rimli ist unabhängige Beraterin und war 2008 und 2012 Wahlbeobachterin in Angola.