Heft 4/2022, Namibia

Der Fisch stinkt vom Kopf her

Der Fishrot-Skandal ist der größte Korruptionsfall in der Geschichte des unabhängigen Namibia. Er bringt nicht nur die regierende Swapo ins Wanken, er ist auch ein Lehrstück dafür, wie Konzerne aus dem Globalen Norden mit dreisten Mitteln und schmutzigen Tricks versuchen, Gewinne aus dem Rohstoffreichtum des Globalen Südens zu erringen.

Von Lothar Berger

Korruption sei in Namibia nicht endemisch, meinte der Generaldirektor der namibischen Anti-Corruption Commission (ACC), Paulus Noa, im Juni gegenüber dem „Desert Radio". „Es gibt keine kleptokratischen Korruptionsfälle, in denen politische Führungskräfte, Industriebosse und Leiter von Institutionen in Korruption verwickelt sind. Diese Art von System gibt es bei uns nicht", zitiert ihn der „Namibian" (1.4.2022). Noa leitet die Behörde zur Bekämpfung der Korruption seit ihrer Gründung im Jahr 2006 und wurde im vergangenen Jahr von Präsident Hage Geingob für weitere fünf Jahre in seinem Amt bestätigt.

Laut dem jüngsten Korruptionswahrnehmungsindex von Transparency International ist Namibia mit einem CPI-Wert von 51 von 100 im Jahr 2020 von Rang 57 auf Rang 58 im Jahr 2021 zurückgefallen. 2018 lag es noch auf Rang 52. Das sind statistisch gesehen keine dramatischen Veränderungen, und bis auf Botsuana und Mauritius liegen alle anderen SADC-Länder im Korruptionsindex hinter Namibia. Immerhin verweist ACC-Generaldirektor Noa darauf, dass seine Behörde seit der Gründung 730 Fälle an den Generalstaatsanwalt weitergeleitet habe, von denen bei 184 Urteile gefällt wurden, während 242 Fälle noch bei den Strafgerichten anhängig seien. Doch die öffentliche Wahrnehmung von Korruption in Namibia steht im krassen Widerspruch zu Noas Aussagen. So sieht es zumindest der Politikwissenschaftler Ndumba Kamwanyah, der eine wöchentliche Kolumne für den Namibian schreibt. Dem ACC fehle es an Bekanntheit und Sichtbarkeit in der Gesellschaft. Zudem müssten die Ziele und Standards der Korruptionsbekämpfungsbehörde über die öffentlichen Erwartungen hinaus hoch angesetzt werden, so Kamwanyah.

Der Fishrot-Korruptionsskandal

Es mag in Namibia vergleichsweise wenige Korruptionsfälle geben, in die politisch exponierte Personen verwickelt sind. Umso mehr hat ein Fall aber das Image des Landes geschädigt – der Fishrot-Skandal, ein Betrug von Geldwäsche und Korruption in großem Stil. Über einen Zeitraum von sieben Jahren – 2012 bis 2019 – sind dabei Bestechungsgelder in Millionenhöhe an eine Gruppe namibischer Politiker und Geschäftsleute, darunter die ehemaligen Minister für Fischereiwesen, Bernhard Esau, und für Justiz, Sacky Shangala, als Gegenleistung für äußerst lukrative Fischfangquoten gezahlt worden.

Im Zentrum des im Volksmund „Fishrot" (verrotteter, fauliger Fisch) genannten Skandals steht der isländische Fischereikonzern Samherji, der größte des nordischen Inselstaates und zugleich eines der größten Fischereiunternehmen Europas mit einem weltweiten Netz von Tochterfirmen. Samherji hat sich mit den Bestechungsgeldern nicht nur eine Zuteilung von Fischfangrechten gesichert. Der isländische Konzern soll auch mit gefälschten Rechnungen und falsch deklarierten Finanztransfers hunderte Millionen US-Dollar am namibischen Fiskus vorbei über Scheinfirmen ins Ausland geschleust haben. Die Rede ist von 13 Mio. US-Dollar an Bestechungsgeldern, die dem Unternehmen Gewinne in zigfacher Höhe gesichert haben sollen.

Den Skandal ins Rollen gebracht hat der ehemalige Geschäftsführer von Samherji in Namibia, Jóhannes Stefánsson. Dieser hatte 2016 seinen Job aus Frust über das Versagen des Unternehmens gekündigt, seinen sozialen Verpflichtungen in Namibia in Form von lokalen Arbeitsplätzen und ernsthaften Investitionen nachzukommen. Nach Streitigkeiten mit der Unternehmensführung ging er schließlich 2019 an die Öffentlichkeit und ließ über 30.000 in seinem Besitz befindliche E-Mails und Dokumente dem arabischen Sender Al Jazeera und der internationalen Enthüllungsplattform Wikileaks zukommen, die diese im November 2019 veröffentlichte. Stefánsson wandte sich als Whistleblower an das isländische Investigativprogramm Kveikur und kooperierte mit den staatlichen Behörden Namibias und der Anti-Corruption Commission (ACC). Er bekennt sich zwar selbst dazu, Schmiergeldzahlungen für das Unternehmen geleistet zu haben, doch mit der Weitergabe der Dokumente und der Entlarvung seines Arbeitgebers wollte er offensichtlich sein soziales Gewissen bereinigen.

Organisierte Kriminalität

Samherji bestreitet ein Fehlverhalten des Unternehmens und versucht, die Schuld auf Stefánsson als Einzelperson zu schieben. Doch die direkten Anweisungen zur Bestechung sind laut diesem von der Unternehmensleitung gekommen, der Mehrheitseigner und Geschäftsführer von Samherji, Thorsteinn Már Baldvinsson, sei stets im Bilde gewesen.

In die Fishrot-Affäre sind laut Presseberichten weit über 20 Länder verwickelt, darunter Polen, Großbritannien, Kasachstan, die USA und Angola. Aus den durchgesickerten Dokumenten geht hervor, dass Samherji im Rahmen eines möglichen bilateralen Fischereiabkommens zwischen Namibia und Angola in den Genuss einer Stöckerquote kommen wollte.

Im November 2020 wurde auch eine Verbindung von Samherji zum niederländischen Fischereikonzern Parlevliet & Van der Plas im Rahmen der Korruptionsermittlungen bekannt. Hilfestellung beim Transfer der Korruptionsgelder über Briefkastenfirmen auf Inselstaaten wie Zypern, Mauritius oder den Marshall-Inseln nach Dubai hat die norwegischen Staatsbank DNB geleistet. Die Geschäftsbank von Samherji wurde mittlerweile wegen Geldwäsche von der norwegischen Finanzaufsicht zu einer Strafe von rund 40 Mio. Euro verdonnert – Zusatzeinnahmen, die Norwegen dem Whistleblower Stefánsson zu verdanken hat.

Ohne die Hilfe der mit der regierenden Swapo verbundenen korrupten „Haifische" hätte Samherji nicht seinen Reibach machen können. Doch die entscheidenden Hebel für ein solches Korruptionsgeflecht sind nicht nur die Geldnehmer vor Ort, sondern es braucht neben dem bestechenden Unternehmen auch ein Netz von Geldverschiebern, deren versteckte Verbindungen es Ermittlern erschweren, die weltweite Korruption auszutrocknen. Der Fishrot-Skandal ist vorrangig ein Fall von organisierter Kriminalität, mit der sich ein Industriezweig aus dem Norden auf Kosten der Bevölkerung im Bestechungsland im Süden Extraprofite aneignet.

Die Einsamkeit des Whistleblowers

Samherji will freilich die ganze Affäre als eine rein namibische Angelegenheit erscheinen lassen und versucht mit Hilfe seiner gut bezahlten Anwälte Jóhannes Stefánsson als „psychisch kranken Rauschgiftsüchtigen" und „Kriminellen" zu diskreditieren. Stefánsson sieht sich seit der Veröffentlichung der Leaks schweren Repressalien ausgesetzt, er erleidet das selbe Schicksal, das den meisten „Whistleblowern" zuteil kommt: Erst enthüllt er, wie ein mächtiger Fischereikonzern die Gewässer vor Namibias Küste plündern konnte, dann erhält er im Oktober 2021 im schwedischen Göteborg den mit 100.000 Euro dotierten renommierten Whistleblowerpreis, den Win-Win-Sustainability-Award, doch in Island droht ihm ein Prozess wegen der Schmiergeldzahlungen, die er als Samherji-Manager in Namibia im Namen der Firma tätigte.

Was über den Umgang mit Stefánsson bekannt wird, erinnert an das Vorgehen von Putins Geheimagenten gegen Oppositionelle im Ausland. Nach seinem Abgang bei Samherji hatte Stefánsson Namibia verlassen und sich in einem Hotel in Kapstadt niedergelassen. Im Dezember 2016 erlitt er Krampfanfälle, deren Ursachen die Ärzte nicht erklären konnten. Vermutet wurden Vergiftungssymptome. Stefánsson selbst spricht in einer eidesstattlichen Erklärung aus dem Jahr 2019 von „mehreren Anschlägen" auf sein Leben. Die Vergiftungserscheinungen haben im letzten Jahr zugenommen, weswegen Stefánsson internationale Spezialisten um Hilfe gebeten hat, um vor dem in Windhoek angesetzten Fishrot-Prozess aussagen zu können.

Durchgesickerte E-Mails aus den Ermittlungen der isländischen Polizei gegen Samherji zeigen, wie ein von dem Unternehmen angeheuerter ehemaliger Polizeibeamter versuchte, Stefánsson gegen seinen Willen in eine isländische Entgiftungsklinik für Drogen- und Alkoholabhängige einweisen zu lassen. Offensichtlich wollte man den Störenfried aus Namibia loswerden. Die Veröffentlichung eines Hetzvideos zur Verunglimpfung eines über den Fall berichtenden kritischen Journalisten und das Anheuern eines sich selbst „Guerillaeinheit" nennenden Teams, das den Whistleblower angreifen sollte, zeigen, mit welchen schmutzigen Tricks das isländische Unternehmen zu arbeiten bereit ist. In einem E-Mail vom März 2021 rühmt sich die Guerilla-Einheit, dass der Samherji-Chef Baldvinsson „hoffentlich die Messer wetzen und Jóhannes abschlachten" werde (africa confidential, 17.2.22).

Die Enthüllungen über die Aktivitäten der Guerilla-Einheit lösten in Island und auch international Verurteilungen aus. Samherji musste sich dafür entschuldigen, zu weit gegangen zu sein, doch in Namibia hatten die Mittelsmänner des Unternehmens längst dafür gesorgt, dass die „Haie", die für Samherjis Bestechungsgelder für billige Fangquoten zuständig waren, auf seiner Seite blieben.

Warten auf den Prozess

Zu diesen sechs korrupten „Haien" gehören der ehemalige Fischereiminister Bernhard Esau und Ex-Justizminister Sakeus ‚Sacky' Shanghala, der Geschäftsmann James Hatuikulipi und sein Cousin Tamson ‚Fitty' Hatuikulipi, zugleich Schwiegersohn von Ex-Fischereiminister Esau. Letztere sollen jeweils mindestens vier Mio. US-Dollar erhalten haben, während Shanghala zwei Mio. und Esau eine Mio. US-Dollar eingesteckt haben sollen – bezahlt aus einem 637 Mio. US-Dollar schweren Fischereigeschäft zwischen der staatlichen Fischereibehörde Fishcor und einer Firma des Geschäftsmanns Adriaan Louw, African Selection Fishing. Sie alle sitzen seit November 2019 in Haft, nur der sechste der „Haie", Ricardo Gustavo, wurde im Dezember 2019 auf Kaution freigelassen. Insgesamt zehn Inhaftierte warten nun auf ihren Prozess, während in Island gegen mindestens acht Verdächtige ermittelt wird. Bislang wurde dort aber noch niemand im Zusammenhang mit dem Fall angeklagt. Die namibische Regierung hat hingegen drei isländische Führungskräfte von Samherji als Verdächtige benannt, die vor Gericht in Windhoek erscheinen sollen. Sie hat ein Auslieferungsersuchen für die drei gestellt, doch das isländische Recht verbietet die Auslieferung seiner Bürger.

Swapo in Bedrängnis

Der Fishrot-Skandal bringt die regierende Swapo in Bedrängnis. Die von der Staatsanwaltschaft gesammelten Beweise und die Zeugenaussagen bei den Kautionsverhandlungen belasten sowohl Präsident Hage Geingob als auch die Regierungspartei. Die ehemaligen Kabinettsmitglieder Esau und Shanghala waren beide enge Vertraute von Geingob. Obwohl sie verhaftet wurden und ihr Abgeordnetenmandat zurückgeben mussten, wurden sie nicht aus der Swapo ausgeschlossen. Schließlich hatten sie der Partei ihren Dienst erwiesen, denn ein Teil des isländischen Schmiergelds ist offensichtlich der Swapo zugute gekommen. Laut Stefánsson hat Samherji im Juni 2014 an eine Scheinfirma namens ERF 1980 1,5 Mio. N$ (140.000 US-Dollar) gezahlt. James Hatuikulipi, ehemaliger Geschäftsführer von Investec Asset Management Namibia, habe danach angegeben, mit den Geldern seien Stimmen für den bevorstehenden Swapo-Kongress gekauft worden. Auf dem Kongress wurde damals Geingob zum Präsidentschaftskandidaten der Swapo für die Wahlen von 2014 gewählt.

Der Verdacht liegt also nahe, dass Hage Geingob selbst von den Machenschaften wusste und davon profitiert hat. Das belegt auch eine 477 Seiten starke eidesstattliche Erklärung des Windhoeker Anwalts Marén de Klerk, dem angeklagten Zahlmeister im Fishrot-Fall. Dieser hat sich Anfang 2020 nach Südafrika abgesetzt, woraufhin Namibia einen Auslieferungsantrag gestellt hat. De Klerk gibt an, rund 100 Mio. N$ (6,6 Mio. US-Dollar) an Geingobs Anwalt Sisa Namadje weitergeleitet zu haben. Die Gelder seien zur Finanzierung von Swapo-Aktivitäten und zur Bezahlung von politischen Kumpanen verwendet worden.

Es macht die Angelegenheit für die Regierung auch nicht besser, dass bei den Ermittlungen auch Bestechungen durch weitere Fischereiunternehmen bekannt wurden. So hat die spanische Firma NovaNam nach Aussagen ihres Managers Jose Ramon Canosa bei einem Verhör mit der ACC im Januar diesen Jahres Zahlungen in Höhe von 1,48 Mio. US-Dollar an drei Briefkastenfirmen geleistet, um Fangquoten zu erhalten. Die illegalen, als Beratungsleistungen getarnten Zahlungen wurden auf Anweisung des Chefs von Fishcor, Mike Nghipunya, zwischen 2017 und 2019 getätigt, also in einer Zeit, als Jóhannes Stefánsson längst bei Samherji ausgeschieden war und die namibischen Behörden von den Machenschaften der europäischen Fischereiunternehmen Wind bekommen haben mussten.

Vor dem Swapo-Parteitag Ende 2022 steht für Geingob viel auf dem Spiel. Sein Ruf ist angesichts der Wirtschaftskrise, die mit hoher Jugendarbeitslosigkeit einhergeht, angeschlagen. Gerade erst hat die Ratingagentur Fitch Namibias Kreditwürdigkeit herabgestuft. Geingobs Position als Parteipräsident könnte auf dem Parteitag ebenso in Frage gestellt werden wie die der derzeitigen Swapo-Generalsekretärin, der Geingob-Vertrauten Sophia Shaningwa. Geingob kann für die Wahlen von 2024 ohnehin nicht mehr als Präsident antreten, da die Verfassung keine dritte Amtszeit erlaubt. Als Favoritin für die kommende Präsidentschaft wird die derzeitige Swapo-Vizepräsidentin Netumbo Nandi-Ndaitwah gehandelt. Doch die Swapo kann sich eines Wahlsiegs nicht mehr sicher sein. Panduleni Itula, Vorsitzender der Unabhängigen Patrioten für den Wandel (IPC), hatte Geingob bei den letzten Wahlen 2019 mit 29 Prozent der Stimmen herausgefordert. Geingob kam auf nur noch 56 Prozent und damit auf den niedrigsten Wert, den ein Swapo-Kandidat je erreicht hat. Bei den Kommunalwahlen im November 2020 übernahm die Opposition sogar die Kontrolle über Windhoek und andere wichtigen Städte.

Unabhängig davon, ob die Swapo die nächsten Wahlen überlebt – der Fishrot-Korruptionsprozess wird ein Lackmustest für die Anti-Korruptionsbehörde, sagt Graham Hopwood, Direktor des Institute of Public Policy Research (IPPR): „Wenn er scheitert, denke ich, dass das Vertrauen der Öffentlichkeit in die ACC einen Todesstoß erhalten wird." Die ACC müsse auch gegen weitere Fishrot-Verdächtige ermitteln. Und wenn die namibische Fischereiindustrie nicht umstrukturiert wird, werden sich noch weitere Gauner ihrer ermächtigen können.