In den vergangenen Wochen ist wieder einmal deutlich geworden, wie wichtig Afrika für die weitere politische und wirtschaftliche Entwicklung auf dem Globus ist. Zunächst lud der russische Präsident zum Russland-Afrika-Gipfel nach St. Petersburg, um afrikanische Regierungen stärker an Russland zu binden und damit vom Westen zu entfernen. Interessanterweise erntete Putin mehr Kritik als Begeisterung aus Afrika. Anstatt dass afrikanische Regierungschefs ihm in seiner Aggression folgen, kritisierten sie seine Blockadepolitik beim Getreideexport und die versprochenen – geringen – kostenlosen Lieferungen.
Kurze Zeit später wurde der russische Einfluss auf die Entwicklung in Afrika durch den Militärputsch in Niger bestätigt. Der Putsch zeigt, wie weit sich Teile Afrikas – bei Weitem nicht nur die Eliten – von Europa entfernt haben. Als Konsequenz des dortigen Chaos ist die ohnehin fragile Sahel-Zone noch unsicherer geworden.
Die Bundesregierung reagierte auf den Putsch mit dem üblichen Maß an Empörung und Geldentzug. Allerdings sollte sie nicht dabei stehenbleiben. Denn beides – der missglückte Gipfel und der Putsch – machen deutlich, dass die afrikanischen Partner von Deutschland (und Europa) nicht Empörung und Belehrung im Verbund mit mehr oder weniger großzügiger Entwicklungshilfe erwarten, sondern von den europäischen Partnern endlich ernst genommen werden wollen.
Ihr Selbstbewusstsein hat überdies zugenommen. Sie lassen sich nicht länger mit warmen Worten, Geld und Paternalismus abspeisen. Die Economic Partnership Agreements der Europäischen Union finden kaum Widerhall. Viele Regierungen in Afrika erwarten stattdessen einen substanziellen Beitrag Europas zu ihrer Entwicklung in Form von Direktinvestitionen und Marktzugang für afrikanische Exporte jenseits von Rohstoffen nach Europa.
Und hier liegt das Problem. In Berlin und Brüssel haben noch zu wenige politische Akteure verstanden bzw. akzeptiert, dass sowohl den europäischen Interessen als auch der Durchsetzung von Menschen- und Bürgerrechten in Afrika nicht dadurch gedient ist, dass wir sie mit Oberlehrerattitüde anmahnen und die Mittelständler aus Sachsen oder dem Sauerland mittels Lieferkettengesetzen zu kostspieligen Dokumentationspflichten verdonnern.
Am meisten kann Europa für die Menschen in Afrika tun, wenn die politischen Partner von der Diplomatie ernst genommen werden und wir den Handel intensivieren und Investitionen vornehmen. Nur so können wir dazu beitragen, der sehr jungen Bevölkerung in den meisten afrikanischen Ländern eine sichere Perspektive im eigenen Land zu bieten.
Außenhandel heißt sowohl Exporte als auch Importe. Afrika ist ein zunehmend wichtiger Markt für europäische Exporte, man sollte aber auch das afrikanische Exportpotenzial nicht begrenzen. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass man in Afrika keine guten Zwischen- oder Endprodukte herstellen kann; dies zeigt der innerafrikanische Handel, der wesentlich stärker auf Industriewaren ausgerichtet ist als die Exporte in die EU. Deshalb sollte die übliche Zolleskalation der EU endlich beendet und besonders protektionistisch wirkenden Regulierungen des Verbraucherschutzes vereinfacht werden. Dies betrifft sehr stark, aber nicht ausschließlich, die Nahrungsmittelindustrie.
Neben der Handelspolitik ist es wichtig, die Investitionsbereitschaft der europäischen Industrie in Afrika anzukurbeln; dies gilt ganz besonders in Deutschland. Nach wie vor ist nur ein Bruchteil (ca. 0,6 Prozent) des Bestandes deutscher Direktinvestitionen in Afrika verortet. Da ist viel Nachholbedarf, den die Regierung mit Unterstützung bei Investitionsfinanzierung und -absicherung befeuern kann. In der absurden Gemengelage deutscher Afrikapolitik mit einem knappen Dutzend ministerieller Afrikastrategien ist dies nicht einfach, weil die Ressorts auf ihren Zuständigkeiten beharren und in Silos denken.
Die Lage ist mithin einerseits komplex und andererseits einfach. Es bedarf einer kompletten Kehrtwendung weg von kleinteiligem Ressortdenken, moralisierendem Paternalismus hin zu handelspolitischer Offenheit in Verbindung mit wirtschaftspolitischem Pragmatismus. Die Bundesregierung müsste über ihren Schatten springen und die afrikapolitische Zeitenwende einläuten.
Andreas Freytag
Der Autor ist Professor für Wirtschaftspolitik an der FSU Jena und Honorarprofessor an der Universität Stellenbosch.