Heft 4/2023, Südafrika

Südafrikas Liebesaffäre und der betrogene Westen

Im Vorfeld des BRICS-Gipfeltreffens in Johannisburg Ende August standen die diplomatischen Beziehungen zwischen Afrika, insbesondere Südafrika, und Russland nicht still. Ein Kommentar zu Ramaphosas Rolle in der afrikanischen Friedensdelegation, die sowohl in die Ukraine als auch im Anschluss nach Russland zu Vermittlungsgesprächen reiste, sowie dem Russland-Afrika-Gipfel in St. Petersburg.

Von Janine Traber

Oft war in den europäischen Medien der vergangenen Monate von Südafrikas Liebesaffäre mit Russland oder sogar Putins Russland zu lesen und hören. Erst mal klingt das eingängig – schließlich sind „wir" uns ja wohl einig, dass der russische Krieg gegen die Ukraine ein Verbrechen ist, das geächtet werden muss, und wer mit derartigen Verbrechern sympathisiert, hat offensichtlich „unser" Wohlwollen verspielt! Doch wenn man sich solche Formulierungen sprachlich genauer anschaut, dann tritt durch sie auch die Haltung eines jammernden Betrogenen zutage. Eine Affäre ist nämlich etwas Temporäres, nichts „Richtiges", vielleicht ein wenig aufregend, aber immer doch ein großer Fehler, schließlich wird der rechtmäßig angetraute Ehepartner dabei hintergangen und gedemütigt. Und wenngleich viele von den Beiträgen der letzten Wochen und Monate sich auch bemüht haben, Südafrikas historische und aktuelle Motivationen für die vermeintlich neutralen Beziehungen zu Russland darzulegen, so kommen die meisten von ihnen eben doch nicht ohne eine herabblickende Bewertung dieser aus. Beim finalen Gerichtsprozess wird die Schuldfrage schon klären, dass Südafrika für die potenzielle Ehescheidung verantwortlich ist, da es zu viel Zeit mit Russland unter einer Decke verbracht hat. Aber ist Südafrika denn mit „uns", dem Westen, wirklich verheiratet? Schuldet „uns" Südafrika die ewige Treue, bis dass der Tod uns scheidet? Und sollten wir überhaupt über diplomatische Beziehungen denken wie ein eifersüchtiger Ehepartner?

Ramaphosa und Afrikas Friedensdelegation

Ende Juni brach eine afrikanische Friedensdelegation sozusagen zur „Paartherapie" erst nach Kiew und im Anschluss nach Moskau auf. Angeführt von Südafrikas Präsidenten Cyril Ramaphosa und Senegals Präsidenten Macky Sall sprach sich die Delegation, die weiterhin aus Sambias Präsidenten Hakainde Hichilema, dem Präsidenten der Komoren Azali Assoumani sowie Stellvertreter Ägyptens, der Republik Kongos und Ugandas bestand, für einen Zehn-Punkte-Plan zur Beendigung des Ukrainekrieges aus. Dieser beinhaltete u. a. das Heimsenden Kriegsgefangener und Kinder, die Anerkennung von eigenstaatlicher Hoheit der Ukraine und – für die afrikanischen Staaten vermutlich am Wichtigsten – die Wiederaufnahme der Weizenexporte durch das Schwarze Meer. Der ukrainische Präsident Selenskyi antwortete, es könne keinen Frieden geben, wenn sich Russland nicht komplett aus der Ukraine zurückziehe. Putin wiederum beharrte darauf, dass die Ukraine für Verhandlungen mindestens fünf ihrer Provinzen abgeben müsse.

Berichten der African Development Bank nach hat der Krieg dazu geführt, dass dem afrikanischen Kontinent durch den Krieg rund 30 Mio. Tonnen Getreide fehlen. Das geschlossene Auftreten der afrikanischen Friedensdelegation hat durchaus international den Eindruck selbstbewusster Vertreter afrikanischer Länder hinterlassen, die sich nicht nur als Fähnchen im Wind den aktuellen Big Playern unterwerfen, sondern die für die Interessen ihrer Bevölkerung und einer Weltgemeinschaft einstehen. Angeblich soll der Empfang und die Stimmung in Russland deutlich freundlicher gewesen sein als in der Ukraine. Wenn Neutralität gegenüber einem Aggressorstaat jedoch als Unterstützung gewertet wird, wundert dies wohl kaum.

Für Ramaphosa gab es jedoch von zu Hause aus auch viel Kritik. Die Democratic Alliance bezeichnete seinen Ausflug als eine Verschwendung von Steuergeldern und einen selbstdarstellerischen Egotrip nach außen hin, während im Inneren des Landes nicht genügend Ressourcen zur Verfügung gestellt würden, um Grundbedürfnisse der normalen Bürger:innen wie die Stromversorgung zu befriedigen.

Eine Chartermaschine aus Südafrika mit 100 Sicherheitsbeamten, Journalist:innen sowie diverser Kampfausrüstung und Munition an Bord wurde in Polen aufgehalten und an der Weiterreise gehindert und musste letztendlich umkehren. Die benötigten Papiere hätten nicht vorgelegen. Manche Südafrikaner:innen empfanden das Aufhalten des Flugzeugs als polnische Schikane, Frechheit und Geringschätzung des Präsidenten. Während des Besuchs der afrikanischen Delegation in der Ukraine mussten die Staatsvertreter nämlich überraschend Zuflucht in einem Bunker suchen, da der Ort von russischen Raketen beschossen wurde. In dieser Situation wäre das Schutzpersonal wohl durchaus nützlich gewesen. Andere hingegen beschweren sich erneut über den schlecht geplanten und damit sinnlos gewordenen Rauswurf von Steuergeldern. Ob sich Ramaphosa also wirklich als „Paartherapeut" zwischen der Ukraine und Russland verstand, oder nicht eigentlich selbst als Patient sein beschädigtes Image hat behandeln wollen, darüber lässt sich streiten.

Russland-Afrika-Gipfel nur PR-Veranstaltung?

In die nächste Sitzung der Beziehungen zwischen Putin und Afrika ging es Ende Juli beim Russland-Afrika-Gipfel in St. Petersburg. Dabei wurden von 40 afrikanischen Staaten militärische Abkommen mit Russland geschlossen, und das, obwohl angeblich laut Anwesenheitslisten das Interesse an Zusammenarbeit geschrumpft sei. Von 49 vertretenen Nationen entsandten nur 17 ihre Staats- und Regierungschefs – 2019 waren es noch 40.

Ein Teil der Waffenlieferungen Russlands soll dabei unentgeltlich sein, zudem sollen afrikanische Soldaten im Umgang mit der Technik und im Manöver geschult werden. So sollen die Länder zunehmend in die Lage gebracht werden, sich von den Überbleibseln des Kolonialismus zu lösen. Was das bedeutet, konnte man wohl kürzlich in Niger beobachten und zielt insofern wohl weniger auf die Errichtung demokratischer Strukturen und humanitäre Projekte ab als auf das Abhängigmachen fragiler Gewaltsysteme von Wagner-Truppen.

Ähnliches lässt sich erahnen, wenn man sich die Entwicklung der russischen Diamantförderung in Afrika (siehe nachfolgenden Beitrag von Misser) ansieht, die beim letzten Gipfel im Jahr 2019 als großes gemeinsames Projekt angepriesen wurde. Beim diesjährigen Gipfel kamen wie auch bei der Reise der Friedensdelegation die Getreidelieferungen ins Gespräch. Russland wolle „auch weiterhin ein zuverlässiger Lieferant bleiben". Die zugesagten Gratislieferungen zwischen 25.000 und 50.000 Tonnen Getreide pro Land decken jedoch nicht einmal ansatzweise den Bedarf (siehe oben).

Auch durch die Schenkung eines Helikopters an Simbabwes Präsidenten Emmerson Mnangagwa wird dieses Defizit nicht behoben. Vielmehr drängt sich der Eindruck einer gönnerhaften PR-Veranstaltung auf. Gratis-Goodie-Bags für die Anführer, über die sie die Belange der Bevölkerung vergessen. Die Hoffnungen auf eine glaubwürdige Vertretung dieser, die durch die Friedensdelegation aufkamen, waren schnell wieder dahin. Selbst wenn „der Westen" nicht sich selbst als den betrogenen Ehepartner versteht, so tat es nach diesem Gipfel sicherlich zumindest ein großer Teil der afrikanischen Bevölkerung, sollte man meinen.

Oder nicht? Im März bereits hatte der Internationale Strafgerichtshof einen Haftbefehl gegen Vladimir Putin erlassen, auf Grundlage der erzwungenen Deportationen von ukrainischen Kindern nach Russland. Südafrika als Vertragsstaat des Gerichts hätte ihn demnach verhaften müssen, wenn er einen Fuß auf südafrikanischen Boden gesetzt hätte. Die Spannung stieg, dann sagte Putin die persönliche Teilnahme am für den 23.-25. August angesetzten Treffen der BRICS-Staaten Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika in Johannesburg ab. Die „Affäre" hat wohl doch noch ihren Platz in der Ordnung erkannt. Bekennt sich Südafrika damit nun doch zum Westen?

Afrika und der Internationale Strafgerichtshof

Mit dessen Werten gleichgestellt wird zumindest der IStGH angesehen. Nicht immer nur zum Positiven. Schon seit Jahren kritisiert die Afrikanische Union, dass der IStGH die Immunität von Staatsoberhäuptern missachte. Hierdurch würde die Handlungsfähigkeit von Regierungen beeinträchtigt, was insbesondere in Kenia und Nigeria im Kampf gegen Terrorismus als problematisch angesehen wird. Von rechtlicher Seite her wird jedoch die Aufhebung der Immunität, die im Rom-Statut festgehalten ist, unter anderem vom Internationalen Gerichtshof bestätigt, sofern es sich um Vertragsstaaten handelt. Vielmehr sei die Tatsache, dass Straftäter ungeachtet ihrer Stellung für ihre Handlungen belangt werden können, eine große Errungenschaft, so das Urteil. Auch Nichtunterzeichnerstaaten, die aber dennoch Mitglied der Vereinten Nationen sind, sind laut letzteren zu einer Auslieferung von Staatsoberhäuptern im Anklagefall verpflichtet.

Ein weiterer Vorwurf afrikanischer Staaten gegen den IStGH ist der der rassistisch motivierten und selektiven Strafverfolgung, wegen dessen bereits Gambia und Ruanda ihre Mitgliedschaft aufkündigten. Abgesehen von den Straftaten im Zusammenhang mit dem Ukrainekrieg wurden bisher ausschließlich solche, die auf dem afrikanischen Kontinent verübt wurden, angeklagt. Dieser Vorwurf ist durchaus zu bestätigen, ist aber nicht auf den IStGH selbst, sondern auf das politische Organ des UN-Sicherheitsrates zurückzuführen. Dieser ist für die Aktivierung des Gerichts zuständig und hat dies in Fällen internationaler Gräueltaten wie in Syrien, wobei westliche Staatsvertreter hätten vor Gericht gezogen werden müssen, nicht getan. Wo ist hier die Liebe in der „Ehe" zwischen dem Westen und Afrika geblieben?

Malema: „Wir sind Putin"

Vielleicht müsste man sich in der Paartherapie also einmal von dem Vorwurf der Affäre distanzieren und eingestehen, dass sich u. a. die europäische Außenpolitik zu sehr darauf verlassen hat, dass der Ausblick auf Teilhabe an wirtschaftlichem Wachstum und Entwicklungsgeldern Loyalitäten schürft. Wenn aber gleichzeitig der vermeintlich beschenkte Partner immer wieder als unebenbürtig vorgeführt wird, dann war die Diplomatie letztendlich nicht moralischer als das Schenken eines Hubschraubers. Man muss dennoch zurecht geschockt sein, wenn der Protagonist der südafrikanischen Oppositionspartei Economic Freedom Fighters, Julius Malema, sich verächtlich über Ramaphosas Verkündung, dass Putin nicht zum BRICS-Treffen persönlich erscheinen werde, äußert. Der südafrikanische Präsident habe die Teilnahme Putins am Gipfel verhindert und sich damit als Feigling markiert. In Malemas Rede zum Zehnjahresjubiläum seiner Partei malt er mit deutlichen Worten ein Bild der Allianz zwischen Südafrika und Russland. Aus seiner Sicht stehe man gemeinsam an einer Front gegen den Westen. Ramaphosas Entscheidung (offiziell hingegen handelte es sich jedoch um eine gemeinsame Entscheidung Russlands und Südafrikas), Putin nicht zu empfangen, sei ein Ausdruck von Verrat gegenüber dem südafrikanischen Volk. „Wir sind Putin und Putin sind wir, und wir werden niemals den Imperialismus gegen Präsident Putin unterstützen."

Ob das Volk Malema wirklich zustimmt, ist jedoch ungewiss. Die südafrikanische Außenministerin Naledi Pandor konstatierte jedenfalls in einem kürzlichen Treffen mit Deutschlands Außenministerin Annalena Baerbock, dass Südafrika Russland nicht an einem einzigen Punkt unterstützt habe. Zuvor wurden Vorwürfe seitens der USA laut, Südafrika habe sogar Waffen an Russland geliefert. Das deutsche Außenministerium wertete die offizielle Absage von Putins Teilnahme am BRICS-Gipfel durchaus als Zugeständnis an die eigenen Werte. Man sei erleichtert, dass der Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs an Wertigkeit und Eindruck nicht verloren habe.

Eine Frage der Strategie

Fraglich ist jedoch, ob es wirklich der Haftbefehl war, der Eindruck schindet, oder vielmehr die Angst, dass bei Missachtung versprochene Gelder der Entwicklungszusammenarbeit auf Eis gelegt würden. Im November 2021 wurde bereits die „Just Energy Transition Partnership" beschlossen. Die Vereinbarung zielt auf die Förderung Erneuerbarer Energien auf sozialverträgliche Art und Weise und würde Südafrika Milliarden einbringen. So sollen 1 bis 1,5 Gigatonnen CO2 in den nächsten 20 Jahren eingespart und Südafrika bei der Abkehr von der Kohleindustrie geholfen werden. Um genau zu sein, haben Deutschland, Frankreich, die EU, Großbritannien und die USA 8,5 Mrd. US-Dollar zugesagt. Davon sollen 1,1 Mrd. alleine aus Deutschland kommen, von denen bereits 300 Mio. ausgezahlt wurden. Diese beinhalten u. a. Subventionen, Kredite zu Vorzugspreisen und Investitionen, die auch den Privatsektor mobilisieren sollen.

All dies hat Südafrika gegeneinander abzuwägen – langfristige Geschenke vom eifersüchtigen aber illoyalen Ehepartner oder populistische Sympathie für einen früheren Unterstützer? Die Lage ist zumindest nicht einfach, zu hoffen bleibt für insbesondere die südafrikanische Bevölkerung, dass das langfristige Wohl und ihre Bedürfnisse nicht außer Acht geraten. Denn wenn die Powercuts nicht behoben werden, aber die Getreidelieferungen trotz Versprechen wieder ausbleiben, nützt auch die Erinnerung an die Solidarität einer Affäre der alten Tage nichts mehr. Insofern ist es aus aktueller Perspektive durchaus legitim, sich nicht an Liebesrhetorik aufzuhängen, sondern strategisch mehrere Partner für Zusammenarbeit in Betracht zu ziehen.

Frau Baerbock zitiert zwar Desmond Tutu: „Neutralität bedeutet, sich auf die Seite des Aggressors zu stellen", aber wenn politische Akteur:innen schon mithilfe südafrikanischer Philosophie moralisch erpresst werden, so muss auch Nelson Mandelas Zitat gelten: „Eure Feinde sind nicht unsere Feinde."