Heft 5/2012, Angola

Wahlen und das Machtsystem

PRÄSIDENT DOS SANTOS WURDE BEI DEN WAHLEN IN ANGOLA IM AMT BESTÄTIGT. Die Wahlen haben einem ausgeklügelten Machtsystem den Anschein von Legitimität verliehen.

 

Am 31. August wurden in Angola Parlamentswahlen abgehalten. Es war keine Überraschung, dass die seit der Unabhängigkeit herrschende Partei, die Volksbewegung für die Befreiung Angolas (MPLA), mit deutlichem Abstand gewann. Laut dem amtlichen Wahlergebnis errang die MPLA 71,84 Prozent der Stimmen und 175 (von 220) Sitzen im Parlament, mit großem Abstand gefolgt von ihrem langjährigen Kontrahenten, der Nationalen Union für die vollständige Unabhängigkeit Angolas (Unita), der 18,66 Prozent der Stimmen und 32 Sitze zufielen, und drei weiteren Parteien, die zusammen 13 Sitze erhielten.

 

Durch dieses Ergebnis ist auch Staatspräsident José Eduardo dos Santos in seinem Amt bestätigt worden und kann seine – von vielen als autokratisch angesehene – Herrschaft fortsetzen. Er befindet sich inzwischen seit 33 Jahren an der Macht in Angola und ist, nachdem Libyens Alleinherrscher Gaddafi im vergangenen Jahr zum Opfer seiner eigenen Hybris geworden ist, so ziemlich das dienstälteste Staatsoberhaupt auf dem afrikanischen Kontinent. Ähnlich lange im Amt wie dos Santos befinden sich nur noch Obiang Nguema in Äquatorial-Guinea und Mugabe in Simbabwe – ein Trio, das nicht gerade für Sternstunden der Demokratie in Afrika steht.

 

Immerhin hat Angola für den Verlauf der Wahlen am 31. August die gewünschten positiven Beurteilungen verschiedener afrikanischer Wahlbeobachtungsmissionen bekommen, darunter der SADC (deren Vorsitz Angola bis Anfang August innehatte), der Afrikanischen Union und der Gemeinschaft der portugiesischsprachigen Länder (deren Vorsitz Angola bis Juli innehatte). Im Detail haben auch diese Missionen gewichtige Kritikpunkte vorgebracht. Die EU hatte diesmal keine Wahlbeobachter entsandt. Interne Beobachter waren dagegen (wie die nebenstehenden Berichte dokumentieren) der Auffassung, dass die Wahlen nicht frei und fair waren.

 

Wie auch aus anderen Ländern bekannt, hat die MPLA den Vorteil des Amtsinhabers weidlich genutzt. Von Chancengleichheit („level playing field") konnte keine Rede sein. Als staatliche Finanzierung für den Wahlkampf erhielt jede der zugelassenen Parteien 800.000 US-Dollar. Für ihren Wahlkampf hat die MPLA demgegenüber insgesamt etwa 80 Millionen Dollar ausgegeben. Als Merkmal demokratischer Wahlen wird gemeinhin gefordert, dass die institutionellen Regelungen verlässlich eingehalten werden, das Ergebnis aber offen ist. Bei den Wahlen in Angola verhielt es sich eher umgekehrt, die Regelungen waren nicht immer verlässlich, das Ergebnis jedoch stand bereits vorher außer Zweifel. In Angola, sagte der Landesdirektor der NichtregierungsorganisationOpen Society, „dienen Wahlen nicht der Stärkung der Demokratie und des Rechtsstaats, sondern der Legitimierung der bereits bestehenden Macht."

 

Befreiungsbewegungen an der Macht

Die ursprüngliche Legitimierung ihrer Macht bestand für die MPLA darin, dass sie im Kampf gegen den portugiesischen Kolonialismus die führende Rolle bei der Erlangung der Unabhängigkeit Angolas gespielt habe. Den daraus abgeleiteten Machtanspruch teilt sie mit den Befreiungsbewegungen an der Macht in anderen Ländern im südlichen Afrika: Mosambik, Simbabwe, Namibia und Südafrika. Sie alle werden durch die Aussage von Michel Cahen: Wer die Macht im Krieg errungen hat, gibt sie nicht freiwillig in Wahlen wieder her, zutreffend charakterisiert.

 

Für die MPLA hat die Aussage sogar eine mehrfache Bedeutung, denn sie hat nicht nur den anti-kolonialen Krieg geführt, sondern danach in einem blutigen Bürgerkrieg die beiden konkurrierenden Befreiungsbewegungen FNLA und Unita von der mit Portugal 1974 vereinbarten Übergangsmacht verdrängt. Eine dritte Bedeutung kommt noch hinzu, nämlich der Sieg gegen die Unita, ihrem langjährigen Widersacher, der 2002 mit dem Tod des Unita-Führers Savimbi ebenfalls auf militärischem Wege errungen wurde.

 

Die Notwendigkeit für eine zusätzliche Legitimierung ihrer Macht durch Wahlen ergab sich für die MPLA, als sich mit dem Ende des Ost-West-Konflikts die globalen und regionalen Kräfteverhältnisse verschoben und im Vertrag von Bicesse 1991 ein Friedensschluss mit der Unita zustande kam, der u.a. die Abhaltung von Wahlen vorsah.

 

Zu diesem Zeitpunkt hatte sich ein Machtsystem in Angola herausgebildet, das auf drei Säulen gestützt war: ein übermächtiger Präsident, bei dem alle Fäden zusammen liefen; ein umfangreicher und gut ausgerüsteter Militärapparat als Garant der Sicherheit des Systems; und eine international operierende Erdölindustrie, in deren Zentrum das vom Staat gelenkte Unternehmen Sonangol stand, das für die Einkünfte sorgte, um die Ausrüstung des Militärs zu finanzieren und die Patronagenetzwerke des Präsidenten zu schmieren. Die sozialistische Ideologie der Anfangsjahre der MPLA-Herrschaft gehörte der Vergangenheit an, der „Afro-Stalinismus" hatte sich, wie Tony Hodges konstatierte, in einen „Erdöl-Diamanten-Kapitalismus" verwandelt.

 

Dieses System besteht im Kern bis heute fort. In einer Hinsicht, nämlich im Hinblick auf die allgegenwärtige Korruption, ist es sogar noch stärker ausgeprägt. Denn nahezu zeitgleich mit dem Sieg über die Unita setzte nach 2000 ein Erdölboom ein, der in Angola zu einem Wirtschaftsaufschwung mit hohen Wachstumsraten führte, der die Einkünfte von Sonangol in die Höhe schnellen ließ und der herrschenden Elite neue Möglichkeiten der Selbstbereicherung eröffnete. Die Kluft zwischen Reich und Arm ist dadurch noch augenfälliger geworden.

 

Wahlen und der Verfassungscoup von 2010

Die Wahlen vom 31. August waren erst die dritten Wahlen, die Angola seit der Unabhängigkeit abgehalten hat. Bemerkenswert ist, dass Präsident dos Santos vor den jüngsten Wahlen nie regulär gewählt worden ist. 1992 bei den ersten Mehrparteienwahlen erreichte er bei der Präsidentschaftswahl eine einfache Mehrheit, verfehlte aber die erforderliche absolute Mehrheit, so dass eine Stichwahl gegen Unita-Chef Savimbi erforderlich gewesen wäre. Diese fand jedoch nie statt, weil die Unita die Wahlen nicht anerkannte und der Bürgerkrieg mit neuer Intensität entbrannte. Dos Santos amtierte somit einfach weiter.

 

Mit dem Ende des Bürgerkriegs 2002 war der Weg frei für die zweiten Wahlen. Inzwischen hatte die Regierung das Wahlgesetz dahingehend geändert, dass Parlaments- und Präsidentschaftswahlen nicht am selben Tag, sondern getrennt stattfinden. Nach jahrelangem Hinauszögern gab der Präsident schließlich bekannt, dass 2008 Parlamentswahlen und 2009 die Präsidentschaftswahl abgehalten werden. Bei den Parlamentswahlen errang die MPLA mit 81,64 Prozent der Stimmen und 191 (von 220) Sitzen einen haushohen Sieg, während die Unita mit 10,39 Prozent der Stimmen nur 16 Sitze gewann.

 

Danach setzte eine erstaunliche Manipulation der institutionellen Regelungen ein. Die Präsidentschaftswahl rückte plötzlich in den Hintergrund. Vielmehr hieß es, das neu konstituierte Parlament werde zuerst eine neue Verfassung verabschieden. Als diese schließlich vorlag und Anfang 2010 vom Parlament verabschiedet wurde, war eine direkte Wahl des Präsidenten abgeschafft. Nach der neuen Verfassung ist der Listenführer (Angola hat ein Verhältniswahlrecht) der Partei, die bei den Parlamentswahlen die meisten Stimmen erhält, automatisch Staatspräsident. Dos Santos amtierte somit einmal mehr weiter, ohne gewählt worden zu sein.

 

Ein langjähriges Führungsmitglied und heute Kritiker der MPLA, Marcolino Moco, bezeichnete diesen Vorgang als einen „Verfassungscoup". Rätselhaft blieb, weshalb dos Santos zu solchen Winkelzügen griff, wo er doch eine direkte Wahl problemlos gewonnen hätte. Die Antwort, die Angola-Kenner gegeben haben, ist, dass dos Santos vermeiden wollte, im Vergleich mit der MPLA-Partei schlechter abzuschneiden. 1992 hatte er schon weniger Stimmen als die Partei. Und 2008 glaubte er, so diese Einschätzung, die 81,64 Prozent der Partei bei den Parlamentswahlen nicht erreichen zu können.

 

2012, bei den dritten Wahlen, gab es nur Parlamentswahlen, aber die mächtigste Person im Staat, Präsident dos Santos, wurde in seinem Amt bestätigt, weil er Listenführer der siegreichen Partei MPLA war. Ob diese Vermengung von Legislative und Exekutive die Legitimität des Staatspräsidenten erhöht, darf mit Recht bezweifelt werden. Die parlamentarischen Systeme von Botswana und Südafrika sehen auch keine direkte Wahl des Präsidenten vor, aber der Präsident wird vom Parlament in sein Amt gewählt. Das ist ein bedeutender Unterschied, der die Trennung von Legislative und Exekutive zum Ausdruck bringt.

 

Jugendproteste seit März 2011

Bereits im Vorfeld der jüngsten Wahlen ist es in Luanda und anderen Städten des Landes zu Protestaktionen gekommen, die die Machthaber sehr beunruhigt haben. Inspiriert durch die Ereignisse des Arabischen Frühlings erschienen im Februar 2011 im Internet anonyme Aufrufe zu einer Kundgebung im Zentrum Luandas am 7. März, um gegen Armut, verbreitete Korruption – und für ein Ende der Herrschaft von Präsident dos Santos nach 32 Jahren zu demonstrieren. Hinter der Anonymität verbargen sich kleine Gruppen von unzufriedenen jungen städtischen Angolanern, die die soziale Exklusion des Machtssystems von dos Santos – unter der Millionen von Menschen leiden – satt haben.

 

Die Regierung befürchtete offenbar eine soziale Explosion und malte das Schreckgespenst einer Rückkehr zum Bürgerkrieg an die Wand. Sie erklärte die geplante Kundgebung für illegal und organisierte, um ihre Unterstützung in der Bevölkerung „zu beweisen", am 5. März eine eigene Kundgebung in Luanda und anderen Städten, zu der alle staatlichen Behörden die Menschen mobilisieren mussten. Zu der Kundgebung am 7. März kamen angesichts der Repression an den Tagen zuvor und dem zu erwartenden gewaltsamen Vorgehen der Sicherheitskräfte nur wenige Menschen.

 

Das repressive Vorgehen des Staates hat die Protestaktionen nicht unterbinden können. Der Aufruf zum 7. März hat den Anstoß zu weiteren informellen zivilgesellschaftlichen Protestformen – sei es kritischen Internetauftritten (z.B. einer Gruppe central7311), sei es populäre Musik (Rapper Luaty Beirão) – geführt. Seit Mitte 2012 haben auch Kriegsveteranen von der Unita sowie der MPLA öffentliche Proteste in verschiedenen Städten veranstaltet, um ausstehende soziale Leistungen von der Regierung einzufordern.

 

Der Staat ist mit einer Doppeltaktik von Zuckerbrot und Peitsche gegen diese Aktivitäten vorgegangen. Im Vordergrund standen repressive Gewalt sowie Einschüchterung durch willkürliche Festnahmen und Verhöre, bei denen die Sicherheitskräfte nach (nicht vorhandenen) Verbindungen der Jugendproteste zu den Oppositionsparteien suchten, um diese beschuldigen zu können. Häufig in Aktion gegen Protestierende waren nichtuniformierte bewaffnete Schläger, in Angola als caenches (Muskelmänner) bekannt, die die Polizei gewähren ließ, so dass sie als Sicherheitskräfte im „Sondereinsatz" galten. Die andere Seite der Medaille war der Versuch, namhafte Vertreter der Proteste durch Geschenke zu bestechen und auf die Seite der Regierung zu ziehen.

 

Eine wirkliche Gefahr für das Machtsystem von Präsident dos Santos stellen die Jugendproteste nicht dar. Durch die offen artikulierte Forderung nach der Beendigung seiner Herrschaft haben sie aber ein Tabu durchbrochen und eine parteiübergreifende Protestbewegung marginalisierter Teile der Bevölkerung initiiert, mit der vermutlich mehr Menschen sympathisieren, als sich derzeit trauen, mit ihr auf die Straße zu gehen.

 

Angola nach dos Santos

Nach 33 Jahren an der Macht stellt sich die Frage, wie es nach dos Santos weiter geht. Auch wenn er nach dem Ende des Bürgerkriegs Andeutungen über seinen Rücktritt gemacht hat, hat der Präsident Angolas – wie alle autokratischen Herrscher – keinen Zweifel daran gelassen, dass er allein über seine Amtsdauer entscheidet. Dies hat er auch dadurch zu erkennen gegeben, dass er mehrmals MPLA-Verantwortliche, die in eine Nachfolgerrolle hineinzuwachsen schienen, von ihren Machtpositionen entlassen hat. Klar zu beantworten, was nach dos Santos kommt, ist die Frage daher auch heute nicht.

 

Immerhin geben die Wahlen vom 31. August jedoch einen Fingerzeig. Denn die neue Verfassung institutionalisiert das Amt eines Vize-Präsidenten, das durch die Person besetzt wird, die an zweiter Stelle der Liste der bei den Parlamentswahlen erfolgreichsten Partei steht. Tritt der Präsident zurück oder verstirbt er vorzeitig, rückt der Vize-Präsident nach. Er ist somit der offizielle Nachfolger.

 

Vize-Präsident Angolas nach den jüngsten Wahlen ist Manuel Vicente, Neffe von dos Santos, langjähriger Chef der Erdölgesellschaft Sonangola und Angehöriger des engsten Führungszirkels im Präsidentenpalast. Dass dos Santos diesen Schritt sorgfältig vorbereitet hat, zeigen die Entwicklungen des letzten Jahres. Ende 2011 trat Vicente von seiner Position als Sonangola-Generaldirektor zurück, die er 12 Jahre lang mit großem Erfolg innegehabt hatte. Im Januar 2012 ernannte dos Santos ihn zum Minister für wirtschaftliche Koordination. Damit übernahm Vicente erstmals ein Regierungsamt und trat aus dem Schatten der verschwiegenen Erdölindustrie heraus in die politische Arena. Der nächste Schritt war die Aufstellung der MPLA-Liste für die Parlamentswahlen. Es zeigte sich wie schon bei der neuen Verfassung, dass dos Santos das letzte Wort hat, denn Vicente war seine Wahl für Platz zwei der Liste, in der Partei wurden andere Kandidaten für die Vize-Präsidentschaft favorisiert.

 

Mit der Entscheidung für Vicente als Vize-Präsident sichert dos Santos das von ihm errichtete Machtsystem in Angola ab. Sonangol ist seit jeher das Schaltzentrum der Selbstbereicherung der herrschenden Elite in Angola gewesen. Zusammen mit einigen Generälen gehört Vicente zum inneren Zirkel im Präsidentenpalast. In zahlreichen (bei Pambazuka News nachzulesenden) Untersuchungen hat der prominente angolanische Journalist Rafael Marques dokumentiert, wie Vicente, während er Sonangol-Chef war, ein privates Imperium im Finanzwesen, Immobilien und selbst im Erdölgeschäft aufgebaut hat. Er gilt heute nach dem Präsidenten und dessen Tochter Isabel dos Santos als der drittreichste Angolaner mit einem Milliardenvermögen.

 

Die Logik der Ernennung von Manuel Vicente ist offenkundig: Auch nach dos Santos soll in Angola alles so bleiben, wie es ist. Es geht um die Stabilität des Machtsystems. Die Parlamentswahlen vom 31. August haben dazu den Anschein der Legitimität beigetragen.

 

Peter Meyns

 

Der Autor ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Duisburg-Essen.