Heft 5/2016, Editorial

Bayer-Monsanto: Eine unheilvolle Ehe

WO BLIEB DER AUFSCHREI DER GLOBALISIERUNGSKRITIKER, als der Leverkusener Chemiekonzern Bayer Mitte September die monatelang ausgehandelte Übernahme von Monsanto als beschlossene Sache meldete? Monsanto, dieser weltweit wohl meist verhasste US-Konzern, dessen Geschäftsmodell einer industrialisierten Landwirtschaft zu Lasten von Mensch und Umwelt geht, weil es auf die Abhängigkeit von genverändertem Saatgut und den Großeinsatz von Pestiziden setzt.


Über 60 Milliarden Euro lässt sich Bayer die Übernahme kosten, der teuerste Kauf in der 153 Jahre langen Geschichte des Chemiekonzerns. Monsanto sähen viele als böse, aber Bayer sei nicht das Gegenteil, meinen Varinia Bernau und Elisabeth Dostert in der Süddeutschen Zeitung (15.9.2015) – und verweisen auf die lange Geschichte von Skandalen des Chemiegiganten mit seinen engen Verbindungen als damalige I.G. Farben zur NSDAP. Im weltweiten Wettbewerb um die Übernahme von konkurrierenden Konzernen befürchtete Bayer zuletzt um das Überleben seiner Kerngeschäftsfelder Pharma und Agrarchemie – und musste, um nicht geschluckt zu werden, selber reagieren.


Das miese Image von Monsanto wird den Bayer-Vorstand ebenso wenig scheren wie eigene, in Verruf geratene Geschäfte mit Pharma-Produkten und Insektiziden. Es gehört ja zur Logik von Konzernen, Rendite zu erzielen, egal wie. Wachstum durch Übernahme ist längst die Devise. Nach dem Schlucken des Schweizer Agrarriesen Syngenta durch den chinesischen Staatskonzern ChenChina und der beabsichtigten Fusion von DuPont und Dow verschärft sich der bedrohliche Trend zur Konzentration der Agrarmärkte: Nur noch wenige Großkonzerne kontrollieren 90 Prozent des Marktes mit Genpflanzen. Ob sich Bayer mit der Übernahme vielleicht verhebt wie Daimler mit dem Aufkauf von Chrysler, ist allenfalls die Sorge hiesiger Wirtschaftskommentatoren. Für Afrika bedeutet der Deal mit Monsanto dagegen nichts Gutes. Bayer sieht auf dem Kontinent, auf dem es bislang wenig präsent war, eine neue Marktchance. Der Druck auf Kleinbäuerinnen und Kleinbauern Afrikas, mehr Pestizide einzusetzen und auf gentechnisch veränderte Agrarprodukte wie bei Mais, Soja und Baumwolle zu setzen, wird steigen. Im Kampf gegen Hunger und Armut glauben viele afrikanische Regierungen, auf Saatgut und Pestizide angewiesen zu sein, statt die kleinbäuerliche Landwirtschaft zu fördern. Monsanto hat das jahrelang dreist ausgenutzt und kontrolliert die Mais-Saatgut-Geschäfte im südlichen Afrika wie in Teilen Westafrikas. In Knebelverträgen verbietet der Konzern den Kleinbauern, die eigene Ernte als Saatgut zu verwenden, wie es seit jeher Tradition ist. Die Züchtungen und Chemikalien müssen bei Monsanto erworben werden. Und sollte das Gentech-Saatgut im Anbau versagen, haben die Produzenten kein Klagerecht gegen den Konzern. Eine vertragliche Klausel untersagt das ausdrücklich.


In Südafrika, Ägypten, Sudan und Burkina Faso ist der Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen bereits zugelassen. Man kann davon ausgehen, dass Bayer das Geschäft mit Gentechnik und Agrargiften weiter betreiben, aber werbetechnisch geschickter als Monsanto vorgehen wird. Der Megakonzern Bayer-Monsanto wird künftig die Preise und Produkte auf dem Agrarmarkt diktieren.


Es bedarf schon klarer politischer Vorgaben afrikanischer Regierungen, die Einfuhr von Saatgutsorten zu kontrollieren und die eigenen kleinbäuerlichen Familien und ihre Saatgutvielfalt zu schützen. Es steht aber zu befürchten, dass in Zukunft noch mehr Regierungen dem Marktdruck erliegen und Gentechnik erlauben. „Wir dürfen die Welternährung nicht in die Hände eines Agro-Oligopols legen und damit das Menschenrecht auf Nahrung in Gefahr bringen", so Roman Herre von FIAN Deutschland.


Wo bleibt also der Aufschrei? Empören wir uns angesichts der immer dreisteren Macht der Großkonzerne „wirkungslos zu Tode", wie es der Kieler Universitätsprofessor Rainer Mausfeld formuliert? Der Neoliberalismus habe seine Lehren gezogen, er habe „das Unsichtbarmachen der Macht perfektioniert". Der Feind ist nicht greifbar, er kann nach Gutdünken schalten und walten, wie er will. Großkonzerne werden heute rechtlich mit Staaten gleichgestellt. Das ist die Hauptsorge bei den Debatten um Investitionsschutz- und Freihandelsabkommen wie Ceta und TTIP. Da mag Sigmar Gabriel noch so sehr auf positive Nachbesserungen von Ceta hinweisen und einmal mehr seine SPD zum Einknicken bringen. Es bleibt, dass die Politik im großen Übernahmekampf der Wirtschaftsgiganten nur noch reagiert – oder reagieren kann? –, statt zukunftsweisend zu gestalten. Nur die Zivilgesellschaft kann dieser Ohnmacht noch etwas entgegensetzen: „CETArum censeo TTIP esse delendam" – frei nach dem römischen Staatsmann Cato, der die Zerstörung Karthagos vor Augen hatte –, hat sie es mit breiten Kampagnen in sozialen Netzwerken geschafft, dass TTIP in der EU erstmal vom Tisch ist. Eine Garantie, dass die Privilegien der Großkonzerne und ihr Klagerecht gegenüber Staaten durch die Hintertür Ceta wieder hineinkommen, ist es nicht. Und bis die Zähmung des Haifisch-Kapitalismus, die in Europa gelingen mag, in Afrika ankommt, sind Millionen von Menschen längst ihrer Ernährungsgrundlagen und Selbstversorgung beraubt. Von der folgenden Massenwanderung wird sich keine Festung Europa schützen können.


Lothar Berger