Heft 5/2017, Editorial

Angst ist ein schlechter Ratgeber

Flucht und Migration, weltweite Phänomene, die überall die Gemüter erhitzen. Die Menschen sind aus verschiedensten Gründen unterwegs, in Afrika, Asien, Zentralamerika, selbst in Europa, wo mit billigen Arbeitskräften aus Osteuropa Menschenhandel betrieben wird. Die Ursachen und Motive für Flucht und Migration sind komplex: Krieg, Terror, Folgen des Klimawandels, Hunger und Armut treiben Menschen dahin, wo sie die vage Hoffnung auf Sicherheit, Jobs, Bildung und ein menschenwürdiges Leben haben.


Wir sehen aber überwiegend nur die Bilder von überfüllten Booten im Mittelmeer und vernehmen die Reaktionen der überforderten Politiker: Sicherung von Europas Außengrenzen, Wirtschaftsflüchtlinge, Bleiberecht, Rückführung, sichere Herkunftsländer, Eindämmung von massivem Asylmissbrauch, Obergrenze – all das sind zynische und nicht aufklärende Schlagwörter, die verängstigen und abwehren, statt zu informieren und zu integrieren. Angst ist ein schlechter Ratgeber. Welche Rolle spielen dabei die Medien? Der Vorwurf, die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender hätten mit ihrer Wahlberichterstattung vor den Bundestagswahlen die AFD erst stark gemacht, ist nicht von der Hand zu weisen. Nicht die Sendezeit ist es, die den Themen Flüchtlinge und Islam gewidmet wurde, es ist die Art und Weise, wie berichtet und getalkshowed wurde: Unterhaltung statt Information, Schlagabtausch statt Zuhören, Verhöre statt Interviews, Quoten statt Bildungsauftrag. Wer wie AFD-Politiker/innen auf Angstmache und Ausgrenzung setzte, hatte sein (Gauland) oder ihr (Weidel) willkommenes Forum. Zugegeben, es ist mühsam, sich eingehender mit den vielen Konfliktursachen zu beschäftigen und dies dann dem breiten Publikum anschaulich nahe zu bringen.


In dieser Ausgabe von afrika süd berichtet Watipaso Mzungu aus Malawi über Flüchtlingslager in seinem Land, über Menschen, die aus Burundi, Ruanda, Kongo oder Somalia kommend ihr Glück in Malawi suchen. Wir erfahren von der Verlagerung des Konflikts zwischen Hutu und Tutsi in ein Flüchtlingscamp bei Lilongwe, wir lesen von der Angst der Malawier über wachsende Kriminalität durch Flüchtlinge, und wir hören von den gleichen Reflexen aus der Politik, Flüchtlingen mit der Repatriierung zu drohen, wenn sie die Gesetze des Landes nicht einhalten – eine Reportage über menschliche Schicksale, wie sie in vielen Ländern Afrikas, die Geflüchtete und Schutzsuchende mit größerer Selbstverständlichkeit aufnehmen als jeder europäische Staat, zur Normalität geworden sind.


Nicht Europa ist das vorwiegende Ziel der Menschen, die sich in Afrika auf den Weg machen. Es sind andere Regionen ihrer Heimatländer oder der nächstgelegene Nachbarstaat. Das oft beschworene Bild von der Völkerwanderung nach Europa verzerrt die Wirklichkeit. Die meisten Menschen bewegen sich innerhalb des Kontinents. Die anzuerkennen fehle Europa in seiner „realitätsverweigernden" Konzentration auf die Abwehr neuer Ankömmlinge die politische Aufmerksamkeit, zitiert die Zeit (31. März 2017) den Migrationsforscher Jochen Oltmer von der Universität Osnabrück.


Genaue Angaben über die Wanderbewegung innerhalb Afrikas gibt es nicht. Nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks waren 2015 von weltweit 65 Millionen Menschen, die vor politischer Verfolgung, Konflikten und Zwangslagen aus ihrer Heimat geflohen sind, 16 Millionen Menschen in Afrika betroffen. Nur ein kleiner Teil davon will nach Europa. Doch dieses schottet sich ab und weigert sich, die wirklichen Fluchtursachen anzuerkennen. Es verschließt seine Augen vor den verheerenden Auswirkungen des Klimawandels, den unsere Konzerne mitverschulden, und die zunehmende Verwüstung großer Regionen Afrikas, vor dem ungezügelten Rohstoffabbau, den die „freien" Kräfte des Marktes aus dem Norden in unheiliger Allianz mit korrupten Eliten betreiben, vor dem Elend zigtausender Kleinbauernfamilien, die mit genmanipuliertem Mais und anderem Saatgut in die Abhängigkeit von Multis getrieben werden.


Für die EU geht es nur um die Bekämpfung der Flucht, um die Flüchtlingszahlen zu drücken. Weil man die Grenzen vor der Türe nicht dicht machen kann, sucht man sich gefügige afrikanische Staaten zur Fluchtabwehr. Auf dem Pariser Flüchtlingsgipfel vom August, einberufen von Europas Hoffnungsträger Emmanuel Macron im Beisein von Bundeskanzlerin Merkel, wurde das Elend nur in die Wüste verlagert, wie ein WDR-Kommentar treffend befand: „Es ist eine Schande, dass Europa seine Außengrenze jetzt mitten durch Afrika ziehen will. Ein Bollwerk gegen Flüchtlinge, bewacht von Regimen, die mit europäischen Grundwerten wenig bis gar nichts zu tun haben", so der Kommentator Georg Restle. Und er weist zurecht darauf hin, dass „eine Afrikapolitik, die ihren Namen auch verdient, afrikanischen Unternehmen Zugang zum europäischen Markt gewähren" müsste, „statt sie mit Freihandelsabkommen auszugrenzen".


Nein, das Leid von Schutzbedürftigen und Migranten darf nicht aus unserem Blickfeld verschwinden. Nehmen wir uns ein Beispiel an dem jungen Somalier Mohammed Ali aus dem Malawi-Beitrag, Sprecher der Flüchtlinge im Dzaleka Camp. Er nimmt die Sorgen der dort Gestrandeten ernst und hört ihnen zu. War es nicht das, was mancher Protestwähler bei uns auch einfordert – gehört zu werden?


Lothar Berger