Heft 5/2018, afrika süd-Dossier: Zivilgesellschaft

Aufruhr gegen Internet-Abschaltungen

IMMER HÄUFIGER SCHLIESSEN REGIERUNGEN IN AFRIKA DAS INTERNET. Sie berufen sich dabei auf die Anstiftungen zu Gewalt, Prüfungsbetrug und Hassrede.

Nina Forgwe hat die Frist für die Einreichung ihres Promotionsantrags im März versäumt – sie lebt in Bamenda im Nordwesten von Kamerun und ist eine von vielen Opfern von Abschaltungen des Internets in ihrer Stadt und in den anderen englischsprachigen Teilen des Landes. Die Regierung Kameruns setzte den Inernetservice aus, nachdem anglophone Lehrer, Anwälte und Studenten wegen angeblicher historischer Bevorzugung der frankophonen Bevölkerung in den Streik getreten waren. Die Aussetzung begann im Januar 2017 und endete im darauf folgenden März. Mit nahezu einhundert Tagen Dauer war es die bis dahin längste von einer afrikanischen Regierung veranlasste Internetunterbrechung.

Die Auswirkungen der Internet-Abschaltung waren schwerwiegend gewesen, erinnert sich die Aktivistin Nina Forgwe: „Alle persönlichen Dienste, die das Internet benötigten, wurden auf Eis gelegt. Viele internetbasierte Unternehmen standen still, insbesondere Tech-Startups. Ein Großteil unseres Aktivismus erfolgt über Online-Portale", sagte sie gegenüber Africa Renewal.

Access Now, eine internationale Menschenrechtsorganisation mit Sitz in New York, bezifferte die finanziellen Kosten für die Schließung auf fünf Mio. US-Dollar an Steuereinnahmen, Gewinnen im Internetgeschäft, allgemeinen Betriebsausgaben, Bankentransaktionsgebühren, Geldtransferdiensten und anderem. Kommunikationsminister und Regierungssprecher Issa Tchiroma Bakary sagte, die Schließung sei durch die Verbreitung falscher Informationen in den sozialen Medien ausgelöst worden, die zu Hass und Gewalt in den Krisenregionen anstacheln könnten.

Die vorübergehende Abschaltung war ein besonderer Schlag für Kameruns „Silicon Mountain", eine florierende Ansammlung von Tech-Startups in der Region. Vom Internet abgeschnitten, mussten die Unternehmer von Silicon Mountain in andere Landesteile ausweichen, wenn sie online gehen wollten. Diese langen Fahrten kosteten viel Arbeitszeit.

„Geld geht verloren. Einige von uns können wegen des gesperrten Internet-Dienstes nicht mit unseren ausländischen Kunden Kontakt aufnehmen. Es ist für jeden störend", meinte Churchill Mambe. Er ist Eigentümer von Njorku, einem Unternehmen für Beschäftigung und Hotelservice, das kürzlich vom Forbes Magazine unter den Top 20 der afrikanischen Startups aufgeführt wurde. Laut Julie Owono, Anwältin und Geschäftsführerin von „Internet without Borders", einer in Paris ansässigen Organisation für Internetrechte, haben zwischen Januar und Juni 2017 neun Länder weltweit Internetblockaden erlebt, darunter drei in Afrika – Kamerun, Ägypten und Äthiopien.

Instrument für Kontrolle und Zensur
Einige Monate nach der Internet-Unterbrechung in Kamerun wurde in Äthiopien ein landesweiter Blackout aus Sorge um Betrug bei Examen verhängt. Der äthiopische Regierungssprecher Mohammed Seid erklärte: „Durch das Herunterfahren soll verhindert werden, dass sich Lücken im Prüfungsverfahren, wie sie im letzten Jahr vorkamen, wiederholen."

Seit dem vergangenen Mai hat die ägyptische Regierung 62 Websites blockiert, darunter die des Fernsehsenders Al Jazeera in Katar und die bekannte unabhängige Nachrichtenseite Mada Masr, die sie des Terrorismus und der Verbreitung falscher Nachrichten beschuldigt. Die Organisationen haben die Vorwürfe bestritten.

Der Zusammenschluss für internationale ICT-Politik für das östliche und südliche Afrika (CIPESA), ein ugandisches Forschungs- und Analysezentrum für Informationstechnologie, erklärt, dass die Abschaltung des Internets zu einem bevorzugten Instrument der sozialen Kontrolle und Zensur einiger afrikanischer Regierungen wird.

Vollständige Internetblockaden sind eine deutliche Abkehr von den bisher vorherrschenden Nachrichten-Filtern oder Website-Sperren. Internetprovider verwenden Filter hauptsächlich, um Spams oder andere unerwünschte Nachrichten zu isolieren. Sie können jedoch auch zum Entfernen von Texten verwendet werden, in denen Begriffe wie Demokratie, Menschenrechte oder Hungerstreik vorkommen.

Laut Deji Olukotun, Rechtsberater für globale Fragen bei Access Now, war Afrika für 11 der 56 weltweiten Internet-Shutdowns 2016 verantwortlich. Dies entspricht einer Steigerung von 50 Prozent gegenüber 2015. In Äthiopien kam es viermal zu Internet-Abschaltungen, zweimal in Gambia und Uganda und einmal im Tschad, in der DR Kongo, in Gabun, Mali, Sambia und Simbabwe.

Nach Ansicht der Befürworter eines offenen Internets zeigen die Schließungen, wie Angriffe und Missbräuche im Internet, einschließlich der Verbreitung von Internet-Regulierungsgesetzen, Überwachung und Abfangen der Kommunikation, auf dem Kontinent in dem Maße schlimmer werden, wie die Verbreitung des Internets zunimmt. Die Staaten behaupten, das Internet müsse heruntergefahren werden, um öffentliche Proteste, Gewalt und Falschinformationen, die sich durch soziale Medien oder Nachrichten-Apps über Mobiltelefone verbreiten, zu unterbinden. Dabei verweisen sie gerne auf die Rolle des Internets im Arabischen Frühling vor fünf Jahren, als die Proteste in Ägypten und Tunesien zum Sturz der dortigen Regime führten.

Deji Olukotun dagegen meint, die Regierungen fürchteten die Nutzung des Internets durch Basisgruppen, um Informationen auszutauschen, sich zu organisieren und für ihre Rechte einzutreten. Dieser Internetgebrauch würde die etablierte Ordnung mehr bedrohen als die Verhinderung von Examensschummelei oder die Einschränkung von Cyberbetrug, Kinderpornografie, Hassrede oder Terrorismus.

Die Internet-Abschaltungen haben zugenommen, weil immer mehr Afrikaner über das Internet kommunizieren, so Julie Owono. „Regierungen, die an geschlossene Gesellschaften gewöhnt sind, in denen Informationen zentralisiert sind, sehen Konnektivität als Bedrohung und nicht als Chance."

Die Brookings Institution, ein Think Tank in Washington DC, hat die Kosten, die einer Wirtschaft durch das Schließen des Internets entstehen, analysiert. In den sieben afrikanischen Ländern, die 2016 nach dortigen Internet-Abschaltungen befragt wurden, gab es einen geschätzten Einnahmeverlust von 320 Mio. US-Dollar.

Digitale Rechte
Im Juli 2016 verabschiedete der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen eine Resolution, die Staaten verurteilt, die den Online-Zugang und Informationen über das Internet verhindern oder stören. Sie fordert den Schutz der Meinungsfreiheit. Die Regierungen verstecken sich unter dem Deckmantel der Bedrohung der nationalen Sicherheit, um das Abschalten des Internets zu rechtfertigen, meint Julie Owono. Bislang habe jedoch noch keine Regierung rechtlich feststellen lassen, ob die nationale Sicherheit tatsächlich bedroht sei, sagt sie. Im Gegenteil, Abschaltungen wären gerade zu Zeiten politischer Spannungen gekommen, wodurch das Argument genährt wird, dass das Ziel darin besteht, Dissens zum Schweigen zu bringen.

Arsene Tungali, ein kongolesischer Aktivist und Gründer von Rudi International, einem Ausbildungsunternehmen für digitale Rechte und Sicherheit, erklärt, dass die Regierung der Demokratischen Republik Kongo in den letzten sieben Jahren mehrfach eine Unterbrechung der Online-Kommunikation vorgenommen hatte. In den Jahren 2015 und 2016 blockierte die kongolesische Regierung den Zugang zu Handy-Nachrichten (SMS) und dem Internet, nachdem es als Antwort auf die Amtszeitverlängerung von Präsident Joseph Kabila zu heftigen Protesten gekommen war. Ein ähnlicher Blackout ereignete sich in der benachbarten Republik Kongo, als Präsident Denis Sassou Nguesso seine 32-jährige Herrschaft verlängerte.

Kampagnen gegen das Abschalten
Die immer häufigeren Abschaltungen haben Internet-Interessengruppen und globale Kampagnen mobilisiert, darunter die #KeepitOn-Kampagne auf der RightsCon Silicon Valley 2016, einem jährlichen Weltgipfel zu Menschenrechten und dem Internet in San Francisco, Kalifornien.

Die Arbeitsgruppe #KeepItOn von RightsCon umfasst 199 Organisationen und arbeitet mit Regierungen, Telekommunikationsunternehmen, Internetfirmen und der Zivilgesellschaft zusammen, um das Problem der Internet-Abschaltungen anzugehen. Die #BringBackOurInternet-Kampagne hat maßgeblich dafür gesorgt, dass der Druck erhöht wurde, der die Regierung Kameruns zwang, das Internet wiederherzustellen. Obwohl sich die Kampagne auf die wirtschaftlichen Kosten von Abschaltungen konzentriert, stellt Natasha Musonza, Gründerin der Digital Society of Simbabwe, fest, dass das wirtschaftliche Argument allein die Regierungen nicht davon abhalten kann, das Internet zu blockieren.

„Wir müssen uns auf andere praktische Effekte konzentrieren, beispielsweise die Auswirkungen auf den Menschen. Es wäre besser für uns, nützliche alternative Lösungen für Probleme wie Betrug bei Examen oder Friedenserhaltung angesichts öffentlicher Proteste vorzuschlagen", empfiehlt sie.

Das African Network Information Center (AFRINIC), das Internetadressen in Afrika zuweist und verwaltet, hat vorgeschlagen, die Online-Plattformen verbrecherischer Regierungen für 12 Monate als Strafe für das Abschalten des Internets zu deaktivieren. Der Vorschlag wurde jedoch von AFRINIC-Mitgliedern auf dem African Internet Summit im Juni 2017 in Nairobi verworfen. Nach Ansicht der Mitglieder wäre der Vorschlag schwierig umzusetzen gewesen und hätte die Regierungen zum Gegner machen oder sogar die Situation verschlechtern können.

Um die Blockaden im Internet zu umgehen, haben viele zivilgesellschaftliche Initiativen und Organisationen für digitale Rechte inzwischen ihr Wissen über digitale Sicherheit erweitert, insbesondere in Bezug auf Verschlüsselung, Bekämpfung der Überwachung und Instrumente für eine sichere Online-Kommunikation. Viele Internet-Konsumenten in Kamerun, der DR Kongo, Uganda und Simbabwe sagen, dass die Nutzung von virtuellen privaten Netzwerken, mit denen Blockaden vermieden werden, zugenommen hat.

Tonderayi Mukeredzi

Der Autor ist simbabwischer Journalist und Kommunikationsberater und Herausgeber des People of Zimbabwe Handbook.

Sein Beitrag erschien zuerst in „Africa Renewal", August-November 2017
https://www.un.org/africarenewal/magazine/august-november-2017/uproar-over-internet-shutdowns