Heft 5/2018, afrika süd-Dossier: Zivilgesellschaft

Das Recht, Nein zu sagen

ZIVILGESELLSCHAFT UND IHRE KÄMPFE – BEISPIELE AUS DEM SÜDLICHEN AFRIKA. Die Zivilgesellschaft muss ihre Handlungsspielräume stets neu erobern und Alternativen entwickeln, wenn sie erfolgreich sein will. Ansätze wie das ANSA-Programm, das Alternativen zum Neoliberalismus definiert hat, oder der Zusammenschluss von südafrikanischen Gemeinden gegen den Bergbau in Xolobeni zeigen, das gut koordinierte Aktionen etwas bewirken können.

In den Auseinandersetzungen um notwendige politische Veränderungen in unterschiedlichen Kontexten wird oft betont, dass auf die Zivilgesellschaft große Verantwortung zukommt. Dies gelte besonders für Kontexte, in denen Regierungen autokratisch agieren und zivilgesellschaftliche Organisationen oft die einzige Hoffnung auf Widerstand darstellen. Aber unter welchen Umständen kann Zivilgesellschaft eine emanzipatorische Rolle in Veränderungsprozessen spielen? Ist Zivilgesellschaft in ihrer ideologischen und strategischen Ausrichtung per se geeignet, solch eine Rolle einnehmen zu können? Läuft Zivilgesellschaft aufgrund ihrer ökonomisch labilen Verfasstheit nicht oft Gefahr, bestehende ungerechte Systeme zu stabilisieren, welche Armut, Umweltzerstörung und politische Exklusion strukturell verursachen, die zivilgesellschaftliche Organisationen durch ihre Aktivitäten eigentlich zu beseitigen oder zumindest zu lindern beanspruchen?

Ausgehend von meinen Erfahrungen aus verschiedenen Kontexten auf dem afrikanischen Kontinent bin ich der Meinung, dass eine selbstbewusste und sich ernst nehmende Zivilgesellschaft die Pflicht hat, sich immer wieder Handlungsspielräume zu verschaffen, die es ihr ermöglichen, die herrschenden Gesellschaftsordnungen selbst grundlegend zu verändern. Diese Aufgabe ergibt sich aus der Natur der Kontexte, in denen viele zivilgesellschaftliche Organisationen besonders auf dem afrikanischen Kontinent operieren. Diese Kontexte sind oft mit fundamentalen Problemen politischer Natur konfrontiert. Ohne in unrealistische Vorstellungen angesichts der Tragweite der sich ergebenden Herausforderungen zu verfallen, sollte Zivilgesellschaft immer den Anspruch erheben, die zu lösenden Probleme an den Wurzeln zu packen, d.h. sich mit deren tatsächlichen Ursachen auseinanderzusetzen, anstatt sich mit der Behandlung der Symptome zufriedenzugeben. Nur so hat sie eine Chance, zu tiefgreifenden Veränderungen beizutragen. Orientiert sie sich eher an „realpolitisch" angepassten Ansprüchen, bleibt sie trotz Absichtserklärungen und vielerlei Aktivismus in der bewussten oder unbewussten Logik und Praxis der Stabilisierung der bestehenden (oft unterdrückerischen) Verhältnisse gefangen.

ANSA: Programm gegen Neoliberalismus
In den folgenden Zeilen soll es um zwei Beispiele aus dem südlichen Afrika gehen, in denen zivilgesellschaftliche Organisationen versucht haben und versuchen, sich Handlungsspielräume in der Mobilisierungs- und Lobbyarbeit zu verschaffen, um zu grundlegenden gesellschaftlichen Transformationsprozessen beizutragen. Ein erstes Beispiel einer solchen zivilgesellschaftlichen Initiative bietet das ANSA-Programm (Alternatives to Neoliberalism in Southern Africa), das bis vor einem Jahr für zehn der Länder der regionalen Entwicklungsgemeinschaft SADC erarbeitet und von Harare (Simbabwe) aus koordiniert wurde.

Das Programm ANSA wurde 2003 vom simbabwischen Gewerkschaftsbund ZCTU (Zimbabwe Congress of Trade Unions) und dem Gewerkschaftsrat im Südlichen Afrika SATUCC (Southern African Trade Union Coordination Council) mit Hilfe des Gewerkschaftsinstituts „Labour and Economic Development Research Institut of Zimbabwe" (LEDRIZ) ins Leben gerufen. Das ANSA-Programm verfolgte das Ziel, basisorientierte, von jeweils lokalen, nationalen und regionalen Notwendigkeiten abgeleitete und menschenzentrierte Entwicklungswege im südlichen Afrika anzustoßen.

ANSA realisierte sehr schnell, dass auch gute Politikansätze nichts bringen, wenn keine Bewegungen da sind, die sich dazu bekennen und sich in Form von politischer Einflussnahme auf oder gar Beteiligung an Regierungen verpflichten, diese umzusetzen. Daraus folgte, die Ausrichtung aller ANSA-Aktivitäten auf die Bildung von sozialen Kräften zu fokussieren, die langfristig zur Entstehung einer Massenbewegung für einen radikalen Politikwechsel in der SADC-Region beitragen sollten, um das Ende der neoliberalen Durchdringung auf nationaler und regionaler Ebene festzuschreiben. Durch Capacity Building, Trainerausbildung und Empowerment ermutigte ANSA fast 15 Jahre lang SADC-Gewerkschaften, Bauernorganisationen, Kirchen und zivilgesellschaftliche Organisationen im Allgemeinen, sich zielgerichtet in politische Prozesse einzumischen und sich dabei auf transformative Ansätze zu besinnen, die von lokalen Potenzialen ausgehen und lokale Akteure miteinbeziehen.

ANSA nutzte alle möglichen Gelegenheiten zur Lobbyarbeit, um progressive Kräfte unter den bereits existierenden politischen Eliten in den verschiedenen SADC-Ländern, in denen die Initiative aktiv war, für ihr Anliegen zu gewinnen. Der Ansatz von ANSA legte Wert darauf, für die in den verschiedenen Ländern agierenden Akteure fundierte Materialien zu produzieren. Diese sollten ihnen ermöglichen, in Verhandlungen mit Regierungen oder Wirtschaftsvertretern etwa mit Blick auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen von Arbeiterinnen und Arbeitern in ausgewählten Sektoren oder in allgemeinen Auseinandersetzungen über Politikansätze auf verlässliche Informationen zurückgreifen zu können. ANSA war überzeugt, nur zivilgesellschaftliche Interventionen, die auf guten Recherchen und umfassenden Analysen der Lage im jeweiligen politischen Umfeld beruhen, könnten glaubwürdig sein und etwas bewirken.

ANSA existiert als Programm seit 2017 offiziell nicht mehr, aber es hat soziale Bewegungen im südlichen Afrika geprägt. Während des SADC People's Summit im August 2018 in Namibia war der Einfluss von ANSAs Ideen in den verschiedenen Redebeiträgen deutlich zu hören. Dabei wurde besonders die Notwendigkeit betont, soziale Fortschritte (sozialer Faktor) mit partizipativer Demokratie (demokratischer Faktor) zu verbinden und dabei immer auch externe Entwicklungen (imperialer Faktor), welche nationale Prioritätensetzungen oft unterminieren, zu berücksichtigen.

Engagement gegen Landenteignung
Ein zweites Beispiel zivilgesellschaftlicher Intervention stellen die Bemühungen von Gemeinschaften dar, die von Landenteignung durch transnationale Konzerne betroffen sind. Im südlichen Afrika werden in vielen Ländern zahlreiche Gemeinschaften ohne angemessene Kompensation ihres Landes beraubt. Nationale Regierungen handeln so in der Regel auf Druck transnationaler Konzerne, insbesondere von Bergbauunternehmen, die das Recht erhalten, die Mineralien unter der Erdoberfläche abzubauen.

Fast überall in der Region herrscht die Vorstellung, dass lokale Gemeinschaften Regierungen und Bergbauunternehmen den Zugang zu ihrem Land nicht verweigern können, wenn es für Bergbauaktivitäten benötigt wird. Die Regierungen lassen sich von den Absichtserklärungen der Unternehmen einlullen: Stets versprechen sie, nicht nur zum nationalen Wohlstand beizutragen, sondern auch viel für lokale Gemeinschaften verwirklichen zu wollen. Sie versprechen Arbeitsplätze für die lokalen Gemeinschaften und eine Verbesserung der Infrastruktur für Bildung, Gesundheit und Transport. In der Regel passiert diesbezüglich aber nichts oder nur wenig. Bergbauunternehmen streichen die Gewinne ein und hinterlassen Umweltzerstörung und soziale Desintegration. Was die Regierungen als Lizenzgebühren und Steuern eintreiben, wenn sie bezahlt werden, versickert oft auf Privatkonten der großen Eliten nationaler Regierungen – die lokalen Gemeinschaften haben nichts davon. Der Reichtum geht an ihnen vorbei, während die soziale und ökologische Zerstörung bleibt.

Angesichts dieser Entwicklungen sehen professionelle zivilgesellschaftliche Organisationen der Region die Notwendigkeit, die Kämpfe lokaler Gemeinschaften zu unterstützen. Diese setzen sich dafür ein, das Recht, „Nein zu sagen", durchzusetzen. In Südafrika beispielsweise gibt es das „Mineral and Petroleum Resources Development Act" (MPRDA), ein Gesetz, das Bergbauunternehmen vorschreibt, vor Beginn ihrer Aktivitäten alle betroffenen Parteien zu konsultieren. Sowohl von der Regierung als auch von Bergbauunternehmen wird das Gesetz als Lizenz für ungehinderten Zugang zu Land von lokalen Gemeinschaften interpretiert: Landbesitzer oder Nutzer können den Zugang nicht verweigern.

Angesichts dieser ihre Lebensgrundlagen bedrohenden Gefahr entdecken die vom Bergbau betroffenen Gemeinschaften den Wert des Zusammenhalts neu. Sie schließen sich zusammen, um im Zentrum aller Entscheidungen, die ihre Gemeinschaften betreffen, bleiben zu können. Im Mittelpunkt zu stehen bedeutet für diese Gemeinschaften, ihre eigenen Optionen für die Entwicklung ihrer Gemeinschaften artikulieren zu können. Sie sehen im Extraktivismus keine Zukunft, denn sie hören darüber nur selten Gutes von anderen Gemeinschaften, die sich auf diesen Entwicklungspfad eingelassen haben.

Der Fall Amadiba Crisis Committee
Immer mehr Gemeinschaften tun sich zusammen im Kampf gegen Extraktivismus. Am Beispiel des Amadiba Crisis Committee zeigt sich, welcher Strategien sich solche Gemeinschaften bedienen, um ihr Anliegen voranzubringen. Das Amadiba Crisis Committee (ACC) kämpft seit Anfang der 2000er-Jahre gegen den Bergbau in Xolobeni an der Wild Coast von Südafrika. Nach der Mobilisierung in der Gemeinschaft selbst wie auch in Südafrika hat das Komitee 2016 beschlossen, seinen Kampf auf die nächste Stufe zu bringen. Der Amadiba-Fall gehörte zu den Beispielen, die in der ersten Sitzung des „SADC Permanent People's Tribunal" in Manzini (Eswatini) behandelt wurden. Seitdem hat das Komitee auch den offiziellen Rechtsweg eingeschlagen. Im April 2018 hat es beim North Gauteng High Court in Pretoria (Südafrika) Klage erhoben gegen das australische Bergbauunternehmen TEM (Transworld Energy and Minerals), das den titanreichen Sand in der Küstenregion abbauen möchte. Das Komitee beruft sich dabei auf das Gewohnheitsrecht und auf das „Interim Protection of Informal Land Rights Act" (IPILRA) und fordert den Gerichtshof auf zu erklären, dass die Mitglieder ihrer Gemeinschaft als gewöhnliche Rechtsinhaber der Küstenregion das Recht haben, die Art der Nutzung ihres Landes zu bestimmen.

Solche Gemeinschaften, die sich für das Recht einsetzen, „Nein" sagen zu können, sind im Einklang mit professionellen NGOs, die sich seit Jahren für eine konsequente Regulierung transnationaler Konzerne einsetzen. NGOs wie AIDC, Bench Marks Foundation, Centre for Natural Resources Governance, Economic and Social Justice Trust oder Womin mobilisieren die Öffentlichkeit, um einen Beitrag zur Verabschiedung verbindlicher Regeln zur Regulierung der Aktivitäten transnationaler Konzerne zu leisten. Sie wollen dazu beitragen, die Macht von Unternehmen demokratischer Kontrolle zu unterstellen und dies nicht nur auf nationaler, sondern auch auf internationaler Ebene im Rahmen der Umsetzung der „UN-Prinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte" in einem verbindlichen Abkommen (Treaty Process). Zu diesem Zweck haben Basisorganisationen und NGOs im südlichen Afrika eine Koalition gebildet, die die Kampagne „Recht, Nein zu sagen" durchführt. Sie will ausgehend vom Amadiba-Fall dafür sorgen, dass das Recht, „Nein, zu sagen", national und international gesetzlich verankert wird.

Sollte die Gemeinschaft den Prozess gewinnen und den Rohstoffabbau an den Küsten von Xolobeni endgültig verhindern, würde dieser Fall einen Präzedenzfall schaffen, der viele andere Gemeinschaften in der Region inspirieren könnte, in denen ähnliche Kämpfe stattfinden: Ob in Namibia, wo zivilgesellschaftliche Organisationen es geschafft haben, chinesische Bergbauaktivitäten für Phosphat zu stoppen, oder in der diamantenreichen Marange-Region in Simbabwe, wo vertriebene Gemeinschaften für das Recht kämpfen, in ihre Heimat zurückzukehren – es zeigt sich, dass gut koordinierte Aktionen der Zivilgesellschaft in Kooperation mit Basisgemeinschaften etwas bewirken können. Und hier geht es in erster Linie nicht darum, sich für den Anteil lokaler Gemeinschaften an den Gewinnen aus ihrem Boden einzusetzen, sondern grundsätzlicher darum, das Recht dieser Gemeinschaften zu betonen, solche Aktivitäten schlichtweg abzulehnen, weil sie sich für andere Lebensentwürfe entscheiden.

Boniface Mabanza Bambu

Der Autor ist für die Kirchliche Arbeitsstelle Südliches Afrika KASA tätig.