Heft 5/2018, Südafrika

Eile ist geboten

KOMMENTAR ZUR UNTERSUCHUNGSKOMMISSION ZUM STATE CAPTURE. Am 20. August hat die Commission of Inquiry into State Capture, die von Südafrikas Regierung noch unter Ex-Präsident Zuma am 23. Januar 2018 einberufene Korruptionsuntersuchungskommission, nach mehreren Verzögerungen mit ihren Anhörungen begonnen. Die Kommission soll die Hintergründe der Vereinnahmung des Staates, von Korruption und Betrug im Öffentlichen Sektor, durch die Gupta-Brüder und ihre Komplizen im Staatsapparat aufdecken.

Wie sie arbeiten und in welcher Form die Commission of Inquiry into State Capture ihrem Auftrag gerecht wird, dürfte tiefgreifende verfassungsrechtliche und politische Konsequenzen haben. Dies gilt umso mehr, als klar ist, dass der abgesetzte frühere Präsident Jacob Zuma, der im Zentrum der Anschuldigungen steht, eine Gegenkampagne gestartet hat, mit der er die Bemühungen von Präsident Cyril Ramaphosa, die Regierung von Korruption zu befreien, untergraben möchte.

Die Kommission wird von Raymond Zondo, dem stellvertretenden Obersten Richter des Verfassungsgerichts, geleitet. Ihr Auftrag ist es, das Ausmaß dessen zu untersuchen, was als „State Capture" („Vereinnahmung des Staates") durch korrupte Elemente innerhalb der Regierung bekannt wurde. Ihre Ergebnisse werden zeigen, wie stark die Demokratie des Landes innerhalb der zwei Jahrzehnte nach den ersten demokratischen Wahlen 1994 besonders unter der Zuma-Ära gefährdet war. Sie wird auch dazu beitragen, die für die Zukunft erforderlichen Gegenmaßnahmen zu ergreifen, um eine Wiederholung zu vermeiden.

Südafrika muss herausfinden, wie es Zuma und seinen Kumpanen, der Gupta-Familie, gelungen ist, Schwächen im Regierungssystem des Landes auszunutzen. Um ihre Rolle effektiv auszufüllen, muss eine gerichtliche Untersuchungskommission als inquisitorisches Ermittlungsverfahren zur Aufklärung des Sachverhalts fungieren. Ihre Aufgabe ist es herauszufinden, was und warum etwas passiert ist. Sie darf daher nicht die Rolle eines gewöhnlichen kontradiktorischen Strafverfahrens einnehmen. Die Kommission ist kein Ersatz für Strafverfolgung oder ein Zivilverfahren.

Dieser Grundsatz hat weitreichende Konsequenzen: Zondos Aufgabe ist es nicht, „die Geldflüsse zu verfolgen", wie manche es vorgeschlagen haben. Wichtige Merkmale des von den Guptas und ihren Verbündeten und Komplizen errichteten Geschäftslabyrinths, etwa der Grundbesitz der Gupta-Familie, wurden bereits aufgedeckt oder waren Gegenstand von Gerichtsverfahren. Die Aufgabe der Kommission besteht auch nicht darin, den Geldfluss oder irgendwelche Geldwäschemachenschaften zu verfolgen. Das wird die Aufgabe von Strafgerichten sein, wenn sie die Chance dazu bekommen.

Stattdessen sollte sich Zondo mit der Politik der staatlichen Vereinnahmung auseinandersetzen. Er muss unter die Oberfläche der Politik von „State Capture" schauen, um aufzuzeichnen, was und warum etwas geschehen ist, und um eindeutige Aussagen über die politische Verantwortlichkeit zu machen. Geschwindigkeit ist dabei das A und O. Er muss sich schnell bewegen, damit die Kommission ihren Schwung behält und nicht zulässt, dass sich Zuma und andere darin verwickelte Parteien davonstehlen oder versuchen, die öffentliche Meinung zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Berichte, wonach Zuma mit anderen einen Komplott gegen Ramaphosa plant, machen die Angelegenheit umso dringlicher.


Commission of Inquiry into State Capture
Mit dem stellvertretenden Obersten Verfassungsrichter Raymond Zondo hat die Untersuchungskommission einen Leiter zur Verfügung, der auf 20 Jahre Erfahrung im Justizapparat zurückblicken kann. Zondo wurde 1997 ins Arbeitsgericht berufen und im Jahr 2000 für zehn Jahre zum Obersten Richter dieses wie des Arbeitsberufungsgerichts befördert. 2011 diente er zudem für ein Jahr als Richter am Verfassungsgericht, bis seine Position endgültig wurde.

Zondo stehen fünf Kommissare als Assistenten zur Seite, darunter der frühere oberste Rechnungsprüfer Terence Nombembe, der für ein Untersuchungsteam verantwortlich ist, und der Anwalt Paul Pretorius, verantwortlich für juristische Fragen. In der Kommission vertreten sind zudem Vincent Maleka und die beiden Anwältinnen Leah Gcabashe und Thandi Norman.

In den bisherigen Anhörungen seit dem 24. August wurden u.a. vernommen: Mcebisi Jonas, der von den Gupta-Brüdern mit einer Millionenofferte zum Finanzminister gemacht werden sollte, Themba Maseko, ehemaliger Leiter der Kommunikationsabteilung der Regierung und von Ex-Präsident Zuma beauftragt, den Guptas zu helfen, die ANC-Abgeordnete Vytjie Mentor, die einen Kabinettsposten angeboten bekommen hatte, der Beschaffungschef der Staatskasse, verschiedene Bankenvertreter, Ministerin Lynne Brown und zuletzt am 3. Oktober Finanzminister Nhlanlha Nene.

Die Opposition fordert auch die Anhörung einflussreicher ANC-Politiker aus dem Dunstkreis von Jacob Zuma sowie nicht zuletzt die Vernehmung des früheren Staatspräsidenten selbst.


Prozess und Machtbefugnisse
Um den Fortschritt der Kommission zu bewerten, ist es wichtig, sich ihre Aufgabenstellung und Befugnisse vor Augen zu halten. Was kann Zondo untersuchen und was kann die Kommission tun, wenn sie etwas aufdeckt hat? Ihr Referenzrahmen ist zwar tiefgreifend, aber eng gesteckt. Sieben der neun Elemente der Aufgabenbereiche beziehen sich direkt auf die Einflussnahme auf staatliche Entscheidungsprozesse und Beschaffung durch die Guptas oder Zuma. Die übrigen zwei erlauben eine umfassendere Untersuchung des staatlichen Beschaffungswesens.

Der Aufgabenbereich beschränkt sich im Wesentlichen auf die Gupta-Familie und ihre Beziehung zum demokratischen Staat – vom Präsidentenamt und dem Kabinett über staatliche Agenturen und Unternehmen bis tief hinein in den exekutiven Arm der Regierung. Bei der Wahrheitssuche werden – oder besser sollten – die für das Geschehene Verantwortlichen von der Kommission identifiziert werden, damit sie zur Rechenschaft gezogen werden können.

Aber welche Befugnisse hat die Kommission, um gegen Missstände anzugehen, die sie aufgedeckt hat? Sehr wenige. Sicherlich weit weniger, als viele zu denken meinen. Die Aufgabe der Kommission besteht darin, Untersuchungen durchzuführen und Ramaphosa darüber Bericht zu erstatten. Darunter können auch Empfehlungen sein. Doch diese Empfehlungen sind per se nicht bindend. Die Kommission ist im Wesentlichen eine Untersuchungsmission und kann keine Befehle erteilen. Ihr Bericht könnte zum Beispiel kriminelle Machenschaften aufdecken, die Kommission kann die Angelegenheit dann an die Strafbehörden weiterleiten oder weitere Untersuchungen veranlassen. Doch die Strafverfolgungsbehörden müssen ihrerseits nicht auf den Abschluss der Untersuchungskommission warten. In der Tat sollten sie das Verfahren aufmerksam verfolgen und immer dann Maßnahmen einleiten, wenn ersichtlich wird, dass eine Straftat begangen worden sein könnte.

Die Ungewissheit über diesen Punkt hat in den ersten zwei Wochen zu einigen verfahrensmäßigen Unklarheiten geführt, insbesondere im Hinblick darauf, ob die Beteiligten die Möglichkeit haben, sich einem Kreuzverhör zu unterziehen. Unglücklicherweise ließ Zondo die Angelegenheit unnötig lange schwären, bevor er schließlich am 11. September entschied. Er hatte kein Problem damit, den Antrag der Gupta-Brüder auf ein Kreuzverhör mit der Begründung abzulehnen, sie seien ja im Wesentlichen vor der Justiz geflüchtet und nicht bereit, nach Südafrika zurückzukehren, um vor der Kommission auszusagen. Im Fall von Zumas Sohn Duduzane Zuma bewilligte er diesen jedoch.

Dies mag gerechtfertigt sein. Es könnte aber auch ein Ablenkungsmanöver sein. Untersuchungskommissionen sind dann am besten, wenn sie als starker „Anwalt für die Untersuchung" fungieren und nicht nur einseitig Beweise führen, sondern diese im weiteren Verlauf einer Überprüfung unterziehen und damit dem ganzen Prozess bei der Verfolgung einer robusten Version von Wahrheit Gewicht und Glaubwürdigkeit verleihen.

Hoher Einsatz
Zondos Tempo bereitet Sorgen. Man muss daran erinnern, dass diese Kommission aus dem Bericht über State Capture der ehemaligen staatlichen Ombudsfrau Thuli Madonsela stammt. Weil sie weder genügend Zeit noch Mittel zur Verfügung hatte, um ihre Arbeit zu vollenden, war die Einsetzung einer gerichtlichen Untersuchungskommission die logische Konsequenz zur Abhilfe. Madonsela wollte, dass die Kommission ihre Arbeit in sechs Monaten beendet. Das war ein ziemlich optimistisches Ziel. Doch so völlig unangemessen wäre das nicht gewesen, wenn sich die Kommission auf ihren eng gesteckte Rahmen konzentriert und ihr Verfahren schlank und gleichermaßen zielgerichtet organisiert hätte.

Zondo hat um weitere zwei Jahre gebeten. Es ist alles andere als einleuchtend, warum er so lange braucht und gleichzeitig der Lobbygruppe „Council for the Advancement of the South African Constitution" erlaubt hat, vor Gericht einer Fristverlängerung zu widersprechen. (Am 2. Oktober stimmte das Oberste Gericht in Pretoria einer Fristverlängerung bis März 2020 zu unter der Maßgabe, dass die Anhörungen bis August 2019 abgeschlossen sind und die restlichen Monate zur Auswertung der Ergebnisse zur Verfügung stehen; d. Red.)

Unabhängig davon muss die Kommission so schnell wie möglich handeln. Die Südafrikanerinnen und Südafrikaner werden täglich daran erinnert, dass Zuma zwar aus dem Amt ausgeschieden ist, aber immer noch in der Lage ist, Verwirrung zu stiften. Wenn sie sich effizient auf ihre Kernaufgabe konzentriert und Beweise für die politische Verschwörung, die dem Projekt der staatlichen Vereinnahmung zugrunde lag, vorgebracht und überprüft werden, können die Verfahren der Kommission dazu dienen, Zumas Rückkampfkampagne einzudämmen. Der Einsatz ist für alle Beteiligten sehr hoch – für Ramaphosas politische Zukunft und für das Land, das er anführt.

Richard Calland

Der Autor ist Dozent für Öffentliches Recht an der Universität von Kapstadt.
Sein Beitrag erschien ursprünglich in The Conservation, 18. September 2018.

http://www.polity.org.za/article/why-inquiry-into-corruption-in-south-africa-needs-to-act-with-urgency-2018-09-18
Links zu den öffentlichen Anhörungen der Untersuchungskommission:
www.sastatecapture.org.za