Heft 5/2020, Südafrika

Etappensieg für Ramaphosa

SÜDAFRIKAS PRÄSIDENT SETZT SICH IM MACHTKAMPF MIT JACOB ZUMA DURCH. Beschlüsse einer Sondersitzung des ANC-Vorstands könnten dazu führen, dass korrupten Funktionären der Partei endlich der Prozess gemacht wird.

Vorsichtiges Agieren und Jovialität gegenüber politischen Freunden und Gegnern sind Attribute, die normalerweise mit Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa in Verbindung gebracht werden. Das dürfte nicht nur dem eher zurückhaltenden Naturell des Präsidenten geschuldet sein, sondern auch der Einsicht, dass seine Stellung innerhalb des regierenden ANC angesichts der alles andere als zurückhaltenden Fraktion seines Vorgängers Jacob Zuma nicht gefestigt ist. Der Druck aus der von den strengen Covid-19-Maßnahmen ohnehin gebeutelten Bevölkerung, die endlich sehen will, dass der Korruption beschuldigte hohe Funktionäre auf die Anklagebank kommen, ist allerdings gewaltig. Nachdem bekannt geworden war, dass zuletzt selbst die Corona-Hilfen korrupten Amtsträgern zum Opfer gefallen sind, platzte dem Präsidenten der Kragen.

Ramaphosas Brandbrief
In einem beispiellosen Schritt schickte Ramaphosa wenige Tage vor der Sondersitzung der ANC-Exekutive am 29. und 30. August einen siebenseitigen offenen Brandbrief an die knapp 800.000 ANC-Mitglieder und setzte sich damit über die Köpfe der obersten Entscheidungsgremien der Partei hinweg. Seine Kernaussage hat es in sich: „Machen wir uns nichts vor, der ANC ist der Angeklagte Nummer eins." Auch wenn der ANC nicht alleine verantwortlich sei, müsse man der Realität ins Auge schauen, dass „das Problem der Korruption tief in der Partei und in der Regierung verwurzelt ist." Die jüngsten Korruptionsfälle im Zusammenhang mit Covid-19-Ausschreibungen (vgl. afrika süd Nr. 4, 2020) seien „ein unverzeihlicher Verrat an Millionen Südafrikanern", beklagte Ramaphosa und erinnerte an das Erbe von Luthuli, Tambo und Mandela, das „Ehrlichkeit zu uns selbst" gebiete.

Ramaphosa forderte, dass alle ANC-Mitglieder, die der Korruption beschuldigt werden, vor dem Integritätsausschuss der Partei zur Rechenschaft gezogen werden. Solange Funktionäre Disziplinarmaßnahmen ausgesetzt sind und nicht freiwillig zurücktreten, müssten sie ihre Ämter ruhen lassen. Von der Partei forderte er, sich öffentlich von jedem zu distanzieren, egal ob Spender, Unterstützer oder Mitglied, der oder die der Korruption beschuldigt wird oder an ihr beteiligt ist. Zudem müssten die Parteimitglieder regelmäßig finanzielle Interessenerklärungen abgeben.

Ramaphosas Vorgehen veranlasste Ex-Präsident Jacob Zuma, seinerseits einen 12-seitigen Brief zu verschicken, in dem er seinen Nachfolger der Heuchelei und des „Verrats am revolutionären Credo des ANC" beschuldigte. Ein Brief im Übrigen, den laut einem bissigen Kommentar von Paddy Harper in Mail & Guardian (4.9.2020) Carl Niehaus verantwortet hat. Mit der „Aufgeblasenheit, dem Getöse und Geschwätz und einer tweetartigen Steifheit, die an einen ins Englische übersetzten suid-afrikaansen Eisenbahn-Toilettenhinweis erinnert", trage der Brief klar die Handschrift des früheren ANC-Sprechers, der 2009 wegen Missbrauchs öffentlicher Gelder von seinem Amt zurückgetreten war und zu den lautstärksten Unterstützern von Zuma gehört. Ob Zuma überhaupt den Brief gelesen habe, bevor er ihn unterschrieb, könne man sich fragen, unkt Harper. Wahrscheinlich habe er beim Verlesen durch Niehaus über die Webkamera eher an die letzte Zahlungsmitteilung der Gupta-Brüder aus Dubai gedacht.

Wie auch immer, die beiden Briefe sind ein markanter Ausdruck des jahrelangen erbitterten Machtkampfs der sich unversöhnlich gegenüberstehenden Flügel im ANC: Hier die Seilschaften von Zuma, die wie der ANC-Generalsekretär Ace Magashule im Zentrum der Korruption im Zusammenhang mit staatlicher Vereinnahmung stehen, dort die Reformkräfte um Präsident Cyril Ramaphosa.

Breite Mehrheit im ANC-Vorstand
Zumas Brief war ein konzertierter Versuch, mit Hilfe seiner Anhänger den ANC-Parteichef zu stürzen und die strafrechtliche Verfolgung von korrupten Funktionären, denen hohe Gefängnisstrafen drohen, zum Scheitern zu bringen, doch der Schuss ging nach hinten los: Bei der entscheidenden Sitzung des Nationalen Exekutivkomitees (NEC) des ANC am letzten August-Wochenende konnte sich Ramaphosa eine komfortable Mehrheit unter den 86 Mitgliedern des Vorstandsgremiums der Partei sichern. Den Zuma-Brief streifte er allenfalls mit der Aussage, er ließe sich nicht beleidigen, und dann ließ er es sich nicht nehmen, die Ergebnisse der NEC-Sondersitzung zur Korruptionsbekämpfung selbst in einer Pressekonferenz am 31. August zu verkünden. Er brach damit mit einer Tradition, denn normalerweise obliegt diese Aufgabe Generalsekretär Magashule. Doch anstatt dass dieser die Tagesordnung samt Ergebnissen einmal mehr in seinem Sinne hätte verdrehen können, wurde er bei der digitalen, im Fernsehen übertragenen Zoom-Konferenz „ins Abseits gedrängt und buchstäblich stumm geschaltet, als Ramaphosa ankündigte, dass alle Amtsträger der Partei, gegen die Anklage erhoben wurde, gezwungen würden, ihre Ämter ruhen zu lassen oder zurückzutreten", wie Ferial Haffajee in Daily Maverick vom 31.8.2020 berichtet.
Nach fast 1.000 Tagen als ANC-Präsident hat Cyril Ramaphosa zwar endlich das politische Ruder der Partei übernommen, doch solange korrupte Funktionäre Rücktrittsforderungen einfach übergehen und wie Magashule im Amt verweilen, wird es schwierig sein, das Klientelnetzwerk der Partei nachhaltig zu zerschlagen. Ace Magashule hat als ehemaliger Premierminister der Provinz Freistaat während der Zuma-Ära kräftig von der Großzügigkeit der für das „State Capture" verantwortlichen Gupta-Brüder profitiert. Seine beiden Söhne, die für Unternehmen im Besitz der Gupta gearbeitet haben, stecken auch tief im aktuellen Skandal um die unrechtmäßige Vergabe von Covid-19-Aufträgen.

Magashule muss sich vor der Integritätskommission des ANC, die sich aus Veteranen und Ältesten der Partei zusammensetzt, wegen seines Umgangs mit den Guptas und anderer Anschuldigungen verantworten. Die Kommission hat zwar ethisches Gewicht, doch kann sie dem NEC nur Empfehlungen geben, die von den Partei-Kadern zumeist ignoriert werden. Ramaphosa will nun ihre Ergebnisse und Berichte verbindlich machen.

Die Kernfrage für Ramaphosas Bemühungen ist aber, ob die Ermittlungs- und Anklagebehörde NPA in ihrem Erneuerungsprozess schon so weit ist, dass sie Prozesse gegen korrupte Funktionäre aufnehmen kann. Die NPA hatte einen Großteil ihrer Ermittlungsarbeit ausgelagert, nachdem die Regierung Zuma ihre Operationen unterminiert und Spione und Saboteure in Schlüsselbereichen der Behörde eingeschleust hatte.

Ramaphosa konnte mit Unterstützung des NEC immerhin einen ordnungspolitischen Schritt durchsetzen: Beweisunterlagen aus den laufenden Untersuchungen der „Zondo-Kommission" können für die Strafverfolgungsbehörden nutzbar gemacht werden. Die Zondo-Kommission war 2018 von der Regierung eingerichtet worden, um mit Anhörungen vorgeladener Politiker das „State Capture" unter der Zuma-Regierung zu untersuchen. Diese Genehmigung zum Verwenden der Beweise wird als enorm wichtiger Schritt zu einer erfolgreichen Strafverfolgung gesehen und könnte bald zu ersten hochkarätigen Verhaftungen führen.

A luta continua
Noch ist der Krieg im ANC aber nicht vorbei, Ramaphosa hat lediglich einen Etappensieg errungen. Das NEC mag sich in Richtung einer Säuberung der Partei bewegen, zumal die Partei angesichts der Empörungen, die die Plünderung der Covid-19-Ressourcen innerhalb und außerhalb der Partei ausgelöst hat, auch nicht wirklich eine Wahl hat. Doch die Magashule-Fraktion wird nicht einfach stillschweigend gehen und Ramaphosa das Feld kampflos überlassen. Sollte Magashule nicht angeklagt oder bei Anklage freigesprochen werden, könnte Ramaphosas neu gefundene Mehrheit im NEC schnell wieder zerbröseln. Der Generalsekretär und die Zuma-Verbündeten könnten dann zum Gegenschlag ausholen und auf die Bankauszüge im Zusammenhang mit der Kampagne um Ramaphosas Kandidatur für den Parteivorsitz im Dezember 2017 verweisen. Die von Zuma als Public Protector eingesetzte umstrittene Ombudsfrau Busisiwe Mkhewebane, deren Rücktritt gefordert wird, hatte damals von Beweisen für Geldwäsche gesprochen. Zwar hatte das Oberste Gericht von Nord-Gauteng die Behauptung im März diesen Jahres aufgehoben und Ramaphosas Antrag auf Geheimhaltung der Aussagen akzeptiert, doch der Präsident weiß selber, dass die Aufdeckung der Einzelheiten über die Finanzierung seines damaligen Präsidentschaftswahlkampfs für ihn peinlich werden könnte. Deshalb verwies er sich selbst an den Integritätsausschuss der Partei in der Zuversicht, die Angelegenheit zur Zufriedenheit des Gremiums zu klären.

Eine andere Frage ist, wie lange die Bevölkerung noch hinter dem Präsidenten steht. Die wieder selbstbewusst auftretenden Gewerkschaften werfen ihm eine zu große Nähe zum westlichen Kapital vor und drohen, ihm die Unterstützung zu entziehen, sollte er nicht konsequent gegen die Korruption vorgehen (s. nachfolgenden Beitrag). Und die Wirtschaft ist wegen der Pandemie-Abwehr laut jüngster Daten im zweiten Quartal um 50 Prozent geschrumpft. Sollte sich die von Ökonomen prognostizierte Rezession bis zu den nächsten Wahlen im Jahr 2024 hinziehen, wird Ramaphosas Entschlossenheit, Reformen durchzusetzen und die Unterstützung der Bevölkerung zu erhalten, auf die Probe gestellt. Bis dahin wird es in und um den ANC noch viel Lärm geben.

Lothar Berger