Heft 5/2020, Südafrika: Fotografie

Humanismus und Neugier

ZUM TOD VON JÜRGEN SCHADEBERG. Sein Leben kann man durchaus als eine lange und spannende Reise betrachten. Eine Reise, die am 29. August 2020 in La Drova, Spanien, zu Ende ging.

Es war eine lebenslange abenteuerliche Expedition, die der 1931 in Berlin geborene Fotograf, Filmemacher und Journalist 1946 mit dem Besuch der Schule für Optik und Phototechnik in Berlin begann. Anschließend wurde er Praktikant bei der Deutschen Presseagentur in Hamburg. 1950 reiste er mit dem Schiff nach Südafrika, wo seine Mutter, zusammen mit dem Stiefvater, einem britischen Offizier, in Johannesburg lebte.

Schnell wurde er leitender Fotograf des Magazins „Drum", das sich vornehmlich an eine schwarze Leserschaft richtete. Im Johannesburger Stadtteil Sophiatown fotografierte er die blühende Jazz-Szene und in den Townships die Schlüsselereignisse in Südafrikas Geschichte, etwa das Massaker von Sharpeville 1960, den Rivonia-Prozess gegen Nelson Mandela und die damalige ANC-Führung. Er war einer der ganz wenigen weißen Journalisten auf ANC-Parteitagen und fotografierte auch illegale Treffen der Befreiungsbewegung.

Mit Nelson Mandela verband ihn eine lebenslange Freundschaft. Mandela hatte den jungen, mutigen Fotojournalisten der 60er-Jahre nie vergessen.

Die Zeit beim „Drum Magazine" und Jürgen Schadebergs Lebenswerk wurden unter anderem in dem 2004 erschienenen Kinofilm „Drum – Wahrheit um jeden Preis" beschrieben und gewürdigt.

In Sophiatown porträtierte er die später weltbekannten Musikerinnen und Musiker Miriam Makeba, Dorothy Masuka, Abdullah Ibrahim und Hugh Masekela. Nach dem Verbot von „Drum" und ständiger Verfolgung durch das Apartheidregime verließ er 1964 Afrika. Er lebte und arbeitete in den 1960ern und 1970ern unter anderem in London, New York, Spanien und Frankreich, bevor er 1985 nach Südafrika zurückkehrte. Während dieser Zeit gab er sein Wissen auch an andere, später berühmt gewordene Kollegen wie Peter Magubane weiter.

In Großbritannien fotografierte er Künstler wie Mick Jagger, Harold Pinter oder John Lennon in deren jungen Jahren, aber vor allem Stahl- und Hafenarbeiter, Putzfrauen, Kellnerinnen, Straßenverkäufer und Arbeitslose. Man fand ihn nicht auf den „roten Teppichen" der City of London, sondern in den dunklen und verwinkelten Hafenvierteln und dreckigen Spelunken.

1985 kehrte Schadeberg nach Johannesburg zurück und arbeitete weiter als Fotograf. 1994 gelang ihm sein wohl berühmtestes Foto: Nelson Mandelas am Fenster seiner früheren Zelle auf der Gefängnisinsel Robben Island. 18 Jahre lang war Mandela hier auf sechs Quadratmetern inhaftiert. Ernst und versonnen blickt Madiba aus dem Fenster und scheint sich mit Schmerz an Zeiten der Inhaftierung und Arbeit im Steinbruch der Insel zu erinnern. Die Photographers Gallery in London hat das Foto in die Liste der 50 denkwürdigsten Bilder des 20. Jahrhunderts aufgenommen.

Jürgen Schadeberg vertraute sein ganzes Leben lang seinen Leica-Kameras. Man sah ihn eigentlich – außerhalb seiner Wohnung – nie ohne seine Leica. In der Hochphase der Apartheid, also ab Mitte der 80er-Jahre des letzten Jahrhunderts, gelangen ihm die wohl eindrucksvollsten Bilder von Unterdrückung, Elend, Gewalt, Bandenkrieg, Vertreibung und Armut. Wie kaum ein anderer dokumentierte er die Folgen der Apartheid.

Anfang der 2000er erlebte Schadeberg dann eine böse Überraschung. Beim Versuch, seinen deutschen Pass in der Botschaft in Pretoria zu verlängern, teilte man ihm mit, dass dies nicht mehr möglich sei und er die deutsche Staatsbürgerschaft unter Umständen verlieren würde. Nach langen und zähen Verhandlungen in der neuen Bundeshauptstadt Berlin gewährte ihm das Auswärtige Amt letztendlich dann doch einen neuen Pass.

2007 kehrte Jürgen Schadeberg, zusammen mit seiner Frau Claudia, einer Kunsthistorikerin und Dokumentarfilmerin, zurück in seine Heimatstadt Berlin. Nach einigen Jahren erlosch jedoch die Liebe zwischen der Stadt Berlin und Jürgen Schadeberg. Zu sehr hatte man sich entfremdet. Verhandlungen mit der Stiftung Preußischer Kulturbesitz in Bezug auf sein Fotoarchiv scheiterten. 2013 zog er sich nach La Drova in der Nähe von Valencia zurück.

Zusammen mit seiner Frau fotografierte und veröffentlichte er weitere Bücher und erarbeitete Ausstellungen, die u.a. auch in Frankfurt am Main gezeigt wurden. Das Interesse an seinen Bildern und Büchern wuchs erneut. Vor zwei Jahren veröffentlichte Schadeberg seine sehr lesenswerten Lebenserinnerungen (in englischer Sprache) „The Way I See It". Zu einer deutschen Ausgabe kam es bisher (noch) nicht. Eine für 2018 geplante Ausstellung in Bonn musste verschoben werden. Stattdessen fand eine spannende Ausstellung im Willi-Brandt-Haus in Berlin statt.

Am 29. August 2020 verstarb Jürgen Schadeberg im Alter von 89 Jahren an den Folgen eines Schlaganfalls. Sein fotografischer Blick war immer voller Neugier und Humanismus. Ein Kompliment, das man nicht jedem Fotokünstler machen kann.

Jürgen Langen