Heft 5/2020, afrika süd-dossier: Afrika-Europa

Neue Handelsbeziehungen nach dem Brexit?

GROSSBRITANNIENS BEZIEHUNGEN ZU AFRIKA STEHEN AUF DEM PRÜFSTAND. Der Austritt aus der Europäischen Union bietet die Gelegenheit, günstigere Handelsbedingungen für die Volkswirtschaften Großbritanniens und Afrikas auszuhandeln. Der britische Premierminister Boris Johnson hat jedoch die „Global Britain"-Rhetorik seiner Vorgängerin aufgegeben, was die Autorin dazu veranlasst hat, das Potenzial und die Fallstricke einer neu definierten britisch-afrikanischen Beziehung zu untersuchen.


Der Beitrag von Emily Yates ist Teil eines Projekts mit dem Titel „Africa beyond Brexit: Ideas and Practices of Postcolonial Engagement in a Changing Global Order" (Afrika jenseits von Brexit: Ideen und Praktiken postkolonialen Engagements in einer sich verändernden Weltordnung), das in der Abteilung für Politik an der Universität York angesiedelt ist und in Zusammenarbeit mit dem Interdisciplinary Global Development Centre (IGDC) durchgeführt wird. Das von Dr. Peg Murray-Evans und Dr. Nicole Beardsworth geleitete Projekt versucht, eine neue Forschungsagenda zu definieren, die den Brexit als Diskussionsgrundlage für erweiterte Beziehungen Großbritanniens zu Afrika nutzt und dies in einen breiteren Kontext der sich verändernden globalen Machtdynamik stellt.


Als Theresa May noch britische Premierministerin war, prägte sie den Begriff „Global Britain", mit dem sie einen Weg hin zu Freihandelsabkommen und einem breiteren Engagement über Europa hinaus signalisieren wollte. Auf ihrer Reise auf dem afrikanischen Kontinent im August 2018 ging May in die Offensive und versprach, die USA bis 2022 als größten G7-Investor in Afrika überholen zu wollen. Der Schwerpunkt ihrer Reise lag auf den wichtigsten afrikanischen Commonwealth-Partnern – Südafrika, Kenia und Nigeria.

Während sich die öffentliche Aufmerksamkeit zu Hause auf das unbeholfene Lavieren der Premierministerin in den Brexit-Verhandlungen konzentrierte, signalisierte die Reise einen Kurswechsel in der strategischen Ausrichtung der britischen Außenpolitik. Mit dem Brexit als Katalysator versuchte die britische Regierung, die historischen Beziehungen zu den wichtigsten afrikanischen Handelspartnern neu zu justieren, um nach dem Verlassen der EU den Abschluss von Handelsabkommen zu ermöglichen.

Seit Beginn seiner Amtszeit als Premierminister im Juli 2019 signalisierte Großbritanniens Premierminister Boris Johnson mit seiner Konzentration auf innenpolitische Fragen jedoch eine Abkehr von der „Global Britain"-Rhetorik Mays und das angedachte Engagement in Afrika ist seither von der Tagesordnung verschwunden. Die diplomatischen Bemühungen von Johnsons Regierung haben sich dort, wo sie stattfanden, auf die „besonderen Beziehungen" zu den USA und der „Anglosphäre" – vor allem Australien, Neuseeland und Kanada – konzentriert. Die Berichterstattung in den Medien und die offiziellen Besuche zielten zweifellos in diese Richtung.

Inmitten der Turbulenzen um den Brexit sollte Johnson jedoch nicht aus den Augen verlieren, dass die Beziehungen zum Ausland verbessert und ausgebaut werden müssen. Unabhängig davon, wie das Abkommen zwischen der EU und Großbritannien nach dem Austritt Londons aussehen wird, wird London die Handelsbeziehungen mit dem Rest der Welt (neu) verhandeln müssen. 2016, kurz bevor er sich der Brexit-Kampagne anschloss, sprach Johnson vom protektionistischen Charakter der EU, der die britischen Handelsbeziehungen behindere. Wenn dies die Absicht hinter der Brexit-Kampagne war, könnte dies nun die Gelegenheit bieten, neue Beziehungen zu wichtigen Partnern zu knüpfen.

Bei der Zusammenarbeit mit den Ländern Afrikas nach dem Brexit sollte Großbritannien die Schaffung eines präferenziellen Marktzugangs für Importe aus dem globalen Süden, die Erleichterung des Bildungsaustauschs durch die Überarbeitung des Visumantragsverfahrens und die Neudefinition der EZ-Beziehungen erwägen. Dies kann dazu beitragen, eine dauerhafte und für beide Seiten vorteilhafte Außenpolitik aufzubauen, um die „Global Britain"-Vision zu verwirklichen.

Wissensaustausch auf Augenhöhe?
Obwohl der afrikanische Kontinent oft kaum mehr als ein Nettoexporteur von Rohstoffen dargestellt wird, hat er neben seinem Reichtum an natürlichen Ressourcen noch sehr viel mehr zu bieten. Afrika hat eine der am schnellsten wachsenden Jugendbevölkerungen und über 400 Mio. Menschen im Alter zwischen 15 bis 35 Jahren. Damit widersetzt sich der Kontinent dem Trend des stagnierenden Bevölkerungswachstums in den Ländern der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Dies bietet nicht nur Potenzial für Humankapital, sondern auch für Wissen und Innovation, sowie für einen wachsenden Markt an britischen Produkten und Dienstleistungen – nicht zuletzt im britischen Hochschulsektor. Dies ist eine Chance, sowohl junge Talente aus Afrika anzuziehen als auch Afrika als Standort für Unternehmensneugründungen zu bewerben.

Großbritannien verfügt über eine der höchsten Konzentrationen an Hochschuleinrichtungen von Weltruf, aber ein kürzlich veröffentlichter Bericht der britischen parteienübergreifenden parlamentarischen Arbeitsgruppen (APPG) für Afrika, nämlich der APPG für Malawi und der APPG für Diaspora, Entwicklung und Migration, zeigt, dass Afrikanerinnen und Afrikanern doppelt so häufig ein Visum nach Großbritannien verweigert wird als Bürgerinnen und Bürgern aus anderen Regionen der Welt. Dies ist eine unbequeme Wahrheit im Zusammenhang mit dem Anspruch eines Global Britain und erschwert so den geschäftlichen und akademischen Austausch erheblich. Die Regierung reagierte kürzlich mit der Ankündigung eines beschleunigten Visaverfahrens für Wissenschaft, Technologie und Ingenieurwesen, um „Großbritannien als wissenschaftliche Supermacht zu festigen".

Aber MINT-Fächer sollten nicht der einzige Schwerpunkt sein. Obwohl viele Universitäten über engagierte Zentren für Afrikastudien verfügen, wurde oft festgestellt, dass sie nur sehr wenig „Afrika" enthalten. Afrikastudien sind ein ausgesprochen interdisziplinäres Fach. Daher bedarf es einer stärkeren Einbeziehung und Integration mit afrikanischen Forschungs- und Hochschuleinrichtungen sowie eines einfacheren und umfassenderen Visaverfahrens für alle Personen aus Forschung und Wissenschaft, die Großbritannien zu ihrer neuen Heimat machen, das Studium Afrikas bereichern und zu den weltweit führenden Universitäten Großbritanniens beitragen wollen. Diese Veränderungen können dazu beitragen, Innovation und Informationsaustausch zu fördern, mit dem Potenzial für ein breites Spektrum an wirtschaftlichen Vorteilen. Ein integratives akademisches Umfeld wäre für beide Seiten vorteilhaft, da es ein stärker integriertes akademisches Umfeld zur Bewältigung drängender globaler Herausforderungen wie Armut und Klimawandel erleichtern würde.

Den Handel erleichtern
Es ist klar, dass Großbritannien allein nicht mit den globalen Handelsgiganten – hauptsächlich China, den USA und dem EU-Block – in Afrika konkurrieren kann, aber das muss es auch nicht. Angesichts historisch-gewachsener, aber auch zwiespältiger Beziehungen Londons zum afrikanischen Kontinent gibt es nach wie vor erheblichen Einfluss und Spielraum für ein dortiges Engagement. Großbritannien könnte einen Präzedenzfall für förderlichere Handelsbeziehungen schaffen. Nach dem Brexit werden die Commonwealth-Länder London als Fürsprecher und Vermittler in den Verhandlungen mit der EU verlieren. Afrikanische Länder könnten sich jedoch in einer vorteilhaften Verhandlungsposition gegenüber Ländern befinden, die sich beim Wettlauf um Handel und Ressourcen gegenseitig zu übertrumpfen versuchen.

Ist es also für Großbritannien möglich, Beziehungen als Hauptinvestor in Afrika und als bedeutender Importeur afrikanischer Waren mit der Absicht zu nutzen, nach dem Brexit eine nachhaltige Entwicklung in die Handelspolitik einzubringen?

Während ihrer Zeit als Ministerin für internationale Entwicklung schlug Priti Patel, heute Innenministerin im Johnson-Kabinett, vor, dass London seine Entwicklungszusammenarbeit dazu nutzen könnte, Freihandelsabkommen mit afrikanischen Ländern zu vereinbaren, die einen verbesserten Marktzugang zu afrikanischen Märkten ermöglichen würden. Ein völlig anders gelagerter EZ-orientierter Ansatz wäre es jedoch, Entwicklungsländern in Afrika (und anderswo) einen einseitig verbesserten Marktzugang auf der Basis bisheriger EZ-Verfahren zu gewähren und somit die afrikanischen Landwirtschafts- und Fertigungssektoren sowie die klein- und mittelständischen Unternehmen des Kontinents zu unterstützen und auszubauen.

Insbesondere die Abschaffung starrer sog. Ursprungsregeln könnte für afrikanische Exporte von Vorteil sein. Die derzeitigen Regelungen der EU wirken sich indirekt auf Entwicklungsländer aus, indem sie eine Struktur aufrechterhalten, in der sogenannte Primärprodukte die Hauptexportgüter sind. Mehr Flexibilität in den Handelsbeziehungen würde sicherstellen, dass Zwischenprodukte auch durch regionale Zusammenarbeit geschaffen werden könnten, wobei der Großteil der Verarbeitung und somit der Wertschöpfung im Inland erfolgen sollte. Regionale Zusammenarbeit könnte in Zukunft eine entscheidende Rolle spielen, da die Inkraftsetzung der Panafrikanischen Freihandelszone (African Continental Free Trade Area, AfCFTA) im April 2019 einige Handelsbarrieren des innerafrikanischen Handels mit regional hergestellten und weiterverarbeiteten Gütern aufhebt. Eine Vereinfachung der Ursprungsregeln könnte daher die Ausfuhr von Produkten mit höherem Mehrwert ermöglichen und den Wert der Exporte für die Entwicklungsländer erhöhen. Für die gegenwärtige britische Regierung deckt sich diese Strategie auch mit Johnsons früherer Rhetorik über den Abbau der EU-Bürokratie.

Entwicklungszusammenarbeit neu definieren
Der Brexit könnte zwar als Gelegenheit gesehen werden, die Beziehungen zu Afrika neu zu beleben und ihnen ein neues Image zu verleihen, aber es könnte auch Vorbehalte dagegen geben. Dies gilt insbesondere bei Aussagen des amtierenden Premierministers, der allen Ernstes vorschlug, „das beste Schicksal für Afrika bestünde darin, wenn die alten Kolonialmächte oder ihre Bürger sich wieder in ihre Richtung aufmachen würden", und er wiederholt abwertende Formulierungen verwendet hat, um die Menschen und Länder des Kontinents zu beschreiben. Dieses zusammen mit Patels Äußerungen über die Hebelwirkung britischer EZ im „nationalen Interesse" legen nahe, den Ansatz der gegenwärtigen britischen Regierung als durch eine imperialistische Brille gesehen zu betrachten, da Afrika lediglich als eine Gelegenheit angesehen wird, das nach dem Brexit entstandene „Handelsloch" mit neuem Engagement in Afrika „zu stopfen", ohne eine Beziehung auf Augenhöhe anzustreben, die langfristig und für beide Seiten vorteilhaft wäre.

Um diese Beziehung neu zu definieren, müsste Großbritannien versuchen, einen neokolonialen Ansatz zu vermeiden – der die afrikanischen Partner weiter entfremden würde – und sich stattdessen für die Entwicklungsziele des Kontinents einsetzen. Britische EZ sollte auf den Aufbau von Kapazitäten in den Empfängerländern ausgerichtet sein und nicht als Hebel dafür dienen, Großbritannien als alleinigen Wohltäter dastehen zu lassen. Alternativ kann EZ ein Weg sein, Handelskapazitäten aufzubauen, was eine nachhaltigere und weniger ungleiche Beziehung stärken kann. Durch die Unterstützung von kleinen und mittelständischen Betrieben kann die Regierung sicherstellen, dass die Länder von einem bevorzugten Marktzugang profitieren können.

Der Brexit bietet den afrikanischen Ländern die Möglichkeit, Handelsabkommen mit günstigeren Bedingungen neu auszuhandeln. Das AfCFTA, sich verändernde globale Dynamiken und die geschwächte Verhandlungsmacht Großbritanniens ohne den EU-Handelsblock haben die Position Afrikas in künftigen Verhandlungen gestärkt. Eine Steigerung der Handelsexporte durch präferenzielle Handelsabkommen kann dazu beitragen, die Entwicklung voranzutreiben und die Volkswirtschaften in Afrika zu stärken.

Ohnehin gibt es die Tendenz, die Handelsmacht und den Einfluss Großbritanniens in der gegenwärtigen internationalen Ordnung zu überschätzen. Dies gilt umso mehr, als London derzeit nicht über die institutionellen Kapazitäten zur Aushandlung von Handelsabkommen verfügt, weil dies bisher nicht notwendig war. Großbritannien wird nunmehr als sog. Mittelmacht in das globale Handelssystem eintreten. Jedoch in einem internationalen System, das ganz anders aussieht als bei seinem Austritt in den 1970er-Jahren. Um effektive Beziehungen in dieser neuen globalen Ordnung zu schaffen, ist es entscheidend, dass Großbritannien seine Beziehungen zum afrikanischen Kontinent neu bewertet und seinen Platz im globalen System anerkennt.

Emily Yeates

Die Autorin ist Masterstudentin in Public Administration an der University of York. Ihre Schwerpunktinteressen sind öffentliche Ordnung, internationale Beziehungen und regionale Entwicklungspolitik in Großbritannien.

Ihr Artikel erschien am 24.9.2019 auf dem Blog LSE – Firoz Lalji Centre for Africa:
https://blogs.lse.ac.uk/africaatlse/2019/09/24/global-britain-and-africa-beyond-brexit/