Heft 5/2020, 50 Jahre issa

Wer mit wem und für was?

ISSA UND DIE GESCHICHTE MIT DER SOLIDARITÄT

Nomen est omen: Eine Informationsstelle Südliches Afrika, auch wenn im Geiste internationaler Solidarität mit den Befreiungskämpfen im südlichen Afrika geboren, ist keine Ein-Punkt-Bewegung, wie es die der Anti-Apartheid-Bewegung (AAB) gewesen ist. Deshalb ist von letzterer in der Vergangenheitsform die Rede, während es die issa noch immer gibt. Dass sie es geschafft hat, 50 Jahre alt zu werden, ist eine beeindruckende Leistung. Dabei war der Weg nicht immer gerade und manchmal holprig. Es ist schließlich nicht ganz einfach mit der Solidarität.

Wem gilt die Solidarität?
Das Verständnis innerhalb der in den 1970er-Jahren erwachenden westdeutschen Solidaritätsbewegung war so auch keinesfalls von Harmonie geprägt. Die oftmals eher trennende denn einende Frage lautete, wer es mit wem und warum hält. Solidarität als Identifikation mit und Unterstützung von gesellschaftspolitischen Zielen und Organisationen sowie Menschen erfordert Positionierung. Wenn es dabei eine Konkurrenz unter diesen gibt, wird es kompliziert. Auch im südlichen Afrika führten Alleinvertretungsansprüche zu Ausschließlichkeitsforderungen von institutionalisierten Bewegungen. Diese Rivalitäten reproduzierten sich in der Solidaritätsszene.

Ein solcher Konflikt war in Mosambik mit Samora Machel und der Frelimo nicht gegeben. Zu Angola sah dies schon anders aus, da sich die maoistisch orientierten Komitees mit der von China unterstützten und Jonas Savimbi geführten Unita solidarisierten, während der „Mainstream" geschlossen hinter der pro-sowjetischen MPLA von Agostinho Neto stand. In Simbabwe teilten Robert Mugabes Zanu und Joshua Nkomos Zapu die Gemüter und Fronten. In Namibia vermochte die Swapo unter Sam Nujoma dank alleiniger Anerkennung durch die Generalversammlung der Vereinten Nationen eine (fast) unangefochtene Stellung gegenüber der Swanu als erster nationaler Organisation zu behaupten. Ähnlich dominant konnte sich für Südafrika der ANC personifiziert von den Ikonen Nelson Mandela und Oliver Tambo positionieren – trotz des von Robert Sobukwe als ANC-Abspaltung gegründeten PAC und der von Steve Biko inspirierten Black Consciousness-Bewegung. Dazu gesellte sich in gänzlich unproblematischer Weise in der Anfangsphase der Solidaritätsbewegung die Unterstützung der PAIGC (Befreiungsfront von Guinea-Bissau und den Kapverden) mit dem vor der Unabhängigkeit ermordeten Amilcar Cabral als Vordenker antikolonialer Kämpfe.

Doch mit Alleinvertretungsansprüchen ist solidarisches Verhalten – so es von grundlegenden humanistischen Prinzipien geleitet ist – oftmals nur schwer vereinbar. Wie lässt sich absolute Loyalität mit einer Organisation innerhalb eines Spektrums von Bewegungen mit ähnlichen Zielen und damit dem Ausschluss anderer Menschen vereinbaren, die ganz Ähnliches wollen und durch den Einsatz ihres Lebens Solidarität im Kampf für Menschenrechte verdienen? Für die issa mit dem Hauptziel, die antikolonialen Kämpfe für das Selbstbestimmungsrecht der Menschen im südlichen Afrika durch Informationsarbeit zu unterstützen, war dies zurecht stets eine Herausforderung, die mitunter zu einer prekären Gratwanderung führte. Einige Diskussionen und Kontroversen in dieser zuerst als „informationsdienst südliches afrika" publizierten Zeitschrift dokumentieren diese Auseinandersetzungen. Nur selten, wenn überhaupt, wurden diese auch anderswo in der westdeutschen Szene ähnlich offen benannt und geführt.

Kein Ende der Geschichte
Der Schwerpunkt auf analytische Begleitung der Entwicklungen (den auch mehrere Buchreihen mit zahlreichen Titeln bis zur Jahrhundertwende dokumentierten) wurde mit dem Ende der Minderheitsregime keinesfalls obsolet. Hingegen wirkte sich dies nachhaltig auf die ursprüngliche Solidaritätsbewegung aus. Als die imaginierten Helden und Heldinnen mit dem erkämpften Recht auf Selbstbestimmung neue Ungleichheiten, den Hang zur Selbstbereicherung sowie eine Arroganz der Macht produzierten, machte sich teilweise Katerstimmung breit. Das Ergebnis solcher Ernüchterung war Verdrängung, ein Rückzug in andere (häufig privatere) Formen des Engagements, oder ein Wechsel der Solidaritätsarbeit hin zu anderen Schwerpunkten. Dabei kam die Bilanz unter den Befreiungsbewegungen an der Macht eigentlich nicht ganz überraschend. Schon Frantz Fanon hatte in seinem programmatischen Manifest „Die Verdammten dieser Erde", das in Deutschland maßgeblichen Einfluss auf die Entstehung einer Solidaritätsbewegung hatte, in dem Kapitel über „Die Missgeschicke des nationalen Bewusstseins" diese Entwicklungen schonungslos benannt.

Die Einsicht in diese Wirklichkeiten forderte jedoch eine Überprüfung und Neubestimmung von Solidarität. Dieser Aufgabe stellten sich viele der Aktivistinnen und Aktivisten nicht. Vor den Gräueltaten im Matabeleland, bei denen die Zanu mit Unterstützung Nordkoreas in der „Operation Gukurahundi" zehntausende Zivilisten Mitte der 1980er-Jahre massakrierte, um die Zapu in eine Allianz unter ihrer Fuchtel (als Zanu-PF) zu zwingen, schlossen fast alle die Augen und Ohren. Auch die Menschenrechtsverletzungen in den Reihen von ANC und Swapo im Exil wurden tabuisiert. So blieben Solidarität und Empathie einmal mehr selektiv und verloren an Glaubwürdigkeit, was die Verfolgung der proklamierten hehren Prinzipien betrifft – Ethik, Moral und Solidarität sind keinesfalls Synonyme.

Die Umbrüche der 1980er- und 1990er-Jahre, nicht nur im südlichen Afrika, sondern auch als Folgen der deutschen Wiedervereinigung für die Reorganisation von Institutionen im öffentlichen Raum, beförderten den Niedergang der Solidaritätsarbeit mit der Region und deren Menschen. Nur die issa und das in einem breiteren thematischen Rahmen operierende Informationszentrum Dritte Welt in Freiburg mit den „blättern des iz3w" (nunmehr als „iz3w") haben als wesentliche Akteure überlebt. Sie mussten sich in unterschiedlicher Weise der Aufgabe stellen, wie internationale Solidarität in den sich wandelnden Bezügen zu verstehen und praktizieren ist. Dies bleibt eine beständige Herausforderung.

So muss die Gefahr erkannt und vermieden werden, die Flucht in feuilletonistische Beliebigkeit zu befördern, weil es mit der Politik weiterhin keine einfache Sache ist. Die wichtigste Aufgabe ist dabei wohl, angesichts der Neubelebung kolonialapologetischer und rassistischer Tendenzen in Deutschlands erstarkter neuer Rechten einen schon vor Gründung der issa erfolgten Hinweis von Amilcar Cabral zu beherzigen. Die beste Form der Solidarität mit den Befreiungskämpfen, so stellte er bei einer Solidaritätsveranstaltung in Mailand fest, ist es, den Kampf im eigenen Land zu führen. Dazu gehört weiterhin die aufklärende, sensibilisierende und antirassistische Informationspflicht im Engagement für Menschenrechte. Der issa bleibt damit ein weites Feld, auch im Terrain, das die Brücke zwischen Deutschland und dem südlichen Afrika schlägt.

Persönliches zum Schluss
1967 wanderte meine Mutter mit mir und meinem Bruder nach Namibia (damals noch Südwestafrika) aus. 1974 trat ich dort in die Swapo ein. Ab 1975 wurde mir bis 1989 die Einreise untersagt. Zurück in Deutschland wurden neben der Swapo anfangs die Deutsche Afrika Gesellschaft (DAG) und länger als diese die Vereinigung von Afrikanisten in Deutschland (VAD) zu einer Art Heimat- und Familienersatz, zu denen sich ab 1980 mit ihrer Gründung die Zeitschrift „Peripherie" gesellte. Mit der issa dauerte es etwas länger. Die erste Kandidatur für den Vorstand war erfolglos: Ein damals prominenter Aktivist hielt auf der Mitgliederversammlung eine Brandrede. Ihm zufolge disqualifizierten mich die teilweise Verwendung des Begriffs Azania und die Sympathie mit der Black Consciousness-Bewegung. Dies fiel in eine Zeit, als in Teilen der AAB der Verdacht kolportiert wurde, ich sei ein von Südafrika eingeschleuster Agent. Die daraufhin zeit- und teilweise Ausgrenzung (deren Gründe ich erst später erfuhr) ging an die psychische Substanz.

Im zweiten Anlauf schaffte ich es ein paar Jahre später. Doch die Kenntnis um gravierende Menschenrechtsverletzungen der Swapo im Exil führten 1989/90 im Übergang zur Unabhängigkeit Namibias zu einer Zerreißprobe. Nachdem ich mich dazu öffentlich kritisch positioniert hatte, kam es im issa-Vorstand zum „Showdown" über der Frage, ob dies eigentlich die gebotene Solidarität mit der Befreiungsbewegung zuließe. Die Sitzung, bei der dies entschieden wurde, verließ ich unter Tränen. In meiner Abwesenheit wurde mit einer Stimme Mehrheit beschlossen, dass meine Haltung nicht im Widerspruch zur Rolle als Vorstandsmitglied stehe. In der Folge legten zwei langjährige Angehörige des Vorstands ihre Ämter nieder.

Wie in anderen Situationen erfuhr und lernte ich hier, dass Solidarität nicht nur eine abstrakte Frage von politischen Organisationen und prinzipiellen Werten ist, sondern auch eine sehr direkte persönliche Dimension hat. Die damalige Entscheidung schuf eine anhaltende tiefe Verbundenheit mit der issa, auch wenn ich 1992 endlich wieder (vermeintlich für immer) als Leiter eines regierungsberatenden Forschungsinstituts nach Namibia zurückkehren konnte. Die Antwort auf die Frage, wie sich Solidarität auch in Verhalten und Engagement jenseits einer Loyalität zu Organisationen definiert, trug teilweise dazu bei, dass ich – noch immer Mitglied der Swapo – seit 2000 nicht mehr in Namibia, sondern in Schweden arbeite und lebe (aber mit dem Herzen bei den Menschen dort geblieben bin).

Henning Melber
Vorstandsmitglied der issa von 1983 bis 2013