Heft 5/2021, Südafrika

Mord an einer Whistleblowerin

IHR EINSATZ GEGEN KORRUPTION KOSTETE BABITA DEOKARAN DAS LEBEN. Der Mord an der Whistleblowerin hat die südafrikanische Öffentlichkeit erneut aufgeschreckt, nachdem sich das Land gerade erst von den Brandstiftungen und Plünderungen, hinter denen militante Anhänger von Ex-Präsident Jacob Zuma als Urheber stecken (vgl. nachfolgenden Aufsatz), erholt hat.

Die 53-jährige Babita Deokaran, leitende Beamtin der Gesundheitsbehörde von Gauteng, wurde am 23. August um 8 Uhr morgens vor ihrem Haus im Süden von Johannesburg erschossen. Sie hatte gerade ihre 16-jährige Tochter zur Schule gebracht, war nach Hause zurückgekehrt und hatte ihr Auto abgestellt, als mehrere Kugeln aus nächster Nähe durch das Fahrerfenster auf sie abgefeuert wurden. Kurz darauf erlag sie im Krankenhaus ihren Schussverletzungen.

Die Täter waren geplant vorgegangen. Sie hatten die Bewegungen von Deokaran in ihrem Wohnkomplex im Süden von Johannesburg wochenlang beobachtet, ihr Mobiltelefon angezapft und die Überwachungskameras in der Umgebung offensichtlich mit einem Störsender lahmgelegt. Es war ein gezielter Mord. Der Anschlag galt ihrem Leben – Telefon, Handtasche oder Laptop ihres Opfers interessierten die Täter nicht.

„Die Killer sind immer noch da draußen", sagte ein Familienmitglied gegenüber Daily Maverick (24.8.2021). Die Polizei habe die Familie bereits gewarnt, vorsichtig zu sein. Doch Zeugenschutz hatte Babita Deokaran keinen bekommen, obwohl sie in mehreren prominenten Korruptionsfällen ausgesagt hatte. „Sie hatte den Mut, Missstände in der Verwaltung aufzudecken. Sie war furchtlos. Sie war patriotisch. Die Familie hofft, dass die Schuldigen gefunden und zur Rechenschaft gezogen werden", so der Sprecher der Familie.

Organisierte Bandenkriminalität
Zum Zeitpunkt des Mordes war Babita Deokaran eine wichtige Belastungszeugin im Betrugsfall mit Covid-19-Schutzkleidung in Höhe von umgerechnet 20 Mio. Euro. Ihre Beweise und eidesstattliche Erklärung halfen der Sonderermittlungseinheit (Special Investigating Unit, SIU) bei der Aufdeckung des Betrugsfalls, bei dem sich Provinzpolitiker des ANC mit Millionen von Rand an der stark überteuerten Beschaffung von Corona-Schutzkleidung bereichert hatten. Die SIU ist u. a. dem Unternehmen Ledla Structural Development auf den Fersen, das Verträge im Wert von 139 Mio. Rand (8 Mio. Euro) ergattert und dann Lieferungen an Subunternehmer vergeben hatte. Die Behörden versuchen, das Geld von verschiedenen involvierten Unternehmen zurückzufordern.

Deokaran arbeitete seit 30 Jahren in der Gesundheitsbehörde der Provinz Gauteng. Sie hatte als Sachbearbeiterin in der Buchhaltung angefangen und sich in den letzten drei Jahrzehnten im öffentlichen Dienst hochgearbeitet. Als stellvertretende Finanzchefin der Gesundheitsbehörde von Gauteng versuchte sie mit ihren Kolleg:innen, die seit Jahren von Skandalen heimgesuchte Behörde gegen alle Widerstände sauber zu halten.

„Alle paar Jahre haben wir hier ein anderes Team von Leuten, die kommen und plündern. Die Mittel scheinen ein Fass ohne Boden zu sein", hatte Deokaran an den Direktor der Ahmed Kathrada Foundation, Shan Bolton, geschrieben. Dabei sei das Finanzministerium der Provinz das größte Problem bei der Aufklärung all der Korruptionsfälle gewesen, in denen Rechnungen falsch deklariert und Milliarden von Rand gestohlen wurden. „Kein Wunder, dass wir ständig damit zu kämpfen hatten, unsere Lieferanten zu bezahlen."

Die Abteilung war von Korruption durchdrungen. Unter die Amtszeit des ehemaligen Gesundheitsministers Brian Hlongwa fiel ein korruptes Geschäft mit einer Beraterfirma in Höhe von umgerechnet 70 Mio. Euro, das nach eingehenden Ermittlungen der SIU schließlich 2020 vor Gericht kam. Und der Fall der psychiatrischen Klinik „Life Esidimeni" aus dem Jahr 2016, bei dem mindestens 144 schutzbedürftige Menschen starben, verfolgt das Ministerium noch immer. Die Klinik war damals aus Kostengründen geschlossen worden und die psychisch labilen Patienten in untaugliche Heime verlegt worden. Die Untersuchung dieses tragischen Falls von Misswirtschaft ist bis heute nicht abgeschlossen. Gautengs damalige Gesundheitsministerin Qedani Mahlangu musste 2017 zurücktreten, gegen Brian Hlongwa wurde wegen Korruption ermittelt, beide behielten aber ihre Posten in der Provinzexekutive des ANC.

Deokaran hatte es ganz offensichtlich mit einem mafiaähnlichen Verbrechersyndikat zu tun. Mit fingierten Anklagen wegen Fehlverhaltens sollten sie und ihre Kolleg:innen in der Finanzleitung der Gesundheitsbehörde ins Abseits gedrängt werden. Der Leiterin der Zahlungsabteilung wurde so lange das Leben zur Hölle gemacht, bis sie schließlich kündigte. Nachdem der Covid-19-Skandal aufgedeckt worden und die amtierende Gesundheitsministerin Bandile Musuku zurückgetreten war, wurden die Anklagen im Juli 2020 zurückgezogen. Deokaran wurde aber in das Johannesburger Bezirksbüro versetzt – für ein Jahr in den Sonderurlaub, während die Ermittlungen liefen. Dann kamen ihre Mörder.

Mutmaßliche Täter gefasst
Vier Tage nach der kaltblütigen Tat an Babita Deokaran konnte die Polizei sechs Tatverdächtige festnehmen. Ein Nachbar hatte die Ermittler darüber informiert, vor dem Mord mehrmals einen verdächtigen BMW am Tatort gesehen zu haben. Das Fahrzeug konnte zu einem ehemaligen Armeemitglied aus der Gegend von Pretoria zurückverfolgt werden, was zur Verhaftung der Verdächtigen führte. Der Zeuge selbst leidet nach seinen Aussagen unter Angstzuständen und erhält Polizeischutz. Nach Medienberichten handelt es sich bei den Verhafteten um Auftragsmörder, die alle aus KwaZulu-Natal stammen. Angeblich wurde ihnen über 2 Mio. Rand (rund 115.000 Euro) gezahlt, um die Whistleblowerin zum Schweigen zu bringen. Die sechs Tatverdächtigen, zwischen 25 und 30 Jahre alt, werden des Mordes, der Verschwörung zum Mord, des versuchten Mordes und des unerlaubten Besitzes von Schusswaffen und Munition beschuldigt. Sie sitzen in Johannesburg in Untersuchungshaft, die Behandlung des Kautionsantrags durch ihrer Anwälte wurde vom Johannesburger Magistratsgericht auf Anfang Oktober verschoben.

Ihre Auftraggeber werden ihnen gute Anwälte besorgt haben. „Der Mord an Babita Deokaran reißt uns die Maske der Naivität vom Gesicht, die wir in Bezug auf die an Korruption Beteiligten haben. Diese Namen, von denen wir so oft sprechen – die MECs (Mitglieder des Provinzkabinetts), die ehemaligen Bosse von Staatsunternehmen, die Metro-Mafias – haben viel zu verlieren, und manchmal sind sie bereit zu töten, um ihre Pfründe zu schützen und nicht ins Gefängnis zu müssen", heißt es in einem Leitkommentar von Maverick Citizen (31.8.21). Es wäre schon ein Wunder, wenn die Hintermänner des Mordes identifiziert und bestraft würden. Zu lange haben sich Plündernetzwerke und eine Kultur der Straflosigkeit seit der Präsidentschaft Jacob Zumas ausgebreitet, als dass es trotz der Zusage von Nachfolger Cyril Ramaphosa, die Korruption zu bekämpfen, so einfach zerschlagen werden könnte.

Schmutziges Plündernetzwerk
Ein langjähriger leitender Angestellter aus der Abteilung von Deokaran, der lieber anonym bleiben möchte, hat mittlerweile das Vorgehen bei den schmutzigen Ausschreibungen im Gesundheitsministerium detailliert bestätigt. Es handle sich um ein riesiges und verdorbenes Netz von Plünderungen und Korruption, das in der Behörde Wurzeln geschlagen habe. „Es beginnt mit dem Lieferkettensystem, das von Politikern initiiert wird; dann braucht man hohe Beamte, die das System bedienen, und ein organisiertes Syndikat von Leuten in verschiedenen Abteilungen, die dafür sorgen, dass die Dinge laufen. Dahinter üben ein Finanzausschuss und Abteilungsleiter Druck aus, sodass die, die sich nicht an diese Regeln halten, entfernt werden" (Maverick Citizen, 6.9.21). Die Abteilungsleiter würden nur kommissarisch eingesetzt und „gleichzeitig werden die Generaldirektoren zwischen den Ressorts hin- und hergeschoben, um sie vor möglichen Ermittlungen und Verurteilungen zu schützen", so der genannte Zeuge. Wer nicht mitspiele und auf die Korruption in der Behörde aufmerksam mache, werde durch Anrufer eingeschüchtert, die vorgeben, Ausweisnummern von Familienmitgliedern zu kennen und zu wissen, wo die Kinder zur Schule gehen.

Schließlich sorgt das System auch dafür, dass Untersuchungen der SIU im Sande verlaufen. Das Verfahren, so der Zeuge, „läuft über den Premierminister, dann über hochrangige Politiker und schließlich über die obersten Direktoren – die Chance auf unabhängige Untersuchungen ist damit hoffnungslos eingeschränkt. Außerdem kann es Jahre dauern, bis ein Fall vor Gericht kommt, da die nationale Anklagebehörde bei der Strafverfolgung nur im Schneckentempo vorankommt. Dadurch sind Zeugen und Informanten absolut schutzlos."

Es braucht mehr als die üblichen Krokodilstränen, die von Cyril Ramaphosa und Gautengs Premier David Makhura nach dem Mord an Babita Deokaran vergossen wurden. Um das Korruptionsnetzwerk zu zerschlagen, müssten sie in ihren jeweiligen Kabinetten mutig aufräumen und sich von korrupten Politiker:innen befreien. Und Whistleblower brauchen, wie überall in der Welt, wo sie verfolgt werden, Anerkennung und Schutz. Darauf haben die Demonstrant:innen vor dem Gerichtsgebäude in Johannesburg gedrungen. Ramaphosa hat bereits eine Liste von Aufgaben zum Thema Whistleblowing, die ihm von angesehenen Whistleblowern vor der Zondo-Kommission übergeben wurden.

Lothar Berger